An der Internationalen Hochschule (IU) kann nun auf Wunsch der Studierenden das Wahlpflichtmodul „Gebärdensprache“ belegt werden.
Chayenne Wolfframm, funky-Jugendreporterin
Im Wintersemester 2021 wurde an der Internationalen Hochschule (IU) „Gebärdensprache“ als Wahlpflichtmodul eingeführt. Im Interview sprechen Professor Fabian van Essen und die Studentin Stephanie Ingensand über die Inhalte des Wahlfachs, die Schwierigkeiten beim Erlernen von Gebärdensprache und die Vielschichtigkeit, die sich hinter der offensichtlichen Verständigung verbirgt.
Wie kam es dazu, dass der Studiengang an der Hochschule eingeführt wurde?
Fabian van Essen: Wir haben im Studiengang „Soziale Arbeit“ eine Studentin, die Gebärdensprache spricht. Innerhalb unserer Hochschule haben wir eine Vernetzung von Studierenden, die sich mit dem Abbau von Barrieren auseinandersetzt. Da wurde das Thema aufgegriffen. Zuerst hat diese Studentin ehrenamtlich an zwei bis drei Abenden Kurse für andere Studierende angeboten. Viele schienen die Gebärdensprache spannend zu finden, sodass wir von der Lehrendenseite aus eine Umfrage gestartet haben, wer ein solches Angebot nutzen würde. Die Rückmeldung war eindeutig und zeigte, dass das Interesse an einem Gebärdensprachkurs groß war. Dann haben wir den Kurs entwickelt, was eine Weile gedauert hat. Dass die Idee aus den Reihen der Studierenden kommt, finde ich total klasse.
Über welchen Zeitraum findet der Kurs statt?
Fabian: Um die Frage zu beantworten, muss ich ein paar Worte zu unserer Hochschule loswerden. Wir bieten zahlreiche Studiengänge im Fernstudium an. Studierende können bei uns das ganze Jahr über studieren. Da wir im Fernstudium keine vorlesungsfreie Zeit haben, können sich die Studierenden selbst aussuchen, wann sie eine Prüfung ablegen möchten. Unser Credo ist: Studierende sollen so flexibel und individualisiert wie möglich studieren können. Deswegen haben wir auch viele Studierende wie Stephanie, die schon eine Ausbildung oder ein Studium gemacht haben, arbeiten oder eine Familie haben. Viele absolvieren das Studium berufsbegleitend. Folglich wird der Kurs eigentlich immer angeboten. Wir arbeiten mit einem Partner zusammen, der eine Lernplattform anbietet. Auf dieser Lernplattform können sich die Studierenden in Videos anschauen, wie man gebärdet. Wir als Hochschule bieten zusätzlich Online-Tutorien an, die alle zwei Wochen stattfinden. Diese Online-Tutorien gestaltet unser gehörloser Dozent Hristo Trajkovski. Das ist etwas Spannendes und Besonderes, dass ein gehörloser Dozent Online-Kurse gibt. Die Prüfung wird dann auch bei uns abgelegt. Man nimmt zu Hause mit einer bestimmten Software ein Video auf, in dem man gebärdet. Dieses wird hochgeladen, Hristo schaut es sich an und gibt anschließend eine Bewertung ab.
Es eröffnet Welten zu Bevölkerungsgruppen, zu denen man ansonsten keinen einfachen Kontakt hat.
Welche Inhalte werden in dem Wahlfach vermittelt?
Fabian: Wir orientieren uns da, ähnlich wie bei anderen Sprachen, an den unterschiedlichen Sprachniveaus. Wir haben jetzt Anfängerinnen und Anfänger, die das Ganze auf Niveau A1 machen. Da geht es darum, grundsätzlich die wichtigsten Gebärden kennenzulernen, sich selbst vorzustellen, zu beschreiben, wo man wohnt und dass man auf einfache Fragen antworten kann – Dinge, die man für eine Basiskommunikation benötigt.
Stephanie, wie kamst du auf die Idee, Gebärdensprache als Wahlfach zu belegen?
