Interview

Hertha BSCs Lebensversicherung, Club-Mate-Fabi, Rockstar? Fabian Reese!

Fabian Reese (Mitte) kämpft um den Ball.
Fabian Reese (Mitte) kämpft um den Ball.

Der Hertha BSC-Spieler Fabian Reese im Interview über das Leben in Berlin, sein Image und seine Vertragsverlängerung.

Lukas Breit, funky-Jugendreporter

Berlin. Der deutsche Fußballspieler Fabian Reese kam im Sommer 2023 von Holstein Kiel nach Berlin und gewann im Handumdrehen die Herzen der Hertha BSC-Fans. Die Vokuhila, lackierte Fingernägel sowie der markante Torjubel sind seine Markenzeichen. Vor allem überzeugt Reese jedoch mit seiner Leistung, seiner Leidenschaft und seinem unbändigen Willen. Der 26-Jährige sorgt für Aufsehen, auf und neben dem Platz. Jemanden wie Fabian Reese haben die leidgeprüften Fans des Charlottenburger Traditionsvereins in den letzten Jahren schmerzlich vermisst. Im Interview spricht er über sein Image, seine Vertragsverlängerung, warum er beim schwierigsten Spiel in Hertha BSCs Geschichte gerne gespielt hätte und verrät, warum er sich nicht als einen „klassisch Zugezogenen“ bezeichnen würde.

Lieber Fabian, wenn du von den Medien gefragt wirst, was deine Stärke ist, entgegnest du oft, dass du einfach du selbst bist. Wer bist du?
Fabian Reese: Ein Junge, der einen Traum hatte und mittlerweile zum Mann geworden ist. Ich versuche, diesen Traum bestmöglich umzusetzen und stecke mir immer neue Ziele, um neue Träume zu verwirklichen.

Kannst du deine Träume verwirklichen? Bist du zufrieden?
Ich glaube, Zufriedenheit ist immer ein schmaler Grat. Ich bin sehr dankbar für das Leben, das ich leben darf. Die Träume müssen so groß sein, dass sie, wenn du sie aussprichst, dir unangenehm sind. Wenn sie dir nicht unangenehm sind, sind sie zu klein.

Du sagst von dir selbst, dass du anders bist als andere Fußballer. Was unterscheidet von ihnen?
Grundsätzlich müssen das andere beurteilen. Ich versuche, möglichst authentisch und ich selbst zu sein, um den Menschen da draußen zu zeigen, wer ich wirklich bin. Die Meinung darüber darf sich aber jeder und jede selbst bilden. Ich spiele keine Kunstfigur vor, sondern versuche jeden Tag, einfach Fabian Reese zu sein, mit allen Facetten.

Man könnte behaupten, dass du ein Rockstar-Image forcierst. Liebst du die Selbstdarstellung?
Selbstdarstellung ist grundsätzlich eher ein negativ konnotierter Begriff. Dieses Rockstar-Image ist sicherlich etwas Schönes, aber eigentlich geht es um die Interaktion mit den Menschen. Der Moment des Torjubels, bei dem ich mich verneige, ist ein besonderer Moment für mich. Ich kann den Leuten im Stadion näherkommen und ihnen Tribut zu zollen. Dabei entsteht eine Energie, bei der man merkt: Wir machen das gemeinsam, wir sind gemeinsam stark.

Dein Wechsel zu Hertha BSC wurde am 4. Januar 2023 verkündet. Ein möglicher Abstieg war zu dem Zeitpunkt nicht unwahrscheinlich. Warum hast du dich damals für Hertha BSC entschieden?
Wenn ich etwas mache, höre ich auf mein Bauchgefühl und bin dann auch komplett davon überzeugt. Ich wäre gerne schon im Winter zuvor zu Hertha BSC gewechselt, das ist aber leider aus verschiedenen Gründen gescheitert. Ich habe daran geglaubt, dass Hertha BSC die Liga halten kann und wir ab Sommer gemeinsam in der Bundesliga spielen. Es ist anders gekommen, aber im Leben fangen oft die schönsten Geschichten anders an, als man es erwartet hätte.

