Interview

DJ Chachacharly im Interview: „Der Safe Space geht verloren“

Charly steht hinter dem DJ Pult und legt auf.
Chachacharly ist Techno und Trance DJ und wohnt in Berlin.
Greta Papenbrock, funky Jugendreporterin

Charlotte Sophie Gräfin Finck von Finckenstein, in Berlin besser bekannt als Chachacharly, ist Techno- und Trance-DJ. Ende 2020, quasi in Lockdownzeiten, lernt die heute 22-Jährige das Auflegen, probiert sich an mehreren Musikgenres aus und legte in ihrer Heimatstadt Hannover bereits in mehreren Clubs auf. Mit ihrem Umzug in die Hauptstadt verändert sich nicht nur ihr eigenes Nachtleben, sondern auch der Blick auf das Leben als DJ. Wie ist es, als junge Frau in der Hauptstadt am Mischpult zu stehen? Und ist Techno eigentlich gerade im Trend? Darüber spricht Charly im Interview. 

Charly schaut in die Kamera und trägt eine pinke Bluse.
© Niklas Bogon

Liebe Charly, ich fange mal ganz am Anfang an: Wie wurdest du musikalisch sozialisiert?
Meine Eltern haben elektronische Musik tatsächlich früh an mich herangetragen. Meine Mama hat noch heute in ihrem Handschuhfach viele House-CDs, die wir uns schon angehört haben, als ich ein Kind war. Und das fand ich richtig toll. Auch mein Vater hatte einen gewissen Einfluss auf meine Liebe zur elektronischen Musik, da er auf seinem alten Apple-IPod Lieder von Paul Kalkbrenner hatte. „Sky and Sand“ heißt ein Song, der mich sehr geprägt hat.

Du bist für deine schnellen, melodischen und genreübergreifenden Sounds bekannt. Ob Trance, Hardtrance oder Techno: Wolltest du schon immer DJ werden, Charly?
Es war absolut nicht geplant. Ich glaube, das lag daran, dass eigentlich immer nur Männer aufgelegt haben und ich nie darüber nachgedacht habe, es selbst machen zu können.

Es hat mir einfach an nahbaren weiblichen Vorbildern gefehlt.

Durch meinen Ex-Freund, der selbst DJ ist, bin ich dazu gekommen, mich mal ein bisschen auszuprobieren. Ich wollte das Auflegen dann auf eigene Faust lernen und testen, worauf ich Lust habe und welche Musik mir gefällt. 

Du kommst eigentlich aus Hannover, jetzt lebst du in Berlin. Wie fühlt sich das Nachtleben als DJ in der Hauptstadt an?
Wenn man DJ ist, vor allem hier in Berlin, befindet man sich in einer Blase, in der immer irgendjemand einen Gästelistenplatz auf einer angesagten Party für dich übrig hat. Und auch, wenn du dir vorgenommen hast, mal zuhause zu bleiben, findest du dich dann trotzdem oft auf dieser Party wieder. Ich habe zwar noch lange nicht alle Clubs durch, die es in Berlin so gibt, das habe ich auch nicht vor. Was mir aber hier aufgefallen ist: Ich habe starke FOMO, also die Angst, Dinge zu verpassen.

Du bist als Frau in einer Männerdomäne unterwegs. Gab es schon mal sexistische oder übergriffige Situationen, an die du dich erinnern kannst?
Ich habe Glück gehabt, mir ist noch nichts Schlimmes passiert. Obwohl das eigentlich nichts ist, was mit Glück zu tun haben sollte. Es darf einfach nicht passieren. Es gab schon Situationen, in denen sich Männer aus meinem DJ-Umfeld diskriminiert gefühlt haben, weil anscheinend nur noch Frauen gebucht werden sollten, um die Quote aufrechtzuhalten. Andersherum, wenn weniger Frauen gebucht wurden, wurde immer gesagt: Frauen interessieren sich eben weniger für Technik. Auch Sprüche wie „Oh, für eine Frau kannst du aber gut auflegen“ muss ich mir anhören.

