Interview

Jung und politisch: Annika Klose (SPD) im Interview

Portraitfoto von Annika Klose vor einer grünen Wiese
Annika Klose (29) war fünf Jahre lang Bundesvorsitzende bei den Jusos. Bei der Bundestagswahl im September kandidiert sie im Wahlkreis Berlin-Mitte nun erstmals für die SPD.

In der Beitragsreihe „Jung und politisch“ möchte die funky-Redaktion herausfinden, warum junge Politikerinnen und Politiker parteipolitisch aktiv sind und welche Ziele sie verfolgen. Annika Klose (29) war fünf Jahre lang Vorsitzende der Berliner Jusos. Politik war für sie lange ein ehrenamtliches Engagement, für das sie nie Geld bekommen hat. Bei der Bundestagswahl im September kandidiert sie im Wahlkreis Berlin-Mitte nun erstmals für die SPD. Warum sie glaubt, dass der Klimawandel kein Generationskonflikt ist, man nicht von verrückten rechten Einzeltätern sprechen sollte und welches Fazit sie aus den letzten vier Jahren GroKo zieht, erzählt sie im Interview.

Von Hannah Lettl und Knut Löbe, funky-Jugendreporter


Wie kam es, dass du in die Politik gegangen bist?

Die Frage ist doch, was ist eigentlich Politik? Ich habe mich eigentlich schon fast immer schon politisch engagiert. Ich bin in Niedersachsen zur Schule gegangen. Dort habe ich angefangen, mich zu engagieren, um bessere Lernbedingungen für alle zu erzielen und um zu zeigen, dass Bildung nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig ist. Richtig parteipolitisch engagiert habe ich mich dann mit 19, als ich für mein Studium nach Berlin gezogen bin. Damals standen die Wahlen im Abgeordnetenhaus an und ich kam zu der Erkenntnis, dass keine dieser Parteien, die damals zur Wahl antraten, komplett meine Interessen vertrat.

Mir hat es nicht gereicht, alle vier Jahre irgendwo mein Kreuz zu setzten und dann zu hoffen, dass die mir wichtigen Punkte umgesetzt werden. Das war für mich der Stein des Anstoßes. Ich war außerdem in Geflüchteteninitiativen aktiv und habe dort festgestellt, dass konkrete Hilfe vor Ort wichtig ist, aber viele der Ungleichheiten dennoch systemverschuldet sind. Um das zu ändern muss man an größeren Stellschrauben drehen. Für mich war deswegen klar, dass ich Politik, Gesetze und das System, in dem wir leben, gerechter gestalten möchte. So bin ich in die Politik gekommen.

Warum hast du gerade die SPD als Partei auserwählt?
Zuerst bin erstmal zu den JUSOS gekommen, der Jugendorganisation der SPD. Diese ist noch deutlich  weiter links von der SPD einzuordnen. Für mich war klar, dass es eine eher linke Partei sein soll. Mir gefallen die Grundwerte der SPD: Freiheit, Gleichheit, Solidarität und die Geschichte als Arbeiter*innenbewegung.

Was ich bei den JUSOS so geschätzt habe, versuche ich auch bei der SPD umzusetzen.

Annika Klose über ihren Kurs bei der SPD

An den JUSOS gefällt mir, dass sie zum einen in den Parlamenten, also realpolitisch im Hier und Jetzt, etwas verändern wollen, aber auch das große Ganze im Blick behalten wird. Für die größere gesellschaftliche Veränderung wird auf der Straße, in Bündnissen, auf Demos und mit der politischen Jugendarbeit gekämpft. Es gibt nicht nur den auf das Parlament versteiften Blick. Deswegen bin ich zu den JUSOS gekommen. In die SPD bin ich schließlich auch eigetreten und dort nach und nach aktiver geworden. Ich würde sagen, dass sich an meiner Grundhaltung nichts geändert hat, ich aber heute eben auch versuche, die SPD in die Richtung einer linkeren Politik zu bewegen, die auch wieder die größeren Fragen stellt. Was ich bei den JUSOS so geschätzt habe, versuche ich auch bei der SPD umzusetzen.

Welche Herausforderungen bringt ein junges Alter mit sich, wenn man in heutigen Zeiten etwas bewegen möchte?
Für mich war es ein langer Weg bis zur Bundestagskandidatin der SPD. Für die SPD ist es ein großer Schritt, dass wir jetzt so viele junge Kandidat*innen haben. Ich habe 2018/2019 schon für das europäische Parlament kandidiert, wie viele junge Frauen in der SPD. Damals wurde keine einzige von uns aufgestellt. Bundesweit sind danach junge Frauen aufgestanden, weil immer gesagt wurde, die SPD muss jünger, weiblicher und digitaler werden. In der Praxis wurde das dann aber nicht umgesetzt. Das war sehr frustrierend.