Du hast dich also für Hertha BSC entschieden. Warum identifizierst du dich so stark mit der Stadt und dem Verein?
Ich bin zu einer sehr dunklen Stunde des Vereins dazugestoßen. Ich habe vom ersten Tag an sehr viel Zuspruch bekommen und bin mit offenen Armen empfangen worden. Es hieß: Gib einfach alles und wir nehmen dich genauso, wie du bist. Berlin ist einzigartig, was die Weltoffenheit angeht. Berlin ist die Hauptstadt Deutschlands, ein unglaublich großes Epizentrum verschiedener Kulturen. Hier herrscht grundsätzlich eine Rieseneuphorie, die nur entfacht werden muss. Hertha BSC ist ein Traditionsverein. Wenn man in Berlin gute Arbeit leistet, kann uns die große Euphorie der Stadt beflügeln.

Von deinen Kollegen bekamst du kurzzeitig den Spitznamen „Club-Mate-Fabi“ verpasst. Würdest du dich als das, was man in Berlin einen „klassischen Zugezogenen“ nennt, bezeichnen?
Das würde ich so nicht unterschreiben. Ich bin mit 15 auf das Internat nach Gelsenkirchen gewechselt. Ich habe zehn Jahre in NRW gelebt, war in Fürth, in Karlsruhe und anschließend wieder in Kiel. Das war kein klassisches Kleinstadtleben, würde ich sagen. Manchmal kommt im Leben eine Stadt zum richtigen Zeitpunkt. Dieses Gefühl hatte ich bei Berlin, als ich gemerkt habe, welche Möglichkeiten diese Stadt bietet. Man kann überall eintauchen, um seinen Horizont zu erweitern.

Wo hast du in Berlin deinen Horizont erweitern können?
Anfangs waren wir oft auf dem Flohmarkt im Mauerpark. Wir waren im Ballett, wo das Motto tatsächlich „Techno meets Ballett“ war. Hier gibt es sehr schöne Restaurants und schöne Parks. Wir waren in Kunstausstellungen, Museen und auf vielen Konzerten.

Deine ersten Wochen bei Hertha BSC waren – nett ausgedrückt – turbulent. Erst die Ungewissheit bezüglich der Zweitliga-Lizenz. Ein Kader, der zum Anfang der Saison noch nicht komplett war sowie drei Niederlagen in den ersten drei Spielen. Wie habt ihr als Team zusammen die Kurve gekriegt?
Uns war klar, dass ein großer Umbruch im Sommer passieren würde. Keiner wusste, wie schnell wir uns zusammenfinden würden. Bei dem einen geht es schneller, bei dem anderen dauert es etwas länger. Wir haben ein bisschen Zeit gebraucht, es war sehr turbulent, aber wir haben zusammen die Kurve bekommen. Das ist ein normaler Prozess. Wir haben alle gehofft, dass das schneller funktioniert, aber man sieht an anderen Beispielen der zweiten Liga, dass manche Traditionsvereine noch deutlich länger damit zu kämpfen haben. Ich würde die ersten drei Spiele trotzdem gerne noch einmal spielen.

Nach Startschwierigkeiten schien zum Ende der Hinrunde bei euch auf und neben dem Platz alles zu stimmen, bis dann im Januar Hertha BSCs Präsident Kay Bernstein verstarb. Wie habt ihr seinen Tod als Team verarbeitet?
Ich war zu diesem Zeitpunkt leider erkrankt und nicht bei meinem Team. Ich habe nur Randnotizen mitbekommen, aber die Stimmung war natürlich sehr gedrückt. Es gibt auch innerhalb des Teams Unterschiede. Kay war ein extrem nahbarer Präsident, manche hatten einen sehr engen Draht zu ihm, einige Neuzugänge haben ihm nur paar Mal die Hand geschüttelt. Mich hat es kalt erwischt. Ich kann nur in den höchsten Tönen von Kay sprechen, ich glaube da spreche ich im Namen von vielen hier in der Hertha-Familie. Sein Tod hinterlässt eine große Lücke. Die Besten gehen oft viel zu früh.

Die Stimmung im Heimspiel gegen Fortuna Düsseldorf, nur wenige Tage nach Bernsteins Tod, war unbeschreiblich beklemmend. So viele traurige, fassungslose Gesichter. Warst du selbst froh, nicht spielen zu müssen?
Ich war sehr traurig, nicht spielen zu können. Man kann unterschiedlich an so ein Spiel herangehen. Man kann sich durch die Last gebremst fühlen. Oder man denkt sich: Jetzt schieße ich Tore für Kay in den Himmel. Ich hätte den Tag gerne ein bisschen sonniger gemacht. Dieser Tag hat eindrucksvoll gezeigt, welchen Stellenwert er hier in der ganzen Stadt hatte.

