Interview

„Das Ganze ist ja kein Selbstzweck“ – Ein junger Bundeswehrsoldat im Interview

Bundeswehrsoldatenbeine auf einem feldweg
Was bringt junge Menschen dazu, zur Bundeswehr zu gehen und sich jahrelang zu verpflichten?

Nach der Schule ein Auslandsjahr machen, ein Studium beginnen – oder marschieren und sich für 13 Jahre verpflichten? Pro Jahr bewerben sich durchschnittlich 120 000 Menschen bei der Bundeswehr. Doch was bringt junge Menschen dazu, zur Bundeswehr zu gehen?

Hannah Lettl, funky-Jugendreporterin


Moritz ist bereits seit er 17 ist bei der Bundeswehr. Vor drei Jahren begann er seine militärische Ausbildung und sein Studium an einer Bundeswehruniversität und ist bis 2031 verpflichtet. In einem Interview spricht er unter anderem über die Beweggründe zur Bundeswehr zu gehen, wie er über psychotraumatische Störungen denkt und das Thema Rechtsextremismus in der Bundeswehr.

In welcher Abteilung bist du und was sind dort deine Aufgaben?
Die Bundeswehr ist unterteilt in Heer, Luftwaffe und Marine und die Sanitäter. Ich bin in der Offizierslaufbahn beim Heer in der Jägertruppe. Das ist die leichte Infanterie und damit Teil der Kampftruppe. Dort werden wir vor allem für den Häuserkampf und den Waldkampf ausgebildet, aber momentan mache ich ein Wirtschaftsstudium an einer Bundeswehruniversität. Mit dem Studium möchte ich mir eine weitere berufliche Perspektive schaffen, denn man ist ja wahrscheinlich nicht ewig bei der Bundeswehr. Natürlich kann man auch Berufssoldat werden, aber ich bin erstmal die 13 Jahre verpflichtet.

Wenn du jetzt sagst du bist noch im Studium, bist du dann auch zeitgleich noch im Training? Wie teilt sich das auf?
Also wir studieren in Trimestern, das heißt wir haben drei Prüfungsphasen im Jahr statt zwei wie an normalen Unis. Den Sommer haben wir meistens frei, um Praktika zu machen. Aber sonst müssen wir auch im Studium unsere militärischen Leistungen erbringen: Man muss einmal im Jahr schießen gehen, man muss marschieren oder schwimmen gehen. Die Hauptsache ist aber, das Studium gut zu bestehen und da legen die Vorgesetzten auch großen Wert drauf.

Ist das nicht viel mehr Arbeit als ein normales Studium?
Ja, es ist intensiver als ein gewöhnliches Studium aber dadurch, dass wir normal weiterbezahlt werden, haben wir weniger Sorgen als normale Student*innen. Unsere einzige Sorge ist eben, ob wir die Klausur bestehen. Aber wir müssen uns nicht mit einem Nebenjob noch um die Miete kümmern. Dadurch wird einem einiges abgenommen.

Wie sieht dein Alltag als Student und Bundeswehrsoldat aus?
Während der Unizeit habe ich unter der Woche ganz normal meine Vorlesungen. Ich stehe morgens dann so um 7/8 Uhr auf. Je nachdem wie mein Vorlesungsplan ist, mache ich erst Sport oder besuche Vorlesungen, dann koche ich zwischendurch etwas. Mittwoch haben wir meistens nachmittags den militärischen Mittwoch, wo wir unsere militärischen Leistungen absolvieren. Da gehen wir marschieren, schießen, oder widmen uns anderen Aktivitäten. Nach der Unizeit geht es dann wieder in die militärischen Lehrgänge rein, wo man zum Zugführer ausgebildet wird. Und nach ein paar Jahren geht man dann als voll ausgebildeter Offizier in die Truppe und führt seine Leute.

Warum hast du dich damals entschieden zur Bundeswehr zu gehen?
Ich bin schon mit 17 zur Bundeswehr gegangen, weil ich ziemlich früh mein Abitur hatte. Ich wollte nicht unbedingt ein duales Studium bei der Bank machen, sondern ein duales Studium, bei dem ich mich selber herausfordern kann. Was auch wichtig ist: das Ganze ist ja kein Selbstzweck. Mir war es wichtig auch schon in jungen Jahren Verantwortung zu übernehmen, und dafür war und ist die Bundeswehr prädestiniert.

