Interview

Jung und politisch: Alena Trauschel (FDP) im Interview

Alena Trauschel von der FDP.
Die 22-jährige Alena Trauschel druckt im Wahlkampf ihre Handynummer auf die Wahlplakate.

In der Beitragsreihe „Jung und politisch“ möchte die funky-Redaktion herausfinden, warum junge Politikerinnen und Politiker parteipolitisch aktiv sind und welche Ziele sie verfolgen. Alena Trauschel (FDP) ist Rekordhalterin: Mit nur 22 Jahren ist sie seit diesem Jahr die jüngste Abgeordnete in der Geschichte des Landtags in Baden-Württemberg. Teil ihres Erfolgsrezeptes war es, die eigene Handynummer auf ihre Wahlplakate zu drucken, um auch während der Corona-Pandemie im Austausch mit ihrem Wahlkreis zu bleiben. Warum sie glaubt, dass jede*r in Deutschland die eigenen Ziele erreichen kann, und warum ihre eigene Schulzeit den Grundstein für ihre Karriere als Politikerin legte, erzählt sie im Interview.  

Von Xenia Beitz und Knut Löbe, funky-Jugendreporter

Steckbrief

Name: Alena Trauschel
Alter: 22
Partei: FDP
Aktuell: Jüngste Landtagsabgeordnete der Geschichte in Baden-Württemberg
Und sonst so? Studiert derzeit im vierten Semester VWL und Politikwissenschaft in Heidelberg

Nenne drei Begriffe, die du mit deiner Partei assoziierst:
1. Freiheit
2. Verantwortung
3. Leidenschaft

Beschreibe in einem Satz, was deine Partei für dich bedeutet:
Die FDP bedeutet für mich Menschenrechte, ein digitales Deutschland und ein faireres Steuersystem, welches die Menschen befähigt, ein selbstständiges Leben zu führen. 

Ergänze die Satzlücke: Ich möchte mit meiner Parteiarbeit entschieden …
… gegen die Feinde der Demokratie vorgehen und mich für die besseren Lebens- und Startchancen junger Menschen starkmachen.

Beende den Satz: Mit meiner Parteiarbeit verfolge ich das Ziel …
… junge Menschen mehr für Politik zu begeistern, denn Politik geht uns alle etwas an!

Wie kam es, dass du in die Politik gegangen bist? 
Ich bin 2010 auf die weiterführende Schule gekommen und war natürlich sehr aufgeregt. Ich habe schnell gemerkt, dass es einige Sachen gibt, die nicht so gut laufen. Und weil man einen ganzen Lebensabschnitt in der Schule verbringt, bin ich der Meinung, dass die Schule ein schöner Ort sein sollte. Wenn ich mir aber anschaue, wie unsere Schulgebäude aussehen, kommt eher das Gefühl auf, auf dem Abstellgleis zu sein. Das kann eigentlich nicht sein. Ein großes Thema ist auch der Unterrichtsausfall, den ich an meiner Schule erlebt habe. Das ist nicht nur ein Problem, weil man Wissen verpasst, sondern das kann auch bei der Kinderbetreuung problematisch werden. Unsere Kinder stellen schlussendlich die Zukunft dar, deshalb sollten wir ihnen die bestmögliche Bildung mitgeben. Bei uns an der Schule gab es eine Strafarbeit, über die ich mich tierisch geärgert habe: Overhead-Projektor putzen. Wir müssen von diesen veralteten Geräten, wie Overheadprojektoren und Computern, die in den 90er-Jahren vielleicht mal gut funktioniert haben, wegkommen und stattdessen Beamer und Visualizer in den Klassenräumen installieren.

Warum hast du dich für die FDP entschieden?
Schon zu Schulzeiten habe ich angefangen, mich zu politisieren, damals jedoch, ohne mich einer Partei zugehörig zu fühlen. Bei der Freisprechungsfeier meines Bruders 2015 hat Christian Lindner eine Rede gehalten. In diesem Jahr war die FDP so ungefähr der uncoolste Verein, den man sich in Deutschland hätte vorstellen können, im Ranking vermutlich knapp unter dem Schachclub. Christian Lindner hat darüber gesprochen, dass wir viel mehr entbürokratisieren müssen und dass es nicht sein kann, dass wir dauernd Unterrichtsausfälle haben. Ab 2015 habe ich mich immer mehr mit der FDP identifiziert. 2017 bin ich dann in die FDP eingetreten. Das Wort Digitalisierung wird bei uns großgeschrieben, damit wir als Gesellschaft vorankommen und im europäischen und internationalen Vergleich wettbewerbsfähig bleiben. Wichtig für mich war auch der Punkt der Chancen durch Bildung. Es sollte in Deutschland eigentlich kaum eine Rolle spielen, woher man kommt. Man muss in unserem Bildungssystem die Möglichkeit haben, aus eigener Kraft voranzukommen und zu wachsen. Der Spirit „Mach etwas aus deinem Leben“ hat mir unheimlich gut gefallen. 