Was ist Kay Bernsteins Vermächtnis?
Sein Vermächtnis ist der Berliner Weg, die Umstrukturierung, das Wiederfinden der Nahbarkeit von Hertha BSC. Wir haben viel Boden gut gemacht, was die Sympathie in der Stadt angeht. Die Visionen, die er hatte, verschwinden nicht von heute auf morgen. Wir müssen gemeinsam an einem Strang ziehen.

Wie gehst du mit dem Druck um, der auf dir lastet? Der Druck von den Fans auf der einen, aber auch von deinen Mitspielern auf der anderen Seite.
Wir leben in einer Gesellschaft, die von Druck geprägt ist. Fußball-Profis werden am Ende des Tages sehr gut bezahlt und sind dafür am Wochenende größerem Druck ausgesetzt. Wir trainieren dafür, unsere Leistung abzurufen, das ist streng genommen unser Job. Natürlich liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Ich genieße es, diesen Druck zu verspüren. Ich bin dankbar, dass mir dieses Vertrauen entgegengebracht wird. Auf der anderen Seite musste ich nach meiner krankheitsbedingten Pause auch relativ schnell wieder performen.

Vor dem DFB-Pokal-Viertelfinale gegen Kaiserslautern hieß es, dass du eventuell fit für die letzten 15 bis 20 Minuten wärst. Im Endeffekt bist du schon zur zweiten Hälfte gekommen und hast über 45 Minuten gespielt. War das – nüchtern betrachtet – unvernünftig?
Es hat alles geklappt, deswegen wäre es hypothetisch, das zu sagen. Die Abmachung war 20, maximal 30 Minuten zu spielen. In der Halbzeit hieß es dann: Wenn wir jetzt keinen Impuls von außen bekommen, werden wir das Spiel wahrscheinlich verlieren. Es hieß: Wenn du nicht mehr kannst, hebst du den Arm und dann wechseln wir dich wieder aus. Wer mich kennt, weiß, dass es mir nicht leichtfällt, da freiwillig den Arm zu heben. Ich hatte ein gutes Bauchgefühl, dass ich noch ein Tor mache, was ja auch passiert ist.

Am Ende der letzten Saison warst du bei Holstein Kiel mit 21 Scorerpunkten (11 Tore, 10 Assists) bereits siebter in der Scorerliste der zweiten Liga. Diese Saison stehst du nach 26 Spieltagen schon bei 21 Scorerpunkten (6 Tore, 15 Assists). Wie erklärst du dir diese Leistungsexplosion innerhalb der letzten anderthalb Jahre?
Durch kontinuierliche und harte Arbeit in allen Bereichen. Wenn ich eine Sache benennen könnte, wäre es leicht, das zu multiplizieren und ich hätte mir das schon viel früher angeeignet. Das Potenzial steckte schon immer in mir drin. Erst war ich ein bisschen der Chancentod, dann war ich zu ehrgeizig, aber zu schmächtig und mental vielleicht nicht stark genug. Ich glaube, wenn man ganzheitlich auf allen Ebenen versucht, sich weiter zu verbessern, wird der Fleiß irgendwann belohnt. An den letzten zwei Saisons sieht man, was ein guter Athlet zu leisten imstande ist. Trotzdem gibt es noch viele Aspekte, die ich verbessern möchte und werde.

