Interview

„An Bord war Freizeit Mangelware“ – Julian verbrachte über ein Jahr auf See

Julian Weiand steht mit einer gelben Jacke bekleidet auf dem Schiff, hinter ihm ist das Meer
Insgesamt fuhr Julian Weiand während seiner Ausbildung vier mal drei Monate zur See.

Um seinem Kindheitstraum, als Kapitän die Welt zu umsegeln, näher zu kommen, verbrachte Julian Weiand nach dem Abitur über ein Jahr auf See und ließ sich dort zum Nautischen Offiziersassistenten (NOA) ausbilden. Inzwischen hat er die Ausbildung abgeschlossen und studiert Bauingenieurwesen. Im Interview spricht er über seine Zeit auf See, den Arbeitsalltag auf einem Schiff, einmalige Erlebnisse und wie es ist, so weit weg von zu Hause zu sein.  

Xenia Beitz, funky-Jugendreporterin

Viele Abiturient*innen verbringen kurz nach dem Schulabschluss einige Monate im Ausland. Work and Travel, ein Au-pair-Jahr oder die Backpack-Tour sind heute nichts Ungewöhnliches mehr. Du hast dich für einen anderen Weg entschieden. Was genau hast du nach deinem Abitur 2018 gemacht?
Ich habe mich schon während meines Abiturs bei der Hapag-Lloyd für eine Stelle zum Nautischen Offiziersassistenten beworben und wurde dann auch angenommen. Wir waren insgesamt zehn Auszubildende. Im August 2018 ging alles in Hamburg los. Dort hatten wir eine Schnupperwoche, in der wir uns, unseren Ausbilder und die Firma durch Vorträge und Gespräche kennenlernten. Danach folgten zwei Wochen „Basic Safety Training”, das müssen nämlich alle, die zur See fahren, abgeschlossen haben. Die nächsten zwei Wochen konnten wir noch in technische Felder hineinschnuppern. Zum Beispiel lernten wir Schweißen, was eigentlich nicht unserem Berufsfeld entspricht, aber dennoch wissenswert ist. Danach startete die Gruppenreise. Wir sind also zu zehnt zu einem Schiff geflogen, der Chicago Express, und traten dort mit unserem Ausbildungsoffizier unsere erste dreimonatige Reise an. Bis zum Ausbildungsabschluss folgten darauf noch drei weitere Reisen.

Wie lange dauerte die Ausbildung insgesamt?  
Um das Zertifikat zum Nautischen Offiziersassistenten zu erhalten, braucht man laut Vorschrift zwölf Monate netto Seezeit. Man muss also zwölf volle Monate auf See verbracht haben. Bei mir war das in circa vier mal drei Monate aufgeteilt, dazwischen hatte ich etwa vier Wochen Urlaub, die ich zu Hause verbracht habe. Insgesamt war ich etwas mehr als zwölf Monate auf See, weil man das mit den Schiffen nicht immer auf den Tag genau planen kann. Alles zusammengenommen dauerte die Ausbildung gute anderthalb Jahre. 

Wie waren die ersten Wochen auf dem Schiff? Wurdest du seekrank?
Auf den riesigen Schiffen spürt man den Seegang nicht so stark. Es ist etwas anderes, als auf einem kleineren Schiff herumzuschippern. Aber ab und an, wenn es mal etwas stürmischer ist, merkt man natürlich schon etwas. Je nachdem, wie der Wellengang ist, kann es schon etwas unangenehm werden. Das erste Mal Seegang spürt man schon, aber man gewöhnt sich mit der Zeit einfach daran. Zur Not gibt es trotzdem Tabletten, was manche auch in Anspruch genommen haben.    

Wenn wir in den Hafen einliefen, wurde ich auch auf die Brücke beordert – oft hatte ich dann nur zwei Stunden geschlafen, da ich gerade von der Wache kam.

