Interview

„Insekten-Snacks“ – das Essen der Zukunft? Mit Camilo Wilisch und Sebastian Kreßner

Camilo Wilisch und Sebastian Kreßner
Camilo Wilisch und Sebastian Kreßner wollen Insekten auf dem Speiseplan etablieren.

Insekten essen? Für die meisten Europäer*innen ist das erstmal ein ungewöhnlicher Gedanke, der nicht selten mit einer Portion Ekel einhergeht. Sebastian Kreßner, Betriebswirtschaftler aus Berlin und Camilo Wilisch, Diplom-Ingenieur für technischen Umweltschutz und gebürtiger Kolumbianer, wollen dem negativen Image der Insektennahrung etwas entgegensetzen und die kleinen Tierchen auf unserem Speiseplan etablieren. Erst seit dem 1. Januar 2018 dürfen Insekten in Europa vertrieben werden: Sebastian und Camilo überlegten nicht lange und gründeten im Juli 2020 „Native Foods“, das heute unter dem Namen “Pinkas” lokale Abnehmer und Online-Shops mit Insekten-Snacks beliefert. Wir sprechen mit den beiden über ihre Lieblingsinsekten, Nachhaltigkeit und warum sie glauben, dass Insekten das Essen der Zukunft sind. 

Von Lisa Rethmeier und Hannah Lettl, funky-Jugendreporterinnen

Wann habt ihr das erste Mal ein Insekt gegessen? 
Sebastian: Ich habe das erste Mal im Thaipark in Berlin Insekten gegessen. An einem asiatischen Kochstand gab es geröstete Grillen. Das war sehr lecker, aber für einen Europäer wie mich nicht so normal. Es ist auch lange bei diesem ersten Mal geblieben, bis ich mich mit dem Thema Insektenmehl beschäftigt habe und was man damit alles so machen kann. 

Camilo: Ich kann nicht genau sagen, wann ich das erste Mal Insekten gegessen habe. Als Kind haben meine Eltern oft geröstete Blattschneiderameisen gekauft. Das ist eine beliebte Delikatesse in Kolumbien. In den 90er Jahren kam dann der Trend von Insekten in Lollipops.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, Snacks auf Insektenmehlbasis zu produzieren?
Camilo: Bevor Sebastian und ich uns begegnet sind, hatten wir beide verschiedene Ideen ausprobiert. Im Sommer 2018 organisierten wir ein Insektendinner. Wir haben viele Leute eingeladen, die alle unterschiedliche Produkte mitgebracht haben, unter anderem auch Cracker. Wir hatten die Idee, Insektenessen leichter zugänglich und schmackhaft zu machen, auch deshalb haben wir uns für Snacks entschieden. Unser Ziel war es, einen Snack zu kreieren, der Proteine und Ballaststoffe liefert und gut schmeckt. 

Massentierhaltung ist für Insekten nah am natürlichen Lebensraum.

Was macht eure Produkte nachhaltig?
Camilo: Bezüglich der Ressourceneffizienz müssen wir uns die Frage stellen, wie wir die Menschheit in 20 oder 30 Jahren ernähren wollen. Da verschiedene Insektenspezies Allesfresser sind, können wir Insekten züchten, indem wir Reststoffe aus der Landwirtschaft und aus verschiedenen Kreisläufen nutzen.

Sebastian: Um ein Kilogramm Grillen zu produzieren, brauchen wir je nach Futtermittel und Zuchtbedingung 1,5-2 Kilogramm Futtermittel und circa 10 Liter Wasser. Zum Vergleich: Um ein Kilogramm Rindfleisch zu produzieren, brauchen wir 20 bis 25 Kilogramm Futtermittel und circa 15.000 Liter Wasser. Diese Indikatoren machen das Potential von Insekten deutlich, auch in ethischer Hinsicht. Im Gegensatz zu einem Rind, das auf der Weide steht und seine Artgenossen als Spielkameraden braucht, ist Massentierhaltung für Insekten nah am natürlichen Lebensraum.

