Rechte Influencer: Wenn Fitnesstagebuch auf Coronaleugnung stößt

Auf YouTube werben Neue Rechte mit ihrem "Satire-Format" für rassistische Inhalte.
Auf YouTube werben Neue Rechte mit ihrem "Satire-Format" Laut gedacht für rassistische Inhalte.

Das Stereotyp des Neonazis mit Glatze, Bomberjacke und Springerstiefeln ist schon seit mehreren Jahren überholt. Die Neue Rechte hat erkannt, wie sie ihr Gedankengut subtil und wirkungsvoll gesellschaftsfähig machen kann. Mit den Werkzeugen der klassischen Influencer bewaffnet vernetzt sich die rechte Szene über Social Media. Die bedrohliche Skinhead-Kulisse hat „bürgerlichen“ Lifestyle-Influencern Platz gemacht. Die Gefahr ist dadurch allerdings nur noch größer geworden.

Knut Löbe, funky-Jugendreporterin

Alternative Fakten im Kampf gegen den „Mainstream“

Ein prominentes Beispiel ist die gerade einmal 21 Jahre alte Naomi Seibt. Sie ist seit Jahren ein bekanntes Gesicht der rechten Szene, wo sie sich unter dem Kosenamen „Anti-Greta“ einen Namen gemacht hat. Wer ihr Instagram-Profil besucht, findet unzählige Spiegelselfies und Stories, die ihren Alltag im Fitnessstudio dokumentieren. Naomi Seibt wirkt wie eine harmlose Anfang-zwanzig-Jährige, die von einer Karriere als Fitness-Influencerin träumt. In den Bildunterschriften wird es dafür umso politischer. Dort trifft Fitnesstagebuch auf Coronaleugnung. Menschengemachter Klimawandel? Wird als „Klimamärchen“ geschmäht. Die Corona-Pandemie? Natürlich reine Panikmache. Nicht umsonst wurde Naomis YouTube-Kanal bereits wegen der Verbreitung von Falschinformationen gesperrt. 

Und auch wenn man bei der Leugnung des Klimawandels und Corona-Kritik nicht automatisch von rechter Stimmungsmache sprechen kann, wird man bei Seibt auch darüber hinaus schnell fündig. Beispielsweise war sie nach dem Anschlag in Halle im Jahr 2019 Teil einer Diskussionsrunde, in der sie von einer Gesellschaftsordnung sprach, in der „… Juden den obersten Platz einnehmen würden, Muslime irgendwo dazwischenstehen und die deutsche Bevölkerung den untersten Platz einnimmt“. Im Nachhinein erklärte sie ihre offen antisemitische Aussage als missverständlich. Diese Taktik des Zurückruderns lässt sich auch in den Reihen der AfD immer wieder beobachten, zu der Seibt seit Jahren enge Verbindungen pflegt. Ihre viel geklickte Rede zur vermeintlich falschen Wirksamkeit von PCR-Tests, in der sie nachweislich Falschinformationen verbreitet, wurde ursprünglich auf dem YouTube-Kanal der „AfD-Fraktion Bundestag“ veröffentlicht. 

Auch Niklas Lotz ist ein Paradebeispiel für einen aufstrebenden, rechten Influencer. Unter dem Alias „neverforgetniki inszeniert sich der Anfang 20-jährige YouTuber als seriöser Journalist und tritt in seinen Videos mit dem Habitus eines Nachrichtensprechers auf. Dabei beschwört er die klassischen Feindbilder herauf, redet von Massenmigration und fehlender Meinungsfreiheit. Die Titel seiner aktuellsten Videos, die kurz vor der Bundestagswahl veröffentlicht wurden, sind gespickt mit großgeschriebenen Schlagwörtern: Man liest von Betrug, Entlarvungen und Enthüllungen. Gegen Ende seiner Videos folgt nicht selten eine Wahlempfehlung für die AfD. Die Rechercheplattform correctiv.org hat in einer detaillierten Recherche belegt, dass Seibt und Lotz den gleichen Kreis an Unterstützer*innen aus der rechten Szene vereinen, der eine neue Medienöffentlichkeit aufbauen möchte. 

