Interview

Aufwachsen in einer Patchwork-Familie: „Es war gut, dass sie sich so früh getrennt haben“

Zwei Jungs sitzen auf einem Sofa
"Julius war mein Anhaltspunkt" sagt Johann über seinen Bruder (c) cottonbro/Pexels

Rund 150.000 Ehepaare lassen sich durchschnittlich jedes Jahr in Deutschland scheiden. Für die beiden Partner*innen bedeutet die Trennung häufig viel Leid, Trauer und eine ganze Menge Stress. Doch wie ist es eigentlich für die zahlreichen Kinder und Jugendlichen aus diesen zerbrochenen Ehen? Wie ist es für diejenigen, die plötzlich zwei Familien haben, sich mit Halbbrüdern und Stiefschwestern arrangieren müssen und nicht mehr wissen, wer ihre „richtige“ Familie ist?

Maleen Harten, funky-Jugendreporterin

All diese Fragen musste sich auch Johann* stellen. Die Eltern des heute 21-Jährigen trennten sich, als er erst ein Jahr alt und sein jüngerer Bruder Julius* noch gar nicht geboren war. Mutter und Vater fanden jeweils neue Partner, mit denen sie weitere Kinder bekamen. Aufgewachsen sind Johann und Julius hauptsächlich bei ihrem Vater, später auch dessen neuer Frau Feline* und den gemeinsamen drei Töchtern. Vor einigen Wochen sind Johann und Julius zusammen in ihre erste eigene Wohnung gezogen. Zeit zurückzublicken!  

Johann, als du zehn Jahre alt warst, hat euer Vater seine neue Freundin Feline kennengelernt. Mit ihr hat er später drei weitere Kinder bekommen. Kannst du dich daran erinnern, wie es für dich war, als du deiner Stiefmutter das erste Mal gesehen hast?
Meine erste Erinnerung an Feline ist, dass wir alle zusammen im Treptower Park waren. Man hat schon gemerkt, dass es ernst zwischen den beiden ist. Und ich fand Feline auch cool. Wir haben immer viele Sachen zusammen gemacht, Ausflüge oder auch gemeinsame Urlaube. Ich kann mich noch an andere Freundinnen meines Vaters erinnern, die wir nicht so mochten. Aber Feline hat sich sehr für uns interessiert. Das hat vieles leichter gemacht.

„Die Stimmung zu Hause hat sich durch die Kinder sehr verändert.“

Johann, 21 Jahre

Wie war und ist deine Beziehung zu Feline?
Es war mir immer klar, das eine ist meine Mutter, das andere ist die Freundin meines Vaters und keine Ersatzmutter oder so. Das liegt vielleicht auch an Feline. Sie hat zum Beispiel nie versucht, sich in unsere Erziehung einzumischen, diese Ebene war immer klar. Und trotzdem war es nie distanziert und ich wusste: Ich kann mich mit meinen Problemen auch an sie wenden.

Du, Julius und dein Vater seid dann ein Jahr später mit Feline zusammengezogen. Wie war das für dich, als dieses Dreierbündnis mit eurem Vater zu Ende war?
Erstmal war es ziemlich okay, vor allem deshalb, weil mein Vater weiterhin viel Zeit für uns hatte. Trotz des Zusammenwohnens mit Feline blieb die Verbindung zu meinem Vater so wie sie vorher auch war. Ein Gefühl von Wehmut kam auf jeden Fall noch, aber erst später – durch ihre Kinder. Besonders durch das zweite Kind, weil sich dann immer mehr veränderte.

Kannst du erzählen, was sich genau durch deine Halbschwestern verändert hat, die jetzt sieben, fünf und zwei Jahre alt sind?
Also am Anfang war es natürlich total spannend und aufregend. Ich hatte ja schon einen Halbbruder von meiner Mutter und ihrem Mann. Aber damals waren wir so klein und haben das kaum mitbekommen. Und dieses Mal war ich ganz dicht dran und habe das auch genossen, so einen kleinen Menschen aufwachsen zu sehen. Aber irgendwann, so mit dem zweiten Kind, damals war ich 15 Jahre alt, war einfach immer weniger Zeit für uns da. Kleine Kinder sind so zeitintensiv und alles dreht sich um sie. Ich habe dann schon vieles aus der Zeit vor den Kindern vermisst. Denn auch als Feline dazukam hatten wir ja immer noch die ganze Aufmerksamkeit. Diese Zeit kam mir im Nachhinein so viel leichter vor.

