Interview

Nicht-epileptische psychogene Anfälle: „Heilung ist anstrengend“

nicht epileptische psychogene Anfälle
Ihre Online-Community gibt Josephine in ihrem Alltag viel zurück.

Josephine Katharina Löser leidet unter nichtepileptischen Anfällen und klärt auf den sozialen Medien darüber auf.

Alina Kunz, funky-Jugendreporterin

Berlin. Josephine Löser leidet seit acht Jahren an nicht-epileptischen psychogenen Anfällen. Trotz ihrer eigenen Herausforderungen hat die 27-Jährige den Mut gefunden, sich öffentlich zu äußern und ihre Erfahrungen mit ihren Followerinnen und Followern zu teilen. Täglich berichtet sie von ihren Gefühlen und Gemütszuständen und schafft eine unterstützende Gemeinschaft für Personen, die ähnliche psychische Gesundheitsprobleme erleben. Im Interview thematisiert Josephine ihre Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen und erzählt, wie sie Betroffenen mit ihrem Social-Media-Kanal (@josephinekatharina) helfen konnte.

© Jessica Jäger

Liebe Josephine, was motivierte dich dazu, deine psychischen Herausforderungen öffentlich zu teilen? Welche Hindernisse hast du dabei überwunden?
Josephine Katharina:
Ich habe damals damit angefangen, weil ich an einem Punkt war, wo diese psychischen Herausforderungen mein Leben bestimmt haben. Ich musste eine große Reise absagen, eigentlich wollte ich mit meiner Schwester nach Sri Lanka reisen. Das hat nicht geklappt, weil ich während dieser Zeit einen Termin beim Neurologen bekommen habe, den ich wahrnehmen musste. Später wurde er wieder abgesagt und ich war am Ende habe mich sehr allein gefühlt. Ich habe nicht-epileptische psychogene Anfälle und ich kannte zu dieser Zeit keinen einzigen Menschen, dem es genauso ging, beziehungsweise der eine ähnliche Symptomatik wie ich hatte. Ich bin den Schritt in die Öffentlichkeit gegangen, um mich mit anderen Betroffenen zu verbünden, damit ich mich nicht mehr so allein fühle. Und wenn ich es schaffe, dass sich ein einziger Mensch ebenfalls weniger allein fühlt, dann mache ich die Welt zumindest ein bisschen zu einem besseren Ort. Hindernisse gab es auf jeden Fall auch. Unter einem Video, das viral gegangen ist, habe ich viele Hasskommentare bekommen.

Wie hast du diese Hasskommentare bewältigt?
Ich kam nicht gut damit klar. Vor diesem Video, in dem ich über die Psychiatrie rede, hatte ich 1300 Followerinnn und Follower. Vorher habe ich Menschen in meiner Bubble erreicht und ich dachte nicht, dass irgendetwas, was ich mache, diese Bubble an informierten Menschen verlässt. Ich habe nicht mit dermaßen viel Hass gerechnet, weil ich mir dachte: Es ist das Jahr 2024, alle Menschen kennen sich mit psychischen Erkrankungen aus. Zu sehen dass das nicht so ist und dass viele Leute denken, ich rede darüber nur für Clicks, ist nicht schön. Ich verdiene damit kein Geld. Ich mache das, weil ich denke, dass es richtig ist. Ich habe die Hasskommentare dann alle mit Mitpatientinnen und -patienten der Klinik durchgesprochen. Dabei ist mir bewusst geworden, dass sich dieser ganze Hass nicht nur gegen mich, sondern gegen uns alle richtet. Daraufhin war mir klar: Ich mache weiter.

An welchen ersten Anzeichen hast du bemerkt, dass deine psychische Gesundheit beeinträchtigt war?
Vor allem durch die Anfälle, die ich habe. Ich habe sie inzwischen seit acht Jahren. Das hat mir gezeigt, dass irgendetwas nicht gut läuft. Ich dachte immer es wären Panikattacken und das wäre nicht so schlimm. Aber auch Panikattacken sind schlimm. Ich habe auch Panikattacken, nur diese stehen in keinem Vergleich  zu meinen Anfällen. Für mich sind die Anfälle das Schlimmste. An ihnen habe  ich auch gemerkt habe, dass etwas nicht stimmt.

Am allermeisten haben mir die Mitpatienten geholfen. Das war das Beste: Ich war plötzlich nicht mehr allein.

Josephine Löser

Kannst du die Erfahrung von nichtepileptischen Anfällen näher beschreiben?
Es gibt meistens einen Auslöser, irgendetwas, das mich triggert. Das können ganz verschiedene Sachen sein, wie zum Beispiel Streit, emotionale Sachen, aber auch bestimmte Geräusche. Dann geht es meistens so los, dass meine Hände zu einer Art Faust krampfen. Meine Arme, mein Mund, mein Kiefer und meine Zunge krampfen, sodass ich nicht mehr sprechen kann und dann realisiere ich, dass ich in dem Moment einen Anfall bekomme und nichts mehr machen kann. Meine Beine fangen an zu krampfen und ich gebe stöhnende Laute oder Schreie von mir und liege dann schon auf dem Boden. Ich trete nicht um mich, aber es ist, als wäre ich in einer Art Knetmasse gefangen, aus der ich mich mit Bewegungen versuche herauszukämpfen. Ich kann nichts mehr steuern. Ich habe immer noch keine Ahnung, was wirklich in diesen Momenten passiert. Ich bin noch auf der Suche nach Menschen, die mir helfen können. Die Anfälle gehen meist 15 Minuten, es kann aber auch passieren, dass es innerhalb von 12 Stunden immer wieder zu neuen Anfällen kommt. Ich kann in dem Moment nichts sehen, aber ich kann alles hören. Ich habe unfassbare Schmerzen. Ich höre, wenn mit mir gesprochen wird, aber ich kann nicht reagieren.