Auch mir wurde schon oft gesagt: Du bist doch noch so jung, du hast doch noch so viel Zeit, geh doch erstmal zehn Jahre arbeiten, gründe doch erstmal eine Familie. Also wirklich die Klassiker. Heute bin ich an den Punkt gekommen, wo ich sage, dass das einfach keine inhaltlichen Argumente sind. Diskutiert mit mir auf inhaltlicher Ebene, setzt euch mit dem, was ich möchte und fordere, auseinander, und nicht nur mit meinem Alter. Ich habe den Eindruck, dass sich durch den Frust und die Auseinandersetzungen, die wir seit Jahren geführt haben, etwas verändert hat. Auch bei den älteren Parteimitgliedern ist umgedacht worden.

Würdest du sagen, es gibt auch Vorteile, die du gegenüber älteren Parteikolleg*innen hast?
Ja, ich habe schon den Eindruck, dass bei mir junge Menschen eher zuhören, wenn ich über Politik rede, weil ich in lockerer Sprache spreche und es mir leichter fällt, mich in den sozialen Medien zu bewegen und dort authentisch politische Inhalte zu kommunizieren. Das bezieht sich aber wirklich auf die Wähler*innenansprache.  Am Ende macht es die Mischung – dass man ältere, mittelalte und junge Leute hat. Gerade die Jüngeren waren zu lange unterrepräsentiert.

Die SPD fiel bei der Bundestagswahl 2017 auf ein Rekordtief. Die Umfragewerte sind derzeit bei 15 Prozent. Wie kann die SPD wieder mehr Zustimmung und Wähler*innen gewinnen?
Langsam klettern wir aus dem Keller. Ich glaube schon, dass eben auch neue, jüngere, linkere Kandidat*innen einen Beitrag dazu leisten können. Ich erlebe das im Wahlkampf sehr stark, wenn ich Leuten einen Flyer gebe und sage: Hey, ich bin hier die Kandidatin. Viele sind total überrascht. „Sie sind die Kandidatin von der SPD? Sie sind aber jung.“ Dieser Aha-Moment hilft uns, weil die Leute sehen, dass wir nicht mehr dieselbe SPD sind wie vor 20 Jahren.

Das Wichtigste ist, endlich mal aus einer Regierungskoalition mit der CDU rauszukommen.

Annika Klose über eine mögliche GroKo

Um die SPD langfristig aus diesem Stimmungsloch herauszuholen, ist das Wichtigste, endlich mal aus einer Regierungskoalition mit der CDU zu kommen und Mehrheiten zu haben, um auch wirklich linke Politik machen zu können. Irgendwann hinterfragen uns die Wähler*innen zurecht, wenn wir in den Wahlprogrammen etwas versprechen und das dann nicht eintrifft. Ich glaube, wenn die SPD wieder Glaubwürdigkeit zurückgewinnen will, dann muss sie eine Regierungskoalition schaffen, in der sie solche Projekte wirklich umgesetzt bekommt und nicht nur verspricht. Das wäre wichtig!

Der ehemalige Bundestagspräsident und SPD-Politiker Wolfgang Thierse hat eine Debatte über linke Identitätspolitik in deiner Partei losgelöst. Spaltet sogenannte Identitätspolitik unsere Gesellschaft oder ist sie deiner Meinung nach notwendig?
Ich glaube, dass das Label „Identitätspolitik“ eines ist, das eher von rechten Kräften geprägt wird, die die bisherigen Strukturen aufrechterhalten wollen. Eine Sozialdemokratie mit den Grundwerten Freiheit, Gleichheit und Solidarität war immer dann stark, wenn sie es hinbekommen hat, gesellschaftliche Gruppen zusammenzubringen und gemeinsam für mehr Rechte für alle zu kämpfen. Wenn man sich heute anschaut, wer denn die Gruppen sind, die weniger Rechte und Teilhabe haben, dann sind es Menschen mit geringem Einkommen, mit Migrationshintergrund und Frauen, die auch nach wie vor weniger verdienen. Diese Kämpfe gemeinsam zu kämpfen muss unser Weg sein! Hier zu sagen, dass sei Identitätspolitik, weil sich nur für eine bestimmte Gruppen eingesetzt wird, ist eigentlich totaler Quatsch. Was sind wir denn als Gesellschaft, wenn nicht ein Zusammenschluss von Gruppen? Wir alle haben verschiedene Identitäten.

Die Politik war zu lange auf dem rechten Auge blind.

Annika Klose über den Kampf gegen Rechts

Eine deiner wichtigsten Positionen ist der Kampf gegen Rechts. Was muss die Politik konkret gegen rechte Strukturen unternehmen?
Ich glaube, dass die Politik zu lange auf dem rechten Auge blind war. Insbesondere rechte Strukturen bei der Bundeswehr konnten zu lange im Verdeckten operieren. Die Erkenntnisse aus dem NSU-Untersuchungsausschuss wurden bis heute nicht komplett umgesetzt. Das ist ein großes Problem. Ich habe den Eindruck, dass die vielen rechten Netzwerke, die aufgedeckt wurden, schon zu einem Aufschrecken geführt haben. Aber es ist  wichtig, dranzubleiben und nicht von verrückten Einzeltätern zu sprechen. Man muss anerkennen, dass es diese Strukturen gibt. Wir müssen außerdem die Zivilgesellschaft stärken, die den Protest organisiert. Wir haben eine unfassbar aktive Zivilgesellschaft. Diese braucht die Unterstützung und die Finanzmittel, um ihre Arbeit gut machen zu können.