Stephanie: Manchmal ist es im Leben so: Man bekommt ein Angebot und dann greift man zu oder nicht. So war es in meinem Fall auch. Ich habe die Möglichkeit bekommen und weil mich das Thema schon immer interessiert hat, habe ich losgelegt. Ich muss es nicht für meinen Studiengang machen, sondern habe es außerplanmäßig belegt. Hinter der Sprache verbirgt sich eine ganz eigene Kultur, ein eigenes Selbstverständnis der Menschen und ein eigenes Auftreten. Eigentlich ist es die Spitze, Gebärdensprache zu lernen, darunter liegt so viel mehr. Es ist eine Sprache von Menschen, deren einzige Möglichkeit es ist, sich auf diese Weise auszudrücken und für die das Gebärden eine Lebensrealität abbildet. Die erste Zeit war es ein bisschen komisch, aber mit Hristo hat es ganz viel Spaß gemacht.
Wie unterscheidet sich das Lernen von Gebärdensprache von dem einer Fremdsprache wie Englisch?
Fabian: Ich glaube, der größte Unterschied ist logischerweise, dass man mit dem Körper spricht und einen ganz anderen Zugang zur Kommunikation und Sprache hat. Es eröffnet Welten zu Bevölkerungsgruppen, zu denen man ansonsten keinen einfachen Kontakt hat. Menschen, die von Geburt an gehörlos sind, können zwar häufig schriftsprachlich über WhatsApp oder E-Mail kommunizieren, aber die grammatikalische Struktur der Gebärdensprache unterscheidet sich deutlich von der Schriftsprache. Wenn ich mit jemandem gebärden kann, habe ich einen ganz anderen Zugang zur Persönlichkeit der Person und gleichzeitig auch zur Gehörlosenkultur und -gemeinschaft.
Warum ist dieses Wahlpflichtfach wichtig?
Fabian: Ich denke, wir werden mit diesem Studienformat viele Menschen erreichen, die ansonsten niemals die Möglichkeit dazu hätten. Die Chance, Gebärdensprache vor Ort in Präsenz zu lernen, gibt es nicht in jedem Dorf oder jeder Kleinstadt. Meine Erfahrung an anderen Hochschulen ist, dass die Kurse dort direkt ausgebucht sind. Mit einem Fernstudium bei uns an der IU gibt es diese Einschränkung nicht. Wir ermöglichen damit allen Interessierten den Zugang zum Erlernen der Gebärdensprache. Meine Hoffnung und eigentlich auch meine Überzeugung ist, dass wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren einen substanziellen Beitrag dazu leisten können, Inklusion zu unterstützen. Es soll selbstverständlicher werden, mit Gebärdensprache in Kontakt zu kommen und eine bessere Verständigung zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen herzustellen. Außerdem hilft Gebärdensprache in der Kommunikation mit anderen Zielgruppen. Gerade in pädagogischen Bereichen, wie in der Kita oder in der Schule, wird Gebärdensprache häufig genutzt – beispielsweise wenn Kinder nach Deutschland geflüchtet sind und kein Deutsch sprechen. Durch den Kurs kann man in etwas Einzigartiges eintauchen und ganz neuartige Lernerfahrungen machen.
Wie lange dauert es, bis man eine Grundverständigung erreicht?
Stephanie: Dadurch, dass die Gebärdensprache ja auch eine andere Grammatik hat, gebärdest du nicht jedes Wort in einem Satz, sondern zum Teil nur das einzelne Zeichen. Wenn du mit einem Gehörlosen kommunizierst und sagst „Durst“, dann versteht er das und wird dir gegebenenfalls etwas zu trinken anbieten. Um eine einfache erste Verständigung zu erreichen, brauchst du keine Wochen. Schwieriger wird es, wenn du dich im Raum verorten musst und mit Personen sprichst, die nicht nur vor, sondern auch rechts und links von dir stehen.
Hinter der Sprache verbirgt sich eine ganz eigene Kultur, ein eigenes Selbstverständnis der Menschen und ein eigenes Auftreten.
Wie würdet ihr Studenten, die sich noch nicht sicher sind, ob dieses Fach etwas für sie ist, davon überzeugen?
Fabian: Wer mal ganz anders lernen, eine ganz neue Erfahrung machen und dazu gezwungen werden möchte, im Hier und Jetzt zu sein, der ist bei diesem Kurs genau richtig. Denn nebenbei etwas anderes zu machen, das funktioniert eben nicht. Durch den Kurs kann man in etwas Einzigartiges eintauchen und ganz neuartige Lernerfahrungen machen.
Stephanie: Einfach mitkommen, dabei sein, zuschauen und mitmachen. Das Gebärden an sich ist schon eine Freude. Es ist zwar auch eine Herausforderung, aber ich bin jedes Mal so froh und glücklich, wenn ich meinen Kurs habe. Du musst dein Gegenüber beim Reden anschauen, was heute ja auch nicht mehr selbstverständlich ist. Ich fand es sehr interessant, mich so zu unterhalten. Mir hat es unglaublich Spaß gemacht und ich bin auch dabeigeblieben.
