Interview

Bob Blume im Interview: „Es führt kein Weg daran vorbei“

Bob Blume
Bildungsinfluencer Bob Blume spricht über die Digitalisierung im deutschen Bildungssystem.
Lena Enders, funky-Redakteurin

Berlin. Das Thema Digitalisierung ist nicht nur allgegenwärtig, es steht auch außer Frage, dass sich am deutschen Bildungssystem etwas ändern muss. Im Interview spricht der Lehrer und bekannte Bildungsinfluencer Bob Blume die politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen an, die uns dahingehend erwarten. Unter anderem erklärt er, was das Ansehen von Lehrkräften verändern könnte und weshalb die digitale Realität dringend in den Unterricht einbezogen werden muss.

Lieber Bob Blume, wie bewertest du die aktuelle Lage an den deutschen Schulen?
Es gibt keine aktuelle Lage. Es gibt immer so viele Lagen, wie es Schulformen, Länder und Kommunen gibt. So muss jede Frage – ob Digitalisierung, Integration, progressiver Unterricht – vereinzelt beantwortet werden. Und das offenbart bereits das Problem: ein sehr heterogenes Bild. Es gibt Schulen in Bremen oder im Saarland, die mit der Digitalisierung schon weit sind. Dann gibt es Schulen, die zurückgelassen wurden, kein WLAN haben und deren Ausstattung wie in den frühen 1990er-Jahren aussieht. Solange Bildung eines der wichtigsten Güter ist, das wir als Exportnation haben, ist das ein wichtiges innenpolitisches Problem.

Wo siehst du einen Lösungsansatz?
Optimistische Antworten würden lauten: Die Verantwortlichen müssen sich zusammensetzen. Die Kultusministerinnen und -minister müssen das Problem offen kommunizieren, der Basis zuhören, die Praxis miteinbeziehen und überlegen, wie man einen nationalen Bildungsgipfel veranstalten könnte. Olaf Scholz könnte das Wort „Bildung“ auch mal in den Mund nehmen. Solange das nicht passiert, wird das System an die Wand fahren. Es fehlen so viele Lehrkräfte, dass Schulen irgendwann ihre Türen zumachen müssen. Hand aufs Herz: Ohne die Pandemie hätten wir weitere zehn Jahre für bestimmte Entwicklungen gebraucht. Das zeigt: Es braucht Alternativlosigkeit, politischen Druck oder eine massive Katastrophe. Ich sehe weder den politischen Willen noch eine Alternativlosigkeit. Ich wünsche mir um keinen Preis noch einmal die Corona-Pandemie, aber ich sehe, was bleibt: eine Verschärfung der Lage, die dazu führt, dass umgedacht werden muss. Ich hoffe, dass diese Konfliktlage schnell allen bewusst wird. Deshalb bleibt es bei meinen und anderen unermüdlichen Appellen, sowohl an die Politik als auch an Eltern und uns Lehrkräfte, in eine Vorleistung zu gehen, bevor sich die Situation noch weiter verschärft.

Inwiefern kann digitaler Unterricht eine Schlüsselfunktion haben, wenn es um die Qualität von Bildung geht?
Digitale Bildung und Unterrichtsqualität hängen nicht unmittelbar zusammen, wenn man der Hattie-Studie von 2023 glaubt. Doch inwiefern können wir uns eine Bildung leisten, die nichts mit der digitalen Realität zu tun hat? Es geht vor allem darum, inwiefern Unterricht auf das vorbereitet, was wir tagtäglich erleben. Und die Welt ist digital. Der Soziologe Armin Nassehi spricht von einer „digitalen Gesellschaft“. Insofern muss Schule diese Formen der „digitalen Erweiterung“ in den Unterricht einbringen. Und zwar unabhängig davon, ob die Qualität verbessert wird – oder zunächst einmal schlechter wird. Wenn etwas mit neuen Werkzeugen gemacht wird, dann kann das zu Beginn in die andere Richtung laufen. Doch es führt kein Weg daran vorbei.

Es braucht in Schulen mehr Systemadministratorinnen und Sozialarbeiter, damit sich Lehrkräfte auf die Lehrtätigkeit konzentrieren können.

Bob Blume

Welche Rolle spielen die Schülerinnen und Schüler bei der Digitalisierung des Unterrichts?
Digitale Mündigkeit bedeutet digitale Teilhabe. Wenn man sich der digitalen Welt öffnet, wird man merken, dass man eine Stimme hat. In diesem Sinne können Schülerinnen und Schüler alles verändern, wenn man ihnen Möglichkeiten gibt, ihre Expertise, ihre Neugierde, ihre Wünsche, ihre Bedürfnisse und ihre Inhalte einzubringen. Man muss Freiräume schaffen. So kann man Schülerinnen und Schüler aus der oftmals wahrgenommenen Passivität herausholen.

Welche Entwicklungen siehst du aktuell, die dir Hoffnung geben?
In der Öffentlichkeit präsente Leute wie „Learn Learning with Caroline“, Saskia Niechzial, ich und zahlreiche andere fordern politische Änderung und bekommen viel Zuspruch. Es scheint einige Lehrkräfte zu geben, die auch das Gefühl haben, dass sich etwas verändern muss. Diese Tatsache macht mir Mut. Dennoch: Es bleibt eine Herausforderung. Veränderung ist immer unbequem. Es ist ein Kommunikationsprozess, der anstrengend ist und alle miteinbeziehen muss.

Wie können Lehrkräfte die Motivation finden, engagiert zu bleiben?
Innerhalb des Bildungssystems mit dem Beamtentum ist es schwer, Anreize zu schaffen, die als eine Art Inflationsausgleich denen zugutekommen, die sich engagieren. Wir als Gesellschaft sollten im Hinterkopf haben, dass es auch um eine Form von Würdigung dieses Berufs geht. In Finnland ist der Respekt vor dem, was Lehrkräfte leisten, unglaublich hoch. Etwas zu tun, das gesellschaftlich geschätzt wird, ist eine Motivation. Es würde helfen, wenn das Ansehen gegenüber Lehrkräften generell wachsen würde. Strukturell würde beispielsweise eine Reform der Lehrerarbeitszeit helfen. Höherer Korrekturaufwand sowie die zahlreichen Tätigkeiten, die Lehrkräfte neben dem Unterrichten machen, müssen abgebildet werden. Besser noch: Es braucht in Schulen mehr Systemadministratorinnen und Sozialarbeiter, damit sich Lehrkräfte auf die Lehrtätigkeit konzentrieren können. Es sollte nicht Nebenprodukt sein, den Schülerinnen und Schülern die Welt zu eröffnen, sodass sie Lernen entdecken und neugierig werden. Mit leuchtenden Augen sollen sie Lust auf Weiterlernen bekommen.

Welche Vision hast du für das Bildungswesen der Zukunft?
Schulen sind die schönsten Orte der Stadt. Es gibt keinen Stundenplan als solchen mehr. Es gibt Möglichkeiten für Vertiefungen. Es heißt nicht mehr „Unterricht“, sondern es geht um das Lernen an sich. Klassenräume, in denen alle aufgereiht sitzen und in denen Frontalunterricht gemacht wird, sind passé. Stattdessen laden Stillarbeitsbereiche, Gruppenbereiche, Instrumentenbereiche, Bücher, Digitales und Naturbereiche mit wunderschönen Schulhöfen zum Lernen ein. Die Lehrkräfte sind geschult in Lernprozessen und Lernabläufen und mussten in ihrer Ausbildung zeigen, dass sie große Lust haben, mit jungen Menschen zu arbeiten. Diese Schulen sind kleine autarke Oasen des Lernens.

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