Von der Abiturientin zum finanziell unabhängigen Model, das durch die Welt reist: Marlene Kohrs modelt seit sieben Jahren und ist damit international erfolgreich. Im Interview erzählt die 24-jährige Berlinerin von ihrem Karriereeinstieg, den Freiheiten, der Verantwortung und auch dem Stress, den der Modelberuf mit sich bringt – und warum sie davon Abstand brauchte.
Amelie Bahlert, funky-Jugendreporterin
Marlene, wie bist du Model geworden?
Als ich 17 war, also vor sieben Jahren, hatte ich ein Fotoshooting mit einem Bekannten von mir, der Fotograf ist. Er hat nach Absprache meine Fotos an einen Freund weitergeleitet, der wiederum eine Modelagentur geleitet hat. So kam ein erstes Treffen zustande und irgendwie bin ich dann in die Branche reingerutscht.
Wie lief das erste Treffen mit der Modelagentur ab? Gab es Vorgaben, die du erfüllen musstest?
Damals wurden meine Maße genommen. Das ist das übliche Prozedere: Die Körpergröße wird gemessen, der Brustumfang, der Taillenumfang und der Hüftumfang. Man braucht diese Maße, um sie an die Kunden weiterzugeben. Damals hat das bei mir noch keine Rolle gespielt. Ich wusste nicht, ob diese Maße irgendwas Gutes oder Schlechtes bedeuten – das kam dann erst später.
War das Modeln schon immer dein Traumberuf?
Ich wusste nicht wirklich, wie das Modeln funktioniert. Da Freunde in der Schule mir schon mal sagten „Hey, geh doch zu Germanys Next Topmodel“, war der Gedanke schon präsent. Ich glaube jedoch, ich wäre niemals auf die Idee gekommen, mich selbst bei der Casting-Show anzumelden – das Selbstbewusstsein hatte ich in dem Alter noch nicht. Es war eine Idee, die ich cool fand, aber ich wäre nicht im Traum darauf gekommen, dass diese zur Wirklichkeit wird. 2017 habe ich dann mein Abitur gemacht und danach richtig angefangen, als Model zu arbeiten.
Freunde in der Schule sagten: Geh doch zu Germanys Next Topmodel!
Marlene Kohrs
Wie startet man als Model seine Karriere?
Bei den ersten Fotoshootings, sogenannten Testshootings, macht man Fotos, die nicht unbedingt in einem Magazin veröffentlicht werden. Das ist am Anfang eine Win-Win-Situation: Ich bekomme Fotos für meine Bewerbungsmappe und die Fotografen suchen häufig unbezahlte Models, um Fotos für ihr eigenes Portfolio machen zu können. Ich hatte dann zwei oder drei Testshootings und dann kam auch schon mein erster kleiner Job.
Was war das für ein Job?
Daran kann ich mich noch gut erinnern: Es war mitten im Sommer, ich war 17 und es war noch während der Schulzeit. Ich bin allein von Düsseldorf nach Berlin gefahren und, wie das so ist, wurde im Sommer für die Winterkollektion geschossen. An dem Tag war es total heiß und ich hatte sehr dicke Winterkleidung an. Ich bin irgendwann umgekippt, weil ich den ganzen Tag stand und im Fotostudio gefühlte 30 Grad waren, dazu kam dann noch die Aufregung. Trotz allem hat es Spaß gemacht und ich hatte ein supernettes Team um mich herum.
Wie kommt man als Model an Jobs?
Die Fotos werden zunächst auf der Website hochgeladen, die Kunden suchen meistens nach einem bestimmten Typen für einen Job. Wenn man hineinpasst, werden die Fotos vom Booker verschickt. Um bei Modeshows in Mailand, Paris oder New York mitzuwirken, geht man auch selbst zu Castings. Oft bleibt man dann „On-Stay“ in einem Land. Bei mir waren es am Anfang drei Monate in Mailand, ich bin direkt nach dem Abi dort hingefahren. Ich habe mit drei anderen Mädchen zusammen in einem Modelapartment gewohnt. Ich hatte weitere unbezahlte Testshootings und habe dadurch dann Jobs bekommen. Zeitgleich liefen die Castings für die Fashion Week an.
