OnlyFans als therapeutischer Akt

Louis Mast
Der 22-Jährige verdient mit Nacktbildern Geld.
Friederike Jost, funky-Jugendreporterin

Berlin. Ein trainierter Oberkörper, untenrum nur ein Handtuch. Die eine Hälfte des Gesichts vom Handy verdeckt, die andere mit einem breiten Grinsen, spiegelt sich ein junger Mann im Badezimmer. „Mit diesem Foto habe ich vorhin 30 Euro verdient“, erklärt Louis Mast. Über seine Nebenverdienste bei OnlyFans spricht der 22-Jährige offen und ohne Scham. Und damit ist er nicht allein: Schauspielerin Bella Thorne, Rapperin Katja Krasavice oder Influencerin Ema Louise posten fleißig exklusiven, bezahlpflichtigen Content auf der Plattform, die im Coronajahr 2020 ihren Boom erlebte. Obwohl man Inhalte aller Art hochladen kann, wird OnlyFans hauptsächlich für Erotik oder Pornografie genutzt. Der Grund dafür scheint trivial: Im Gegensatz zu anderen Webdiensten zensiert oder unterbindet die Plattform mit Sitz in London Nacktheit nicht. Allerdings darf OnlyFans offiziell erst ab einem Alter von 18 Jahren genutzt werden; wer dort Inhalte veröffentlichen möchte, muss zudem seine Identität durch echte Bankdaten, Namen und Ausweis nachweisen. Eine Gewähr, dass die eigenen Veröffentlichungen dort sicher sind, gibt es nicht.

12,90 Euro kostet es interessierte Nutzerinnen und Nutzer, einen Monat lang freizügige Bilder und Videos von Louis zu sehen, persönliche Fotos kosten extra.  Und das Geschäft scheint zu laufen: Mit seinen Verdiensten kann sich der Influencer nach eigenen Angaben mittlerweile sein Leben finanzieren. Doch das war nicht immer so. „Ich hatte nie vor, mir OnlyFans zu machen“, sagt Louis und wirkt etwas nachdenklich, „dann wurden Nacktbilder und Handy-Videos von mir gehackt und herumgeschickt. Das ging sogar so weit, dass Leute mich auf einem Pornografieportal gefunden haben.“ Damals war er erst 19 und völlig am Boden zerstört. Es folgten monatelange schlaflose Nächte, Selbstzweifel und viele Tränen. Letztendlich hätten die Bilder nur durch gute Kontakte zu Anwälten von den Servern gelöscht werden können, sagt Louis. Von der Polizei, bei der man, wie Beratungsstellen empfehlen, unbedingt Anzeige erstatten soll, sei in seinem konkreten Fall statt Hilfe nur ein „Selbst schuld, wenn man solche Bilder von sich macht“ gekommen.

Eine ungewöhnliche Idee

„Sexualität ist das Intimste und Angreifbarste, was der Mensch hat. Gerade im jungen Alter, wo man sich noch in der Selbstfindungsphase befindet, spielt sie eine riesige Rolle,“ sagt Iris Wendel. Sie ist Psychotherapeutin und selbst Mutter dreier Kinder. Bloßstellung in der Öffentlichkeit, vorgeführt werden, eine Machtlosigkeit über die Inhalte – all diese Gefühle gehen laut Wendel mit dem Missbrauch versendeter Bilder einher. „Im schlimmsten Fall führt das zu einem Trauma, das  man nur schwer loswird.“

Louis glaubt, einen Weg gefunden zu haben, den Vorfall für sich zu verarbeiten: Ein guter Freund habe ihm vorgeschlagen, einen OnlyFans-Account zu eröffnen,  „… jetzt, wo eh schon alle die Bilder gesehen haben“. Nach allem, was passiert ist, hätte Louis’ Abneigung nicht größer sein können. Aber: „Irgendwann hatte ich dann so einen Alles-scheißegal-Moment und habe mir halb aus Frust, halb aus Neugierde ein OnlyFans-Konto erstellt“, erinnert er sich. Was dann kam, hätte er nie erwartet: Die Bilder und Videos seien nicht weiter herumgeschickt worden, und er selbst habe sich zum ersten Mal seit Langem nicht mehr in der Opferrolle gefühlt. „Ich habe unbewusst den Spieß umgedreht: Die Menschen haben gemerkt, dass ich die Inhalte freiwillig herausgebe und dazu stehe. Sie konnten mich nicht mehr damit provozieren. OnlyFans war wie eine Therapie für mich!“, grinst er.

Obwohl es nicht immer einfach war, kann sich Louis momentan ein Leben ohne die Plattform nicht mehr vorstellen. Ob er Angst hat, dass seine Bilder wieder geleakt werden? „Klar kann das immer passieren. Damit muss man rechnen, wenn man auf OnlyFans intime Bilder postet, aber mittlerweile macht mir das gar nichts mehr aus. Und mein Anwalt nimmt das dann auf jeden Fall aus dem Internet – ich habe schließlich die Rechte an meinem Bild“, sagt Louis lachend.

Hacking und Datenklau intimer Inhalte sind leider keine Seltenheit. Das Problem: Die Abschreckung sei zu klein, findet Louis. Für Leute, die gegen die Regeln verstoßen, habe das häufig keine Konsequenzen. Er selbst wünscht sich mehr Kontrolle und härtere Strafen für die Cyberkriminellen.

Neben dem Zweckentfremden von Bildern entstehen auch weitere Herausforderungen, wenn der Körper zum Kapital wird. Fünf Mal die Woche steht Fitnesstraining auf Louis’ Plan, eine strenge Ernährung und ein ewiger Kampf mit seiner Krankheit Psoriaris Arthritis, einer entzündlichen Gelenkerkrankung, die trockene, teilweise blutige Stellen auf der Haut hinterlässt. Die psychische Belastung sei hoch. „Erst jetzt habe ich angefangen, darüber auf meinen Plattformen zu sprechen, und das hilft mir.“

Kleine Zweifel bleiben

Es komme nicht oft vor, aber manchmal bereue Louis es trotzdem, OnlyFans zu nutzen: „Es verbaut einem Möglichkeiten. Die Menschen werden zwar offener für Sexwork, aber viele möchten dennoch nicht mit mir arbeiten oder wissen nicht damit umzugehen.“ Für immer möchte Louis das Geschäft mit den Nudes, also Bildern, auf denen er nackt zu sehen ist, deshalb nicht machen, aber sicher noch eine Weile. Schauspieler werden ist sein Traum, an dem er nach wie vor festhält.

Über seinen Laptop lädt Louis das nächste Nacktbild hoch – und sichert sich damit das Geld für den morgigen Lebensmitteleinkauf oder den anstehenden Kinobesuch. Für ihn ist das normal. Trotzdem ist es ihm wichtig, den Leserinnen und Lesern klarzumachen: „Das Internet vergisst nie – egal, wie gut dein Anwalt ist.“

ÜBER ONLYFANS

Die Online-Plattform OnlyFans dient zur kostenpflichtigen Bereitstellung von Webinhalten.

Viele Inhalte der Plattform sind nicht für Jugendliche geeignet, da es sich um eindeutig sexualisierte und pornografische Angebote handelt.

Nutzende müssen zudem ihre eigenen Daten angeben, um bezahlt zu werden.

Durch Screenshots kann es außerdem passieren, dass Inhalte weiter verbreitet werden.

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