Wenn das eigene Engagement krank macht

Junge Frau schreit emotional etwas in eine Kamera
Vielen jungen Menschen fällt es schwer, sich neben dem Aktivismus genug Regenerationszeit einzuräumen.

Viele junge Menschen leiden unter einem Aktivisten-Burnout. Doch mit den richtigen Strategien lässt sich das vermeiden. Timo Luthmann und Katharina van Bronswijk erklären, was dabei hilft, lange nachhaltig aktiv zu sein.

Zora Günther, funky-Jugendreporterin

Fast jede Woche geht Hanna in Berlin mit „Fridays for Future“ auf die Straße, um auf die katastrophalen Folgen der Klimakrise aufmerksam zu machen. In ihrer Freizeit plant sie Aktionen, informiert sich, nimmt Kontakt zu Gleichgesinnten auf und versucht, die Menschen in ihrem Umfeld zu überzeugen, ihr Leben in nachhaltigere Bahnen zu lenken. „Das kann schon mal ziemlich anstrengend werden. Manchen Menschen ist es einfach egal, was aus unserem Planeten wird. Das ist oft schwer zu ertragen“, erzählt die 19-Jährige. Ihr selbst ist es aber wichtig, ein Zeichen zu setzen und laut zu werden. 

Doch dann gibt es auch diese anderen Tage. Dann fühlt sich Hanna so unbedeutend und unwichtig und verzweifelt an der kaum zu bewältigenden Aufgabe, den Klimawandel aufzuhalten. Das sind die Tage, an denen sie es kaum aus dem Bett schafft. Zuletzt ging es ihr so, als sie die ersten Berichte zur Klimakonferenz in Glasgow erreichten. 

Wie und warum kommt es zu einem Burn-out?

Immer mehr junge Menschen leiden unter dem sogenannten Aktivisten-Burn-out, einer Erschöpfung und Abgeschlagenheit, die im direkten Zusammenhang mit den Bemühungen steht, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Aktivismus ist Arbeit, die man leistet, weil man für die Sache oder das Thema brennt. Das kann beispielsweise wie bei Hanna der Aktivismus für mehr Klimagerechtigkeit sein, aber auch der Protest gegen Rassismus oder Antifeminismus. Nur leider kann man sich an einem Feuer, dessen Flammen immer höher schlagen, auch verbrennen.

Der langjährige Aktivist Timo Luthmann und Autor des Buches „Politisch aktiv sein und bleiben“ erklärt: „Weil wir uns idealistisch für die Themen engagieren, neigen wir zur Selbstausbeutung, und das untergräbt langfristig unsere Möglichkeiten.“ Er nennt verschiedene Gründe, die zum Ausbrennen von Aktivistinnen und Aktivisten führen können: die Prekarität, also eine problematische soziale Situation in Lebens-, Wohn- und Arbeitsverhältnissen, Diskriminierung, Rassismus und auch die Überbelastung durch die Kombination von Lohnarbeit, sozialem Leben, Care-Arbeit und Aktivismus. Hinzu kommen schwierige Gruppendynamiken in Bewegungen. All diese Umstände überlagern sich zumeist in verschiedenen Kombinationen und schaffen dadurch eine Mehrfachbelastung.

An der Klimagerechtigkeitsbewegung kann man diese Mehrfachbelastung gut skizzieren. Viele junge Menschen versuchen mit all ihren Kapazitäten und Mitteln, Aufmerksamkeit auf den Klimawandel und seine Folgen zu lenken – wie auch Hanna. Was dabei häufig auf der Strecke bleibt, ist häufig der ganze Rest: Schule, soziales Leben, Hobbys – und vor allem Zeit zum Ausruhen. Hanna kann sich nicht erinnern, wann sie das Thema das letzte Mal einen ganzen Abend lang ausblenden konnte: „Irgendwie führt jedes Gesprächsthema irgendwann wieder zum Klimawandel. Was vielleicht auch daran liegen mag, dass die Menschen um mich herum ebenfalls sehr aktiv sind.“ Sind aktiv engagierte Jugendliche dann noch zusätzlich von Diskriminierung und Rassismus betroffen, verdoppelt sich die Belastung. 