Konntest du auf der Fashion Week in Mailand deinen ersten Laufstegjob ergattern?
Ja, ich bin vier kleine Shows gelaufen, unter anderem für Simonetta Ravizza und Erika Cavallini, danach aber nie wieder. Ich war zwar noch bei Castings, auch in verschiedenen Ländern, da ist aber nichts draus geworden.
Das ist am Anfang eine Win-Win-Situation: Ich bekomme Fotos für meine Bewerbungsmappe und die Fotografen suchen häufig unbezahlte Models.
Marlene Kohrs
Haben dir die Laufstegjobs oder Fotoshootings mehr Spaß gemacht?
Es war damals total aufregend, die Shows zu laufen. Gleichzeitig war es stressig, weil ich sowieso eine Person bin, die leicht nervös wird und nicht super selbstbewusst ist – besonders in diesem Alter noch nicht. Ich weiß nicht, ob ich diese Aufregung jedes Mal hätte mitmachen können. Fotoshootings sind mir da wesentlich leichter gefallen. Ich war selbstsicherer und deutlich gelassener. Andererseits ist es so, dass ich bei Fotoshootings die meiste Zeit allein war. Also klar mit einem Team, aber als Model und Person meiner Altersgruppe war ich meist allein.
Würdest du sagen, dass das Modeln ein einsamer Beruf ist?
Das Leben in den Model-WGs war toll, wir haben uns super verstanden und gemeinsam viel unternommen. Das habe ich allerdings nicht lange erlebt, es waren nur zwei bis drei Monate in Mailand. Danach habe ich relativ viel allein gearbeitet. Ich war irgendwann auch neun Monate allein in New York und habe mich dort sehr einsam gefühlt. Ich kann aber auch nur aus meiner Erfahrung sprechen und viele junge Frauen, die am Anfang eher Shows laufen, sind seltener alleine unterwegs.
Was war dein schlimmster Job, und welcher dein liebster?
Ich hatte ein Unterwäsche-Shooting, bei dem ich in keinen BH und in kein Höschen reingepasst habe. Da gab es eine Fehlkommunikation, das war sehr unangenehm für mich, den Kunden und die Stylist*innen. Mein coolster Job war in Mexiko. Ich habe mit einem riesigen Team eine Kampagne geshootet – es waren alles tolle Leute! Wir sind mit einem kleinen Flugzeug dorthin geflogen und hatten von unserem Hotel aus einen tollen Blick auf einen Vulkan. Es hat sich angefühlt, als wären wir bei einem Urlaub einfach von einer Kamera begleitet worden.
Wo konntest du durch den Modelberuf hinreisen?
Ich hatte das Glück, dass ich einen sehr guten Start hatte und in Mailand einen Job für das Label Off-White bekommen habe. Wenn Off-White in deinem Buch steht, werden auch andere Kund*innen aufmerksam. Dadurch habe ich sehr schnell sehr viele Jobs bekommen und bin von Anfang an sehr viel gereist. Ich war nicht nur in Mailand und New York, sondern auch häufig in Schweden, weil dort die ganze H&M-Gruppe sitzt. In Spanien war ich häufig wegen Inditex, zu denen Zara oder Massimo Dutti gehören. Es gab aber auch recht verrückte Orte, an die ich gereist bin, dort wurden dann eher die Kampagnen geshootet. Das waren auch immer die coolsten Shootings, weil da meistens noch andere Models mit am Set waren. Ich war in der Karibik, auf Kuba und an weiteren Orten, das hat mir das Modeln ermöglicht.
Wie lange hast du aktiv gemodelt?
Ich mache es immer noch nebenbei. Ich studiere hauptsächlich und kann mir mein Studium durch das Modeln finanzieren. Meine Hochphase hatte ich definitiv zwischen 2017 und Anfang 2020.