Wie sah ein typischer Arbeitstag bei dir aus? 
Der Alltag ist meist von Tag zu Tag, Woche zu Woche und natürlich auch von Schiff zu Schiff sehr unterschiedlich. Zu Beginn der Ausbildungsreise hatten wir eine klare Struktur, dort stand uns ja noch unser Ausbilder zur Seite. Außerdem waren wir zehn Azubis, die alle mit Aufgaben versorgt werden mussten, und wir waren auf dem Schiff als Arbeiter*innen noch gar nicht eingeplant. Wir waren zusätzlich da, um etwas zu lernen. Deswegen wurden wir verteilt. Ein paar Leute waren an Deck, dort wurde mit den Matrosen gemeinsam entrostet, Sachen wurden angemalt und das Schiff wurde in Stand gehalten. Diese Aufgaben müssen aufgrund der aggressiven Seeluft erledigt werden. In der Zeit der Ausbildungsreise hatten wir aber auch Unterricht. Dieser umfasste unter der Woche eineinhalb Stunden pro Tag, Samstag und Sonntag waren es vier Stunden am Morgen. An Bord war Freizeit eher Mangelware. Ein anderer Aufgabenbereich war die Wache auf der Brücke. Es muss immer ein Offizier auf der Brücke sein, er hat die Aufsicht und steuert das Schiff. Besser gesagt: Das Schiff wird durch den Autopiloten gesteuert, der Offizier wacht nur darüber und greift ein, wenn es nötig ist. Wir wurden diesen Wachen auch zugeteilt, gemeinsam mit den verantwortlichen Offizieren. 

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Während der Ausbildungsreise war alles etwas anders als auf „normalen“ Schiffen. Als ich alleine unterwegs war, lief der gesamte Arbeitsalltag geregelter ab. Auf der ersten Reise war ich anfangs immer einem Offizier zugeteilt und bin dann beispielsweise eineinhalb Monate mit dem Navigationsoffizier unterwegs gewesen. Er kümmert sich zum Beispiel um den Reiseplan, trägt die Reiseroute ein und plant sie im Voraus. Dazu kommen jederzeit Updates, wenn jemand etwas Neues entdeckt hat, wie ein Wrack oder ein sonstiges Hindernis, das in die Karten eingetragen werden muss. Hapag-Lloyd hat noch Seekarten, also so richtig aus Papier. Natürlich nur ergänzend zur elektronischen Seekarte, die mittlerweile Vorschrift ist. Die andere Hälfte der Reise war ich dann mit dem Safety Officer unterwegs, der dreht nach seiner eigentlichen Wache noch zwei Stunden die Runde und schaut, dass die Rettungsboote in Schuss sind, dass Feuerlöscher und Schläuche einwandfrei funktionieren und alles dicht ist. Wenn wir in den Hafen einliefen, wurde ich auch auf die Brücke beordert – oft hatte ich dann nur zwei Stunden geschlafen, da ich gerade von der Wache kam. Da habe ich dann entweder geholfen, das Schiff zu steuern, oder mich um das Bell Book gekümmert, das muss man führen muss. Da wird dann eingetragen, wann man sich auf welcher Position befand, um sich abzusichern. Wenn man im Hafen gelegen hat, musste man die Ladungswache mitgehen, die immer sechs Stunden umfasst. Dort musste man aufpassen, dass alles richtig geladen wird, vor allem die Gefahrgutcontainer. Es gab außerdem Aufgaben wie Proviantbesorgung für das Schiff, manchmal habe ich auch bei der Müllentsorgung am Hafen geholfen. Auf anderen Reisen habe ich wieder mehr an Deck gearbeitet. Die Aufgaben sind auf jeden Fall sehr vielfältig. 

Einmal hatten wir drei, vier Tage hintereinander sehr blöden Seegang. Wenn man dann vier Tage am Stück gar nicht schläft, weil man aus dem Bett rollt, ist das nicht ganz so cool.        

Gibt es einen Moment, an den du dich immer erinnern wirst?
Ich habe so viele Erinnerungen, ich würde sogar sagen überwiegend positive. Ein besonderer Moment war beispielsweise, als ich während einer Überfahrt zum ersten Mal das Schiff steuern durfte, das war, als wir durch den Suezkanal gefahren sind. Auch mit Landgängen verbinde ich viele schöne Erinnerungen. Man hat dort einfach coole Dinge erlebt, die man sonst vermutlich nicht erleben könnte. Auch Begegnungen mit Menschen aus anderen Ländern sind immer besonders. Vor allem sind mir auch die Ausflüge im Gedächtnis geblieben, ein Kapitän hat mal eine Safari organisiert. Natürlich gab es auch negative Erlebnisse. Einmal hatten wir drei, vier Tage hintereinander sehr blöden Seegang. Wenn man dann vier Tage am Stück gar nicht schläft, weil man aus dem Bett rollt, ist das nicht ganz so cool.        

Früher war die Seefahrt eine ganz klare Männerdomäne. Es hieß sogar, dass eine Frau an Bord Unglück bringen würde.