Und wie siehst du generell das Thema Gleichberechtigung beim Booking?
Es sieht auf jeden Fall nicht perfekt aus. Es geht auch nicht nur um Frauen und Männer, sondern generell um FLINTA-Personen. Wenn man auf das Line-up großer Festivals schaut, waren da gerade in den vergangenen Jahren die großen männlichen DJs zu finden. Es waren fast keine FLINTA-Personen dabei. Das habe ich in einer Studie des female pressure Netzwerk gelesen. Ich habe aber das Gefühl, dass in den letzten drei oder vier Jahren allmählich etwas passiert ist. Besonders kleine Kollektive bemühen sich darum, mehr FLINTA-Personen zu buchen. Trotzdem ist da noch Luft nach oben.  

Bedeutet DJ sein für dich immer nur Ekstase, Rausch und gute Laune?
Es ist immer eine Mischung zwischen: Ich habe richtig Lust und es ist sehr anstrengend. Am Montag lässt meine Gehirnleistung auf jeden Fall zu wünschen übrig. Wenn ich um 20 Uhr auf einer Party sein muss, aber erst um sieben Uhr mein Set spiele und so lange durchhalten muss, ist das wirklich sehr anstrengend. Dann freue ich mich nur noch auf mein Bett. Mit Ekstase und Rausch hat das dann wenig zu tun.

Was geht dir durch den Kopf, wenn du kurz davor bist, aufzulegen und gleich mehrere Hundert Menschen zu deiner Musik feiern?
Bei mir ist immer eine gewisse Grundaufgeregtheit da. Das ist wie das Gefühl vor einer Klausur.

Ich habe ein Kribbeln im Bauch, ich bin am Zittern. Aber sobald dann der erste Übergang beim Auflegen gelungen ist, fällt mir ein Stein vom Herzen.

Und vorher gehe ich ganz panisch immer zehn Mal auf die Toilette, obwohl ich nicht mehr muss.

Charly steht hinter dem DJ Pult und legt auf.
© Daniel Heitmüller

Fühlt sich DJ-sein an wie Feiern für dich?
Das gleiche wie Feiern ist es absolut nicht. Ich habe eine Aufgabe, einen Job. Ich bekomme Geld und muss schon irgendwie abliefern. Eigentlich ist es für mich schon mehr Hobby als Job, aber die Grenzen verschwimmen mittlerweile. Es steckt sehr viel Arbeit dahinter, viel Anstrengung und Vorbereitung. Man sollte es nicht nur als feiern abstempeln.

Wie hältst du die Stille nach einem deiner wilden Sets im Club aus?
Das ist schon manchmal gewöhnungsbedürftig, bei dem letzten Track zu wissen, dass gleich die Musik aus ist. Das ist manchmal wie eine kleine „Realitätsklatsche“. Und meistens höre ich auf dem Rückweg sowieso noch die Musik in meinen Ohren. Also eigentlich ist es nie still.

Ist Techno durch TikTok gerade im Trend?
TikTok verändert schon einiges. Ich finde es ein bisschen schade, wenn ich dann Videos aus einem Club sehe, wo Menschen gefilmt werden. Wer gab das Einverständnis dafür? Der Safe Space geht so verloren. Videos, in denen Tanztutorials gezeigt werden oder Anleitungen zum Thema ,,Wie kommt man ins Berghain rein“ finde ich einfach lächerlich. Aber alle dürfen machen, was sie wollen. Ich selbst möchte mich auf Social Media präsentieren, wie ich auflege, aber ich will nicht in diese Video-Trendfalle hineingeraten.

Was rätst du jungen Menschen, die sich selbst im Auflegen ausprobieren wollen?
Wendet euch an kleine Kollektive, besucht Workshops, da gibt es wirklich eine ganze Menge. Wenn man Interesse hat, aufzulegen, sollte man auch einfach mal Personen anfragen, die das schon machen. Wenn Leute zu mir kommen und mich nach Tipps fragen, freue ich mich zum Beispiel immer sehr.

Denkst du manchmal, du verlierst dich in dem, was du tust?
Absolut, aber das muss ja auch nichts Schlimmes sein. Ich denke eigentlich jeden Tag an Musik und ich höre sie jeden Tag. Ich fühle mich komplett rein und es passiert auch manchmal, dass ich dann in der S-Bahn abgehe oder auf der Straße anfange zu tanzen. Teilweise war ich am Anfang auch einfach für mich allein. Ich habe alleine in einem Raum gesessen und habe Musik gemacht und alles um mich herum vergessen. Es ist so immersiv, vor allem auch am Anfang, sodass man darin versinkt. Das ist richtig toll.


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Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.