Wie gelang es dir, die Unterstützung der Psychiatrie anzunehmen und inwiefern hat das deinen Genesungsprozess beeinflusst?
Am Anfang war es schwer für mich. Meine Schwester war die ersten zwei Wochen in Sri Lanka, während ich in der Psychiatrie war. Ich finde es gut, dass sie trotzdem verreist ist. In diesen zwei Wochen habe ich jedoch die ganze Zeit daran gedacht, wie gerne ich auch in Sri Lanka wäre. Dadurch konnte ich das Therapieangebot nur schwer annehmen. Ich war die ganze Zeit mit meinem Kopf bei meiner Schwester. Dabei hatte ich richtig Glück mit meiner Zimmernachbarin. Wir haben uns sehr gut verstanden und konnten uns gegenseitig durch Gespräche viel weiterhelfen. Am allermeisten haben mir die Mitpatienten geholfen. Das war das Beste: Ich war plötzlich nicht mehr allein.

Wie gehst du mit Rückschlägen oder schwierigen Momenten um?
Damit gehe ich noch nicht so gut um. Aber es wird besser. Es ist sehr anstrengend, aber Heilung ist eben anstrengend. Ich glaube, was wichtig ist und was ich auch verstanden habe, ist, dass Heilung nicht konstant nach oben verläuft, sondern dass es Auf und Abs gibt und die Abs mit der Zeit etwas weniger schlimm werden. Ich werde auf jeden Fall weiterhin Anfälle haben, egal wie gut ich jetzt für mich sorge, aber ich möchte lernen, besser damit umzugehen. Ich glaube es ganz wichtig ist, zu akzeptieren, dass Rückschläge kommen werden. Ich bin krank und ich werde nicht geheilt. Es geht darum, damit so gut wie möglich umzugehen. Auf Social Media versuche ich alles so real wie möglich zu halten. Wenn es mir gerade gut geht, dann mache ich ein Video, und wenn es mir scheiße geht, dann versuche ich auch ein Video zu machen. Es gibt Tage, an denen ich überhaupt nichts mit mir anzufangen weiß und dann denke ich: Genau das sage ich jetzt auch im Video.

Was hat dich dazu inspiriert, ein Tagebuch über deine Erfahrungen in der Tagesklinik zu führen? Wie hat sich das auf deinen Heilungsprozess ausgewirkt?
Nach heutigem Stand war ich den sieben Tag in der Tageklinik. Meine erste Woche ist um. Ich nenne die Zeit hier meine Fortbildung. Für mich ist es eine Fortbildung zum Thema Joe. Ich schreibe sowieso viel Tagebuch und die Tagesklinik ist natürlich anstrengend. Hier setze ich mich viel mit mir selbst auseinander. Sich abends dann noch einmal hinzusetzen und den Tag zu reflektieren ist anstrengend. Mich für das Tagebuch bei Social Media zu motivieren fällt mir leichter, weil ich weiß, da sind auch noch andere Menschen, die sich darauf freuen und daraus etwas mitnehmen können. Ich glaube, dass mir das gut tut. Außerdem kann ich mir vorstellen, dass es später spannend ist, wenn ich später zurückblicke und mir die Videos anschaue. Ich glaube, dass es mir bei meinem Heilungsprozess helfen kann.

Ich habe Glück, denn ich habe eine richtig verständnisvolle Community. Wenn ich an einem Tag sage, dass es mir schlecht geht, dann poste ich diese Information in meiner Story. Dann bekomme ich immer viele liebe Nachrichten voller Verständnis.

Josephine Löser

Wie balancierst du die Bedürfnisse deiner Online-Community mit deiner eigenen Privatsphäre und Selbstfürsorge?
Zum einen teile ich nur das, was ich teilen möchte. Es gibt bestimmte Themen, über die ich nicht sprechen werde, egal, wie viel nachgefragt wird. Solche Themen sind zum Beispiel meine Familie, aber auch die Auslöser meiner Erkrankung. Ich spreche aber auch nicht über explizite Sachen aus der Klinik, beziehungsweise über die Menschen und die Dinge, die mir dort anvertraut wurden. Womit ich mich schwertue, ist, Kommentare oder Nachrichten zu beantworten. Das kann ich auch in meinem Privatleben nicht. Ich mache mir da nicht so viel Druck. Ich habe Glück, denn ich habe eine richtig verständnisvolle Community. Wenn ich an einem Tag sage, dass es mir schlecht geht oder ich zum Beispiel den Skill-Sunday nicht machen kann, dann poste ich diese Information in meiner Story. Dann bekomme ich immer viele liebe Nachrichten voller Verständnis.

Gibt es ein Motto, nach dem du lebst?
Als Teenager habe ich an meiner Zimmertür geschrieben: „Ich war, ich bin, ich werde sein”. Ich finde diesen Spruch schön, er hört sich für mich toll an. Dieser Satz taucht immer wieder in meinem Leben auf, so als hätte ich ihn irgendwo in meinem System gespeichert. Vorhin habe ich darüber nachgedacht, warum mir dieser Spruch jetzt noch in den Kopf kommt, wenn ich diese Frage höre. Ich glaube, er ist ein guter Reminder dafür, dass existieren und überleben manchmal einfach reicht. Ob ich heute 16 Stunden arbeiten kann oder nicht, ich bin trotzdem hier. Und ob ich nun morgen Millionärin bin oder nicht, ich werde da sein. Es ist auch ein schöner Reminder dafür, dass ich einen Platz auf der Welt habe, der nur mir gehört. Das war gestern so, das ist heute so und das wird auch morgen so sein.

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