CSD in Köln: von bunt und fröhlich zu politisch und ernst

Die Severinsbrücke in Köln ist mit großen Regenbogenflaggen geschmückt.
Regenbogen so weit das Auge reicht: An der Severinsbrücke ging in Köln am Sonntag die CSD-Demonstration los.
Anna Ingerberg, funky-Jugendreporterin

Der Christopher-Street-Day in Köln war 2023 wohl in jeder Hinsicht extrem: Der bisher heißeste Tag des Jahres traf auf über eine Millionen Zuschauer:innen und mehr als 60.000 Parade-Teilnehmer:innen auf 224 Wagen. Seit nunmehr über 50 Jahren feiern queere Menschen ihre Vielfalt im Juni und im Juli. Seinen Ursprung hat der CSD in der Szene-Bar Stonewall Inn in der Christopher Street in New York City. Dort wehrten sich am 28. Juni 1969 erstmals die dort feiernden queeren Menschen gegen eine von der Polizei durchgeführte Razzia. In den 60er-Jahren waren diese Razzien keine Seltenheit.

© Anna Ingerberg

Vergangenes Jahr kürte die europäische Kommission Köln zur europäischen Hauptstadt für Vielfalt und Integration. Diesem Titel wurde Köln beim CSD-Straßenfest am Wochenende – insbesondere bei der Demonstration am Sonntag – mehr als gerecht. Augenscheinlich gab es bei der Wahl für ein passendes Oufit nur zwei Optionen: Ein Kostüm mit Glitzer oder ein Kostüm aus Glitzer. Bunte Kleidungsstücke in Regenbogenfarben mit wilden Perücken prägten das Bild ab dem frühen Vormittag auf der Severinsbrücke. Von der Deutzer Freiheit aus ging es durch die Innenstadt bis zum Dom. Die Stimmung: größtenteils ausgelassen. Auch ein Wetterumschwung am frühen Abend dämpfte die Stimmung nicht im Geringsten. Eine Stunde lang blieb der Heumarkt geschlossen, danach feierte die bunte Menge nahtlos weiter. Als krönender Abschluss der Pride-Wochen trat der Headliner Todrick Hall auf.

In manchen Momenten schien in den Hintergrund zu geraten, dass der CSD eine Demonstration ist und eine politische Funktion trägt. Die Veranstaltung erinnerte eher an einen Rosenmontagszug bei sommerlichen Temperaturen. Doch immer wieder mischten sich politische, ernste Botschaften, beispielsweise auf den Schildern, in die Partystimmung. Die meisten betreffen Malte C., der beim vergangenen CSD in Münster zusammengeschlagen wurde und daraufhin im Krankenhaus verstarb. Das machte deutlich: Das politische Element ist nach wie vor ein wichtiger Aspekt des CSD.

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Die Freundinnen Kim, Sarah und Fine aus Köln feierten dieses Jahr nicht zum ersten mal die Pride-Parade. Sie meinten, es sei zwar großartig, dass Pride mittlerweile so groß gefeiert würde, es solle aber auch im Alltag mehr Akzeptanz herrschen. „Diese offene Kultur, die wir jetzt haben, sollte einfach normal sein“, betonte Sarah.  Auch der Student Grisha, der in Düsseldorf Maschinenbau studiert, sagte, dass es für ihn besonders wichtig sei, an diesem Tag in Köln zu sein. Der gebürtige Russe habe in seinem Heimatland schon viel Unterdrückung aufgrund seiner sexuellen Orientierung erlebt. Mit seiner Sexualität könne er in Deutschland offener umgehen, dennoch braucht es noch immer mehr Sichtbarkeit queerer Personen im Alltag. „Jede:r sollte sich auf den Straßen sicher fühlen“, fügte er hinzu.

Die CSD Parade in Köln ist die größte jemals. Toleranz und Lebensfreude sind hier ansteckend.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach

Politisch war der diesjährige CSD auch deshalb, weil viele Parteien an der Parade teilnahmen. Neben den Linken und der SPD, war, entgegen meinen persönlichen Erwartungen, auch ein Wagen der CDU zu sehen. Für Gesundheitsminister Karl Lauterbach sei die Lebensfreude und Stimmung beim CSD zwar ansteckend gewesen, man dürfe sich aber nicht täuschen. Lauterbach tweetet vom Wagen der SPD: „Werden rechtsradikale Parteien stärker, sind es zuerst die Menschen, die heute feiern, deren Rechte mit Füßen getreten werden. CSD ist immer auch Politik.“ Die Polizei vermeldete schon Samstagnacht den ersten Angriff auf zwei 20-jährige CSD-Besucher. Der Angreifer habe mit einer vollen Bierflasche nach ihnen geworfen.

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Auch Influencerin Julia Gruber (@trinksaufmich) berichtet auf ihrem Instagram-Account am Montag von einem Angriff auf sie während der Parade. Wegen des heißen Wetters liefen viele mit Sprühflaschen herum, mit denen sie die Feiernden am Straßenrand mit Wasser besprühten. Die Influencerin hat zusammen mit ihrer Freundin auf einem Wagen gefeiert, als ein Mann, der am Straßenrand stand, eine Wasserflasche auf sie richtete. Zuerst freuten sie sich über die Erfrischung, bald wurde ihnen durch den Geruch jedoch klar, dass der Mann sie nicht mit Wasser, sondern mit Urin bespritzt hat. In einem Video auf Instagram heißt es von den beiden: „Wir waren trotzdem da, wir waren trotzdem sichtbar.“

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