Interview

Luvre47 im Interview: „Ich kann mehr als in die Fresse, Berlin, Untergrund und Straße“

Luvre47
Luvre47 will nicht mehr nur der Graffiti-Rapper sein.

Von den ersten Songs im Jugendzentrum bis zum eigenen Album: Luvre47, wie sich Max Altmann* auf der Bühne nennt, nimmt seit vielen Jahren HipHop-Tracks auf. Mit einem Video auf dem YouTube-Kanal AGGRO.TV, einer der ältesten HipHop- und Rap-Plattformen Deutschlands, gelang ihm der Sprung in die Öffentlichkeit. Inzwischen kann er von der Musik leben. Im Interview erzählt der Rapper Mitte 20 aus Berlin-Gropiusstadt, warum er nicht mehr nur der „Graffiti-Rapper“ sein möchte und welche allumfassende Bedeutung sein am 2. Februar erschienenes Album „Herz“ hat.

Lukas Breit, funky-Jugendreporter

Wie würdest du deine Jugend in der Gropiusstadt beschreiben?
Sehr abwechslungsreich. Ich verbinde mit dieser Zeit sehr viele positive und negative Erinnerungen. Es war definitiv unterhaltsam, aufregend und ereignisreich. Man ist aber auch mit negativen Dingen in Berührung gekommen, die man beispielsweise in Zehlendorf nicht erlebt hätte. Das hat nichts damit zu tun, dass meine Eltern mich nicht genug beschützt haben. Wenn man auf so engem Raum mit so vielen Leuten lebt, bekommt man manche Dinge eben einfach mit. Viele Leute leben dort sehr nahe an der Armutsgrenze. Aber man hatte auch immer viele Freunde direkt vor Ort.

Wie viel von deinem Alltag spielt sich auch heute noch in der Gropiusstadt ab?
Extrem viel. Freunde, Arbeit – alles ist noch dort. Ich bin bewusst dort geblieben. Ich will für den Ort einstehen und für meine Community aus dem Block sprechen.

Du willst nicht in die Schublade des „Graffiti-Rappers“ gesteckt werden. Was sind sonstige Attribute, die Beachtung verdienen?
Es ist einfach nicht das Einzige, worüber ich in meiner Musik spreche. Ich war schon immer offen für jegliche Subkulturen. Ich will mir keine anderen Charakteristika andichten, die Menschen sollen selbst entscheiden, was sie aus der Musik ziehen. Aber meine Musik ist kein reiner Graffiti-Rap. Diese Zuschreibung hat mich schon immer genervt. Ich bekomme viele Nachrichten, in denen die Leute fragen, wann ich endlich wieder über Graffiti rappe. Hört euch einfach die Musik von damals an. Es ist definitiv ein Teil von mir, aber ich möchte mich nicht in eine Schublade stecken lassen. Wer sich „Herz“ anhört, wird zwei, drei Graffiti-Referenzen finden, ansonsten geht es einfach um mein pures Leben.

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Rapper Luvre47

Erkläre bitte mal deine Definition von der Verbindung zwischen dem Sprayen und HipHop und was ein Rapper, der übers Malen rappt, verkörpern sollte.
In meiner Wahrnehmung war Graffiti immer ein Teil des HipHop. Man muss aber akzeptieren, dass die Zeit vorbei ist, in der noch viel Wert auf die vier Hiphop-Elemente Graffiti, DJing, Rap und Breakdance gelegt wurde. Gerade in Berlin, wo sich alles schnell weiterentwickelt, verschwimmen die Linien, die man vor zehn Jahren aus der Graffiti-Szene kannte. Mittlerweile sind das irgendwelche Kunst-Studenten auf Teilen (Anmerkung der Redaktion: Ecstasy, Drogen), die ihr Anti-Style-Bild malen, das niemand lesen kann. Das ist einfach nicht mehr meine Welt, mein Graffiti-Kosmos.

