Kein Google, kein Netflix, kein WhatsApp – Ria fastet Internet

Frau liest Buch

„Ich bin nicht internet-süchtig!“ Wirklich? Ria testet den kalten Entzug von heute auf morgen und benutzt sechs Wochen lang kein Internet. Ob ihr das gelingt – und vor allem wie – erzählt sie uns.

Von Ria Lüth

Die Umsetzung: Ein exemplarischer Tag

Eintrag vom 13. März

Ein Tag ohne Internet. Ich komme mir jetzt schon bescheuert vor, diesen Satz zu schreiben. Meine Eltern würden lachen. Aber das ignoriere ich mal.

6.30 Uhr: Am Morgen weckt mich das Radio. Silber blitzt es auf – das Handy. Schon will ich danach greifen, doch lasse den Arm wieder sinken. Seitdem ich kein Internet mehr benutze, scheint die Welt mich ein wenig vergessen zu haben. Kurzes Schweigen und offene Augen, wenn ich erwähne, dass ich den Versuch gewagt habe, mich vom Internet loszusagen. „Cool“, höre ich die Leute dann sagen. „Wäre aber nichts für mich“, füge ich in Gedanken hinzu. Kein Internet zu benutzen ist ungefähr wie nicht an die Evolution zu glauben. Durchaus interessant – doch irgendwie auch ziemlich schräg.

7.39 Uhr: Jetzt zeige ich es ihnen. Allen, die immer von der „Jugend von heute“ reden. Denn ich lese Platon – in der Bahn. (Gut, nur für schulische Zwecke, aber das weiß ja niemand.) Ich komme mir vor wie Benjamin von Stuckrad-Barre in „Nüchtern am Weltnichtrauchertag“. Das ist wie „Kein Internet benutzen am Welt-Anti-Analog-Tag“. Blödsinn. Jeder Tag ist Welt-Anti-Analog-Tag. Ich nippe genüsslich an meiner intellektuellen Buchstabensuppe, während sich die Gesellschaft um mich herum die Kante gibt. Ganz clean bin ich dann doch nicht geblieben. Ein Blick auf WhatsApp morgens und abends. Nur weil es praktischer ist, für schulische Zwecke und so. Versteht sich!

14.15 Uhr: Ab geht’s wieder in die S-Bahn. Ich hole ein weiteres Buch aus meiner Tasche und mache mich auf den Weg. Ja, das habe ich vermisst. Mich in fremde Welten voller Fantasie zu stürzen. Erst jetzt fällt es mir auf. Meine eigene Fantasie ist abgestumpft, denn ich lasse mich online nur noch von den Ideen anderer vollrieseln, statt selbst auf Suche zu gehen. Seit ich 14 bin, gehöre ich zu der „Ja, ich lese. Wenn ich mal Zeit habe. 100 Seiten im halben Jahr“-Fraktion, die sich einredet, dass sie zu viel machen muss, dass sich die Welt zu schnell dreht, dass der Kopf schon um 14 Uhr am implodieren ist und ein Buch das Fass zum Überlaufen bringen würde. Manchmal, da stimmt das schon.

Eine Stunde später. Ich bin verloren. Ja, wirklich verloren. Der Großstadtdschungel hat mich verschluckt und zerkaut und wieder ausgespuckt an einem Ort, der mir fremder vorkommt als Timbuktu. Ich werde in verschiedene Richtungen geschickt. „Ja, das ist ganz sicher da, oder vielleicht…“. Also renne ich von rechts nach links, einmal um den Block und komme wieder am Ausgangspunkt an. Dafür kenne ich jetzt Karlshorst – weil man ja sonst nichts im Leben erlebt. Irgendwann komme ich dann doch an und zeige meine leeren Hände. „Kein Handy“. Anerkennendes Nicken.

Ich tue so, als ob es einfach nur erfrischend wäre, das Detoxing. Ich tue so, als ob es die purste Freude wäre, kein Internet mehr zu benutzen, obwohl ich innerlich den Drang verspüre, auf dem Bildschirm nach rechts zu wischen, jedes Mal, wenn eine weitere Nachricht reinkommt. Ich tue so, als ob.

Die Wahrheit ist: Eigentlich ist es so. Eigentlich ist es besser und man fühlt sich innerlich ruhiger. Eigentlich lässt es einen durchatmen, wenn man sein Handy zu Hause vergisst und sich dem Reiz entzieht, es benutzen zu müssen. Eigentlich ist es aber auch ziemlich beschissen, am Ende des Tages Nachrichten von jemandem zu bekommen, der sauer ist, weil man nicht innerhalb der letzten 3 Stunden geantwortet hat. Und ganz eigentlich ist es ziemlich anstrengend, jedes Mal umständlich den Weg rauszufinden. Eigentlich ist es schwer, dem Drang nach Bequemlichkeit nicht nachzugeben. Es ist wie jede gute Sucht: Liebe und Schmerz liegen dicht beieinander. Man nimmt einen Zug und ist entspannt. Den Zug nicht zu nehmen ist im Moment eher eine Frage des Durchhaltevermögens, aber die Lunge bleibt sauber.

Wie es Ria in ihren ersten Tagen des Fastens ging, lest ihr auf der nächsten Seite.

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.

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