Interview

Parcels-Schlagzeuger Anatole Serret im Interview: „Ich bin ein Performer“

Die Parcels
Anatole Serret der Band Parcels spricht im Interview über Mode und sein Verständnis von Zuhause.

Spätestens seit der Veröffentlichung ihres zweiten Albums „Day/Night“ ist die australische Band Parcels endgültig aus dem Newcomerschatten herausgetreten. Die fünf Bandmitglieder zogen nach der Schule aus ihrer sonnigen Heimat Byron Bay nach Berlin und machten sich im Laufe der Zeit unter anderem durch eine gemeinsame Single mit Daft Punk einen Namen. Schlagzeuger Anatole Serret spricht im Interview über Style-Inspirationen, die deutsche Bürokratie und sein Heimatsland Australien.

Antonia Braun, funky-Jugendreporterin

Ihr habt das Doppelalbum „Day/Night“ veröffentlicht. Wann und wo habt ihr daran gearbeitet?
Es begann vor ungefähr 18 Monaten. Wir haben ein Haus im Regenwald außerhalb von Byron Bay gemietet. Von dort ging es nach Berlin, wo wir momentan wohnen. Da haben wir noch einige Monate im Rehearsal Room gearbeitet. Schließlich wurde es im Laufe einiger Monate in den La Frette-Studios in Paris aufgenommen. Gemixt und gemastedered wurde es über Zoom, als wir wieder in Australien waren.

Ihr habt das Doppelalbum „Day/Night“ veröffentlicht. Der Titel „Day/Night“ verspricht bereits eine Dualität. Was war eure Intention hinter dem Konzept? Wieso habt ihr gleich zwei Alben herausgebracht?
Die Idee hatten wir schon ziemlich früh. Sie war eine Antwort auf die momentanen Einschränkungen beim Spielen von Popmusik, aber auch auf die Einschränkungen, die wir uns selbst auferlegt hatten: Wir wollten nicht zu poppig oder leicht sein, allerdings auch nicht zu düster.Mit zwei Alben konnten wir alles tun, was wir wollten, und auch die Unterschiede innerhalb der Band hervorheben. Die zwei Alben komplimentieren sich, können aber auch alleine stehen. Man muss sie sich nicht hintereinander anhören.

Wie unterscheidet sich das erste Album vom zweiten?
Wir haben es anders aufgenommen. Das Album „Parcels“ war unser erstes richtiges Album, und nach dessen Veröffentlichung tourten wir für einige Jahre herum. Wir spielten und übten sehr viel und wurden so in unserem Zusammenspiel sicherer und selbstbewusst. Ende 2019 haben wir das „Live Vol. 1“ veröffentlicht, eine Live-Aufnahme des ersten Albums, und eine überraschend positive Rückmeldung darauf erhalten. Das jetzige Album wurde live an einem einzigen Tag aufgenommen, danach wurden die Vocals drübergelegt. Die La Frette-Studios sind besonders, sie ähneln einem Herrenhaus. Es gibt zwar ein richtiges Studio im Keller, aber auch im Wohnzimmer sind die Kabel verbunden, sodass man ebenso gut dort spielen und aufnehmen kann. Für das „Day“-Album haben wir alles oben im Wohnzimmer aufgenommen, alle Instrumente am selben Ort. Für die „Night“-Aufnahme wurde alles im eigentlichen Studio aufgeteilt. Wir haben versucht, die Unterschiede zu betonen. Vom Konzept her es ist vergleichbar mit zwei Zweigen vom selben Baum.

Wie war es, nach einer Pause von 18 Monaten wieder Shows zu spielen?
Es war toll! Vergleichbar vielleicht damit, einen alten Freund wiederzusehen. Dein Leben geht ohne die Shows weiter und du gewöhnst dich daran. Plötzlich gehen dann die Auftritte wieder los und du wirst ängstlich: Oh shit, ich frage mich, ob wir noch spielen können? Wir haben das so lange nicht mehr gemacht. Aber sobald du auf die Bühne rennst, erinnerst du dich an alles. Als ich auf der Bühne war, hat es mir wieder total gut gefallen und ich war weder nervös noch ängstlich. Die erste Show hätte nicht besser laufen können. Wir merkten, dass wir das können, wir waren immer noch die selbe alte Band mit dem selben alten lieben Publikum, das uns von Anfang an unterstützt hat. Es war überwältigend.

