Jung und alleinerziehend: Von wegen überforderte Teenie Mutter

Volle Windeln, ein schreiendes Baby und daneben eine komplett überforderte junge Mutter, die sich nicht zu helfen weiß. TV-Formate wie die beliebte RTL-2 Serie „Teenie Mütter“ zeichnen seit Jahren ein verzerrtes Bild davon, wie es ist, alleinerziehend zu sein. Doch wie geht es jungen Müttern wirklich?

Hannah Lettl, funky-Jugendreporterin

In Deutschland gab es im Jahr 2019 laut dem Statistischen Bundesamt rund 1,5 Millionen Alleinerziehende, davon 1,34 Millionen alleinerziehende Mütter. Viele Single-Eltern haben jedoch noch immer mit gesellschaftlichen Vorbehalten und einer negativen Konnotation des Begriffs „alleinerziehend“ zu kämpfen. Vor allem junge Mütter fühlen sich häufig stigmatisiert und durch Vorurteile belastet. So auch Sabrina Gollnik: Mit 18 wurde sie ungeplant schwanger und musste ihr Fachabitur abbrechen. Mittlerweile ist sie zweifache Mutter, hat ihr Abitur nachgeholt und beginnt diesen Herbst ein Studium in Bildungs- und Erziehungswissenschaften. Trotzdem drücken ihr Menschen den “Teenie-Mutter Stempel” auf, mit der Annahme sie sei maßlos überfordert. 

Alleinerziehende haben häufig finanzielle Sorgen

Alleinerziehende berichten laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) häufiger von ökonomischen Sorgen als Nicht-Alleinerziehende. Auch Sabrina erzählt, dass Geld während der Schwangerschaft ihre größte Angst war. Während sie nach der Geburt des ersten Kindes als Teilzeitkraft im Schichtdienst arbeitete, durchlebte sie finanziell schwierige Zeiten. Als sie jedoch beschloss, ihr Fachabitur weiterzumachen, erfuhr sie große Unterstützung vom Staat, denn während einer Weiterbildung oder einem Studium werden zum Beispiel die Kitakosten übernommen. Sabrina erzählt: „Das Jahr, in dem ich Fachabi gemacht habe, war finaziell betrachtet das entspannteste Jahr, das ich je hatte“. Sie beantragte Wohngeld und BAFöG. 

Viele wissen allerdings gar nichts von den vielen Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung, weshalb Sabrina auf ihrem Instagramkanal @brinagollnik nun transparent über Fördermöglichkeiten informiert. Sie will andere junge Frauen dazu ermutigen, ihre Ziele zu verfolgen – auch wenn sie ungeplant Mutter geworden sind. 

Mit ihrem Instagramkanal will Sabrina mehr Mütter inspirieren ihre Träume zu verfolgen. © Privat
Mit ihrem Instagramkanal will Sabrina mehr Mütter inspirieren ihre Träume zu verfolgen. © Privat

In der Arbeitswelt haben es alleinerziehende Mütter besonders schwer. Arbeitgeber gehen davon aus, sie würden öfter fehlen, beispielsweise wenn ihr Kind krank wird. Vorurteile wie diese machen alleinerziehende Mütter zu den mit am schwersten zu vermittelnden Arbeitslosen. Erwerbstätige Alleinerziehende sind häufig auf bedarfsgerechte Betreuung angewiesen, die jedoch selten verfügbar ist. Sabrina habe damit wenig Schwierigkeiten gehabt: Sie konnte ihre Kinder vor der Schule in die Kita bringen und sie danach wieder abholen. Allerdings erzählt sie auch: „Meine Kinder waren meistens morgens die ersten und nachmittags die letzten, aber es gab keine andere Lösung. Man muss eben Abstriche machen. Meine Familie lebt 200 Kilometer entfernt, den Alltag stemme ich also komplett alleine“