Für mich war dann klar: Bis hierhin und keinen Schritt weiter.
Marlene Kohrs
Hast du Anfang 2020 Covid-bedingt aufgehört oder gab es andere Gründe?
Ich war an meinem Höhepunkt angekommen, habe wahnsinnig viel gearbeitet und für jemanden in meinem Alter viel Geld verdient. Als ich in New York war, habe ich langsam gemerkt, dass es mir schlecht geht und ich nicht mehr so viel arbeiten kann. Das habe ich eigentlich schon viel früher bemerkt, ich glaube schon Ende 2018, aber habe bestimmt noch ein Jahr weitergearbeitet, bis es gar nicht mehr ging. Ich konnte nicht mehr, ich habe eine Essstörung – hatte will ich fast sagen, aber ich glaube, eine Essstörung verliert man nie so ganz. Dann noch andere psychische Probleme, die damit einhergingen. Für mich war dann klar: Bis hierhin und keinen Schritt weiter. Deswegen habe ich relativ abrupt aufgehört zu arbeiten und erst vor einem Jahr wieder angefangen.
Wie hat sich das angefühlt, so plötzlich nicht mehr zu arbeiten?
Fürchterlich. Ich hatte das Gefühl, ich bin niemand mehr. Ich hatte wahnsinnig große Existenzängste, weil natürlich kein Einkommen mehr da war. Ich hatte auch nie etwas anderes, ich habe ja Vollzeit gemodelt. Das ist noch etwas, das ich sehr wichtig finde und wo ich in der Branche Veränderung sehe: Man darf inzwischen auch – und es wird teilweise sogar geschätzt – nebenher studieren und andere Interessen haben. Es ist etwas absolut Wichtiges, dass man, bevor man mit dem Modeln anfängt, irgendeine Beschäftigung hat – ob es Stricken, Nähen oder irgendein Sport ist. Das sollte auf jeden Fall an erster Stelle stehen.
Siehst du eine wirkliche Veränderung in der Modeindustrie bezüglich Inklusivität und Diversität oder ist es bloß PR-Management, dass man zwei Plus-Size Models castet, um zu behaupten, man habe seine soziale Verantwortung erfüllt?
Es gibt eine Bewegung in Richtung Diversität, die ich sehr gut finde. Sie findet aber eher im kommerziellen Bereich statt, nicht in der High Fashion Industrie. Dort werden die drei curvy Models, die man in jeder Kampagne sieht, gebucht – und genau da braucht es mehr Veränderung. Außerdem werden eher die beiden Extreme abgebildet, es gibt noch immer nicht genug dazwischen. Ich bin nicht mehr dünn genug, aber auch nicht curvy genug, um einige Jobs zu machen. Es wird immer noch viel zu viel retuschiert, aber es geht auf jeden Fall ein bisschen weg vom Model als Objekt. Als ich angefangen habe, wurde ich nicht gefragt, ob ich ein Hobby habe. Selbst wenn, hätte ich das nicht sagen dürfen, denn das Modeln sollte mein Hobby und mein Leben sein. Mittlerweile werden Charaktere und Persönlichkeiten gesucht und nicht einfach nur dünne Skelette, die Mode präsentieren.
Mein Becken war immer fast zu breit, um Shows laufen zu dürfen.
Marlene Kohrs
Was sollte sich deiner Meinung nach am Berufsbild Model ändern, damit junge Models ihren Beruf gesund ausüben können?
