Interview

Asozial oder lyrisch genial: Die Battle-Rap Szene

Rapper Ssynic bei der Battlerap Bundesliga.
Battle-Rap stellt die eigene Person extrem gut - und andere Personen extrem schlecht dar.
Greta Papenbrock, funky-Jugendreporterin
© SSYNIC

Ssynic, der mit bürgerlichem Namen Samuel Sibilski heißt, sitzt in seiner Stamm-Shishabar in Berlin-Schöneberg. Seine Hand liegt lässig über der Lehne, als er anfängt, von der Battle-Rap-Szene zu erzählen. Es ist eine Form des Raps, bei der das „Dissen“ eines fiktiven oder realen Gegners und die übertrieben positive Darstellung der eigenen Person im Mittelpunkt steht. Vor zehn Jahren fing Ssynic mit Freestyle-Rap und Acapella-Rap, also Rap ohne Beat, an und hat sich inzwischen einen Namen bei Battle-Rap-Events wie „Top Tier Takeover“ gemacht. Mittlerweile ist er einer der bekanntesten deutschen Battle-Rapper. Was SSYNIC zur Entwicklung der Szene zu sagen hat, wo beim Battle-Rap eigentlich die Grenzen zu verorten sind und ob Diversität bei solchen Events eine Rolle spielt, verrät er im Interview.

Was gefällt dir am Freestyle-Rap und an den gegenseitigen Beleidigungen?
Wenn man sich selbst für eloquent, lyrisch und clever hält oder einfach denkt, dass man ein krasser Rapper ist, will man sich messen. Das ist wie Boxen, nur mit Worten. Dabei stehst du vor ein paar Hundert Leuten und es ist die extremste Situation, die du dir vorstellen kannst. In einer normalen Diskussion sind die meisten nicht unbedingt schlagfertig. Und dann versuch mal eine Diskussion auf einen Beat und mit Reim zu führen – es muss einfach passen. Wenn dir das gelingt, ist es einfach ein Adrenalinkick des Grauens. Und dieses Gefühl, wenn eine Punchline sitzt, ist nur mit einem KO beim Boxen vergleichbar.

Wie bist du zu Battle-Rap-Events wie „Top Tier Takeover“ gekommen?
Ich bin nach Berlin gezogen, eigentlich, um Comedy zu machen. Dann habe ich zufällig gesehen, dass mein Lieblingsrapper bei „Rap am Mittwoch“, heute bekannt als „Top Tier Takeover“, in Berlin auftritt. Ich war vorher noch nie auf einem Hip-Hop-Event. Das Event war ausverkauft und ich war sofort geflasht. Das war der krankeste Abend, den ich erlebt habe. Und von diesem Zeitpunkt an dachte ich mir: Das will ich auch machen.

Und dieses Gefühl, wenn eine Punchline sitzt, ist nur mit einem KO beim Boxen vergleichbar.

Wie kann man sich ein solches Event vorstellen?
Jeder Mensch, der Texte mitgebracht hat, darf einfach auf die Bühne gehen und vor ein paar Hundert Leuten das erste Mal richtig rappen und performen. Leute, die Lust haben, bei den Battles mitzumachen, müssen einfach Bescheid geben. Zuerst gibt es eine Qualifikationsrunde, ein Freestyle-Turnier, durch das man sich bis zum Schluss durchboxt. Am Ende gibt es einen Gewinner oder eine Gewinnerin.

Viele sagen, Battle-Rap sei asozial und dass Lines wie „Ich fick deine Mutter“ schon alles wären. Was sagst du dazu?
Man muss den Leuten recht geben. Beim Freestyle kommt bei vielen wirklich nicht mehr. Aber die wirklich guten Rapper haben natürlich mehr zu bieten. Es gibt Konter, gegen die sich keiner wehren kann. Die sind einfach gut! Die Spannweite von Rappern und deren Kunst ist weit: Es gibt 40-jährige Lehrer, Grasdealer, eine halbschwarze Brillenschlange wie mich, aber auch kleine Leute. Battle-Rap zielt eben auf Äußerlichkeiten ab. Außerdem würde ich den Leuten generell Acapella-Battles ans Herz legen. Man merkt dann richtig, dass das eine krasse Kunstform ist.

