Interview

Heike Kleen im Interview: „Mein Sexismus-Studium begann, als ich fünf Jahre alt war“

Heike Kleen
Heike Kleen
Buchcover "Geständnisse einer Teilzeitfeministin"
„Mein Verstand ist willig, ber der Alltag macht mich schwach“ – Heike Kleen berichtet, wo die feministischen Prinzipien im Alltag an ihre Grenzen stoßen.

Heike Kleen wuchs in Ostfriesland auf, wo „… Frauen die klassischen Rollen einnahmen und Männer das Sagen hatten“, wie es in Ihrem kürzlich erschienenen Buch „Geständnisse einer Teilzeitfeministin: Mein Verstand ist willig, aber der Alltag macht mich schwach“heißt. Im Interview erzählt die 46-jährige Autorin,  warum sie sich selbst als Teilzeitfeministin bezeichnet, was es damit auf sich hat und warum es so wichtig ist, sich mit dem Thema Feminismus auseinandersetzen.

Chayenne Wolfframm, funky-Jugendreporterin

Ihr neuestes Buch erschien am 17. August. Wie sind Sie auf den Begriff „Teilzeitfeministin“ gekommen und was bedeutet dieser konkret?
Den Begriff „Teilzeitfeminismus“ gibt es natürlich gar nicht. Er ist entstanden, als ich mein Leben ganz schonungslos unter die Lupe genommen habe. Ich habe mich immer als Feministin verstanden und mich dann gefragt, wie feministisch das ist, was ich Tag für Tag lebe. So schreibe ich beispielsweise vormittags Texte über Gleichberechtigung in der Beziehung, nachmittags sitze ich alleine da und lege die Wäsche zusammen und kümmere mich um die Kinder.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dieses Buch zu schreiben?
Mir war es ein Anliegen, weil ich glaube, dass wir Frauen uns manchmal ganz schön in die Tasche lügen. Wir sagen, dass es eigentlich ganz schön ist, weniger zu arbeiten oder dass es uns total Spaß macht, vier Stunden auf dem Spielplatz zu sitzen. Doch wenn wir ganz ehrlich sind, sind wir manchmal auch ganz schön wütend, weil wir diejenigen sind, die wissen, was im Kühlschrank zu finden ist oder wann welches Kind wohin muss. Das ist alles in den Mutterköpfen abgespeichert. Wir treten ganz oft einen Schritt zurück und sagen nichts. Mein Gedanke war, wenn ich damit jetzt aufräume, dass sich dann womöglich mehr Frauen trauen, ihr Leben zu hinterfragen. Und dann können wir gemeinsam etwas ändern.

Im Buch heißt es, im Ostfriesland Ihrer Kindheit hätten Frauen die klassischen Rollen eingenommen und Männer hätten das Sagen gehabt. Inwiefern hat sie das als Kind geprägt?
Mein Sexismus-Studium begann, als ich fünf oder sechs Jahre alt war. Ich saß am Wochenende bei meiner Oma im Wohnzimmer, wo die männlichen Verwandten ununterbrochen auf dem Sofa saßen und die weiblichen Verwandten ununterbrochen Kuchen aufgedeckt, Tee eingeschenkt und alles abgeräumt haben. Es war völlig selbstverständlich, dass die Frauen arbeiteten während die Männer nichts machen mussten. Sie mussten noch nicht einmal ihre Teetasse Richtung Teekanne schieben, wenn eingeschenkt wurde, sondern blieben einfach seelenruhig sitzen und schauten zu, wie die Frauen sich abmühten. An diese Situation kann ich mich noch gut erinnern, sie hat mich schon als Kind wütend gemacht.

Sie sind heute als freie Journalistin und TV-Autorin für Talkshows tätig. Haben Sie in Ihrem Beruf die Erfahrung gemacht, als Frau anders behandelt worden zu sein?
Als meine Kolleginnen und ich Mitte / Ende 20 waren, wurden wir jede Woche zu meist männlichen prominenten Talkshowgästen ausgesandt, wir führten Interviews in Restaurants, Hotels oder bei ihnen zu Hause. Ich weiß noch, wie wir Redakteurinnen uns danach in der Kaffeeküche über diese Begegnungen ausgetauscht haben, und fast jede Kollegin hatte ein Erlebnis, wo ihre persönliche Grenze überschritten wurde, sei es durch eine Berührung, eine Bemerkung…  Damals haben wir das das nach dem Motto abgetan: „So sind sie halt…“. Hätten wir das hinterfragt und thematisiert, dann hätte die #Metoo-Debatte früher anfangen können, aber damals schien es so, als sei das Teil der Grundausbildung für junge Journalistinnen. Im Rückblick denke ich mir: Was haben wir uns bloß gefallen lassen? Das lag natürlich an unserer Sozialisierung, an dem Gedanken irgendwo tief in uns: Männer dürfen das, prominente Männer erst recht. Also immer schön lächeln, freundlich bleiben… Zum Glück hat sich seitdem viel getan.

Warum ist es auch oder gerade für jüngere Generationen wichtig, sich mit dem Thema Feminismus auseinanderzusetzen?
Das Thema Feminismus ist noch immer aktuell, auch wenn junge Frauen vielleicht denken, dass sie ihn kaum noch brauchen. Das habe ich selbst im Alter von Mitte 20 zumindest gedacht. Aber spätestens, wenn man Mutter wird, merkt man, dass es mit der Gleichberechtigung hierzulande noch nicht allzu weit her ist. Plötzlich schleichen sich tradierte Rollenbilder in den Alltag ein, Frauen übernehmen den Großteil der Fürsorge, ziehen sich ein Stück weit aus dem Arbeitsleben zurück, während es für Männer größtenteils so weitergeht wie bisher. Das liegt auch an den Strukturen, gucken wir uns doch nur an, wie lange wir in Deutschland brauchen, um einen Ganztagsanspruch für Grundschulkinder auf die Reihe zu kriegen. Spätestens nach dem Ende der Elternzeit darf man es nicht verpassen, die Aufgaben in der Familie neu aufzuteilen und über die Arbeitsteilung und Geld zu reden. Sonst organisieren die Frauen weiterhin unentgeltlich den Alltag, treten beruflich in Teilzeit auf der Stelle und steuern auf die Altersarmut zu. Ich wünsche mir sehr, dass die nächste Generation da inzwischen weiter ist als meine, und es gibt auch kleine Anzeichen dafür – aber verlassen würde ich mich darauf nicht.

Denken Sie, Sie können sich irgendwann als „Vollzeitfeministin“ bezeichnen?
Im Herzen bin ich natürlich eine ganze Feministin. Mit dem Begriff „Teilzeitfeministin“ spiele ich, um zu zeigen, dass trotzdem viele Widersprüche existieren, die ich auch sehe und die ich teilweise versuche anzunehmen, aber auf der anderen Seite auch in Angriff nehme. Es geht mir letztendlich um die Freiheit der Frauen, und die ist mir wahnsinnig wichtig. Nur weil sie diejenigen sind, die Kinder bekommen, kann es nicht sein, dass sie immer noch ausgebremst werden, die meiste Care-Arbeit machen und weniger Chancen im Leben haben.

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