Algorithmen beschleunigen Radikalisierung

Mit Plattformen wie Facebook, Instagram und vor allem YouTube wird dieses Vorhaben in die Tat umgesetzt. Problematisch ist das zum einen, da es viel zu lange keine unabhängigen Faktenchecks für Inhalte in den sozialen Medien gab – Falschinformationen können also nach wie vor meist ohne Konsequenzen verbreitet werden. Zum anderen führen die Social-Media-Algorithmen dazu, dass sogenannte Filterblasen entstehen. Da soziale Netzwerke ihre User*innen an die Plattform binden möchten, werden die vorgeschlagenen Inhalte an die Interessen angepasst. Am Beispiel der Corona-Pandemie lässt sich das gut nachvollziehen: Wer anfängt, Videos über Verschwörungsmythen anzuschauen, der bekommt mit der Zeit immer mehr Videos derselben Art in seine Timeline gespült. Diese Filterblase kann zu einer verfälschten Wahrnehmung der Realität führen und treibt eine Radikalisierung der Nutzer*innen voran. 

Immer mehr Initiativen, wie der #Faktenfuchs des Bayerischen Rundfunks, versuchen, im Internet verbreitete Falschinformationen und Verschwörungserzählungen einem Realitätscheck zu unterziehen und zu widerlegen. Dieses sogenannte „Debunking“ ist wichtig, gleicht zeitweise aber dem Kampf gegen Windmühlen. Die Nachricht über die verbreitete Unwahrheit erreicht weit weniger Menschen als die Falschinformation selbst, da das Internet ein schnelllebiger Ort ist. Die Neue Rechte hat darin ein Potenzial entdeckt und setzt Falschinformationen gezielt für ihre politischen Zwecke ein. Ein Netzwerk aus rechten Influencern und „alternativen Medienschaffenden“ dient als Sprachrohr und Verbreiter. Rechte Hetze, pseudowissenschaftlich mit Falschinformationen „belegt“, hat hier einen Platz neben vermeintlich harmlosen Alltagseinblicken gefunden. 

„Emokrieg“: Der erste, harmlose Eindruck zählt

Der erste Eindruck ist für die Neue Rechte daher entscheidend. Die politisch extreme Ausrichtung wird selten auf den ersten Blick deutlich, sondern immer nur subtil vermittelt. Martin Sellner, Sprecher und Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung, einer Gruppe antidemokratischer „bürgerlicher“ Intellektueller, hat in diesem Zusammenhang die Bezeichnung „Emokrieg“ oder auch „Infokrieg“ geprägt. Fakten sind nur noch zweitrangig, es geht um Emotionen, die bedient werden sollen. So schafft es Sellner sogar, in seiner eigenen YouTube-Kochshow ausländerfeindliche Narrative unterzubringen, wenn es eigentlich um ein Kartoffelgericht gehen soll, à la: „Ich hab mal einen Vortrag eines Anthroposophen gehört, der gemeint hat, die Kartoffel wäre keine gute Frucht für Mitteleuropäer, sie kommt aus dem Ausland.“ 