Du hast dich für 13 Jahre verpflichtet. Hast du Angst davor, in einen Auslandseinsatz geschickt zu werden?
Im Idealfall sollte einem das klar sein, wenn man die Verpflichtung unterschreibt. Man trainiert die ganze Zeit ja auch zielgerichtet drauf hin, damit man dann dazu bereit ist und wer das nicht ist, hat den falschen Beruf gewählt. Das Ganze ist kein Selbstzweck und Auslandseinsätze sind das, wofür wir im Endeffekt da sind, und deshalb sollte man in meinen Augen bereit da zu sein.

Wovor hast du am meisten Angst bezüglich deines Berufs?
Ich würde sagen Angst ist generell das falsche Wort hier. Am meisten Respekt habe ich davor, aus einem Einsatz wiederzukommen und psychische Probleme zu haben, beispielsweise eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Das sind Verwundungen, die man den Leuten nicht ansieht, aber die es doch recht häufig gibt. Klar, natürlich möchte man auch nicht physisch verwundet werden, aber bei den psychischen Erkrankungen hat man halt selbst kaum Einfluss. Einfach als komplett anderer Mensch wiederzukommen, davor habe ich schon am meisten Respekt.

Denkst du, du könntest im Ernstfall auf einen Menschen schießen oder einen Menschen umbringen?
Man wird darauf trainiert in den Einsatz zu gehen und dazu gehört auch der Umgang mit der Waffe. Im Ernstfall, wir trainieren das ganze ja drillmäßig, muss man funktionieren um seine Kamerad*innen und auch sein eigenes Leben zu schützen und auch den Auftrag zu erfüllen. Das ist dazu da, die Bevölkerung zu Hause zu schützen. Deshalb sieht man wahrscheinlich weniger den Menschen vor sich, sondern eher den Feind. Zum Glück war ich noch nie in so einer Situation und hoffe auch nicht, in so eine zu kommen. Ich glaube das wünscht sich niemand.

Die Wehrpflicht wurde ja 2011 ausgesetzt, was hältst du davon sie wieder einzuführen?
Fangen wir mit dem Schlechten an: Schlecht daran, dass die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, ist das die Bundeswehr aus der Gesellschaft verschwunden ist. Früher hatte man in jeder Familie mindestens einen Soldaten, der erzählen konnte, was bei der Bundeswehr abläuft. Ich kenne außerdem viele ältere Bundeswehrsoldaten, die durch die Wehrpflicht zur Bundeswehr gekommen sind und vorher der Bundeswehr abgeneigt waren. Erst durch die Wehrpflicht haben sie gemerkt, was das für ein toller Beruf sein kann. Durch den Wegfall der Wehrpflicht geht uns also ziemlich viel Personal durch die Lappen. Generell bin ich aber der Meinung, dass jeder seines Glückes Schmied ist und jeder sein Leben so leben sollte, wie er möchte. Ich bin ein Mensch, der viel Wert auf Freiheit legt. Ich finde es okay, dass es die Wehrpflicht nicht mehr gibt, dass die jungen Menschen das machen können nach der Schule, was sie möchten und frei in ihren Entscheidungen sind. Deswegen bin ich auch nicht unbedingt für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht. Die Bundeswehr muss sich halt als attraktiver Arbeitgeber behaupten und dadurch junge Leute an sich ziehen.

Die EU garantiert jetzt seit mehr als 70 Jahren Frieden. Warum braucht Deutschland dann deiner Meinung nach noch eine Armee?
Eine Armee braucht es deswegen, weil nicht jedes Land und jede Gruppierung unseren demokratischen Werten gegenüber freundlich gesonnen ist. Zu denken, nur weil wir schon lange im Frieden leben, weiter in Frieden leben werden, ist für mich ein bisschen naiv. Wenn man Frieden möchte, muss man wehrhaft sein und vielleicht ist der Grund für den 70-jährige Frieden in Europa auch die demokratischen Armeen, die für unseren Frieden und unsere Sicherheit sorgen.