Es macht Spaß, sich schick zu machen und für einen Abend eine neue Person zu kreieren.

Anatole Serret über Mode

Eure Band ist berühmt für ihren Kleidungsstil. Jetzt hattet ihr auch eine Kollaboration mit Gucci. Wie kam die zustande?
Die Sache mit Gucci kam durch eine Bekannte, die schon mit ihnen zusammengearbeitet hatte und uns dann vorschlug. Es ist komisch, weil ich persönlich durch Phasen gehe, in denen ich mich sehr für Fashion interessiere, besonders auf der Bühne. Es macht Spaß, sich schick zu machen und für einen Abend eine neue Person zu kreieren. Das macht natürlich noch mehr Spaß, wenn in deinem Kleiderschrank lauter Sachen von Gucci sind. In den letzten 18 Monaten haben wir nicht live gespielt und ich habe sehr einfach gelebt. Ich habe nicht viel über Fashion nachgedacht, in meinem Alltag ziehe ich mich nicht irgendwie besonders an. Früher habe ich das mehr gemacht.Auf jeden Fall freue ich mich über die Kollaboration und ich sehe die Gelegenheit, dass ich mich während der Tour in Schale werfen kann, das ist sehr cool. Außerdem kollaboriert Gucci mit einigen fantastischen Künstlern, also sind wir gespannt auf das, was kommen wird.

Was hat dich zu deinem Style inspiriert? Wie hat er sich entwickelt?
Anfangs wurde er sehr von den 60er-Jahren beeinflusst. Heute habe ich einen Podcast von Brian Eno gehört, habe mir Fotos von ihm angeschaut und war total hin und weg. Der Typ ist so cool! Ebenso wie David Bowie, diese ganze Ära. Beispielsweise wie wenn man sich für eine Party schick macht, einen Anzug mit einer Fliege anzieht und sich denkt, dass man sein kann, wer immer man will. Oder man trägt ein weites Hemd an und plötzlich fühlt man sich sexy. Ich liebe es, mich in Schale zu werfen. Ein Musiker mit Fliege hat einfach was, er erinnert an die Jazzmusiker aus den 20er-Jahren.Als Teenager an der High School gab es eine Gruppe von Jugendlichen, die ein paar Jahre älter waren als ich. Sie zogen sich alle nach er Mode der 50er-Jahre an und waren sehr cool. Meine Freunde und ich wollten wie sie sein. In den Augen eines Teenagers ist jeder Ältere cooler. Wenn man sich irgendeinen Fashionstar anschaut, sieht man, dass dessen größte Inspiration wahrscheinlich die älteren Kinder an der High School waren.

Ich war schon immer ein Performer.

Anatole Serret über seine Karriere bei den „Parcels“

Was würde dein jüngeres Ich über deine Karriere und dein jetziges Leben denken?
Mein jüngeres Ich würde sagen: Ja, dass ist genau das, was ich für dich geplant hatte.In Australien geht man nach der Schule entweder auf Reisen, an die Universität oder man zieht in eine der großen Städte. Aber wir sind auf dem Land aufgewachsen, ich wollte nicht in eine Hauptstadt ziehen. Ich habe mich für die Universität interessiert, wollte aber auch nicht direkt anfangen zu studieren. Seitdem ich ein Teenager war, war mir klar, dass ich Australien verlassen würde und bereitete mich darauf vor. Ich spiele Schlagzeug, seitdem ich ein Kind war. Wenn es die „Parcels“ nicht gäbe, wäre es vielleicht etwas anderes geworden, nicht unbedingt Musik. Aber ich war schon immer ein Performer. Ich mag es, anzugeben und ein Publikum zu haben. Mein jüngeres Ich wäre begeistert.