Camilo, du kommst ursprünglich aus Kolumbien. Wieso ist es dort normal, dass Insekten auf dem Speiseplan stehen und warum denkst du, ist das in Europa noch so ungewöhnlich?
(lacht) Sehr schwierige Frage. Was heißt normal? Insekten sind seit Jahrtausenden Teil der menschlichen Ernährung. Ich glaube, dass hat sich in vielen Kulturen bewahrt. In Kolumbien und in Mexiko gibt es beispielsweise über 500 essbare Insektenspezies. In den Tropen werden am meisten Insekten gegessen, da sie in wärmeren Regionen einfach besser verfügbar sind. Es ist aber bekannt, dass mit wachsendem Wohlstand weniger Insekten gegessen werden. Warum Insekten hier kaum auf dem Speiseplan stehen, hat verschiedene Gründe. Religion zum Beispiel hat eine große Rolle in unserer kulinarischen Entwicklung gespielt, dort wurden Insekten als unsauber verpönt. Als Sebastian und ich uns kennengelernt haben, hat er mir von der Maikäfersuppe erzählt. Diese Suppe ist ein deutsches Gericht, das im 18. Jahrhundert sehr weit verbreitet war. Man hat die Maikäfer gesammelt und eine Brühe daraus gemacht. Die ist aber einfach in Vergessenheit geraten. Wir müssen uns dieses Wissen und die Tradition erhalten. 

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Eure Produkte sind streng genommen nicht vegetarisch oder vegan. Wie wollt ihr diese wachsende Kundschaft überzeugen? Und was waren bisher die Reaktionen von Vegetarier*innen oder Veganer*innen auf eure Insektensnacks?
Camilo: Circa 8 Millionen Deutsche ernähren sich in Deutschland vegetarisch. Veganer*innen gibt es in Deutschland 1,1 Millionen. Wenn wir uns aber auf die Flexitarier*innen konzentrieren, dann sind das fast 30- 40 Prozent der Deutschen. Das sind 40 Millionen Menschen, die wir ansprechen können und die offen für solche Innovationen sind. Es gibt derzeit auch eine sehr langsame Tendenz zu einer neuen Ernährungsform, die nennt sich Entoveganismus. Das sind Menschen, die sich hauptsächlich vegan ernähren, aber Insekten in den Speiseplan mit aufnehmen. Wie wollen wir Vegetarier*innen überzeugen? Über die Informationen über die Nachhaltigkeit und die Nährstoffe. 

Sebastian: Auf Verkostungen ist meine erste Frage immer, warum man vegetarisch oder vegan lebt. Und wenn dann der Hauptgrund das Thema Nachhaltigkeit ist, dann sind die Insekten argumentativ auch gut zu vertreten. Insekten enthalten sehr viel Eisen. Bei einem insektenangereicherten Brot reicht bereits ein veganer Aufstrich und man hat seinen Eisenbedarf gedeckt. Diesen Mehrwert wollen wir den Menschen vermitteln.

Es gibt weltweit über 2000 essbare Insektenspezies.

Ist es nicht trotzdem nachhaltiger auf Fleisch und Insekten zu verzichten?
Camilo: Das kann man so und so sehen. Es gibt eine interessante Studie aus der Schweiz, in der verschiedene Ernährungsweisen verglichen wurden und die zu dem Schluss gekommen ist, dass Veganismus nicht die nachhaltigste Option ist. Dabei wurden verschiedene Kriterien untersucht wie Preis, Gesundheitsscore und Nachhaltigkeitsaspekte wie Wasserverbrauch, Emissionen und Landnutzung. Es hat sich herausgestellt, dass sich eine Minimierung des Fleischverbrauches besser auf die Nachhaltigkeit auswirkt, als wenn sich plötzlich alle Menschen in der Schweiz komplett vegan ernähren würden. 

Sebastian: Sojapflanzen, die vor allem an die Nutztiere verfüttert werden, verbrauchen sehr viel Wasser. Da kommen wir wieder zum Thema Diversität und müssen schauen, dass wir uns da breiter aufstellen und nicht nur von diesen Monokulturen leben.

