Meinung

Wenn Whataboutism dem Klimaschutz im Weg steht

Frau schlägt sich die Hand gegen die Stirn und blickt auf ihr Handy
Wie sollen wir über Lösungen für die Klimakrise diskutieren – und wie vielleicht auch nicht?

In ihrer Kolumne „faircheckt“ beschäftigt sich Sonja alle vier Wochen mit Themen aus dem Bereich der sozialen Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, klärt über umweltschonende Alternativen zu herkömmlichen Produkten auf und nimmt auch die ein oder andere unbequeme Problemzone unseres gesellschaftlichen Lebens unter die Lupe. Dieses Mal stellt sie sich die Frage, ob „Whataboutism“ schlecht für das Klima ist, und beschäftigt sich damit, wie wir über Lösungen für die Klimakrise diskutieren sollten – und wie vielleicht auch nicht.

Sonja Walke, funky-Jugendreporterin

Du versuchst im Alltag, das Klima zu schützen? Schön und gut – aber was ist mit dem CO2, das China ausstößt? Da lohnt es sich doch eh nicht, wenn wir uns hier in Deutschland Mühe geben, dem Klimawandel entgegenzuwirken, oder? Und die Avocados, die du als Veganerin isst – die sind doch mindestens so schlimm wie Mozzarella, was die Treibhausgasbilanz angeht. Und hast du schon mal an die ganzen Emissionen gedacht, die durch deinen Online-Aktivismus freigesetzt werden?

Wenn du dich – in welcher Form auch immer – für das Klima engagierst, kommen dir „Argumente“ wie diese bestimmt bekannt vor. Wer sich einen bestimmten Bereich (in meinem Fall: Mode) vorknöpft, bekommt gerne gesagt, dass ein anderer Bereich (z.B. Bauen) doch eigentlich viel klimaschädlicher sei und man sich doch besser um diesen kümmern solle. Und noch schlimmer: Wer Klimaschutz von der Politik fordert, bekommt garantiert die Rückfrage entgegengeschmettert, was er oder sie selbst denn so ganz konkret im Alltag für das Klima tue. Lastenrad fahren? – Aber was ist mit den Akkus, die enthalten doch sicherlich auch Rohstoffe aus Krisengebieten? Sich vegan ernähren? – Ja, aber, Sonja, zerstört der Sojaanbau für deinen Tofu nicht den Regenwald? 

Diese Fragen folgen dem immer gleichen Prinzip: Das Gegenüber weicht einem Argument aus, indem es einfach ein anderes Problem in den Fokus rückt oder Gegenfragen stellt, die vom Thema wegführen und Klimaschutz schlimmstenfalls als nicht zu bewältigende Aufgabe dastehen lassen. Frei nach dem Motto: Wenn mir die Argumente ausgehen, dann lasse ich andere Ideen zumindest als nicht realisierbar erscheinen. In persönlichen Diskussionen und im öffentlichen Diskurs ist diese Strategie leider sehr beliebt und verzögert schnellen und effizienten Klimaschutz. Wissenschaftler*innen haben die Kunst, von einer Aussage mit einer Gegenfrage abzulenken, inzwischen tatsächlich als Argumentationsmuster eingestuft, mit dem Verantwortung verschoben und der Klimaschutz gebremst wird. Die Rede ist hier von „Whataboutism“.

Wikipedia erklärt Whataboutism wie folgt: „Whataboutism (von englisch What about …? Was ist mit …?, und -ism/-ismus) bezeichnet ein rhetorisches Ablenkungsmanöver, bei dem eine kritische Frage oder ein kritisches Argument mit einer kritischen Gegenfrage erwidert wird, um von einem unliebsamen Gesprächs- oder Diskursgegenstand (Thema) abzulenken.“

Als Reaktion auf eine oder mehrere „Was ist mit …?“-Fragen dreht und dreht und dreht sich die Diskussion dann oftmals im Kreis, bis einem ganz schwummerig ist und ein Ausweg aus der Klimakrise unerreichbar scheint. Dabei basieren die Einwürfe häufig noch nicht einmal auf Fakten, sondern nur auf gefühlten Wahrheiten und gefährlichem Halbwissen.

Oft wird mit solchen vermeintlich konstruktiv-kritischen Nachfragen vermittelt, dass man politische Forderungen erst dann stellen dürfe, wenn man den eigenen Plastik- und Restmüll des letzten Jahres in ein Weckglas quetschen kann, ausschließlich Secondhandware shoppt und am besten noch nie einen Flieger betreten hat. Sorry, aber bis ich meine Haferdrink-Tetra-Paks in ein Weckglas stopfen kann, haben wir unser verbleibendes Kohlenstoffbudget für das Pariser 1,5°-C-Ziel wahrscheinlich längst aufgebraucht. Und mit „wir“ meine ich nicht diejenigen, die versuchen, ihren Alltag mit Jutebeutel und Mehrwegbecher zu bewältigen, sondern vor allem Großunternehmen, die ihre Verantwortung nur zu gerne auf verantwortungsbewusste Einzelpersonen abwälzen.

Es ist höchste Zeit, eine gescheite Unterhaltung zu führen, die sich nicht immer wieder um die gleichen Fragen dreht, die ausschließlich aus einem Grund gestellt werden: um das unangenehme Thema zu vermeiden. Aber ich bin ganz optimistisch, dass wir das hinbekommen. Denn wenn wir Ablenkungsmanöver erkennen und benennen können, dann sind die Lösungsansätze auch nicht mehr weit entfernt. 

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Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.