Meinung

Racheakte: Verpönte Relikte der Vergangenheit oder akzeptable Wege zur Gerechtigkeit?

Trauriger Smiley.
Racheakten liegen in den meisten Fällen Kränkungsgefüghle zugrunde.
Judith Abrahams, funky-Jugendreporterin

Ist Rache gerechtfertigt? An dieser Frage scheiden sich seit Jahrhunderten die Geister.
Für die einen ist sie eine Form der Gerechtigkeit für erlittenes Unrecht, für andere entbehrt das Handeln nach dem Motto „Rache ist süß“ oder „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ jeder moralischen Grundlage.

Um sich zwischen diesen beiden, durchaus radikalen Positionen orientieren zu können, ist es meines Erachtens wichtig, sich nicht nur von den eigenen Emotionen und Wertvorstellungen leiten zu lassen, sondern auch faktische Hintergründe und ethische Theorien zu berücksichtigen. Was genau ist Rache eigentlich?

Formal gesehen wird Rache als eine reaktive Handlung zur Wiedergutmachung eines zuvor erlittenen Unrechts betrachtet. Das gilt jedoch nicht im objektiven Sinne – entscheidend ist die subjektive Wahrnehmung des (scheinbar) Geschädigten. Das bedeutet zum einen, dass die Intensität vom Rächenden selbst bestimmt wird und für Unbeteiligte von außen in der Regel nicht nachvollziehbar ist. Zum anderen aber auch, dass Rache eine stark gefühlsgeleitete und damit unreflektierte Handlung ist.

Diese Tatsache ist insbesondere strafrechtlich relevant, da auch dem Phänomen der Selbstjustiz Rachegefühle zugrunde liegen. Rache stellt nach deutschem Recht ein Mordmerkmal in Form der sogenannten „niedrigen Beweggründe“ dar. Aber auch aus psychologischer Perspektive ist eine Definition von Rache interessant. Für den renommierten österreichischen Psychiater Dr. med. univ. Reinhard Haller zählt Rache zu den wichtigsten Tatmotiven, auch bei den in der westlichen Welt dominierenden Beziehungsdelikten. Mit Sorge betrachtet er auch den aktuellen Trend motivarmen Delikten mit überdimensionierten Racheaktionen. Die Verhältnismäßigkeit zwischen Auslöser und Vergeltung sei verloren gegangen, so Haller. Dies spreche für eine „… Zunahme der narzisstischen Kränkbarkeit in unserer Gesellschaft, die auch außerhalb der Kriminalität zu beobachten ist“. Vor diesem Hintergrund ist es auch relevant, dass Rache nicht mit dem strafrechtlichen Begriff der „Vergeltung“ identisch ist. Der Unterschied besteht darin, dass bei der Vergeltung ein deutlicherer Gerechtigkeitsbezug, also eine Ausgleichsfunktion für erlittenes Unrecht besteht.

Auch aus ethischer Perspektive gibt es so viele Theorien, sodass ich mich hier auf zwei beschränken möchte. Eine Argumentation für Vergeltung könnte sich auf das Prinzip der Gerechtigkeit stützen. Insbesondere wenn es sich um schweres Unrecht handelt und der Täter nicht angemessen bestraft wurde, stellt sie für die Betroffenen manchmal das letzte Mittel dar, um das Gleichgewicht der Kräfte wiederherzustellen.

Dagegen könnte mit der Theorie des Utilitarismus argumentiert werden. Diese besagt, dass eine Handlung dann moralisch richtig ist, wenn sie das größte Glück für die größte Anzahl von Menschen bewirkt. Dieser Blickwinkel könnte Rache als unmoralisch betrachten, da sie oft zu weiterem Leid und Schaden führt. Wenn jemand also Rache übt, um sich selbst zu befriedigen oder Vergeltung zu üben, kann dies zu einem endlosen Kreislauf von Gewalt und Leid führen.

Vor dem Hintergrund dieser Erörterungen scheint es doch am vernünftigsten zu sein, erneut Herrn Dr. Haller zitieren. Er plädiert für eine Wahrnehmung der Rachegedanken, eine klare Kommunikation der Rachegefühle und eine neutrale Reflexion der Rachebedürfnisse mit neutralen, vor allem psychotherapeutisch ausgebildeten Personen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass sie zur Ursache einer „psychosomatischen Erlebnisverarbeitung“ werden, also beispielsweise einer Suchterkrankung. Stattdessen sollten die Kränkungsgefühle überwunden werden, die jedem Racheakt zugrunde liegen – mit Sicherheit besteht hier die Chance auf eine positive Persönlichkeitsentwicklung.

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