Thema Rechtsextremismus: Hast du selber schon Erfahrungen mit Rechtsextremismus in der Bundeswehr gemacht? Kennst du Kameraden, die auf diese Weise ticken?
In der Bundeswehr kommt man durch die ganzen Lehrgänge und Versetzungen recht gut rum und man lernt sehr viele Menschen kennen. Ich habe schon hunderte Menschen in der Bundeswehr kennengelernt und da war bis jetzt kein einziger dabei, der eine Meinung hatte, die nicht mit beiden Beinen auf dem Grundgesetz steht. Alle Bewerber*innen, die zur Bundeswehr gehen wollen, werden doppelt und dreifach gecheckt ob es da irgendwelche zweifelhaften Hintergründe gibt. Ich meine klar, voll durchleuchten kann man niemanden und man kann nie komplett in eine Person reinschauen. Ich selbst habe aber noch nie jemanden kennengelernt, der so eine Meinung vertritt und im Endeffekt korreliert das ja auch gar nicht mit den Werten, die wir verteidigen. Wir verteidigen die Freiheit des deutschen Volkes und die freiheitlich demokratische Grundordnung. Das ist ja überhaupt nicht das, was Rechtsextreme wollen und deswegen passt das von den Werten überhaupt nicht bei uns rein. Wenn ich aber selbst jemanden erwischen würde, der entsprechendes Gedankengut vertritt, würde ich das nicht tolerieren. Da ist auch keine falsch verstandene Kameradschaft angesagt, sondern sowas muss direkt bei dem Vorgesetzten gemeldet werden und so denken auch alle meine Kamerad*innen.

Der Militärische Abschirmdienst hat neue Dimensionen von Rechtsextremismus gefunden und eine Kompanie des Kommandos Spezialkräfte wurde bereits aufgelöst. Würdest du dazu auch sagen, das sind Einzelfälle oder muss man von einem Strukturproblem sprechen?
Das Problem beim KSK denke ich ist, dass die so geheim sind und abgekoppelt von der restlichen Bundeswehr agieren. Das ist dann vielleicht ein bisschen zu autonom. Da lag vielleicht das Problem, warum sich da so viel in diese Richtung entwickelt hat.

Aber sind das dann noch Einzelfälle oder sprechen wir nicht schon von einem Netzwerk?
Ich bin in der Begriffsdefinition nicht so drin ab wann etwas ein Netzwerk ist oder ab wann nicht mehr von Einzelfällen gesprochen werden kann, aber ich würde schon eher von Einzelfällen sprechen, auch einfach durch die Erfahrungen, die ich selber gemacht habe.

Bist du vielleicht nur in einem Kreis, wo das nicht so weit verbreitet ist?
Generell ist die Bundeswehr einfach ein Querschnitt von der Gesellschaft, obwohl Menschen, die extrem pazifistisch eingestellt sind, sehr wahrscheinlich nicht zur Bundeswehr gehen. Aber im Endeffekt sind wir 180.000 Soldaten und ich bin mir sicher, dass es bei Bayer oder Volkswagen auch Menschen gibt, die rechtsextremes Gedankengut tragen, das ist auch einfach nur ein Querschnitt der Gesellschaft. Wie gesagt, das sind Einzelfälle von Menschen, die halt fehl am Platz sind.

Aber anders als bei Bayer oder Volkswagen kriegen die Menschen in der Bundeswehr eine Waffe in die Hand …
Ja, und jeder Einzelne ist einer zu viel. Das ist vollkommen klar. Zu Beginn bei der Bundeswehr haben wir auch ziemlich viel Unterricht bekommen, wie wir uns zu verhalten haben, auch grade im Hinblick auf dieses Thema. Wenn wir mitbekommen, dass jemand so tickt, ist das nicht tolerierbar. Die Vorgesetzten achten da sehr stark drauf, aber auch die Soldaten unter sich. Es gibt eben keinen Platz für rechtsradikales Gedankengut bei der Bundeswehr.

Die gesellschaftliche Wahrnehmung der Bundeswehr hat sich in den letzten Jahren eher verschlechtert? Was würdest du dir für die Zukunft wünschen?
Ja, wir haben keinen guten Stand in der Gesellschaft und da gibt es viele Soldaten, die sich mehr Respekt wünschen, für das was sie leisten. Wir als Soldaten opfern teilweise unser Familienleben, dafür das wir den Dienst für das Land verrichten und da würden sich viele Soldaten mehr Verständnis wünschen, für das was sie machen und mehr Respekt. Sonst herrscht immer so ein freundliches Desinteresse in der Gesellschaft.

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.