Camilo: Es gibt weltweit über 2000 essbare Insektenspezies. In der Pflanzenwelt sind es ungefähr 20.000. Wenn man sich eine Durchschnittsdiät anguckt, dann nutzen wir ungefähr 15 Spezies als Nahrungsmittel und das ist langfristig nicht nachhaltig.

Seht ihr eine Gefahr, dass sich das Insektensterben verschlimmert, wenn die Insekten-Branche größer wird? Oder würdet ihr sagen, dadurch, dass ihr selber züchtet, besteht da kein Zusammenhang?
Camilo: Mein Lieblingsthema (lacht). Wenn wir das weltweit betrachten, gibt es das Risiko, weil zurzeit etwa 95 Prozent der essbaren Insekten aus der Wildnis gesammelt werden. Da ist es wichtig, nachhaltige Praktiken zu entwickeln. Wenn wir uns aber die industrielle Produktion von Insekten anschauen, vor allem in Hinblick auf die Ressourceneffizienz, dann haben wir weniger Flächennutzung. Das heißt, wenn ich die Tiere, die ich konsumiere, ressourceneffizient produziere, kann ich zum Beispiel Flächen zur Verfügung stellen, die ich dann wiederum für eine hohe Biodiversität nutzen kann. 

Wir haben einen Mehlwurmzüchter, dessen Mehlwürmer am Ende der Zucht mit Chili gefüttert werden und dann wirklich nach Chili schmecken.

Es gibt weltweit mehr als 2000 essbare Insektenarten. Was ist euer Lieblingsinsekt und wie stark unterscheiden sich Insekten im Geschmack?
Sebastian: Ich kenne die typischen europäischen Insekten, die hier auch zugelassen sind. Die Grille oder die Heuschrecke schmecken mir am besten, die haben einen sehr nussigen, knusprigen Geschmack. Wir haben einen Mehlwurmzüchter aus Österreich, dessen Mehlwürmer am Ende der Zucht mit Chili gefüttert werden und dann wirklich nach Chili schmecken. Man kann kulinarisch schon viel aus Insekten machen. Was alle gemein haben, ist, dass sie sehr knusprig sind und deswegen – vielleicht noch mit einem guten Öl angebraten – sehr lecker sind. 

Camilo: Ich finde die Heuschrecke super. Ich sehe da ein großes Potenzial, auch im Gastronomiebereich. Die Heuschrecke ist sozusagen der „Land“-Scampi auf dem Gebiet. Sie ist groß genug und schmeckt sehr gut.

Was ist das verrückteste Gericht mit Insekten, das ihr jemals gegessen habt?
Sebastian: Für mich war am Anfang alles ziemlich verrückt, muss ich sagen. Ich habe erst im ausgewachsenen Alter Kontakt mit Insekten gehabt. Da war es schon verrückt, als wir Insekten in einer Pfanne angebraten und als Crouton-Ersatz für den Salat genutzt haben. Das ist aber echt praktisch und total lecker.

Camilo: Ich stehe in Kontakt mit einer Insektenköchin und freue mich schon auf das nächste Insektendinner mit ihr. Sie macht die verschiedensten Insekten-Kreationen, die geschmacklich sehr interessant sind. Als ich das erste Mal die Drohnenlarve probiert habe, war das schon eine Herausforderung: Wir haben die Drohnenlarven aus den Warben entnommen und dann daraus etwas zubereitet, dass fand ich schon sehr abgefahren. 

Wo wollt ihr in Zukunft mit eurem Unternehmen hin?
Sebastian: Was wir noch gerne haben würden, wäre ein richtiger Snackartikel, wie Tortilla Chips. Da sind wir auch schon seit einiger Zeit in der Entwicklung. Wenn die Insekten dann mit unseren Crackern etabliert sind, können wir uns in Zukunft auch Fleischersatzprodukte vorstellen.

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.