In neun von zehn Fällen lebt ein Kind nach der Trennung der Eltern bei der Mutter. Nicht selten erbringen junge Mütter dabei organisatorische Höchstleistungen. Sabrina beispielsweise steht morgens um halb sechs auf, macht die Kinder fertig und bringt sie in die Kita. Danach fährt sie selbst in die Fachhochschule und nach Schulschluss holt sie die Kinder wieder ab und geht mit ihnen auf den Spielplatz oder Freunde besuchen. Gegen 18 Uhr sind sie wieder zu Hause, essen Abendbrot und nachdem die Kinder gegen 20 Uhr im Bett sind, lernt Sabrina für die Uni oder schreibt an Hausarbeiten. Während des Abiturs hat sie während dieser Zeit noch ihre Hausaufgaben erledigt. Anstatt ihnen Unfähigkeit zu unterstellen, sollte die Ausdauer und das Organisationstalent von Alleinerziehenden bewundert werden. 

Das Klischee der überforderten jungen Mutter

Das veraltete Checklisten-Prinzip – gesichertes Einkommen, dann Heirat, danach ein Eigenheim und dann ein Kind – ist trotz zahlreicher gesellschaftlicher Veränderungen noch immer die Norm. Mütter wie Sabrina merken das am meisten. Das liegt nicht zuletzt an einseitigen, schockierenden TV-Formaten wie „Teenie Mütter“. Die Show zeigt offensichtlich die Extreme, trotzdem sind diese mittlerweile zum allgemeinen Klischee geworden. Die meisten assoziieren mit jungen Müttern Chaos und Überforderung. “Ich ertappe mich auch selbst immer wieder dabei, wie ich mich schon im Vorfeld rechtfertige, wenn jemand mich nach meinen Kindern, der Familienform und meinem Studium fragt. Einfach damit diese Vorurteile bei dem Anderen gar nicht erst aufkommen”, erzählt Sabrina. Das Gefühl, unterschätzt zu werden, treibt sie aber auch an. Nach dem Motto “jetzt erst Recht” beweist sie ihrem Umfeld tagtäglich, dass auch eine junge Mutter eine wundervolle Mutter sein kann und dass Kinder kein Hindernis für die eigene Karriere sein müssen. 

Aus demografischer Sicht sind Mütter wie Sabrina unglaublich wichtig. Seit 40 Jahren hat Deutschland eine konstant niedrige Geburtenrate, wodurch der Sozialstaat ins Wanken gerät. Wenn das Verhältnis zwischen Alt und Jung nicht stimmt, ist die Zahlung sozialer Sicherungen wie der Rente gefährdet. Unter anderem um dies zu verhindern, muss der Staat sich mit den Bedürfnissen von Frauen und Müttern auseinandersetzen und alleinerziehende Eltern besser fördern. So zeigte eine OECD-Studie aus dem Jahre 2013, dass mehr Gleichberechtigung beim Thema Elternzeit und Betreuung zu einer höheren Geburtenrate führen würde. Dadurch wäre für viele Frauen die Frage nach Kind oder Karriere kein „entweder oder“ mehr. Auch Konzepte wie flexible Kinderbetreuung, Homeoffice oder Ganztagsschulen könnten karriereorientierte Menschen motivieren, Kinder zu bekommen. 

Trotz staatlicher Hilfen sorgen sich immer noch viele alleinerziehende Frauen um ihre finanzielle Lage. Verstärkt wird diese Angst durch Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt und die wenig flexiblen Betreuungsmöglichkeiten. Sich gegen die gesellschaftliche Norm zu stellen, erfordert tägliche Anstrengung – selbst bei bester Leistung werden alleinerziehende Frauen das Stigma der überforderten Teenie-Mutter oft nicht los. Es ist an der Zeit, solche Stereotypen zu hinterfragen und von Frauen wie Sabrina zu lernen. 

Einen Tag nach dem Gespräch mit Sabrina fand ihre Abiturverleihung statt. Für viele, die sie am Anfang unterschätzten, ist sie heute eine Inspiration – und teilweise sogar ein Vorbild. 

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.