Wenn Corona-Verschwörungsmythen Beziehungen zerstören

Eine Frau sitzt alleine auf einem Steg und guckt auf das Wasser.
Für viele Angehörige ist es sehr belastend, wenn plötzlich Menschen aus dem nahen Umfeld Verschwörungstheorien verbreiten.

Seit Beginn der Corona-Pandemie kursieren die verschiedensten Verschwörungstheorien über das Virus. Doch was, wenn es die eigene Mutter ist, die dir über WhatsApp „Beweise“ schickt, dass das Coronavirus gar nicht existiere? Für viele Angehörige ist es nicht leicht, damit umzugehen, wenn plötzlich Menschen aus dem nahen Umfeld Verschwörungstheorien verbreiten. Lynn hat erlebt, wie es ist, wenn Corona einen Keil durch die Familie treibt. 

Lisa Rethmeier, funky-Jugendreporterin

Lynn* ist 24 Jahre alt und arbeitet in einem medizinischen Labor eines Coronatestzentrums. Mit Coronaviren kennt sie sich gut aus, hat als Biolaborantin auch selbst mit ihnen gearbeitet. Lynn ist in ihrer Denkweise weit entfernt von Querdenker*innen, Corona-Leugner*innen oder Impfgegner*innen. Ganz anders als ihre Mutter.

Alles fing irgendwann während des ersten Lockdowns an. Lynns Mutter Karin* begann sich immer häufiger über die Maßnahmen zu beschweren. Wenn sie und ihre Mutter telefonierten, drehte sich plötzlich alles nur noch um die „unverhältnismäßigen“ Corona-Regelungen der Regierung. Anfangs stieg Lynn noch darauf ein und versuchte ihr zu erklären, warum die Maßnahmen durchaus sinnvoll seien und was es mit dem Virus genau auf sich habe. Doch ihre Mutter hörte nicht zu. Die Gespräche endeten meist im Streit. Sobald ihre Mutter behauptete, dass es sich bei Corona nur um eine gewöhnliche Grippe handele und die Inzidenzzahlen alle gefälscht seien, wurde Lynn wütend und hielt dagegen. Ihre Mutter sagte dann nichts mehr und fing an zu weinen. Beide legten auf.

Wenn die Angst das Leben bestimmt

Langsam begannen die Verschwörungstheorien um Corona das Leben ihrer Mutter zu bestimmen, erinnert sich Lynn. Sie fing an, sich jeden Tag auf YouTube oder Telegram Videos zu vermeintlichen Corona-Verschwörungen anzuschauen. Immer häufiger driftete ihre Mutter in eine andere Welt ab. Eine Welt, in der die Angst das Leben bestimmt. 

„Es ist auch schon vorgekommen, dass sie sich diese Sachen angeguckt hat und heulend durch das Haus gerannt ist, weil sie es so schrecklich fand,“ erinnert sich Lynn. Die Videos machen ihr große Angst und zerren an ihren Nerven. Trotzdem kann sie nicht aufhören, sie anzuschauen. Für Lynn ist das absurd. 

Inzwischen ist sie nicht mehr gerne zuhause zu Besuch. Wenn es dann doch mal über Weihnachten oder Ostern für ein Wochenende nach Hause ging, verbrachte sie die meiste Zeit bei ihrer Schwester. Zuhausesein war immer mit Anstrengung und Stress verbunden. Ihre Mutter verkroch sich oft in der Küche, um sich Videos von „Querdenker“-Wissenschaftler*innen anzusehen. Die Beiden entfernen sich immer weiter voneinander. 

Eine Familie wird entzweit

Lynn tut es besonders um ihren Vater Leid. Während er abends die Tagesschau guckt, klickt sich seine Frau im Nebenzimmer sitzend durch die Verschwörungstheorien auf Telegram. Früher haben sie abends immer zusammen ferngesehen, jetzt ignorieren sie sich. Lynns Vater kann mit Corona-Verschwörungstheorien nichts anfangen, hat aber auch keine Lust, darüber mit seiner Frau zu streiten. „Er hat jetzt sogar seine Impfung abgesagt, weil er Angst hat, dass meine Mama das rauskriegt“, erzählt Lynn. „Ich finde es krass, dass mein Papa das aushält. Ich kriege das nicht hin.“ 

