Interview

Jung und auf dem Land: „Am meisten schätze ich die Ruhe“

Ein Mädchen ist mit weißen Alpakas auf einer Wiese.
Lea Miesel kann sich ein Leben in der Stadt nicht vorstellen. Das Landleben hat für sie viele Vorteile - wie ihren Traum einer großen Alpakazucht weiterzuverfolgen.
Pauline Dörrich, funky-Jugendreporterin

Jung und auf dem Land leben: Für viele Jugendliche ist das unvorstellbar. Nicht aber für die 20-jährige Lea Miesl aus dem Landkreis Dachau. Dort lebt sie in einer kleinen Ortschaft mit etwa 200 Einwohner:innen. Dort betreibt Lea eine Alpakazucht namens „Alpaka-World“. Auf Instagram nimmt sie ihre Follower:innen mit durch ihren Alltag mit den Tieren. Im Interview verrät sie, was ihr am Landleben so gut gefällt.

Viele junge Menschen zieht es aus dem ländlichen Raum weg in größere Städte. Warum bleibst du auf dem Land leben?
Das stimmt, aber bei uns in der Region läuft das genau andersherum. Bei uns ziehen immer mehr Menschen aus den Städten zu uns aufs Land. Das liegt vermutlich an der Nähe zu München und den steigenden Mietpreisen in den Städten. Für mich erschwert es die Arbeit mit meinen Alpakas, da viele Wiesen bebaut werden, die man gut als Weidefläche nutzen könnte. Ich bleibe definitiv auf dem Land leben, da ich meinen Lebenstraum – eine große Alpakazucht – in der Stadt nicht verwirklichen könnte. 

© Lea Miesl

Was macht das Landleben für dich aus?
Der Punkt, der mir als erstes einfällt, ist der Zusammenhalt. Es wird Hilfe angeboten, bevor man überhaupt nachfragt. Wenn man ein gewisses Werkzeug braucht, ist der Nachbar schon auf dem Weg und holt seines. Wenn ein Fahrzeug kaputt ist, kommt kurz der beste Freund vorbei und hilft bei der Reparatur, ohne, dass dafür im Gegenzug etwas erwartet wird. Es ist ein Geben und Nehmen. Für mich sind es auch Kleinigkeiten, die das Landleben letztendlich ausmachen: Ich liebe die Vormittage, an denen man von weitem den Hahn krähen hört. Ich liebe es, wenn der Bäcker mit seinem kleinen Bus vorbeikommt, bei dem man frische Semmeln kaufen kann. Ich liebe die Nachmittage, an denen man spontan mit der Freundin einen Kaffee trinkt, weil sie gerade zufällig am Gartenzaun vorbeigelaufen ist. Dann liebe ich die Abende, an denen man sich mit Freund:innen trifft, ein Feierabendbierchen trinkt, den Sonnenuntergang anschaut und einfach nur zusammensitzt und redet. Ich würde nicht behaupten, dass es das in der Stadt nicht gibt, aber ich habe von vielen Leuten gehört, dass die genau das vermissen. Die meisten würden mich wahrscheinlich als totales „Landei“ bezeichnen – und das bin ich auch! 

Die Wörter „Dorfkind“ oder „Landei“ sind aus meiner Sicht mittlerweile auch eher positiv als negativ besetzt. Auf meinem Instagram-Account versuche ich dahingehend etwas Aufklärungsarbeit zu leisten. 

Jetzt bist du in einem Alter, in dem viele gerne Clubs oder Bars besuchen. Ist das auf dem Land möglich? 
Diese Frage kann man so pauschal nicht beantworten, da das von Region zu Region unterschiedlich ist. Bei uns gibt es tatsächlich einige Möglichkeiten. Wir haben viele Feste und Veranstaltungen in den Dörfern, da wechseln sich die Burschen- und Mädchenvereine ab – das sind Vereine mit jungen Leuten aus den jeweiligen Dörfern – und veranstalten im Frühjahr oder Sommer sogenannte Hallenfeste und im Herbst oder Winter Weinfeste. Ich persönlich schätze das sehr, da man viele Bekannte und Freund:innen aus den umliegenden Orten trifft. Die nächste Disco ist zehn Minuten mit dem Auto entfernt und wenn einem das nicht reicht, kann man von einer nahegelegenen Ortschaft in 60 Minuten mit der S-Bahn in München sein und dort feiern gehen. Das Problem sind hierbei die öffentlichen Verkehrsmittel, die definitiv noch ausgebaut werden müssen. Die meisten Orte sind zu Fuß nicht erreichbar und so muss man sich jedes Mal um eine Mitfahrgelegenheit kümmern.