„Diese ‚Erwachsenen-Gespräche‘ haben mir teilweise sehr gefehlt.“

Johann, 21 Jahre

Als dann noch ein drittes Kind kam, war ich – das muss ich ehrlich sagen – schon ein bisschen raus innerlich. Ich war damals 18 und kurz vor dem Abi und wusste ja schon, dass ich irgendwann ausziehen werde. Damals habe ich einfach nur noch gedacht: Okay, krass, das müssen die jetzt auch noch alles schaffen. Und es wurde dann ja auch wirklich alles nochmal stressiger für meinen Vater und Feline, mit der Arbeit und drei Kindern. Und das überträgt sich dann eben auch auf die ganze Familie. Die Stimmung zu Hause hat sich durch die Kinder sehr verändert.

Kannst du sagen, was dir damals besonders gefehlt hat?
Diese „Erwachsenen-Gespräche“ zwischen meinem Vater und uns – ohne Kinder – haben mir sehr gefehlt. Es gab schon noch solche Momente, aber das musste alles ewig geplant werden und war nicht mehr so spontan. Es hat ein bisschen gebraucht, aber irgendwann habe ich realisiert, dass es jetzt einfach eine ganz andere Lebenssituation ist und dass es nie mehr so sein wird wie früher. Da habe ich mich dann eher zurückgezogen und mein eigenes Ding gemacht. Aber das war vielleicht auch okay und gut so.

Welche Familie ist für dich die „Hauptfamilie“?
Das ist schwer zu beantworten. Denn wenn ich meinen Vater, Feline und ihre Kinder als meine „richtige Familie“ bezeichne, was ist dann mit meiner Mutter? Ich denke, keine ist meine „Hauptfamilie“, es ist einfach irgendwas dazwischen. Dreh- und Angelpunkt war für mich immer mein Bruder Julius. Wir sind ja nur anderthalb Jahre auseinander, das ist natürlich günstig. Es war immer gut, ihn zu haben, und ich denke, ohne ihn wäre alles viel schlimmer gewesen. So war man nie alleine in der Situation und man hatte immer einen Verbündeten. Vielleicht ist Julius für mich am ehesten „Familie“.

„Klassische Familie ist für mich total unnormal“

Johann, 21 Jahre

Inwieweit hat deine Erfahrung in der Patchwork-Familie dein Familienbild geprägt? Wie stellst du dir deine eigene Familie in der Zukunft vor?
Diese klassische Familie, also Vater, Mutter, Kind, mit Eltern, die für immer zusammen sind, das ist für mich einfach total unnormal. Klar ist es am coolsten mit einer Partnerin für immer zusammen zu bleiben und für die Kinder würde ich mir das auch wünschen. Aber meine Priorität ist dabei immer, dass man glücklich miteinander ist und sich als Eltern beziehunhsweise als Paar versteht. Und wenn es aus irgendeinem Grund nicht mehr funktioniert, dann finde ich es besser, wenn man sich trennt und nicht aus Krampf zusammenbleibt. Das ist sicherlich etwas, was ich von meinen Eltern gelernt habe.

Hast du es dir jemals gewünscht, dass deine Eltern wieder zusammenkommen?
Nein, an solche Gedanken kann ich mich nicht erinnern. Es hätte zwischen meine Eltern einfach nicht funktioniert, weil sie charakterlich einfach so unterschiedlich sind und auch andere Ideen haben, was die Erziehung angeht. Es war immer klar: Das sind zwar meine Eltern, aber sie sind kein Paar. Insgesamt haben meine Eltern das schon ganz gut gemacht. Sie haben zum Beispiel nie schlecht übereinander geredet und uns nicht in ihre Probleme mit reingezogen.

Und wie schaust du denn jetzt auf deine Kindheit?
Ich würde jetzt nicht sagen, dass es mega schlimm für mich war. Eigentlich war es gut, dass sich meine Eltern so früh getrennt haben. Dadurch bin ich schon mit der Realität der Trennung aufgewachsen und es war immer irgendwie normal. Und natürlich war es gut, dass ich Julius hatte, der immer da war. Im Nachhinein bin ich sehr glücklich über meine Erziehung und eigentlich auch froh darüber, wie ich aufgewachsen bin.

*Namen von der Redaktion geändert


Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.