Interview

„Mathe-Gott“ Daniel Jung: „Seid mutig und macht es einfach!“

Daniel Jung kennt sich bestens mit Zahlen aus. Er ist für viele die letzte Rettung bei Matheproblemen.
Daniel Jung kennt sich bestens mit Zahlen aus. Er ist für viele die letzte Rettung bei Matheproblemen.

Köln. Die meisten dürften Daniel Jung als Mathehelfer der Nation oder sogar als „Mathe-Gott“ kennen. Er selbst hofft, viele Menschen mit Mathematik glücklich zu machen. Das gelingt dem 42-jährigen Online-Tutor mit seinen inzwischen über 3000 Erklärvideos, die er auf der Videoplattform YouTube veröffentlichte und die aus dem Alltag der meisten deutschen Schülerinnen und Schüler nicht mehr wegzudenken sind. Im Interview geht Daniel Jung darauf ein, warum der Ort Schule nie wichtiger war als jetzt und erläutert, was passieren muss, um die digitale Transformation mit Nachdruck anzuschieben.

Lieber Daniel, wie bist du zu Deutschlands vielleicht bekanntestem Mathetutor geworden?
Daniel Jung: Ich habe in den 2000er-Jahren parallel zum Studium Nachhilfe gegeben. Dann habe ich mich dabei erwischt, dass ich mehr Nachhilfe gegeben habe, als zu studieren. Ich habe die fantastischen Möglichkeiten des Internets genutzt, um Recherche zu betreiben. Was sind Lernformen der Zukunft? Was tut sich weltweit? Ich bin thematisch schließlich in den USA gelandet und habe entdeckt, dass renommierte Universitäten wie Standford oder das Massachusetts Institute of Technology schon damals eigene Lernplattformen hatten, die den Fokus auf verfilmte Vorlesungen legten. Ich dachte mir: Wenn derart renommierte Unis das machen, dann könnte ich das auch für meine Nachhilfe nutzen. So kam ich auf diese etwa fünfminütigen Tutorials, die ich auf YouTube teile. Wie sich herausstellte, war das eine tolle Möglichkeit, um viele Menschen zu erreichen. Schon 2011 lief YouTube immer stabil, alle hatten Zugang zu den Inhalten. Ab 2016/17, als fast alle ein Smartphone hatten, ging es dann richtig los. Die Messenger-Systeme wurden von der breiten Masse genutzt, es konnte mal eben der Link zu einem meiner Videos verschickt werden. Plötzlich wurde ich auf der Straße erkannt.

Wie ist das für dich, den Alltag so vieler Schülerinnen und Schüler zu begleiten?
Ich bin stolz, dass ich nicht mit dem Cappuccino auf dem Skateboard durch Köln fahre und damit Klicks generiere, sondern meinen Konsumenten wirklich ihren Lebensweg ebne. Das reicht bis zu Nachrichten, in denen viele schreiben, sie hätten ohne meine Mathe-Videos ihr Studium abbrechen müssen. Da habe ich natürlich auch Verantwortung, dessen bin ich mir bewusst.

Warum ist deine Arbeit so wichtig?
Vor allem ist sie für die Demokratisierung von Bildungsinhalten wichtig. Unabhängig von der Herkunft kann jede und jeder das Smartphone herausholen oder den Laptop aufklappen und hat weltweit Zugang zu Inhalten, die teilweise von hochdekorierten Professoren erstellt wurden. Man könnte fast sagen, dass das komplette Wissen in irgendeiner Form zum Konsumieren im Internet zu finden ist. Ich sehe es als meine Aufgabe an, darauf aufmerksam zu machen.