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Im Wintersemester 2021 wurde an der Internationalen Hochschule (IU) „Gebärdensprache“ als Wahlpflichtmodul eingeführt. Im Interview sprechen Professor Fabian van Essen und die Studentin Stephanie Ingensand über die Inhalte des Wahlfachs, die Schwierigkeiten beim Erlernen von Gebärdensprache und die Vielschichtigkeit, die sich hinter der offensichtlichen Verständigung verbirgt.
Wie kam es dazu, dass der Studiengang an der Hochschule eingeführt wurde?
Fabian van Essen: Wir haben im Studiengang „Soziale Arbeit“ eine Studentin, die Gebärdensprache spricht. Innerhalb unserer Hochschule haben wir eine Vernetzung von Studierenden, die sich mit dem Abbau von Barrieren auseinandersetzt. Da wurde das Thema aufgegriffen. Zuerst hat diese Studentin ehrenamtlich an zwei bis drei Abenden Kurse für andere Studierende angeboten. Viele schienen die Gebärdensprache spannend zu finden, sodass wir von der Lehrendenseite aus eine Umfrage gestartet haben, wer ein solches Angebot nutzen würde. Die Rückmeldung war eindeutig und zeigte, dass das Interesse an einem Gebärdensprachkurs groß war. Dann haben wir den Kurs entwickelt, was eine Weile gedauert hat. Dass die Idee aus den Reihen der Studierenden kommt, finde ich total klasse.
Über welchen Zeitraum findet der Kurs statt?
Fabian: Um die Frage zu beantworten, muss ich ein paar Worte zu unserer Hochschule loswerden. Wir bieten zahlreiche Studiengänge im Fernstudium an. Studierende können bei uns das ganze Jahr über studieren. Da wir im Fernstudium keine vorlesungsfreie Zeit haben, können sich die Studierenden selbst aussuchen, wann sie eine Prüfung ablegen möchten. Unser Credo ist: Studierende sollen so flexibel und individualisiert wie möglich studieren können. Deswegen haben wir auch viele Studierende wie Stephanie, die schon eine Ausbildung oder ein Studium gemacht haben, arbeiten oder eine Familie haben. Viele absolvieren das Studium berufsbegleitend. Folglich wird der Kurs eigentlich immer angeboten. Wir arbeiten mit einem Partner zusammen, der eine Lernplattform anbietet. Auf dieser Lernplattform können sich die Studierenden in Videos anschauen, wie man gebärdet. Wir als Hochschule bieten zusätzlich Online-Tutorien an, die alle zwei Wochen stattfinden. Diese Online-Tutorien gestaltet unser gehörloser Dozent Hristo Trajkovski. Das ist etwas Spannendes und Besonderes, dass ein gehörloser Dozent Online-Kurse gibt. Die Prüfung wird dann auch bei uns abgelegt. Man nimmt zu Hause mit einer bestimmten Software ein Video auf, in dem man gebärdet. Dieses wird hochgeladen, Hristo schaut es sich an und gibt anschließend eine Bewertung ab.
Welche Inhalte werden in dem Wahlfach vermittelt?
Fabian: Wir orientieren uns da, ähnlich wie bei anderen Sprachen, an den unterschiedlichen Sprachniveaus. Wir haben jetzt Anfängerinnen und Anfänger, die das Ganze auf Niveau A1 machen. Da geht es darum, grundsätzlich die wichtigsten Gebärden kennenzulernen, sich selbst vorzustellen, zu beschreiben, wo man wohnt und dass man auf einfache Fragen antworten kann – Dinge, die man für eine Basiskommunikation benötigt.
Stephanie, wie kamst du auf die Idee, Gebärdensprache als Wahlfach zu belegen?
Stephanie: Manchmal ist es im Leben so: Man bekommt ein Angebot und dann greift man zu oder nicht. So war es in meinem Fall auch. Ich habe die Möglichkeit bekommen und weil mich das Thema schon immer interessiert hat, habe ich losgelegt. Ich muss es nicht für meinen Studiengang machen, sondern habe es außerplanmäßig belegt. Hinter der Sprache verbirgt sich eine ganz eigene Kultur, ein eigenes Selbstverständnis der Menschen und ein eigenes Auftreten. Eigentlich ist es die Spitze, Gebärdensprache zu lernen, darunter liegt so viel mehr. Es ist eine Sprache von Menschen, deren einzige Möglichkeit es ist, sich auf diese Weise auszudrücken und für die das Gebärden eine Lebensrealität abbildet. Die erste Zeit war es ein bisschen komisch, aber mit Hristo hat es ganz viel Spaß gemacht.