Man kann auch jung anfangen zu modeln, dafür müssen aber die Rahmenbedingungen stimmen. Dann bräuchte man – und das hat mir damals gefehlt – eine*n Modelpat*in, damit man sich mit Gleichaltrigen austauschen kann. Aber das Problem beim Modeln ist, dass es bestimmte Maße gibt, die als gesund angesehen werden. Die waren bei mir damals noch anders als heute. Als ich angefangen habe, mochte man die möglichst schmale Taille und ein ganz schmales Becken. Mein Becken war immer fast zu breit, um Shows laufen zu dürfen. Als ich meinen Aufenthalt in New York hatte, hat meine Agentur mir gesagt, dass ich eigentlich zu dick für die Jobs bin, die ich mache, und dass sie nicht verstehen, warum ich überhaupt gebucht werde. Ich glaube, wenn sich daran etwas ändern könnte, dann wäre die Industrie für junge Menschen sicherer. Es müsste die Möglichkeit bestehen, sich bei jemandem zu melden, um diese Dinge offen zu besprechen. Die Agenturen sollten außerdem öfter fragen: Kannst du eigentlich noch? Als Model musst du immer zu 100 Prozent da sein, weil ein ganzes Team von einem anhängig ist. Man fühlt sich schnell verantwortlich, Geld für die Agentur und für sich selbst zu verdienen – und man weiß ja auch nie, wann der nächste Job kommt.
Was wird am meisten am Modelberuf unterschätzt?
Man hat das Gefühl, dass man immer gut aussehen und funktionieren muss, besonders weil das Modeln ein wahnsinniges finanzielles Risiko mit sich bringt. Wenn man ins Ausland geht, bezahlt man alles selbst: Flüge, Unterkünfte und Verpflegung. Während „On-Stays“, bei denen man mehrere Wochen oder Monate in einer Stadt verbringt, um den Markt dort kennenzulernen, verdient man nicht unbedingt Geld. Grade zu Beginn macht man viele unbezahlte Fotoshootings, weil man ja auch Bildmaterial für die eigene Modelmappe braucht, bevor man bei Castings eine realistische Chance hat. Am Anfang, wenn man noch keine Jobs bekommt, macht man also erst einmal Schulden. Wenn man Pech hat, kriegt man dieses Geld nie wieder zurück, weil man grade nicht der gefragte Typ ist.
Wie lange hat es gedauert, bis du die ersten Gewinne aus dem Modeln erzielen konntest?
Ab 2017, also nach dem Abitur, als ich richtig angefangen habe. Es hat bei mir zwei Monate gedauert. Das heißt, ich hatte Glück, ich habe einfach schnell einen Job bekommen.
Wie hast du es geschafft, wieder einen gesunden Zugang zum Modeln zu finden, sodass es dich nicht mental belastet?
Einerseits mache ich nur noch Jobs mit Kunden, die mich so wollen, wie ich auch bin. Ich kommuniziere mit meiner jetzigen Agentur offen darüber. Dann mache ich eine Psychotherapie, das kommt auch noch dazu und hilft mir sehr. Ich sage auch öfter „Nein“ zu Jobs, wenn ich merke, dass ich keine Zeit habe oder nicht mehr kann. Ich mache mehr Dinge für mich selbst.
Wie viele Jobs hast du aktuell im Monat?
Im Schnitt sind es zwei Jobs im Monat, das sind zwischen zwei und vier Arbeitstage im Monat.
Es ist wichtig, sich irgendwas zu suchen, das einem Spaß macht – einen Ausgleich, aus dem man Selbstbewusstsein und Wertschätzung für sich selber schöpfen kann.
Marlene Kohrs
Wenn du heute auf deine letzten sieben Jahre zurückblickst: Würdest du allgemein vom Modeln abraten oder es empfehlen?
Ich würde es eher empfehlen, wenn sich mehr in der Industrie geändert hat oder wenn ich Patin sein dürfte.
Was würdest du jungen Menschen empfehlen, deren Berufswunsch das Modeln ist? Worauf sollen sie achten?
Eine coole Agentur zu finden, bei der man das Gefühl hat, über alles reden zu können, ist auf jeden Fall essenziell. Man sollte seine Grenzen kennen und mit seinen Eltern und Freund*innen immer offen darüber sprechen. Es ist wichtig, sich irgendwas zu suchen, das einem Spaß macht, wo man weiß, dass man gut darin ist – einen Ausgleich, aus dem man Selbstbewusstsein und Wertschätzung für sich selber schöpfen kann.
Worin hast du deinen Ausgleich gefunden?