Wenn in Debatten dem Gegenüber kein sachliches Argument mehr einfällt, dann höre ich oft: Du bist ja noch jung und hast keine Erfahrung.“

Welche Herausforderungen bringt dein junges Alter mit sich, wenn man in heutigen Zeiten in der Politik etwas bewegen möchte? 
Wenn in Debatten dem Gegenüber kein sachliches Argument mehr einfällt, dann höre ich oft: Du bist ja noch jung und hast keine Erfahrung. Für mich ist das allerdings kein Argument. Es ist viel entscheidender, dass man nicht mit Scheuklappen durch das Leben geht, sondern offen und ansprechbar bleibt. Gerade als Politiker sollte man sich einem Realitätscheck unterziehen und überlegen, ob die eigenen Forderungen im Alltag wirklich umsetzbar sind. Der Bürgerkontakt ist unheimlich wichtig, denn schlussendlich versuchen wir ja – egal in welchem Parlament –, die Situation für die Leute vor Ort zu verbessern. Ich hatte im Wahlkampf zum Beispiel meine Handynummer plakatiert, um immer ansprechbar zu sein. Das habe ich bei älteren Politikern in der Form noch nicht gesehen. 

Auf dem Arbeitsmarkt besteht eine ungleiche Bezahlung der Geschlechter. Du hast dich gegen eine Frauenquote positioniert. Warum?
Ich betrachte das aus einer wirtschaftlichen Perspektive. Woran liegt es eigentlich, dass wir wenige Frauen in Führungspositionen haben? Das mehrheitlich nur Horsts und Herberts die Vorstände stellen, kann eigentlich nicht sein. Das Problem sehe ich allerdings nicht darin, dass es eine Diskriminierung gibt, sondern häufig sind individuelle Entscheidungen der Grund. Ich finde, es ist ganz wichtig, dass man es respektiert, wenn ein Mann in Elternzeit geht. Genauso respektabel ist es auch, wenn eine Mutter nicht die Elternzeit wahrnimmt, sondern nur den gesetzlichen Mutterschutz mitmacht. Für mich persönlich ist Geschlecht kein Qualitätskriterium. Wir sollten vielmehr schauen, dass wir gerade auch jungen Mädchen sämtliche Perspektiven aufzeigen und zeigen, dass auch sie in Führungspositionen arbeiten können. Dementsprechend bin ich der Meinung, dass man keine Quote einführen sollte, sondern an den Rahmenbedingungen arbeiten muss.

Für uns ist nicht entscheidend, woher jemand kommt, sondern wohin er oder sie will.

Die FDP bemüht sich, ihren Ruf als Partei der Besserverdienenden loszuwerden und neue Wähler*innen zu erreichen. Wie kann deine Partei das schaffen? 
Wir als Partei müssen unsere Kommunikation über das liberale Aufstiegsversprechen verändern. Für uns ist nicht entscheidend, woher jemand kommt, sondern wohin er oder sie will. Wir machen uns dafür stark, dass Bürgerinnen und Bürger in allen Einkommensklassen durch Steuern nicht noch stärker belastet werden. Wer in einer Familie lebt, die Arbeitslosengeld II bezieht und sich mit einem Minijob Geld dazuverdienen möchte, muss momentan ab 100 Euro Nebenverdienst alles, was darüber hinausgeht, abgeben. Diese unsoziale Praxis wollen wir als FDP schnellstmöglich beenden und Hinzuverdienst in Zukunft so regeln, dass es sich unterm Strich lohnt, wenn man mehr Stunden arbeitet. Die FDP steht aber nicht nur für Wirtschaft, sondern genauso für Menschenrechte, internationale Politik und Europa. Wenn wir das wirklich in den Diskurs bringen können, fände ich das toll. 