Die große Koalition neigt sich dem Ende zu. Bei den Koalitionsgesprächen 2018 haben die Jusos sich mit der Kampagne #nogroko gegen die Große Koalition gestellt. Welches Fazit würdest du ziehen? Kann die Große Koalition nach der Wahl für die SPD erneut in Frage kommen?
Die #nogroko-Kampagne war wirklich besonders. Wir haben vielen jungen Leuten, nicht nur in der SPD, die Hoffnung gegeben, dass es auch anders laufen kann, und gezeigt, dass in diesem Land nicht alles in Stein gemeißelt ist. Die GroKo kam letztendlich trotzdem, aber das Gefühl ist geblieben. Das sieht man heute auch in der SPD. Wir haben eine neue Parteispitze gewählt, mit der niemand gerechnet hätte. Wir haben jetzt viele junge JUSO-Kandidat*innen, die aufgestellt wurden, und wir haben beschlossen, dass wir Hartz-IV abschaffen wollen.

Die SPD war schon fleißig, trotzdem kann man nicht zufrieden sein.

Annika Klose über die Ziele der SPD

Vor wenigen Jahren wäre das in der SPD undenkbar gewesen. Es bewegt sich etwas.  Ich finde, wir haben jetzt das Beste aus diesen Jahren herausgeholt, insbesondere in der Pandemie war ich sehr dankbar, dass die SPD da war. Mit dem Kurzarbeitergeld wurden 2,2 Millionen Jobs gerettet und es wurde für die Unterstützung der kleinen Unternehmen gesorgt. Auch das neue Klimaschutzgesetz, das nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil noch einmal deutlich verschärft wurde, hätte es ohne die SPD so nicht gegeben. Um gegen Altersarmut zu kämpfen kommt jetzt noch die Grundrente. Die SPD war schon fleißig, trotzdem kann man nicht zufrieden sein. Zusammen mit den Konservativen ist es schwer, etwas am grundsätzlichen Rahmen des Ganzen zu verändern. Konservativ zu sein, heißt, alles so zu bewahren, wie es ist. Ich glaube nach wie vor, dass Deutschland eine Regierung verdient hat, die wirklich etwas verändern möchte. Deswegen: Der Kampf geht weiter!

Die GroKo hat eine schwache Klimabilanz. Gerade die Jugend will eine stärkere Klimapolitik. Wie wollen du und deine Partei der Jugend zeigen, dass man ihr zuhört?
Das ist vielschichtig. Einiges wurde mit dem neuen Klimaschutzgesetz beschlossen. Das Beschlossene reicht allerdings nicht aus, um die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen, denn Paris fordert, dass reiche Industrienationen wie Deutschland deutlich schneller aus nicht-nachhaltigen Energiequellen aussteigen. Außerdem muss man ernsthaft in den Dialog einsteigen und thematisieren, was mit den vielen Jobs passiert, die man so nicht aufrechterhalten kann. Da fehlen bisher die richtig guten Antworten.

Auch ältere Menschen wollen unser Klima schützen.

Annika Klose über den vermeintlichen Generationskonflikt zum Klimawandel

Wenn wir die Mehrheit der Bevölkerung mitnehmen möchten, geht es auch darum, eben diese Jobs zu erhalten oder neue zu schaffen. Wir müssen die Auflagen vor allem in der Produktion erhöhen, damit Unternehmen verpflichtet sind, nachhaltiger zu produzieren. Damit nur das produziert wird, das in Einklang mit den Klimaschutzzielen steht und nicht am Ende erst der/die Konsument*in entscheidet: Nehme ich jetzt das klimafreundliche Produkt oder spare ich 30 Cent und nehme das klimaschädliche Produkt? Das müssen wir bezahlbar gestalten und nur Produkte zur Auswahl stellen, die auch entsprechend konform sind. Das wäre mein Ziel.

Warum glaubst du dabei, dass der Klimawandel kein Generationskonflikt ist? 
Auch ältere Menschen wollen unser Klima schützen. Wenn man sich mal die Umfragen anschaut, dann sind die Zustimmungswerte zu der Aussage „Wir müssen Klimaschutz machen” bei den Jungen am höchsten, aber auch bei den Älteren sind es über 60 Prozent, die den Klimaschutz für ein sehr wichtiges Thema halten. Ältere Menschen wollen, dass ihre Enkel*innen und Urenkel*innen auf einem Planeten leben, der lebenswert ist. Deswegen glaube ich, dass es kein Generationenkonflikt ist, sondern eher ein Konflikt zwischen Arm und Reich. Viele stellen sich die Frage: Wie soll ich denn das finanzieren? Und wie soll ich das stemmen, mein ganzes Leben umzustellen? Da müssen wir ansetzen. Den Menschen mit Bildungsangeboten und finanziellen Hilfen Perspektiven aufzeigen, wie man das Leben eben anders gestalten kann und es trotzdem lebenswert ist –  zum Beispiel auch ohne Auto.

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.