Du machst bereits seit längerer Zeit Musik. Kannst du mittlerweile davon leben oder hast du einen Plan B?
Es gibt viele Möglichkeiten, mit denen ich Geld verdienen und mich selbstverwirklichen könnte. Über meine Graffiti-Erfahrungen könnte ich beispielsweise als Tätowierer Fuß fassen. Ich konzentriere mich aber auf das, wo ich das größte Potenzial sehe – und das ist nun mal die Musik. Seit ein, zwei Jahren kann ich nun auch davon leben. Ich lebe nicht in Saus und Braus, aber ich komme über die Runden und kann reinvestieren. Wir haben zum Beispiel ein Lager mit Merchandise, dort entsteht auch langsam ein Büro und wir wollen stetig einen Schritt weiter wagen.

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In deinen Texten taucht hin und wieder Systemkritik vor. Nimmst du dir so etwas bewusst vor?
Das entsteht aus einem Bauchgefühl heraus. Ich würde mir gar nicht anmaßen, zu sagen, dass ich etwas bewegen könnte. Das sind Empfindungen und Gedanken, die ich einfließen lassen möchte.

Ist dir bewusst, dass ruhige und melodiöse Lieder wie „Kein Bock“ oder „Blau“ bei einem gewissen Anteil deiner Fans auf Widerstand stoßen?
Ehrlich gesagt mache ich mir darüber gar keine Gedanken. Ich mache das auch nicht, um mehr Reichweite zu bekommen. Gerade diese beiden Songs habe ich nachts um drei Uhr geschrieben, weil ich Bock hatte, Musik zu machen. Das ist natürlich ein für mich ungewohntes Soundbild, aber genau das war mir schon seit Tag eins wichtig: viele Facetten zu zeigen. Was ich bin, definiere ich allein. Ich habe schon immer ruhigere Songs veröffentlicht, die einen Bruch zu vorherigen Liedern darstellten. Ich kann einfach mehr als in die Fresse, Berlin, Untergrund und Straße. Es geht um viel mehr.

Welche Bedeutung hat der Albumtitel „Herz“?
Mir war wichtig, dass der Albumtitel kurz und knapp beschreibt, um was es sich bei dem Album eigentlich handelt. Wenn ich den Titel „Herz“ höre, denke ich zunächst an ein liebliches Thema, aber es geht um mein „komplettes“ Herz. Ich reflektiere mein Leben und meine innere Zerrissenheit, die ich musikalisch verpacke. Ich sage auf dem Album Sachen, die habe ich noch nie gesagt – Dinge über die Beziehung zu meinen Eltern, meinen Werdegang oder meine eigenen Sünden. Dafür brauchte ich einen passenden Titel. Das Album bin ich selbst als Gesamtpaket, was es so in der Form noch nicht gab.

Was ist deine Lieblingszeile des Albums?
Die Hook vom Titelsong „Herz“ finde ich sehr entscheidend: „Wir hatten nicht viel zu bieten, doch hatten Herz. Seite an Seite, Bruder, wir teilen den Schmerz. Alles, wovon die reden, hat bei uns keinen Wert gehabt, denn dieses Leben ist von deren viel zu weit entfernt.“ Das ist rückblickend eine gute Zusammenfassung meines eigenen Lebens. Ich war immer in Kreisen unterwegs, die von außen nicht jeder versteht. Zum Beispiel die Subkultur im Fußball oder beim Graffiti.

Warum ist „Nur nach Hause“ dein Lieblingssong?
Das ist der Song, den ich als kleiner Junge im Olympiastadion als erstes wahrgenommen habe. Es gibt ein Kinderfoto von mir, wo ich im fast leeren, zugeschneiten Olympiastadion stehe und neben meinem Vater stolz eine Hertha-Fahne schwenke. Vielleicht war das der Moment, in dem sich der Song in meinen Kopf eingebrannt hat.

*Name auf Wunsch des Interviewten geändert. Der bürgerliche Name ist der Redaktion bekannt.

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Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.