Meinung

Kann man mit 16 schon wissen was man will?

ratloses Mädchen steht unter Druck
Leistungsdruck und Überflieger-Teenager: Dabei weiß ich doch noch gar nicht wer ich bin!

Erwartungen, Hoffnungen, Sehnsüchte und Zweifel sind meine ständigen Begleiter. Es gibt keine stille Sekunde. Kein Moment steht für sich alleine, verweilt einfach mit mir, denn die Hormonkanone feuert ständig kompromisslos ihre Geschütze ab,  ohne Rücksicht auf Verluste. Und vor allem ohne Rücksicht auf mich. Vierundzwanzig Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche vernebeln mir Hormone das Gehirn und geben mir Gefühl, mich selbst gar nicht richtig zu kennen.

Jule Oeser, funky-Jugendreporterin

Ich sitze auf meinem Sessel und starre auf mein Handy, mein sechzehnter Geburtstag liegt drei Wochen zurück. Auf Social Media sehe ich ab und zu Bilder und Berichte von Überflieger-Teenagern, die mit 16 schon ihr Abitur in der Tasche haben, fünf Mal die ganze Welt gesehen und eine Menge Geld verdient haben, alles als wäre nichts dabei. Währenddessen sitze ich auf meinem Sessel, den ich mir vor zwei Jahren innbrünstig gewünscht, jetzt aber nur noch gelegentlich nutze und denke mir: Dieses Überflieger-Leben, so beneidenswert und erfolgreich es auch erscheinen mag, ist es wirklich das, was ich will?

Ein Leben voller Erfolg, voller Anerkennung. Diese Überflieger-Teenies vermitteln mir ja nicht nur den Eindruck, ihren Weg gefunden zu haben und alles in ihrem Leben zu erreichen zu können, wovon sie träumen. Sie geben mir auch das Gefühl, neidisch sein zu müssen. Als wäre es das einzig Wahre, so früh wie möglich akademische Hochleistungen zu erbringen.

Doch auch ein anderes Gefühl beschleicht mich: Mitleid. Ich bemitleide sie ein wenig. Mit meinen zarten sechzehn Jahren habe ich ganz andere Dinge im Kopf, als „Höher, schneller, besser“. Sexualität. Feiern gehen. Die sogenannte Jugend leben, wie sie im Buche steht. Das beansprucht nämlich einen großen Teil meiner Aufmerksamkeit. Sich dann auch noch mit tausend verschiedenen Zukunftsplänen auseinandersetzen müssen – sorry, ohne mich.

Ich starte jeden Tag mit einer Prise Unvernunft und Risikobereitschaft, Leichtsinn und Übermut. Und damit lebt es sich gut.

Jule Oeser

Irgendwo ist es bestimmt auch eine Art des Protests gegen eine kapitalistische Leistungsgesellschaft, einfach mal nein zu sagen. Und es fühlt sich gut an. Den ganzen Überflieger-Teenies mal den sprichwörtlichen Mittelfinger zeigen und den damit einhergehenden Erwartungen, jede*r müsse es ihnen gleichtun.

Tatsächlich fühle ich mich aber unterpräsentiert. Warum gibt es keine Kampagne zum Thema Faulenzen und Leben genießen als Protest gegen den Leistungsdruck? Dazu mal Kreativarbeiten im Kunstunterricht. Alternative Lebensläufe kennenlernen, fernab vom Rhythmus „Schule-Studium-Beruf-Tod“. Denn natürlich fühle ich mich ratlos und ohne Perspektive, aber ich lehne die Verantwortung konsequent ab, mich damit beschäftigen zu müssen. Zumindest momentan.

Dennoch appelliere ich an Bildungsinstitutionen: Holt die Jugendlichen da ab, wo sie sind! Mitten in der gelebten Jugend, im Hormonhagel, im Durcheinander. Da sind wir nämlich wirklich, zumindest die meisten. Und da gehören wir auch hin. Komisch, dass die Generation, die uns sagt, wir leben gerade unsere besten Jahre, dieselbe ist, die genau das kritisiert. Ich will alternative Lebensläufe kennenlernen, träumen, nicht gelangweilt werden und vor allem: gesehen werden in meiner Ratlosigkeit.

Natürlich kenne ich mich noch gar nicht. Ich weiß nicht, wer ich bin, aber genau dafür ist die Jugend doch da! Ausprobieren, Experimentieren, Grenzen austesten und mich dabei selbst kennenlernen.  Der einzige Stress, den ich zeitnah zulassen möchte, ist der, nicht zu wissen, wie ich mich der Welt präsentieren will. Heißt: was ich anziehe, welche Haarfarbe ich trage. Und ich finde das reicht erstmal.

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Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.