Wenn ihr die Regeln zum Hinzuverdienst beim Arbeitslosengeld ändern wollt, setzt ihr bei dem ärmsten Teil der Gesellschaft an. Das reichste Zehntel der Bevölkerung verfügte 2017 über mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens. Deine Partei ist gegen eine Vermögenssteuer oder erhöhte Erbschaftsteuer. Wäre es nicht einfacher, oben anzusetzen und Vermögen gerechter zu verteilen?   
Bevor wir neue Steuern erfinden, sollten wir vielmehr darauf achten, dass wir unsere derzeitigen steuerlichen Einnahmen sinnvoller verteilen. Die Erbschaft beinhaltet für viele die Möglichkeit, sich etwas aufzubauen. Schlussendlich erben die allerwenigsten Millionenbeträge. Viele Erben können sich nicht für die nächsten 20 Jahre auf die faule Haut legen. Wenn sich jemand aus dem Teufelskreis von Hartz IV herausgekämpft hat, kann er sein Vermögen an die eigenen Kinder weitergeben, sodass die sich wiederum etwas aufbauen können. Deshalb glaube ich, dass es in der Leistungsgesellschaft eine falsche Betrachtungsweise ist, wenn man sagt, das Erbe geht zu hundert Prozent in eine Stiftung oder an den Staat. Der Staat stellt zwar eine Infrastruktur, hat aber nicht für denjenigen gesorgt, der einen mittelständischen Betrieb aufgebaut und sich im Leben etwas erarbeitet hat. Deshalb glaube ich, dass solche Steuern nichts bringen würden. 

„Im Bildungsbürgertum ist vielleicht ein Jura- oder Theologiestudium hoch angesehen, während es in einem anderen Bereich vielleicht eher die handwerkliche Ausbildung ist.“

Kinder von Nicht-Akademiker*innen haben es im deutschen Bildungssystem weiterhin schwer. Gleiche Anstrengung führt in Deutschland bislang nicht zum gleichen Ziel. Welche Ansätze sollte die Politik deiner Meinung nach zur Lösung des Problems verfolgen?
Ich glaube, da müsste man zunächst einmal überlegen, wie man das Ganze misst. Es kann ja auch sein, dass das soziale Umfeld andere Wertigkeiten pflegt. Im Bildungsbürgertum ist vielleicht ein Jura- oder Theologiestudium hoch angesehen, während es in einem anderen Bereich vielleicht eher die handwerkliche Ausbildung ist. Was sind also wirklich die Gründe für individuelle Entscheidungen und was wiederum Gründe für Benachteiligung? Wir wollen dafür sorgen, dass jeder und jede die eigenen Ziele erreichen kann. Ein ganz großer Schlüssel ist die frühkindliche Bildung, damit alle Kinder mit den gleichen Voraussetzungen ihre Schullaufbahn beginnen können. Gleichzeitig finde ich, dass ein Kitajahr vor der Schule verpflichtend sein sollte. Dort wird der Grundstein für die eigene Biografie gelegt. Im Studien- und beruflichen Bereich fordern wir als Partei das elternunabhängige BAföG. Dafür setzen wir uns als FDP schon seit Jahren ein, damit endlich unabhängig vom Einkommen der Eltern eine Ausbildung ermöglicht werden kann.

Ich glaube, wir müssen dahin kommen, dass Ausbildung und Studium nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden.

Bei gleichen kognitiven Fähigkeiten und Lesekompetenzen haben Kinder von Personen aus der oberen Dienstklasse eine viermal höhere Chance, eine Gymnasialempfehlung zu bekommen, als Kinder von Facharbeiter*innen. Die Gründe der Benachteiligung bestehen also. 
Klar, das klingt erst mal blöd, wenn man sagt, dass dort die Handwerkerausbildung besser angesehen sei. Ich glaube, wir müssen dahin kommen, dass Ausbildung und Studium nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden. Der Vorteil von unserem Bildungssystem ist die immense Durchlässigkeit. Selbst mit einem Hauptschulabschluss kann ich später noch studieren. Ich brauche dafür länger, als wenn ich von Anfang an auf ein Gymnasium gehe, aber ich habe dennoch die Möglichkeit. Wie bei einem Baum gibt es ganz viele unterschiedliche Verwurzelungen, durch die ich mich navigieren kann. Meines Erachtens nach ist die klassische Schulbildung, wie wir sie bis heute haben, sowieso schon etwas veraltet. Im wirklichen Leben geht es nicht mehr um das reine Wissen, sondern wo man es findet, also das „Know-how“. Wir müssen das Bildungssystem umdenken. Ich hoffe sehr, dass wir da in zehn Jahren auch schon an einer anderen Stelle stehen.