Teilweise wart ihr nur Männer auf dem Schiff. Woran liegt es, dass so wenige Frauen in dieser Branche arbeiten? 
Früher war die Seefahrt eine ganz klare Männerdomäne. Es hieß sogar, dass eine Frau an Bord Unglück bringen würde. Das waren die alten Seemannsgarn-Geschichten. Ich schätze, früher war es auch viel schwieriger, sich dort als Frau durchzusetzen. Mittlerweile hat sich das zum Glück geändert und es gibt immer mehr Frauen in der Seefahrt. Bei der Ausbildungsreise waren wir sechs männliche Azubis und vier weibliche. Auf der Reise war sowohl die erste als auch die zweite Offizierin eine Frau. Die erste Offizierin wurde sogar zur Kapitänin befördert, sie ist, soweit ich weiß, auch die jüngste Kapitänin Deutschlands. Frauen in der Seefahrtbranche sind auf jeden Fall immer mehr im Kommen. 

Du hast die Weltmeere bereist und warst immer für mehrere Wochen weg. Wie war das für dich? Hattest du Heimweh?
Bei mir war das Allerschwerste auf jeden Fall immer die erste Woche. Zuvor war ich vier Wochen daheim, konnte mich also daran gewöhnen, meine Familie, Freunde und meine Freundin zu sehen. Dann direkt wieder wegzufliegen und in der Regel noch niemanden auf dem Schiff zu kennen, war wirklich schwer. Manchmal dachte ich auch: Wieso mache ich das eigentlich? Trotzdem hatte ich sehr viel Glück und hatte immer tolle Crews, mit denen es wirklich Spaß gemacht hat. Mit einigen habe ich auch heute noch Kontakt. Somit hat sich das Heimweh auch immer relativ schnell gelegt. Am Ende der Reise war es fast immer schade, dass es schon wieder nach Hause ging. Natürlich habe ich mich auch gefreut, nach Hause zu kommen und die Verwandten zu sehen, trotzdem war man auf dem Schiff immer so etwas wie eine kleine Familie.      

Ich habe mich am Ende dennoch dagegen entschieden, weil es schwer ist, sein Leben lang immer so viel von daheim weg zu sein.

Seit 2020 bist du nun mit deiner Ausbildung fertig. Wie geht es jetzt für dich weiter? Siehst du in diesem Berufsfeld eine Zukunft für dich?
Ich habe mich dagegen entschieden, die Seefahrt weiterzuführen. Seit letztem Jahr studiere ich Bauingenieurwesen in Mainz und bin somit etwas näher an meiner Heimat. Es hat mir auf jeden Fall viel Spaß gemacht, die Entscheidung war sehr schwer und ist auch im letzten Moment gefallen. Ich habe mich am Ende dennoch dagegen entschieden, weil es schwer ist, sein Leben lang immer so viel von daheim weg zu sein. Ich habe eine sehr enge Bindung zu meiner Familie. Auch später für die Familienplanung wäre das schwierig. Wobei Bauingenieurwesen auch etwas ist, was mich schon immer interessiert hat und was mir jetzt auch viel Freude bereitet. Also falsch war diese Entscheidung auf keinen Fall.   

Jeden Abend auf der Brücke den Sonnenuntergang zu sehen, ist einfach toll. Ich habe so viele Tiere gesehen, von denen ich dachte, dass ich diese niemals in freier Wildbahn sehen könnte.

Wenn du noch mal entscheiden könntest, würdest du denselben Weg wählen? Was nimmst du persönlich aus dieser Zeit mit? 
Ich würde es immer wieder machen und ich würde es auch jedem empfehlen, der sich für Schiffe interessiert. Es war eine supertolle Zeit, man hat sehr viel von der Welt gesehen, was andere vielleicht ihr Leben lang nicht sehen werden. Klar, die Zeit war auch geprägt von harter und langer Arbeit, gerade wenn man eine 60-Stunden-Woche hatte. Es gab Momente, die anstrengend sind und an einem zehren, aber man wird von doppelt so vielen schönen Momenten entlohnt. Jeden Abend auf der Brücke den Sonnenuntergang zu sehen, ist einfach toll. Ich habe so viele Tiere gesehen, von denen ich dachte, dass ich diese niemals in freier Wildbahn sehen könnte. Das waren sehr oft Delfine, Schildkröten, Haie oder Wale, also alles, was das Meer zu bieten hat. Nicht zu vergessen habe ich auch viele tolle Menschen kennen- und auch mit diesen leben gelernt. Wenn man drei Monate mit 24 Mann/Frau auf sehr engem Raum eingesperrt ist, muss man schon miteinander auskommen und das meistern. Ich habe mich auch immer gefreut, wenn ich an Land gehen konnte, wenn es die Arbeit erlaubt hat. Die Erlebnisse, Städte und Momente, die man dort gesammelt hat, die nimmt einem keiner mehr.

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.