Alexander „Malenki“ Kleine führte solch einen Emokrieg mit seinem Format „Laut gedacht“ fünf Jahre lang ungestört auf YouTube. Nun wurde sein Hauptkanal gesperrt. Kleine und sein Mitstreiter Philip Thaler, die beide in der rechtsextremen Identitären Bewegung aktiv sind, haben deshalb die Streaming-Plattform gewechselt. In dem als Satire getarnten Format „Laut gedacht“ wird polemisch das aktuelle politische Zeitgeschehen abgearbeitet. Kleine, ein Imker aus Leipzig, ist seit Jahren bestens in der rechten Szene vernetzt, ohne offiziell einer Partei anzugehören. Mit Vollbart, Zopf und Flanellhemd ist er in den Videos in einem professionell ausgeleuchteten Studio zu sehen – die rustikale Ästhetik erinnert dabei an Werbung für Craftbeer oder Whisky. Nur subtil wird die politische Ausrichtung deutlich. Mal hängen Socken in Deutschlandfarben im Hintergrund am Fensterrahmen oder ein Porträt des rechtsextremen AfD-Politikers Björn Höcke steht auf dem Tisch. Ein anderes Mal trägt Philip Thaler ein T-Shirt der identitären französischen Rockband In Memoriam. Offensichtlicher ist die Bildsprache bei einem Video, das gegen Manuel Neuer und die Regenbogen-Kapitänsbinde bei der diesjährigen Fußball-EM hetzt. Kleine setzt ab der Hälfte des Videos einen Stahlhelm auf und macht doppeldeutige Witze über den Kriegsfeldzug der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg in Frankreich, während es eigentlich um die Spiele der deutschen Mannschaft im Ausland geht, oder es fallen Sätze wie: „Endlich wieder im Ausland aufräumen, wie früher … 2014“. Solche bewusst doppeldeutigen Provokationen richten sich gegen das Feindbild der politischen Korrektheit und sind Parolen, die ebenso gut aus dem Mund des altbekannten Neo-Nazis stammen könnten.

Die Neue Rechte ist gut vernetzt, ihre Ideologie animiert zur Handlung

Seibt, Lotz, Sellner und Kleine sind nur einige Beispiele der neuen rechten Szene. Sie und weitere Mitglieder der Szene sind gut vernetzt und haben sich erfolgreich die klassischen Influencer-Strategien angeeignet, wie ausführliche Recherchen von correctiv.org belegen. Die Strategie: den Rahmen des Sagbahren ausdehnen und den Diskurs weit nach rechts verschieben. Wie Neonazis offen ausländerfeindlich zu sein, ist heute nicht mehr gefragt. Die menschenfeindliche Ideologie hat sich allerdings kaum verändert.

In einem breit aufgestellten Netzwerk von Medienschaffenden, Influencern und deren Förderern pusht man sich gegenseitig. Seibt hat Gastaufträge bei der AfD oder wird von der Identitären Bewegung interviewt, Lotz findet positive Erwähnung bei Martin Sellner, Kleine ist bei diesem im Live-Talk zu Gast. Brandgefährlich ist, dass nicht mehr auf den ersten Blick erkannt werden kann, wo genau jemand politisch zu verorten ist. Man muss genau zuhören. Das macht es den rechten Protagonisten leicht, sich als „missverstanden“ und „Opfer“ zu inszenieren, während ohne Konsequenzen spielerisch mit problematischen Doppeldeutigkeiten provoziert wird. Rechte Influencer sind keineswegs harmlos. Sie animieren ihre Anhänger zum aktiven Handeln gegen die heraufbeschworenen Feindbilder. Ziel kann die vermeintliche „politische Elite“ sein, die „Flut an Migranten“ oder der Islam, als „Bedrohung“ ihrer nationalistischen Werte. 

Erschreckendes Beispiel für die Konsequenzen einer über das Internet weltweit vernetzten Neuen Rechten ist das Attentat von Christchurch im März 2019. Martin Sellner erhielt ein halbes Jahr vor der Tat eine Großspende des späteren Attentäters von Christchurch, der in Neuseeland bei einem Terroranschlag auf zwei Moscheen 51 Menschen tötete. Sellner bedankte sich per Mail für die Spende und lud den Attentäter auf einen Kaffee nach Wien ein. Die Mails hat er nach dem Attentat gelöscht. Ob das Treffen zustande gekommen ist, wird derzeit von den Ermittlungsbehörden überprüft. Es muss einem bewusst sein, dass rechte, antisemitische und rassistische Narrative Menschen zwangsweise zu einer Handlung bewegen, die zu Terror führen kann. Rechte Influencer wie Martin Sellner sind deshalb mitverantwortlich für die Konsequenzen ihrer hasserfüllten Ideologien. 

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Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.