Wenn wir nur Steuern und Verbote einführen, um unsere Klimaziele zu erreichen, werden wir die Menschen langfristig nicht dazu bringen, wirklich etwas an ihrem Verhalten zu verändern.

Euer Bundesvorsitzender Christian Lindner hat mal über „Fridays For Future“ gesagt, dass Klimapolitik eine Sache für die Profis sei. Vom Alter her bist du nah an der Bewegung dran. Wie stehst du zu der Bewegung?
Ich habe großen Respekt vor „Fridays for Future“, denn diese Bewegung hat es geschafft, Klima und Umweltschutz zu einem wichtigen Thema in der Gesellschaft zu machen. Allerdings muss ich auch sagen, dass wir als Freie Demokraten natürlich etwas andere Vorstellungen von der Umsetzung haben. Wir sind gegen eine CO2-Steuer, bei der der Preis beinahe willkürlich festgelegt wird, und für den Zertifikatehandel auf EU-Ebene in allen Branchen und Sektoren. In den Branchen, in denen er angewandt wird, haben wir die Klimaziele erreicht. Das Konzept besteht schon lange und wir sehen in der Umsetzung, dass es funktioniert. Da frage ich mich, warum wir es nicht überall so machen, wenn der gesamte Rahmen schon geschrieben ist. Wenn wir nur Steuern und Verbote einführen, um unsere Klimaziele zu erreichen, werden wir die Menschen langfristig nicht dazu bringen, wirklich etwas an ihrem Verhalten zu verändern. Wenn wir zehn Jahre zurückdenken, hat man bei fast jedem Einkauf eine Plastiktüte in die Hand gedrückt bekommen. Heutzutage sieht man überall Stoffbeutel und Papiertüten. Da erkennt man schon die Veränderung, die wir in der Gesellschaft durchgemacht haben. Gerade was die Ressourcen von Plastik und Papier angeht, könnten wir diese häufiger in den Wiederverwertungskreislauf einbinden. Wir haben beispielsweise ein gut funktionierendes Pfandflaschensystem. Die Kreislaufwirtschaft noch mehr zu stärken, ist für mich ein ganz wichtiges Thema. 

In der aktuellen Flüchtlingspolitik betont die FDP die humanitäre Verantwortung und möchte den EU-Grenzschutz ausbauen. Die Schlüsselrolle soll weiterhin das Grenzschutzunternehmen Frontex übernehmen. Frontex steht unter anderem wegen Vorwürfen illegaler Zurückweisungen von Schutzsuchenden auf Migrantenbooten in der Kritik. Kann Europa mit Frontex dieser humanitären Verantwortung gerecht werden?
Die Idee einer EU-Grenzschutz-Agentur, durch die Frontex ja ins Leben gerufen wurde, ist an sich ein gut erdachtes System. Ich glaube aber, dass wir viel mehr Kontrolle und Transparenzmechanismen einbauen müssen. Wir haben in unserem Bundestagswahlprogramm geschrieben, dass Frontex seiner humanitären Verantwortung gerecht werden muss und auch die Seenotrettung übernehmen soll, damit eben keine NGOs Gesetze brechen müssen, um die Geflüchteten zu versorgen. Weil es in der Politik häufig alles sehr lange braucht, dürfen private Initiativen – bis das gewährleistet ist – bei der Rettung von Geflüchteten nicht behindert werden. Die Vorwürfe gegen den Frontex-Chef hinsichtlich der Verletzung von Menschenrechten wurden nicht zeitnah und transparent aufgeklärt. Es wird immer wieder versucht, das abzuwiegeln, und das finde ich ungeheuerlich. Wir haben im Deutschen Bundestag Gyde Jensen sitzen, die die Position der Vorsitzenden im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe bekleidet und auch bei den Jungen Liberalen aktiv ist. Ich bin sehr froh, dass wir mit Gyde jemanden haben, die den Finger auf die Wunde legt. Ich hoffe sehr, dass wir das Thema Seenotrettung demnächst nicht mehr anschneiden müssen, wenn es um Flüchtlinge geht, die versuchen, in ein besseres Leben reinzukommen, sondern dass Flüchtlinge einen sichereren Weg nach Europa finden.

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.