Wie könnte man das Landleben für junge Menschen attraktiver gestalten?
Eine erste Maßnahme wäre, wie gesagt, den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel. Wenn es Busse oder Vans geben würde, auf die man zugreifen könnte, würde es das gesamte Leben auf dem Dorf attraktiver und vieles für die Bewohner:innen einfacher machen. Bei mir im Dorf fährt zwar unter der Woche ein paarmal ein Bus, dieser hat seine Fahrpläne allerdings ausschließlich den Zeiten der umliegenden Schulen angepasst. 

Jugendliche auf dem Land, abgehängt und ausgegrenzt – stimmt das? 
Ich als Jugendliche hatte schon das Gefühl, dass es da keine wesentlichen Unterschiede zwischen Stadt und Land gibt. Ich als Alpakazüchterin – beim Thema Landwirtschaft – habe jedoch nicht das Gefühl, ernstgenommen zu werden. Es gibt leider immer noch einige Punkte, die sich definitiv ändern müssten.

Das Landleben stellen sich viele junge Menschen rückständig, altmodisch und konservativ vor. Was ist deine Meinung dazu? 
Das kann ich so nicht bestätigen. Zumindest wenn man „altmodisch“ nicht mit traditionell verwechselt. Wir auf dem Land pflegen unsere Traditionen sehr. Wir haben Feste, die seit Jahrhunderten gefeiert werden, oder hier in Bayern gibt es zum Beispiel die Tracht, die man auch heute noch gerne ab und an trägt. Die Wörter „Dorfkind“ oder „Landei“ sind aus meiner Sicht mittlerweile auch eher positiv als negativ besetzt. Auf meinem Instagram-Account versuche ich dahingehend etwas Aufklärungsarbeit zu leisten. Das Klischee, dass wir immer mit der Mistgabel in dreckiger und gebrauchter Arbeitskleidung herumlaufen, stimmt so überhaupt nicht mehr.

Für mich ist der Trubel in der Stadt einfach zu viel. 

Was sind deiner Meinung nach Vor- und Nachteile am Leben auf dem Land?
Die Anonymität! Bei uns auf dem Land kennt jeder jeden. So machen auch Gerüchte schnell die Runde. In der Stadt kann man so etwas aus dem Weg gehen, das ist  auf dem Land unmöglich. Das Ganze hat anderseits auch Vorteile. Wenn man Hilfe braucht, wird man von Dorfbewohner:innen angesprochen und keiner schaut weg. 

Kannst du dir in einigen Jahren vorstellen, in die Stadt zu ziehen?
Ich persönlich kann es mir überhaupt nicht vorstellen. Die Stadt bietet zwar einige Vorteile im Vergleich zum Land. Diese Vorteile sind für mich jedoch nicht so ausschlaggebend, dass ich dafür das Landleben komplett aufgeben würde. Für mich ist der Trubel in der Stadt einfach zu viel. Mir ist es dort zu laut und ich vermisse die Ruhe. Momentan genieße ich es, mal für einen Tag in die Stadt zu fahren, mir dort einen schönen Tag zu machen und am Abend wieder zurückzufahren.

Was ist dein Wunsch für die Zukunft?
In Bezug auf das Thema Landleben würde ich mir vor allem wünschen, dass die öffentlichen Verkehrsmittel weiter ausgebaut werden, damit man flexibler und nicht mehr auf das eigene Auto angewiesen ist. Außerdem würde ich mir wünschen, dass es in Zukunft gar nicht mehr so viele Unterschiede zwischen Stadt- und Landleben gibt. Wir alle sind Menschen und letztendlich ist es ganz egal, wo man wohnt. Die Leute aus der Stadt können sich ein kleines Stück von den Landmenschen abschauen und andersrum genauso. Jede:r muss das für sich passende finden und dahin gehen, wo man meint, glücklich zu werden. Bei mir ist das auf dem Land bei meinen Alpakas!

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