Inwiefern spielen Respekt und Toleranz eine Rolle beim Battle-Rap?
Mein Spitzname ist ja Mr. Respektlos. Beim Battle-Rap kann man auch respektlos sein – aber nur, wenn der Beat angeht. Es geht darum, den Gegner auf der Bühne niederzumachen, aber sich danach auch die Hand zu geben. Respekt wird insofern großgeschrieben, als dass es bei den krassesten Lines, die auch mal tief treffen, trotzdem nie zur körperlichen Auseinandersetzung kommt. Denn es geht um die Worte. Das Schlimmste, was ich bisher erlebt habe, war, dass eine Kappe vom Kopf gehauen wurde. Aber es gab nie eine Schlägerei. Obwohl die Sachen, die gerappt werden, maximal schlimm sind. Jede Person, die sich auf die Bühne stellt, muss mit allem rechnen.

Bemühen sich Battle-Rap-Events, diversere Personen anzufragen und ihnen eine Bühne zu geben?
Nein, überhaupt nicht. Das ist kein Thema. Es wird vielleicht gehofft und natürlich es ist auch willkommen. Es gibt schon Frauen, Homosexuelle, Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer, Blinde, Schwarze, Weiße – die verschiedensten Leute, die man sich vorstellen kann. Aber es wird nichts erzwungen, es gibt keine Quote. Letztlich ist nämlich der Battle-Rap das, was uns alle eint. Es wird gern gesehen, wenn diversere Menschen kommen. Ich freue mich auch, wenn Frauen auf der Bühne stehen, ihnen gebe ich direkt mehr props. Allein die Tatsache, dass sie sich trauen, in so einer Männerdomäne auf der Bühne zu stehen, ist beeindruckend.

Es gibt keine Aggressionen, trotz der Texte.

Sexismus, Rassismus, Homophobie: Darf Battle-Rap eigentlich alles?
Battle-Rap darf fast alles – bis auf plakativen Rassismus. Es müssen Punchlines sein, darauf kommt es an. Auch Homophobie geht nicht, da das Publikum sehr feinfühlig ist. Man kann dann manchmal auf der Bühne nicht mehr unterscheiden, ob es deren wirkliche Meinung ist oder einfach nur der Punchline wegen gesagt wurde.

Wie hat sich die Szene in den letzten Jahren entwickelt?
Es gibt immer weniger richtige Rapper, immer weniger Ausländer, immer weniger Street Rapper. Es ist immer mehr zu einem asozialen Debattier-Club geworden – daran bin ich tatsächlich auch mit Schuld. Es läuft viel auf Klugscheißer-Rap hinaus, es gibt mehr Charakter-Analysen und weniger stumpfe Punchlines. Es ist schwer geworden, ein Mittelmaß zu finden. Letztendlich sind zu wenig gute Leute dabei und es müssen mehr Frauen werden.

Battle-Rapper SSYNIC

Was ist so das Schönste am Battle-Rap für dich?
Für mich persönlich ist es das Schönste, wenn die Leute so ausrasten, dass du nichts mehr hörst, nicht mehr weiterrappen kannst, weil die Ekstase so groß ist. Alle geben props, kaufen deinen Merch, sie wollen Autogramme, Fotos. Das ist krass! Das sind Hunderte Gleichgesinnte, alle feiern das Gleiche. Die Stimmung und der Spirit sind da. Und: Es gibt keine Aggressionen, trotz der Texte.

Sollte Battle-Rap bzw. Hip-Hop eine größere Rolle in den Schulen spielen?
Definitiv. Ich könnte zu jeder Uni oder Oberstufe gehen, eine Stunde einen Vortrag halten und die Leute wären begeistert, würden lachen und sie würden diese Kunstform verstehen. Kinder prügeln sich in der Pause. Besser wäre es doch, wenn jemand sagen würde: „Okay hört mal zu, der Oliver hat sich gerade mit dem Sven gestritten. Ihr bereitet jetzt jeweils einen Text vor und ihr könnt euch darin sagen, was ihr wollt. Nächste Woche stellen wir uns mit der Klasse in einen Kreis und jeder wirft dem anderen das an den Kopf, was er gerne loswerden will.“ Beide kriegen den maximalen Respekt und das ist eine Lösung ohne Fäuste. So wie es eigentlich auch sein sollte: verbal.

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