In der Familie finden die Ansichten von Karin wenig Zustimmung. „Meine Schwester studiert Medizin. Meine Mutter sagt oft zu ihr, sie mache damit einen großen Fehler.“ Karin hält nicht viel von der Schulmedizin: Ihre Medikamente lässt sie sich von ihrer Heilpraktikerin auspendeln. Als Lynns Schwester als Erste aus der Familie geimpft werden sollte, fuhr Karin vor der Impfung zu ihr, um sie davon abzuhalten, „ihren Körper zu vergiften“. Trotz dieser unterschiedlichen Sichtweisen, streiten sich Lynns Schwester und ihre Mutter nicht so oft. „Meine Schwester hat es irgendwie hingekriegt, diesen Cut zu machen, den ich nicht geschafft habe“, stellt Lynn fest. 

„Sie sagt immer, ich bin der Umwelt ausgeliefert. Alle wollen mich manipulieren und alles, was ich sage, ist von den Mainstream-Medien beeinflusst.

Vor Corona war die Beziehung zwischen Lynn und ihrer Mutter besser – wenn auch nicht ideal. Sie haben sich schon öfter über alltägliche Dinge gestritten. Ihre Mutter hat sie oft bevormundet. Aber es war lange nicht so schlimm wie jetzt. Lynn hat das Gefühl, ihre Mutter behandle sie seit Corona wie ein kleines Kind. Sie akzeptiert nicht, dass sie eine andere Meinung zu den Dingen hat. Seitdem können sie kein normales Gespräch mehr führen. „Sie sagt immer, ich bin der Umwelt ausgeliefert. Alle wollen mich manipulieren und alles, was ich sage, ist von den Mainstream-Medien beeinflusst,“ erzählt Lynn. 

Was kommt nach Corona?

Ob es nach Corona wieder so wird wie früher? Lynn glaubt nicht daran. Ihre Mutter wird sich dann wohl eine andere Verschwörungstheorie suchen. „Sie hat schon immer gerne anderen Leuten nach dem Mund geredet“, sagt Lynn. Auch mit der AfD hat Karin eine Zeit lang sympathisiert, was für Lynn nicht leicht war. In ihren Werten und Denkweisen unterscheiden sich die beiden stark. Zurzeit ist Karin davon überzeugt, dass die Grünen die Bundestagswahl gewinnen und dann das ganze Land zerstören werden. Lynn wählt die Grünen und kann mit dem Pessimismus ihrer Mutter nichts mehr anfangen. „Momentan weiß ich nicht, wie ich mit ihr umgehen soll. Soll ich das Thema umschiffen, soll ich dagegen angehen, ihr etwas erklären? Ich weiß es nicht. Ihre Verschwörungstheorien sind jetzt auch auf einem konstanten Level. Da ist immer die Angst, dass das Thema wieder aufkommt,“ befürchtet sie.

funky Instagram Banner

Lynn wünscht sich dennoch, dass sie und ihre Mutter trotz ihrer unterschiedlichen Weltanschauung in Zukunft wieder normal miteinander umgehen können. Sie glaubt nicht, dass ihre Mutter von den Verschwörungen abzubringen ist. Es würde ihr aber reichen, wenn sie einfach ihre Meinung akzeptieren könnte. Dass sie reden können, ohne dass irgendwelche abstrusen Theorien zwischen ihnen stehen. Sie soll erkennen, dass sie eine eigenständige Person ist, die ihr Leben im Griff hat. Sie wünscht sich einfach eine normale Mutter-Tochter-Beziehung.

Viele Verschwörungs-Nachrichten bekommt Lynn nicht mehr von ihrer Mutter. Auch sonst hört sie nichts mehr von ihr. Seit zwei Monaten haben beide jetzt schon keinen Kontakt mehr. Die letzte Nachricht, die Lynn von ihr bekommen hat: Ein Video vom Corona-Kritiker und „Querdenker“-Arzt Sucharit Bhakdi, der jetzt wegen antisemitischer Aussagen in Kritik steht. In dem Video warnt er vor der Corona-Impfung. Das Lynn bereits doppelt geimpft ist, weiß ihre Mutter nicht. Unter dem Video steht: „Schützt euer Leben und das Leben eurer Kinder.“ 

* Name von der Redaktion geändert

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.