Gärtnern und ganz viel rausgehen. Ich habe zum Beispiel in einer Baumschule gearbeitet. Grade bin ich umgezogen und hier ist eine Schrebergartensiedlung. Lustigerweise habe ich letzte Woche jemanden kennengelernt, der dort seinen eigenen Garten hat und für den darf ich in Zukunft arbeiten und im Garten helfen.
Von der Abiturientin zum finanziell unabhängigen Model, das durch die Welt reist: Marlene Kohrs modelt seit sieben Jahren und ist damit international erfolgreich. Im Interview erzählt die 24-jährige Berlinerin von ihrem Karriereeinstieg, den Freiheiten, der Verantwortung und auch dem Stress, den der Modelberuf mit sich bringt – und warum sie davon Abstand brauchte.
Marlene, wie bist du Model geworden?
Als ich 17 war, also vor sieben Jahren, hatte ich ein Fotoshooting mit einem Bekannten von mir, der Fotograf ist. Er hat nach Absprache meine Fotos an einen Freund weitergeleitet, der wiederum eine Modelagentur geleitet hat. So kam ein erstes Treffen zustande und irgendwie bin ich dann in die Branche reingerutscht.
Wie lief das erste Treffen mit der Modelagentur ab? Gab es Vorgaben, die du erfüllen musstest?
Damals wurden meine Maße genommen. Das ist das übliche Prozedere: Die Körpergröße wird gemessen, der Brustumfang, der Taillenumfang und der Hüftumfang. Man braucht diese Maße, um sie an die Kunden weiterzugeben. Damals hat das bei mir noch keine Rolle gespielt. Ich wusste nicht, ob diese Maße irgendwas Gutes oder Schlechtes bedeuten – das kam dann erst später.
War das Modeln schon immer dein Traumberuf?
Ich wusste nicht wirklich, wie das Modeln funktioniert. Da Freunde in der Schule mir schon mal sagten „Hey, geh doch zu Germanys Next Topmodel“, war der Gedanke schon präsent. Ich glaube jedoch, ich wäre niemals auf die Idee gekommen, mich selbst bei der Casting-Show anzumelden – das Selbstbewusstsein hatte ich in dem Alter noch nicht. Es war eine Idee, die ich cool fand, aber ich wäre nicht im Traum darauf gekommen, dass diese zur Wirklichkeit wird. 2017 habe ich dann mein Abitur gemacht und danach richtig angefangen, als Model zu arbeiten.
Wie startet man als Model seine Karriere?
Bei den ersten Fotoshootings, sogenannten Testshootings, macht man Fotos, die nicht unbedingt in einem Magazin veröffentlicht werden. Das ist am Anfang eine Win-Win-Situation: Ich bekomme Fotos für meine Bewerbungsmappe und die Fotografen suchen häufig unbezahlte Models, um Fotos für ihr eigenes Portfolio machen zu können. Ich hatte dann zwei oder drei Testshootings und dann kam auch schon mein erster kleiner Job.
Was war das für ein Job?
Daran kann ich mich noch gut erinnern: Es war mitten im Sommer, ich war 17 und es war noch während der Schulzeit. Ich bin allein von Düsseldorf nach Berlin gefahren und, wie das so ist, wurde im Sommer für die Winterkollektion geschossen. An dem Tag war es total heiß und ich hatte sehr dicke Winterkleidung an. Ich bin irgendwann umgekippt, weil ich den ganzen Tag stand und im Fotostudio gefühlte 30 Grad waren, dazu kam dann noch die Aufregung. Trotz allem hat es Spaß gemacht und ich hatte ein supernettes Team um mich herum.
Wie kommt man als Model an Jobs?
