Zwei Schülerinnen lernen konzentriert in der Schule.
Meinung

Eine Abrechnung mit dem deutschen Schulsystem

„Du lernst nicht für die Schule, du lernst fürs Leben.“ Diese Weisheit wird Schüler*innen in Deutschland immer wieder eingetrichtert. Die Realität sieht jedoch meist anders aus. Immer mehr Menschen betrachten das Schulsystem als überholt. Note 5 für veraltete Lehrmethoden, Note 6 für mangelnde Digitalisierung und Note 4 für unnötige Fächer, die nicht ausreichend auf das echte Leben vorbereiten. Zeit, dass sich etwas ändert!   

Sarah Melziarek, funky-Jugendreporterin

Zugegeben: Schulbildung ist richtig und wichtig. Lesen und Schreiben, eine gute Portion Allgemeinbildung sowie Grundkenntnisse in Mathematik, Naturwissenschaften und Fremdsprachen sind in der heutigen modernen Welt unverzichtbar. In die Schule zu gehen bedeutet aber eigentlich noch viel mehr als das. Laut Parapraph 1 des Schulgesetztes besteht die Aufgabe der Lerneinrichtungen darin, „alle wertvollen Anlagen der Schülerinnen und Schüler zur vollen Entfaltung zu bringen und ihnen ein Höchstmaß an Urteilskraft, gründliches Wissen und Können zu vermitteln. Ziel muss die Heranbildung von Persönlichkeiten sein […].“ In der Theorie klingt das alles gar nicht mal so schlecht, die praktische Umsetzung gleicht jedoch eher einem schlechten Witz.

Benachteiligungen und lächerliche „Persönlichkeitsheranbildung“

Statt Persönlichkeiten heranzubilden und jungen Menschen dabei zu helfen, sich bestmöglich zu entwickeln geht es in der Realität doch viel eher darum, willkürliche Leistungsziele festzulegen, stumpfsinnig auswendig gelerntes Wissen abzufragen und Noten zu vergeben, die Auskunft über Kenntnisse, Können oder sogar Intelligenz geben sollen. Wo werden die individuellen Talente und Fähigkeiten der Schüler*innen gefördert, wenn sie sich Tag für Tag denselben kognitiven Einheitsbrei einverleiben müssen? Wie kann sich so Kreativität und Individualität entfalten? Nur ein kleiner Teil aller Schüler*innen kann sich mit Spaß und Freude an das ausschließlich leistungsorientierte Schulsystem anpassen. Alle, die ein anderes Tempo, andere Talente oder von Beginn an geringere Bildungschancen mitbringen, werden systematisch aussortiert.

Schon nach der vierten Klasse wird in den meisten Bundesländern mit der weiterführenden Schule maßgeblich über die Zukunft von Schüler*innen entschieden. Wer aus sozial „schwächeren“ Schichten kommt oder einen Migrationshintergrund hat, wird automatisch vom System benachteiligt . Die Voraussetzung von Geld, einem akademischen Hintergrund und struktureller Rassismus bestimmen nach wie vor stark die Zukunft der Schüler*innen. Neben vielen anderen benachteiligungsbelegenden Studien kam beispielsweise die Mainzer Gutenberg Universität zu dem Ergebnis, dass Kindern aus sozial und ökonomisch schwächeren Schichten weniger hohe Bildungsempfehlungen für weiterführende Schulen bekommen als Schüler*innen mit gleicher Leistung aber aus höheren Sozialschichten.

Welche Fächer brauchen wir?

Ein Großteil der Schulzeit wird mit Inhalten des Lehrplans gefüllt, die so gut wie nie wieder im realen Leben gebraucht werden. Das Ergebnis sind Heranwachsende, die nach der Schule ohne Hilfe von außen kaum zu einem autonomen Leben fähig sind, dafür die genauen Abläufe von Mitose und Meiose benennen können, wenn sie diese nicht während des Binge Learnings wieder vergessen haben.

Daher wäre eine Vorbereitung aufs echte Leben sehr wünschenswert, zum Beispiel in Form eines Fachs namens Bürokratie, in dem der Umgang mit Verträgen, Steuererklärungen und Ämtern geklärt werden könnte. Die Überfälligkeit eines moderneren Bildungssystems zeigt sich auch besonders stark beim Punkt Nachhaltigkeit. Wir steuern geradewegs krachend auf eine irreversible Klimakrise mit schweren Folgen für Mensch, Tier und Umwelt zu. Was genau es mit der globalen Erwärmung auf sich hat und welche Maßnahmen die Gesellschaft aber auch jede*r einzelne dagegen unternehmen kann, sollte unbedingt Teil des Unterrichts werden.

Um Schüler*innen beizubringen, worauf es wirklich im Leben ankommt, wäre des Weiteren Persönlichkeitsentwicklung als Fach mit Inhalten wie Selbstliebe, Reflektion, Empathie und Zeitmanagement wünschenswert. Vielleicht könnte dadurch Mobbing an Schulen und die Zahl psychischer Erkrankungen im Jugendalter minimiert werden. Genauso wichtig wäre ein Fach, welches sich mit Identität beschäftigt und rassismus- patriarchats- und genderkritischen Unterricht vermittelt. Dazu ein zeitgemäßer Sexualunterricht, der das breite Spektrum und die große Vielfalt von Sexualität berücksichtigt und mehr als den biologischen Geschlechtsakt zwischen Frau und Mann thematisiert.

Poetry Slams im Deutschunterricht? Warum nicht!

Nicht nur die Auswahl der Fächer wäre überarbeitungswert, sondern auch die Art und Weise, wie der Stoff den Schüler*innen beigebracht wird. Warum Biologie nicht anhand der lebenden Natur vermitteln, Geschichte in Museen lehren und Deutschunterricht mit Poetry Slam Besuchen verknüpfen, um Bildung anschaulicher und interessanter zu gestalten?

Die mittlerweile aus nahezu allen politischen Lagern zu vernehmende Forderung nach mehr Digitalisierung in den Schulen ist ein weiterer zentraler Punkt bei der Modernisierung des Bildungssystems. Neben der Zurverfügungstellung von Endgeräten und schnellerem Internet geht es dabei auch um die bessere Nutzung bereits vorhandenen Möglichkeiten, wie etwa Expert*innen aus aller Welt zu Wort kommen zu lassen, was mit dem „Neuland“ Internet doch eigentlich gar nicht so schwer sein sollte. Es führt kein Weg daran vorbei: Die Inhalte und Methoden des Schulunterrichts müssen dringend überarbeitet und an die Bedürfnisse und die Zukunft der nächsten Generationen angepasst werden.


Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.