Wie könnte man solche Inhalte in den Unterricht integrieren?
Das ist die Frage! Der Content der Erklärvideos ist vorhanden. Aber um darauf zugreifen zu können, braucht es vor Ort eine funktionierende IT-Infrastruktur und flächendeckendes Internet. Und das ist leider nicht überall gegeben. Erst wenn das der Fall sein sollte, kann man darüber nachdenken: Wie setzt man die Inhalte ein? Ich glaube, der physische Ort Schule war nie wichtiger als jetzt. In Zeiten von sich rasant verbreitenden Fake News und Desinformation brauchen wir einen Ort, von dem wir mit Sicherheit sagen können: Ich vertraue auf die dort kuratierten Inhalte. Aber dieser Ort muss auch so ausgestattet werden, dass digitale Inhalte eingesetzt werden können. Und da fehlt es an allen Ecken und Enden.

Welche Chancen bietet das digitale Unterrichten?
Es bietet vor allem die Möglichkeit, maximal viele Menschen mit vertrauenswürdigen Informationen zu versorgen. Vor allem, wenn man an das Thema Lehrkräftemangel denkt. Ein Beispiel: Ein Lehrer in Usedom streamt seinen Unterricht live. Zum Beispiel in Mathematik. Wo anderswo der Unterricht ausfallen würde, könnten sich diese Schulen dazuschalten und verlässlich aufbereitete Inhalte konsumieren. Ein weiterer Punkt wäre die Aufhebung des klassischen Unterrichtens. Als Lehrkraft hätte ich deutlich mehr Möglichkeiten, viele Menschen individuell zu erreichen.

Du sprichst dich auf deiner Website für die digitale Transformation des Bildungssystems aus. Was bedeutet das konkret?
Ich fühle mich manchmal wie in dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Die Art, wie wir leben und lernen, steht an einem Wendepunkt, wie wir ihn seit 1000 Jahren nicht gesehen haben. Wenn ich es schaffe, einen Ort wie die Schule zu transformieren und so auszurichten, dass ich von dort aus Inhalte erstelle und mit der Welt teile, erfülle ich natürlich auch einen Auftrag. Wo kommt Wissen her? Welchen Inhalten kann ich trauen? In Deutschland haben wir mit den Schulen viele Orte, an denen solche Formate und Inhalte entstehen könnten. Und wir haben viele Universitäten, die sich teilweise immer noch dagegen sträuben, ihre Inhalte online zur Verfügung zu stellen. Und das ist für mich inzwischen eigentlich eine gesellschaftliche Verpflichtung. Dafür muss allerdings die digitale Transformation stattfinden.

Was macht für dich zeitgemäße Bildung und zeitgemäßes Unterrichten aus?
Bei dem exponentiellen Wachstum an fortschrittlichen Technologien und den Durchbrüchen auf diversen Gebieten muss der starre Lehrplan geöffnet werden. Es braucht mehr Freiräume. Wir müssen es der Schule ermöglichen, tagesaktueller auf Ereignisse eingehen zu können und die Offenheit bieten, mehr auszutesten, ohne auf bürokratische Hürden zu stoßen. Dafür ist die Geschwindigkeit weltweit zu groß. Die großen technischen Fortschritte werden von Unternehmen gemacht. Und da schadet es manchmal auch nicht, mit Unternehmen zusammenzuarbeiten, die die Expertise für praktische Neuerungen haben.  Das neue Lern-Ökosystem wird weder rein online, noch rein offline sein. Für die Schule von morgen kann beides flexibel gewechselt werden. Das ist für mich die Zukunft: Eine optimale Symbiose aus analog und digital.

Was kann Lehrkräfte dabei unterstützen und sie motivieren, digital zu arbeiten?
Aufklärung! Dass das, was da gerade passiert, kein Ersatz der lehrenden Person ist. Es gibt diese Ängste leider. Aber es handelt sich keinesfalls um den Ersatz des eigenen Jobs. Es ist eine tolle Möglichkeit, gemeinsam zu lernen und zu lehren. Seid mutig! Ich sage allen, die kurz davor sind, im Bereich Lernen und Lehren etwas Neues zu testen: Macht es einfach!

funky-instagram-banner

Du willst mehr? Du bekommst mehr!