Die Fotos werden zunächst auf der Website hochgeladen, die Kunden suchen meistens nach einem bestimmten Typen für einen Job. Wenn man hineinpasst, werden die Fotos vom Booker verschickt. Um bei Modeshows in Mailand, Paris oder New York mitzuwirken, geht man auch selbst zu Castings. Oft bleibt man dann „On-Stay“ in einem Land. Bei mir waren es am Anfang drei Monate in Mailand, ich bin direkt nach dem Abi dort hingefahren. Ich habe mit drei anderen Mädchen zusammen in einem Modelapartment gewohnt. Ich hatte weitere unbezahlte Testshootings und habe dadurch dann Jobs bekommen. Zeitgleich liefen die Castings für die Fashion Week an.
Konntest du auf der Fashion Week in Mailand deinen ersten Laufstegjob ergattern?
Ja, ich bin vier kleine Shows gelaufen, unter anderem für Simonetta Ravizza und Erika Cavallini, danach aber nie wieder. Ich war zwar noch bei Castings, auch in verschiedenen Ländern, da ist aber nichts draus geworden.
Haben dir die Laufstegjobs oder Fotoshootings mehr Spaß gemacht?
Es war damals total aufregend, die Shows zu laufen. Gleichzeitig war es stressig, weil ich sowieso eine Person bin, die leicht nervös wird und nicht super selbstbewusst ist – besonders in diesem Alter noch nicht. Ich weiß nicht, ob ich diese Aufregung jedes Mal hätte mitmachen können. Fotoshootings sind mir da wesentlich leichter gefallen. Ich war selbstsicherer und deutlich gelassener. Andererseits ist es so, dass ich bei Fotoshootings die meiste Zeit allein war. Also klar mit einem Team, aber als Model und Person meiner Altersgruppe war ich meist allein.
Würdest du sagen, dass das Modeln ein einsamer Beruf ist?
Das Leben in den Model-WGs war toll, wir haben uns super verstanden und gemeinsam viel unternommen. Das habe ich allerdings nicht lange erlebt, es waren nur zwei bis drei Monate in Mailand. Danach habe ich relativ viel allein gearbeitet. Ich war irgendwann auch neun Monate allein in New York und habe mich dort sehr einsam gefühlt. Ich kann aber auch nur aus meiner Erfahrung sprechen und viele junge Frauen, die am Anfang eher Shows laufen, sind seltener alleine unterwegs.
Was war dein schlimmster Job, und welcher dein liebster?
Ich hatte ein Unterwäsche-Shooting, bei dem ich in keinen BH und in kein Höschen reingepasst habe. Da gab es eine Fehlkommunikation, das war sehr unangenehm für mich, den Kunden und die Stylist*innen. Mein coolster Job war in Mexiko. Ich habe mit einem riesigen Team eine Kampagne geshootet – es waren alles tolle Leute! Wir sind mit einem kleinen Flugzeug dorthin geflogen und hatten von unserem Hotel aus einen tollen Blick auf einen Vulkan. Es hat sich angefühlt, als wären wir bei einem Urlaub einfach von einer Kamera begleitet worden.
Wo konntest du durch den Modelberuf hinreisen?
Ich hatte das Glück, dass ich einen sehr guten Start hatte und in Mailand einen Job für das Label Off-White bekommen habe. Wenn Off-White in deinem Buch steht, werden auch andere Kund*innen aufmerksam. Dadurch habe ich sehr schnell sehr viele Jobs bekommen und bin von Anfang an sehr viel gereist. Ich war nicht nur in Mailand und New York, sondern auch häufig in Schweden, weil dort die ganze H&M-Gruppe sitzt. In Spanien war ich häufig wegen Inditex, zu denen Zara oder Massimo Dutti gehören. Es gab aber auch recht verrückte Orte, an die ich gereist bin, dort wurden dann eher die Kampagnen geshootet. Das waren auch immer die coolsten Shootings, weil da meistens noch andere Models mit am Set waren. Ich war in der Karibik, auf Kuba und an weiteren Orten, das hat mir das Modeln ermöglicht.
Wie lange hast du aktiv gemodelt?
Ich mache es immer noch nebenbei. Ich studiere hauptsächlich und kann mir mein Studium durch das Modeln finanzieren. Meine Hochphase hatte ich definitiv zwischen 2017 und Anfang 2020.