Vor allem junge Menschen stecken momentan sehr viel Energie und Zeit in die Veränderung unserer Gesellschaft, indem sie auf wichtige Themen aufmerksam machen und die Politik zum Handeln auffordern. Katharina van Bronswijk, Sprecherin der „Psychologists for Future“, bezeichnet dieses Phänomen als gesellschaftliche Parentifizierung. Das heißt, Kinder übernehmen Erwachsenenaufgaben, weil die Erwachsenen nicht in Aktion treten und etwas verändern. Die Initiative „Psychologists for Future“, bestehend aus Psychologen, Psychotherapeuten und Psychologie-Studierenden versucht den jungen Aktivistinnen und Aktivisten von „Fridays for Future“ Halt zu geben und sie bei dieser mental belastenden Aufgabe zu unterstützen.

Nachhaltiger Aktivismus und seine Strategien

Es braucht also offensichtlich Strategien, um Aktivismus nachhaltig zu gestalten.  In seinem Buch liefert Timo Luthmann Strategien, die dabei helfen können, Bewegungen nachhaltig zu gestalten

Am Anfang sollte ein Überdenken der eigenen aktivistischen Strategie stehen. Es gilt also, die eigenen lang- und kurzfristigen Ziele, die Handlungsansätze und deren Inklusivität zu prüfen. Ganz praktisch heißt das dann: Wo will ich hin? Und wie genau gehe ich das an? Klar ist: Nachhaltiger Aktivismus ist eben nur dann nachhaltig, wenn er die Strukturen der  Unterdrückung nicht immer wieder reproduziert, beispielsweise Rassismus, Sexismus oder Faschismus, und langfristig überwinden und abschaffen möchte. 

Eine gute Idee allein bringt einen allerdings meist nicht sonderlich weit. Daher ist die Organisation in Gruppen sehr wichtig, so hat man deutlich mehr Schlagkraft. Auch van Bronswijk hebt hervor, dass Nachbarschaftsnetzwerke und Vereine auf lokaler Ebene sehr viel verändern könnten.

Auch in den Gruppenstrukturen sei es aber elementar, den Umgang miteinander stetig zu reflektieren. „Politik wird nicht von einem Individuum gemacht, sondern in Gruppen mit kollektiven Zusammenhängen. Und je nachdem, wie die Gruppen strukturiert sind, kann es sich um ein unterstützendes oder auszehrendes Umfeld handeln“, weiß auch Luthmann. 

Das eigene Wohlbefinden nicht vergessen 

Um lange dabeibleiben zu können, muss es einem eben gut gehen – als Individuum und in der Gruppe. Viel dreht sich also auch um die Frage, wie man seine persönliche Widerstandskraft stärken kann. Dabei hilft es, im Sinne der Selbstfürsorge Pausen einzubauen, sich Zeit für Hobbys zu nehmen und sich auch auf die kleinen Erfolge zu besinnen. Außerdem ist es wichtig, über unangenehme Gefühle zu reden und seiner Wut und dem Ärger Luft zu machen.

Die meisten aktivistischen Bewegungen verändern sich stetig. Und das aus gutem Grund. Denn Strukturen müssen immer wieder auseinandergenommen und wieder neu zusammengebaut werden. Das heißt auch, dass es bei jeder Bewegung Höhen und Tiefen geben wird. Der Umgang mit Krisen birgt jedoch auch Potenzial für Lernprozesse und Veränderungen. Denn wie Timo Luthmann es sehr schön ausdrückt: „Vielleicht ist es das, was ich den jungen Menschen noch mitgeben möchte: Dranbleiben. Wenn wir es schaffen, dranzubleiben, werden wir die Welt verändern.“

Dranbleiben möchte auch Hanna. Den Kampf für eine lebenswerte Zukunft aufzugeben, steht nicht zur Diskussion. Doch ihr ist inzwischen auch klar, dass sie ab und zu Abstand zum Thema braucht. Sie hat sich vorgenommen, sich bewusster zu regenerieren, um am Ende des Tages nicht vollkommen entmutigt und erschöpft zu sein. „Ich habe angefangen, Sport zu treiben. Nach zehn Minuten wird mein Kopf dann langsam frei“, berichtet sie. Halt findet sie auch in dem Gedanken, nicht allein zu sein. Denn eins ist sicher: Mit dem Klimawandel und seinen Folgen wird nicht nur sie in Zukunft viel zu tun haben …

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.