Wie unterscheidet sich das Lernen von Gebärdensprache von dem einer Fremdsprache wie Englisch?
Fabian: Ich glaube, der größte Unterschied ist logischerweise, dass man mit dem Körper spricht und einen ganz anderen Zugang zur Kommunikation und Sprache hat. Es eröffnet Welten zu Bevölkerungsgruppen, zu denen man ansonsten keinen einfachen Kontakt hat. Menschen, die von Geburt an gehörlos sind, können zwar häufig schriftsprachlich über WhatsApp oder E-Mail kommunizieren, aber die grammatikalische Struktur der Gebärdensprache unterscheidet sich deutlich von der Schriftsprache. Wenn ich mit jemandem gebärden kann, habe ich einen ganz anderen Zugang zur Persönlichkeit der Person und gleichzeitig auch zur Gehörlosenkultur und -gemeinschaft.
Warum ist dieses Wahlpflichtfach wichtig?
Fabian: Ich denke, wir werden mit diesem Studienformat viele Menschen erreichen, die ansonsten niemals die Möglichkeit dazu hätten. Die Chance, Gebärdensprache vor Ort in Präsenz zu lernen, gibt es nicht in jedem Dorf oder jeder Kleinstadt. Meine Erfahrung an anderen Hochschulen ist, dass die Kurse dort direkt ausgebucht sind. Mit einem Fernstudium bei uns an der IU gibt es diese Einschränkung nicht. Wir ermöglichen damit allen Interessierten den Zugang zum Erlernen der Gebärdensprache. Meine Hoffnung und eigentlich auch meine Überzeugung ist, dass wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren einen substanziellen Beitrag dazu leisten können, Inklusion zu unterstützen. Es soll selbstverständlicher werden, mit Gebärdensprache in Kontakt zu kommen und eine bessere Verständigung zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen herzustellen. Außerdem hilft Gebärdensprache in der Kommunikation mit anderen Zielgruppen. Gerade in pädagogischen Bereichen, wie in der Kita oder in der Schule, wird Gebärdensprache häufig genutzt – beispielsweise wenn Kinder nach Deutschland geflüchtet sind und kein Deutsch sprechen. Durch den Kurs kann man in etwas Einzigartiges eintauchen und ganz neuartige Lernerfahrungen machen.
Wie lange dauert es, bis man eine Grundverständigung erreicht?
Stephanie: Dadurch, dass die Gebärdensprache ja auch eine andere Grammatik hat, gebärdest du nicht jedes Wort in einem Satz, sondern zum Teil nur das einzelne Zeichen. Wenn du mit einem Gehörlosen kommunizierst und sagst „Durst“, dann versteht er das und wird dir gegebenenfalls etwas zu trinken anbieten. Um eine einfache erste Verständigung zu erreichen, brauchst du keine Wochen. Schwieriger wird es, wenn du dich im Raum verorten musst und mit Personen sprichst, die nicht nur vor, sondern auch rechts und links von dir stehen.
Wie würdet ihr Studenten, die sich noch nicht sicher sind, ob dieses Fach etwas für sie ist, davon überzeugen?
Fabian: Wer mal ganz anders lernen, eine ganz neue Erfahrung machen und dazu gezwungen werden möchte, im Hier und Jetzt zu sein, der ist bei diesem Kurs genau richtig. Denn nebenbei etwas anderes zu machen, das funktioniert eben nicht. Durch den Kurs kann man in etwas Einzigartiges eintauchen und ganz neuartige Lernerfahrungen machen.
Stephanie: Einfach mitkommen, dabei sein, zuschauen und mitmachen. Das Gebärden an sich ist schon eine Freude. Es ist zwar auch eine Herausforderung, aber ich bin jedes Mal so froh und glücklich, wenn ich meinen Kurs habe. Du musst dein Gegenüber beim Reden anschauen, was heute ja auch nicht mehr selbstverständlich ist. Ich fand es sehr interessant, mich so zu unterhalten. Mir hat es unglaublich Spaß gemacht und ich bin auch dabeigeblieben.
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