Du bist in Kiel geboren, hast dort als Siebenjähriger bei Holstein Kiel angefangen, Fußball zu spielen und bist erst im Sommer aus Kiel nach Berlin gewechselt. Warum hast du in der Hinrunde bei deinem entscheidenden Tor gegen Kiel ausgelassen gejubelt, obwohl Spieler es gewöhnlich unterlassen, gegen den Ex-Klub zu jubeln?
Ich sehe das komplett anders, das war kein ausgelassenes Jubeln. Ich finde, wenn man in der 95. Minute, nach einem verschossenen Elfmeter vom Mannschaftskollegen, das 3:2-Siegtor schießt, bis zur Kurve nicht jubelt und dann einmal die Faust in die Luft reckt, ist das kein ausgelassener Jubel. Das ganze Stadion hat mich ausgepfiffen vor dem Elfmeter, nur um im nächsten Moment zu sagen, ich dürfe nicht jubeln. Das ist für mich eine Doppelmoral. Es war ein dezentes Jubeln, in einer sehr großen Drucksituation, in der 90 Prozent des Stadions gehofft hat, dass ich verschieße. Wenn man einen ausgelassenen Jubel von mir sehen will, kann man sich meine Tore im Pokalspiel gegen den HSV anschauen.  Ich liebe Holstein Kiel, es ist mein Heimatverein und ich bin dem Club unglaublich dankbar. Ich habe aber aus voller Überzeugung im Sommer den Schritt zur Hertha BSC gemacht und gebe hier jeden Tag alles, um am Ende des Tages das bestmögliche Ergebnis zu liefern. Wenn man das entscheidende Siegtor schießt, ist das die Ernte von sehr viel Arbeit.

Du hast deinen Vertrag bei Hertha BSC am 22. Februar bis 2028 verlängert. Wirst du in diesem Sommer auf keinen Fall wechseln?
Ich bin tatsächlich kein Hellseher. Ich konzentriere mich auf die nächsten Spiele und bin total dankbar, hier verlängert haben zu dürfen. Es wäre vermessen von mir, Versprechungen für den Sommer zu machen, das wäre zu viel Konjunktiv.

Du hast deinen Vertrag bei Hertha BSC am 22. Februar bis 2028 verlängert. Was waren die Beweggründe für deine Vertragsverlängerung?
Der Verein und ich bringen uns eine große gegenseitige Wertschätzung entgegen. Wir können uns vorstellen, langfristig zusammenzuarbeiten. Wir wollten mit der Vertragsverlängerung ein starkes Signal an das Team und die Fans senden, dass ich nicht über irgendwelche Eventualitäten im Sommer rede, sondern sage: Ich glaube daran, dass wir diesen Weg gemeinsam gehen können.

Warum wurde die Vertragsverlängerung nicht vor dem Heimspiel gegen Kiel, sondern vor dem Auswärtsspiel gegen Braunschweig verkündet?
Wir wollten den extra Push gegen Braunschweig haben. Es ist gar nicht so leicht, so etwas geheim zu halten. Die Augen und Ohren sind überall. Es ist ein Wunder, dass so eine Vertragsverlängerung nicht öffentlich geworden ist. Es passiert selten, dass vorher keine Gerüchte entstehen. In dem Moment hat es sich absolut richtig angefühlt. Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass das Timing perfekt war. Hätte ich noch einmal die Chance, würde ich es genauso machen.

Bist du dir im Klaren darüber, was du mit dieser Vertragsverlängerung bei den Fans ausgelöst hast?
Es war ein enorm emotionaler Tag. Wir saßen mit meiner Freundin und dem kompletten Medienteam im Büro. Das zeigt, was wir für eine Wertschätzung auch neben dem Platz füreinander haben. Ich habe sehr wohl wahrgenommen, dass meine Vertragsverlängerung für Jubelstürme gesorgt hat. Ich bin dankbar für jede Nachricht, die ich gelesen habe. Ich bin davon überzeugt, dass ich auch diesen Erwartungen gerecht werden kann. Aber manchmal hilft es einem auch, dass man nicht in allen WhatsApp-Gruppen ist, um sich selbst ein bisschen zu schützen. Es ist einfacher, wenn man nicht alles liest. Ich konzentriere mich auf das, was ich beeinflussen kann. Das ist die Leistung am Wochenende und mein Privatleben.

Angenommen, du wärst kein Profi-Fußballer, sondern ein treuer Hertha-Fan, der sein Team bei den Heim- und Auswärtsspielen vor Ort unterstützt. Würdest du lieber weiter in dieser vielleicht besten zweiten Liga aller Zeiten mit vielen Traditionsverein dein Team unterstützen oder lieber in der ersten Liga spielen, wo die Begegnungen teilweise eher langweilig klingen?
Für mich gibt es nur eine ganz klare Meinung. Ich würde aufsteigen und mich in der Bundesliga etablieren wollen, um die letzten Jahre vergessen zu machen.

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