Schluss mit dem Tabu um psychische Erkrankungen!

Junge nachdenkliche Frau
27 Prozent aller Deutschen leiden unter psychischen Problemen. Allerdings nimmt nur jeder fünfte aus Angst, abgestempelt zu werden, Hilfe in Anspruch.

Wenn wir uns den Arm brechen oder uns eine fiese Entzündung zuziehen und deshalb ins Krankenhaus müssen, ist das völlig normal. Die wenigsten würden sich dafür schämen. Wenn es jedoch um mentale Probleme geht, sieht die Sache meist ganz anders aus: Klinikaufenthalte aufgrund von psychischen Erkrankungen sind heute immer noch ein Tabuthema und eine Sache, über die fast niemand reden will. Anna, die bereits Erfahrungen mit der gesellschaftlichen Stigmatisierung gemacht hat, weiß: Es ist vollkommen okay, sich wegen psychischer Probleme Hilfe zu suchen! Und wenn es nötig ist, dann eben auch in einer Klinik.

Dana Jabari, funky-Jugendreporterin

In der Pandemie wurde insbesondere ein Wort ganz großgeschrieben: Gesundheit. Ein jeder möchte sich vor dem Virus schützen und dafür sorgen, dass es einem selbst, aber auch den Liebsten und Mitmenschen gut geht. Zu unserer Gesundheit gehört aber nicht nur unser körperliches, sondern auch unser psychisches Wohlbefinden. Und obwohl die Pandemie dazu beitrug, Themen wie Einsamkeit und Depression vermehrt in den Fokus zu rücken, sind psychische Erkrankungen in unserer Gesellschaft noch immer etwas, das viel zu oft mit Unbehagen unter den Teppich gekehrt wird. Viele Betroffene haben Angst, abgestempelt zu werden, können aus Angst vor abwertendem Verhalten nicht offen damit umgehen und holen sich aus diesem Grund häufig viel zu spät Hilfe. Dabei betreffen psychische Erkrankungen mehr Menschen, als man vielleicht denken mag, wie zahlreiche Studien untermauern: Laut einer Studie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich berichteten 54 Prozent der weiblichen und 38 Prozent der männlichen jungen Erwachsenen im April 2020 über leichte bis schwere depressive Symptome. Dem Bericht der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde zufolge sind in Deutschland aktuell mehr als 27 Prozent der Erwachsenen von psychischen Erkrankungen betroffen. Allerdings nimmt davon nur jeder fünfte Hilfe von außen in Anspruch. Der Rest wertet die eigenen Probleme als „nicht schlimm genug“ und denkt in Richtungen wie „Andere haben es doch noch schlimmer“. Dabei hat jeder Mensch ein Recht auf Hilfe und sollte diese auch ruhig in Anspruch nehmen können.

Hat man dies erst mal verinnerlicht, wartet jedoch schon die nächste Hürde: einen Therapieplatz zu finden. Häufig dauert es lange, an einen ersten Termin zu kommen, da die Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen oft schon komplett ausgebucht sind und nicht mal die Kapazitäten für ein Erstgespräch haben. Mit etwas Glück und Geduld findet man zwar doch noch einen freien Platz. Allerdings können auch nicht jeder Patient und jede Patientin beliebig lange auf die Therapie warten – vor allem wenn man gerade an der persönlichen Grenze angekommen ist und einfach nur noch will, dass es einem besser geht. In solchen Fällen besteht die Möglichkeit, sich in einer psychiatrischen Klinik Hilfe zu holen. 

Angst vor den eigenen Gedanken

Anna erging es ähnlich. Als Mutter von zwei Kindern wurden bei der inzwischen 30-Jährigen vor mehreren Jahren eine Reihe an psychischen Erkrankungen diagnostiziert: schwere Depression, generalisierte Angst- und Zwangsstörung sowie eine posttraumatische Belastungsstörung. Ihr Alltag wird so zum Beispiel durch negative, zwanghafte oder angstbesetzte Gedanken beeinträchtigt. Für Betroffene wie Anna ist es daher oft sehr schwer, die scheinbar einfachsten Aufgaben zu bewältigen. Als sie Anfang 20 die ersten Zwangsgedanken bekam, wusste sie nicht, was mit ihr geschah: „So etwas kannte ich immer nur aus dem Fernsehen“, erzählt sie.  Lange schämte sie sich für ihre Gedanken, da sie nicht als verrückt abgestempelt und von ihrem Umfeld abgelehnt werden wollte.

Als sie nach mehreren schlaflosen Nächten irgendwann zusammenbrach, wurde ihr im Krankenhaus endlich die erste wegweisende Diagnose gegeben: Zwangsgedanken. „Für mich war es eine Erleichterung zu wissen, dass ich nicht verrückt bin und in Wirklichkeit einfach schwer psychisch erkrankt war“, sagt Anna.

Allerdings hielt die Erleichterung über die Diagnose nicht lange an. Ihr nahes Umfeld tat sich schwer mit ihren Diagnosen, vor allem ihre Eltern. Dass sie mit ihrer Erkrankung dann noch in einer psychiatrischen Klinik behandelt wurde, machte es nicht leichter. „Da denken viele einfach nur an die Anstalt mit den Zwangsjacken. Dazwischen gab es für viele nichts.“ Da ihre Eltern aus einer Zeit kommen, in der man psychische Erkrankungen nicht wirklich ernst nahm, wurden Annas Diagnosen auch lange innerhalb der Familie verheimlicht. 

Aufklären statt tabuisieren

Heute möchte Anna gegen das Stigma von psychischen Erkrankungen kämpfen. Dafür geht sie ganz offen mit ihren Krankheiten und Klinikaufenthalten auf ihrem Instagram-Account „Annas_fast_perfektes_Leben“ um. Dort möchte sie realitätsnah zeigen, dass viele Menschen heutzutage an psychischen Erkrankungen leiden und dass es auch vollkommen okay ist, sich dafür Hilfe zu holen, wenn nötig, auch in einer Klinik. 

Sie selbst hat sich für ihre Behandlungen sowohl stationär als auch ambulant in Kliniken begeben, wobei ihr Letzteres am meisten geholfen hat. Bei einem zehnwöchigen Aufenthalt in einer Tagesklinik wurde sie über ihre Erkrankungen aufgeklärt und konnte eine Reihe an Entspannungstechniken für den Alltag lernen. „Ich finde es wichtig, dass man so etwas nicht verschweigt, denn mal ehrlich: Jemand, der sich wegen eines Knochenbruches in ein Krankenhaus begibt, schämt sich doch auch nicht dafür.“ 

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.