Interview

„Wir versuchen, das Wienerlied auf unsere eigene Art neu zu interpretieren“: Lusterboden im Interview

Ein Foto von Florian Klingler und Merlin Miglinci, die sich als Duo „Lusterboden“ nennen.
Florian und Merlin spielen als „Lusterboden“ ihre eigene Version des klassischen Wiener Volksliedes.
Antonia Auguste, funky-Jugendreporterin

Florian Klingler, 21, und Merlin Miglinci, 23, leben in Wien und machen gemeinsam als das Duo „Lusterboden“ Musik, inspiriert vom traditionellen Wienerlied und Austro-Pop. Ende Mai erschien ihr Debütalbum „Sturz auf Wien“. In ihrem ersten Interview sprechen sie über Urururgroßväter, nackte Tänzer, Theater und natürlich ihre Heimatstadt Wien.

Wie habt ihr euch kennengelernt?

Merlin: Wir haben uns im Burgtheater bei den Proben zu „Pünktchen und Anton“ kennengelernt, die im Dachgeschoss des Theaters stattgefunden haben. Diese Probebühne heißt Lusterboden. Da waren wir dreizehn oder vierzehn. Seitdem sind wir befreundet und machen gemeinsam Musik. Auf YouTube findet man ziemlich alte Songs. „Sechs Uhr“ war unser erstes Lied, bei dem wir uns damals gedacht haben: Puh, wir haben etwas geschaffen, das müssen wir jetzt auch raushauen.

Euren Musikstil beschreibt ihr als „…inspiriert von Kreisler, Danzer, Qualtinger und den Schrammeln“. Welche Bedeutung hat das Wienerlied für euch?

Florian: Im Wienerischen gibt es den Begriff „Schrammeln“ für Musikmachen.

Merlin: Bei mir in der Familie spielt das eine große Rolle. Die Gebrüder Johann und Josef Schrammel waren bekannte Komponisten und haben viele Wienerlieder geschrieben – also Lieder, die nicht nur auf Wienerisch gesungen werden und von der Stadt handeln, sondern auch die typische Wiener Lebensart transportieren sollen. Die waren damals für das einfache Volk in Wien, man hat sie beim Heurigen (in einem traditionellen österreichischen Weinlokal, Anm. d. Red.) gesungen. Die typische Besetzung besteht aus zwei Geigen, einer Kontragitarre und dem „picksüßen Hölzl“, einer G-Klarinette. In diesem Quartett haben sie gespielt, das hat dem Adel gut gefallen, so wurde das Wienerlied salonfähig und bekannter. Johann Schrammel ist mein Urururgroßvater. Jeder in meiner Familie hat ein Instrument gelernt, also habe ich auch begonnen, Klavier zu spielen. Wegen dieser Verbundenheit haben wir zum Wienerlied gefunden.

Stecht ihr mit diesem Stil in der Wiener Musikszene hervor?

Florian: Es gab einen Aufschwung dieser Richtung, zum Beispiel durch Voodoo Jürgens. Die Musikszene ist nicht sehr groß, man kennt sich schnell. Da hat jeder seinen eigenen Stil. Es fühlt sich nicht nach einem Konkurrenzkampf an.

Merlin: Wenn du das Wienerlied von damals betrachtest, würde das heute kein junges Publikum mehr gut finden. Das hören sich vielleicht noch die Alten im Heurigen an. Wir probieren, das Wienerlied auf unsere eigene Art neu zu interpretieren.

In euren Liedern geht es immer wieder um Wien. Woher kommt die Faszination für die Stadt?

Merlin: Wien ist die schöne Heimat, in der wir uns immer wohlfühlen. In dem Lied „In Wien“ heißt es am Ende: Es braucht nur drei Tage, dann vermiss ich schon mein Wien. Das ist nicht nur dahingesagt, sondern so geht’s mir tatsächlich. Wenn man sich in einer Stadt auskennt und sie so viel hergibt, dann ist man da einfach gern.

Florian: Es sticht beim Merlin mit seiner Familiengeschichte noch viel mehr hervor. Ich teile das gern mit ihm und wir nehmen gern Inspiration aus unserem Leben in Wien, aber ich würde unsere Musik nicht nur darüber definieren.

Wie schreibt ihr eure Texte?

Florian: Wir machen Konzeptsongs, wir fangen aus einem Impuls heraus meistens mit der Musik an und überlegen uns dann, was wir damit sagen wollen.

Merlin: Genau, meistens beginnt es mit der Musik, wenn wir zusammen jammen oder der Einzelne zuhause etwas findet. Dann schauen wir, welche Stimmung die Melodie oder Harmonie bringt und wozu das passt, auch in unserem Leben. Die Texte sollen nicht Möchtegern sein, sondern echte Erfahrungen oder Gedanken widerspiegeln.  Oft werden Text und Lied separat geschrieben. Man ist dann so sehr in der Stimmung, das geht zügig. Bei anderen sitzt man zusammen und arbeitet gemeinsam daran. Beim Lied „Weltuntergang“ war der textliche Prozess ein ganz anderer: Ich sitze bei mir im Zimmer, schaue aus dem Fenster und die Sonne geht gerade unter. Ich spiele eine Melodie am Akkordeon und denke mir, wie schön jetzt ein Balkon wäre. Für mich geht gerade die Welt unter, weil ich keinen Balkon habe, wo ich mit dem Akkordeon sitzen könnte. So entsteht ein Text.Für „Engelmann“ hat der Flo die Klaviermelodie geschrieben und ich war total begeistert. Wir haben überlegt, wohin uns diese Melodie führt. Irgendwie fühlte sich der Rhythmus wie ein Schlendern an. Es war Sommer, vielleicht will man dann ein Eis essen. Womit könnte man die Eissuche verbinden? Warum nicht mit einem Eislaufplatz, dem Engelmann. Wir beide waren in unserer Kindheit oft auf diesem Eislaufplatz. Es war eine Melodie, ein Gedanke, eine Verbindung mit der Kindheitserinnerung.

Florian: Das versteht man als Wiener natürlich noch mehr. Leute sind sehr überzeugt von gewissen Plätzen, alles andere ist ein Schas für sie. Jeder Wiener hat entweder den Eislaufverein oder den Engelmann.

Florian und Merlin haben sich am Wiener Burgtheater kennengelernt und ihre Band nach der dortigen Probebühne benannt.

Ist eure Musik überhaupt für Nicht-Wiener geeignet?

Florian: Natürlich, sie schmeckt nur ein bisschen anders in Wien.

Merlin: Vielleicht versteht man nicht unbedingt alles, aber das hat ja auch einen Charme.

Florian: Ein Freund aus der Uni sagte über das Lied „Nackter Dancer“, er fände die Perfidität des nackten Tänzers so interessant. Es geht aber gar nicht darum, sondern um die Austro-Pop-Legende Georg Danzer.

Merlin: Auch wenn man einen Text anders interpretiert, ist das ja nicht wirklich missverstanden. So kann man es auch sehen, als Lied über einen nackten Tänzer ist das auch schön für uns.

Hat eure Verbindung zum Theater Einfluss auf eure Musikvideos?
Merlin
: Im Theater lernt man kreative Wege zu gehen. Wir lieben es, Musikvideos zu drehen. Wir möchten uns nicht groß inszenieren, sondern ein witziges Video zum Lied machen.

Florian: Es soll keine Selbstinszenierung werden. Deshalb ist es gefährlich zu sagen, unsere Musikvideos seien wie im Theater. Uns fällt auf, dass viele Leute Musik machen, die etwas sein soll. Wir versuchen, Musik zu machen, die etwas ist.



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Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.