Hast du Anfang 2020 Covid-bedingt aufgehört oder gab es andere Gründe?
Ich war an meinem Höhepunkt angekommen, habe wahnsinnig viel gearbeitet und für jemanden in meinem Alter viel Geld verdient. Als ich in New York war, habe ich langsam gemerkt, dass es mir schlecht geht und ich nicht mehr so viel arbeiten kann. Das habe ich eigentlich schon viel früher bemerkt, ich glaube schon Ende 2018, aber habe bestimmt noch ein Jahr weitergearbeitet, bis es gar nicht mehr ging. Ich konnte nicht mehr, ich habe eine Essstörung – hatte will ich fast sagen, aber ich glaube, eine Essstörung verliert man nie so ganz. Dann noch andere psychische Probleme, die damit einhergingen. Für mich war dann klar: Bis hierhin und keinen Schritt weiter. Deswegen habe ich relativ abrupt aufgehört zu arbeiten und erst vor einem Jahr wieder angefangen.
Wie hat sich das angefühlt, so plötzlich nicht mehr zu arbeiten?
Fürchterlich. Ich hatte das Gefühl, ich bin niemand mehr. Ich hatte wahnsinnig große Existenzängste, weil natürlich kein Einkommen mehr da war. Ich hatte auch nie etwas anderes, ich habe ja Vollzeit gemodelt. Das ist noch etwas, das ich sehr wichtig finde und wo ich in der Branche Veränderung sehe: Man darf inzwischen auch – und es wird teilweise sogar geschätzt – nebenher studieren und andere Interessen haben. Es ist etwas absolut Wichtiges, dass man, bevor man mit dem Modeln anfängt, irgendeine Beschäftigung hat – ob es Stricken, Nähen oder irgendein Sport ist. Das sollte auf jeden Fall an erster Stelle stehen.
Siehst du eine wirkliche Veränderung in der Modeindustrie bezüglich Inklusivität und Diversität oder ist es bloß PR-Management, dass man zwei Plus-Size Models castet, um zu behaupten, man habe seine soziale Verantwortung erfüllt?
Es gibt eine Bewegung in Richtung Diversität, die ich sehr gut finde. Sie findet aber eher im kommerziellen Bereich statt, nicht in der High Fashion Industrie. Dort werden die drei curvy Models, die man in jeder Kampagne sieht, gebucht – und genau da braucht es mehr Veränderung. Außerdem werden eher die beiden Extreme abgebildet, es gibt noch immer nicht genug dazwischen. Ich bin nicht mehr dünn genug, aber auch nicht curvy genug, um einige Jobs zu machen. Es wird immer noch viel zu viel retuschiert, aber es geht auf jeden Fall ein bisschen weg vom Model als Objekt. Als ich angefangen habe, wurde ich nicht gefragt, ob ich ein Hobby habe. Selbst wenn, hätte ich das nicht sagen dürfen, denn das Modeln sollte mein Hobby und mein Leben sein. Mittlerweile werden Charaktere und Persönlichkeiten gesucht und nicht einfach nur dünne Skelette, die Mode präsentieren.
Was sollte sich deiner Meinung nach am Berufsbild Model ändern, damit junge Models ihren Beruf gesund ausüben können?
Man kann auch jung anfangen zu modeln, dafür müssen aber die Rahmenbedingungen stimmen. Dann bräuchte man – und das hat mir damals gefehlt – eine*n Modelpat*in, damit man sich mit Gleichaltrigen austauschen kann. Aber das Problem beim Modeln ist, dass es bestimmte Maße gibt, die als gesund angesehen werden. Die waren bei mir damals noch anders als heute. Als ich angefangen habe, mochte man die möglichst schmale Taille und ein ganz schmales Becken. Mein Becken war immer fast zu breit, um Shows laufen zu dürfen. Als ich meinen Aufenthalt in New York hatte, hat meine Agentur mir gesagt, dass ich eigentlich zu dick für die Jobs bin, die ich mache, und dass sie nicht verstehen, warum ich überhaupt gebucht werde. Ich glaube, wenn sich daran etwas ändern könnte, dann wäre die Industrie für junge Menschen sicherer. Es müsste die Möglichkeit bestehen, sich bei jemandem zu melden, um diese Dinge offen zu besprechen. Die Agenturen sollten außerdem öfter fragen: Kannst du eigentlich noch? Als Model musst du immer zu 100 Prozent da sein, weil ein ganzes Team von einem anhängig ist. Man fühlt sich schnell verantwortlich, Geld für die Agentur und für sich selbst zu verdienen – und man weiß ja auch nie, wann der nächste Job kommt.
