Meinung

Notlügen – vertretbar oder unaufrichtig?

Notlügen nutzen oder die Wahrheit sagen? Nicht immer einfach.
Notlügen nutzen oder die Wahrheit sagen? Nicht immer einfach.

In einem Punkt sind sich wohl alle einig: Es wird immer Menschen geben, mit denen man sich uneinig ist. In dieser Rubrik diskutieren junge Menschen über Themen, die für ordentlich Zündstoff sorgen. Dieses Mal geht es um Notlügen: Sind sie akzeptabel oder ein absolutes No-Go?

Das mit dem Lügen ist so eine Sache. Grundsätzlich ist es nicht zu befürworten, und doch ist es manchmal einfacher, das Gegenüber nicht direkt mit der Wahrheit zu konfrontieren. Zum Beispiel, wenn es um den persönlichen Geschmack geht. Die Jugendreporterinnen Pauline und Veronika stellen sich die Frage, ob Notlügen auch mal vertretbar sein können.

Pro: Notlügen sind ein soziales Schmiermittel

Notlügen sind harmlose kleine Lügen und tun dem oder der Belogenen nicht weh. Oft steckt sogar eine noble Absicht dahinter: Sie sollen jemanden schonen und etwas Schlimmeres vermeiden, beispielsweise eine Verletzung. Das klingt doch gut. Und solange eine Notlüge auch wirklich nur  in solchen Ausnahmefällen eingesetzt werden und nicht zur Gewohnheit werden, können sie sogar hilfreich sein. Schließlich ist niemand zu 100 Prozent ehrlich. Schmeckt das Essen beim Gastgeber oder bei der Gastgeberin nicht und möchten ihn oder sie nicht enttäuschen, so kommt eine Notlüge problemlos über die Lippen. Notlügen können also verhindern, dass unangenehme Situationen entstehen. Sie sind ein einfacher Weg, um eine Situation nicht eskalieren zu lassen, in diesem Fall das gemeinsame Abendessen. Denn mal ehrlich: Nicht alle Menschen können mit Kritik gleichermaßen gut umgehen.

Manchmal sind Notlügen auch eine Art Selbstschutz und helfen dabei, Diskussionen und Streitereien zu vermeiden oder sich selbst vor unnötigen negativen Kommentaren und Meinungen zu schützen. Schließlich ist man nicht immer bereit, hitzig zu diskutieren. Sie helfen dabei, freundlicher, klüger und anständiger zu erscheinen und der Angst vor Ablehnung vorzubeugen.

Als bequeme kleine Ausreden können sie auch dabei helfen, sich von einer unerwünschten sozialen Verpflichtung zu befreien. „Ich kann leider nicht zu deinem Geburtstag kommen. Mir geht es nicht gut.“ Wenn es die Alternative wäre, zu sagen, dass man alle anderen Freund:innen der Person unangenehm und langweilig findet, ist das sicher die freundschaftsverträglichere Option.

Notlügen können auch motivierend und tröstend eingesetzt werden, um dem Gegenüber Empathie aufzuzeigen. Untersuchungen der Universität Regensburg ergaben: Frauen verwenden Notlügen, um anderen ein gutes Gefühl zu geben.  Männer hingegen greifen zu Notlügen, weil sie gut dastehen wollen.

Kurz gesagt: Auch wenn Notlügen zunächst nicht moralisch einwandfrei klingen, gibt es doch Situationen, in denen man ein Auge zudrücken und über sie hinwegsehen kann. Vor allem wenn es darum geht, eine andere Person zu schützen.

Pauline Dörrich, funky-Jugendreporterin

Contra: Ehrlichkeit währt am längsten

Ja, Notlügen können einem aus der Patsche helfen. Das ist klar und kaum jemand würde daran rühren wollen. Doch Lügen haben kurze Beine. Dass an diesem Sprichwort viel Wahres dran ist, musste der ein oder die andere bestimmt schon mal am eigenen Leib erfahren.

Und das kann ganz schön unangenehm werden und manchmal sogar drastische Auswirkungen auf zwischenmenschliche Beziehungen haben. Fängt man erst einmal an, den Alltag mit kleinen Lügen zu spicken, kann das langfristig negative Konsequenzen mit sich bringen.

Notlügen sollten stets gut reflektiert werden und sie dürfen ihrer scheinbaren Belanglosigkeit zum Trotz nicht klein geredet werden. So wie man nicht dauernd die Moralapostelkeule schwingen sollte, sollte man auch die Notlügen so gut es geht vermeiden. Schließlich sollten diese, wie es das Wort schon verrät, nur in Notsituationen verwendet werden.

Werden die kleinen Lügen zur Gewohnheit, verliert man schnell an Glaubwürdigkeit. Niemand kann ein Lügennetz endlos weiterspinnen, ohne sich irgendwann selbst darin zu verheddern. Früher oder später wird man merken, dass einem kein Glauben mehr geschenkt wird, wenn man dann wirklich mal krank ist, es einem nicht gut geht oder man keine Zeit hat.

Vertrauen ist ein kostbares Gut, mit dem man nicht leichtfertig umgehen sollte. Gut zu überlegen, wie man Unangenehmes empathisch ansprechen kann, ohne dabei verletzend zu sein, kann Wunder bewirken und Beziehungen sogar stärken.

Die eigene Komfortzonen zu verlassen ist für niemanden leicht. Doch ein kurzes Innehalten und Abwägen, ob man den besagten Geburtstag durch eine Notlüge umgeht oder ob man sich überwindet und Dingen und Menschen eine zweite Chance gibt, kann schöne Überraschungen bereithalten. Vielleicht lernt man auf dem Geburtstag einen neuen Menschen kennen, der sogar sehr  nett ist und mit dem man spannende Gespräche führen kann. Oder man zeigt durch sein Erscheinen einfach, dass die Person, die eingeladen hat, einem wichtig ist.

Natürlich ist es wichtig Grenzen wahrzunehmen und sich zu nichts zu zwingen. Aber ist man erst einmal auf dem Geburtstag, hat man immer noch die Möglichkeit, wieder zu gehen. Mit einer Unwahrheit zu Hause geblieben zu sein wird sich am Ende wahrscheinlich in  Form von Gewissensbissen negativer äußern, als den inneren Schweinehund zu überwinden.  Wie sagt man so schön: Man bereut eher das, was man nicht gemacht hat. Sind Beziehungen durch ständiges Schwindeln geprägt, sollte man vielleicht eher darüber nachdenken, was der Grund dafür ist, dass man nicht ehrlich miteinander sein kann. Hat man vielleicht Angst vor der Reaktion des Gegenübers? Ist das Lügen eventuell die Konsequenz von vergangenen ungesunden und destruktiven Konflikterfahrungen?

Also: Lieber sollten mal die  eigenen Beziehungsmuster hinterfragt werden, als wieder zur vorschnellen Notlüge zu greifen. Ehrliche und offene Kommunikation kann nur stattfinden, wenn Vertrauen vorhanden ist und man einander sieht und sich verstanden fühlt.

Veronika Hensing, funky-Jugendreporterin
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