Ihr lebt seit einiger Zeit in Berlin. Wie unterscheidet sich das Leben dort vom Leben in Australien?
Abgesehen von der Sprache auf jeden Fall durch die Bürokratie, die müsste sich definitiv verbessern!In Berlin kann man ohne Kreditkarte nichts bezahlen, man kann ohne E-Mail keinen Füherschein machen, man kann keine Verträge kündigen. In Australien funktioniert das alles online. Außerdem sind die Winter kälter. Aber ich glaube, Berlin ähnelt Melbourne. Die Welt ist durch das Internet so verbunden, dass es eigentlich egal ist, wo man ist. Man findet immer seine Leute. In Berlin gibt es fantastische Leute, die sehr inspirierend sind.

Sprichst du etwas deutsch?
Nicht wirklich. Es ist so schwer in Berlin! Die Deutschen sind sehr ungeduldig und wechseln dann einfach zu Englisch. Ich hatte einige Jahre eine deutsche Freundin und ihr Englisch war besser als meines. Sie meinte, ich solle Deutsch lernen, wenn ich will, aber sie würde mir nicht helfen. Also nein, ich spreche kein Deutsch. Ich habe auch nicht viele deutsche Freunde.

Wollt ihr in Europa bleiben oder irgendwann nach Australien zurückkehren?
Darüber habe ich in letzter Zeit viel nachgedacht. Ich glaube nicht, dass wir für immer in Berlin bleiben werden. Als Band, die diese Art von Musik wie wir macht, hat Berlin ein Limit für uns. Wir alle würden gerne mal in den USA leben. Dort kann man ein Projekt bis ins Unendliche pushen. Ich habe auch über das Konzept von Zuhause nachgedacht und ich glaube, wenn man mit sich selbst zufrieden ist, kann man überall sein Zuhause finden. Am Ende des Tages schläft man alleine ein und wacht alleine auf. Solange sich das gut anfühlt, ist es egal, wo man ist.

Ich glaube, wenn man mit sich selbst zufrieden ist, kann man überall sein Zuhause finden

Anatole Serret über das Konzept Heimat

Obwohl ihr alte Musik lieber mögt, gibt es aktuelle Musik, die ihr gerne hört?
Wir wollen keinesfalls eine Throwback-Band sein. Wir wollen Musik in die Zukunft pushen und nichts wiederholen, das schon gemacht wurde. Aber gleichzeitig gibt es so viele tolle alte Alben. Es gibt Künstler, die ich cool und inspirierend finde. Ich höre aktuelle Musik, aber es gibt nicht viele Alben, zu denen ich auch zurückkehre. Zu Paul Simons komme ich jedes Jahr zurück. Dann gibt es heutige Künstler, deren Musik ich gut finde, die ich aber nicht ein zweites Mal anhöre. Meiner Meinung nach ist ein Album besonders, wenn du es immer wieder anhören willst. Heutzutage kommen nicht viele solcher Alben raus, aber es gibt Ausnahmen.

Wann wäre der perfekte Zeitpunkt, um euer Album anzuhören?
Man muss die zwei Alben nicht von Anfang bis Ende durchhören. Wir wollen, dass Leute die „Day“-Aufnahme anhören und ein paar Tagen später dann vielleicht die „Night“-Aufnahme. Der „Day“-Teil soll man genießen, man kann ihn zusammen mit Freunden anhören, es ist wie gemacht für einen sonnigen Tag. Der „Night“-Teil ist ein bisschen aufdringlich, dieses Album kann man nicht nebenher hören. Wie Frank Zappa, den kannst du nicht eben mal nebenbei hören, oder es macht dich krank.  Mit gespitzten Ohren kann man die „Night“-Aufnahme hören, aufpassen, und nach einem tieferen Sinn lauschen.

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