Was wird am meisten am Modelberuf unterschätzt?
Man hat das Gefühl, dass man immer gut aussehen und funktionieren muss, besonders weil das Modeln ein wahnsinniges finanzielles Risiko mit sich bringt. Wenn man ins Ausland geht, bezahlt man alles selbst: Flüge, Unterkünfte und Verpflegung. Während „On-Stays“, bei denen man mehrere Wochen oder Monate in einer Stadt verbringt, um den Markt dort kennenzulernen, verdient man nicht unbedingt Geld. Grade zu Beginn macht man viele unbezahlte Fotoshootings, weil man ja auch Bildmaterial für die eigene Modelmappe braucht, bevor man bei Castings eine realistische Chance hat. Am Anfang, wenn man noch keine Jobs bekommt, macht man also erst einmal Schulden. Wenn man Pech hat, kriegt man dieses Geld nie wieder zurück, weil man grade nicht der gefragte Typ ist.
Wie lange hat es gedauert, bis du die ersten Gewinne aus dem Modeln erzielen konntest?
Ab 2017, also nach dem Abitur, als ich richtig angefangen habe. Es hat bei mir zwei Monate gedauert. Das heißt, ich hatte Glück, ich habe einfach schnell einen Job bekommen.
Wie hast du es geschafft, wieder einen gesunden Zugang zum Modeln zu finden, sodass es dich nicht mental belastet?
Einerseits mache ich nur noch Jobs mit Kunden, die mich so wollen, wie ich auch bin. Ich kommuniziere mit meiner jetzigen Agentur offen darüber. Dann mache ich eine Psychotherapie, das kommt auch noch dazu und hilft mir sehr. Ich sage auch öfter „Nein“ zu Jobs, wenn ich merke, dass ich keine Zeit habe oder nicht mehr kann. Ich mache mehr Dinge für mich selbst.
Wie viele Jobs hast du aktuell im Monat?
Im Schnitt sind es zwei Jobs im Monat, das sind zwischen zwei und vier Arbeitstage im Monat.
Wenn du heute auf deine letzten sieben Jahre zurückblickst: Würdest du allgemein vom Modeln abraten oder es empfehlen?
Ich würde es eher empfehlen, wenn sich mehr in der Industrie geändert hat oder wenn ich Patin sein dürfte.
Was würdest du jungen Menschen empfehlen, deren Berufswunsch das Modeln ist? Worauf sollen sie achten?
Eine coole Agentur zu finden, bei der man das Gefühl hat, über alles reden zu können, ist auf jeden Fall essenziell. Man sollte seine Grenzen kennen und mit seinen Eltern und Freund*innen immer offen darüber sprechen. Es ist wichtig, sich irgendwas zu suchen, das einem Spaß macht, wo man weiß, dass man gut darin ist – einen Ausgleich, aus dem man Selbstbewusstsein und Wertschätzung für sich selber schöpfen kann.
Worin hast du deinen Ausgleich gefunden?
Gärtnern und ganz viel rausgehen. Ich habe zum Beispiel in einer Baumschule gearbeitet. Grade bin ich umgezogen und hier ist eine Schrebergartensiedlung. Lustigerweise habe ich letzte Woche jemanden kennengelernt, der dort seinen eigenen Garten hat und für den darf ich in Zukunft arbeiten und im Garten helfen.