Interview

„Man fastet auch schlechtes Verhalten“ – Eine junge Muslima berichtet über den Ramadan

Ramadan

Ostern und damit das Warten auf das Ende der christlichen Fastenzeit sind vorbei, dafür befinden wir uns nun mitten im Fastenmonat der Muslime, dem Ramadan.  Wie das Ganze im Leben einer jungen Muslimin genau abläuft und welche Nachteile die Corona-Beschränkungen mit sich bringen, darüber spricht Hanan im Interview. 

Michelle Müller funky-Jugendreporterin

Liebe Hanan, seit wann genau fastest du eigentlich aktiv und machst du das jedes Jahr?
Als Kind fastet man grundsätzlich nicht. Als Jugendliche habe ich dann angefangen, an den Wochenenden zu fasten, so im Alter von 11 Jahren. Erst mit 14 habe ich dann das erste Mal richtig gefastet. Damals fiel der Ramadan auch noch auf den Winter, das heißt, es wurde früher dunkel und deshalb hat man ungefähr von acht bis 16 Uhr tagsüber gefastet. Das war gar nicht so schwierig. Und seitdem habe ich jedes Jahr gefastet.

Vielleicht erstmal eine grundsätzliche Frage: Was genau fastet ihr und wie läuft das ab?
Wir fasten 30 Tage von der Morgendämmerung an bis zum Sonnenuntergang. Man isst nicht, man trinkt nicht und verzichtet auf sexuelle Handlungen. Das Wichtigste spielt sich allerdings eher im Inneren ab: Man fastet auf schlechtes Verhalten, verzichtet darauf, schlecht über jemanden zu reden. Das kann besonders hart für Leute sein, die gerne ehrlich sind. Man sagt ja auch, dass es 30 Tage braucht, um eine neue Routine zu etablieren. Während der 30 Tage haben wir also Zeit, den eigenen Charakter einmal von oben bis unten zu reflektieren.

Hast du denn damals in der Schule auch häufiger unangenehme Kommentare von Mitschüler*innen bekommen, weil du tagsüber nicht gegessen und getrunken hast?
Ja. In der Oberstufe gab es öfter Schüler*innen, die sich darüber lustig gemacht haben und vor mir herzhaft in ihr Pausenbrot gebissen haben. Auf der anderen Seite gab es aber insbesondere unter meinen Freund*innen auch Solidarisierungsaktionen. Sie haben dann in den Pausen nicht vor mir gegessen, weil sie wussten, dass ich faste. Manche Leute finden das vielleicht unmenschlich, aufs Essen oder insbesondere aufs Trinken tagsüber zu verzichten. Dabei ist das Fasten im Ramadan erstmal nichts anderes als Intervallfasten. Das machen andere Leute auch einfach so. Ich persönlich bin in Sachsen zur Schule gegangen und dort gab es wenig Muslime. Da war ich immer eine Art Botschafterin für die Schüler*innen und im Ethikunterricht wurde dann immer der Schlenker zu mir gemacht. Ich sollte beispielsweise Lehrer*innen korrigieren, wenn sie sich bezüglich unserer Traditionen nicht ganz sicher waren.

Wie ist das denn für dich aktuell in der Corona-Zeit – man sieht ja weniger Leute, die vor einem essen. Ist es dann für dich leichter, zu fasten? Oder denkt man vielleicht häufiger ans Essen, weil man auch weniger abgelenkt ist?
Also was das Essen und Trinken angeht, das merke ich mittlerweile gar nicht mehr. Ich faste auch öfter freiwillig. Hunger verspüre ich dann nicht mehr, Durst hingegen manchmal schon. Aber der grundsätzliche Verzicht fällt mir aktuell nicht schwerer als sonst, denn auch damals hatte ich gar nicht so große Probleme damit, wenn jemand vor mir gegessen hat. Das Fasten auf schlechtes Verhalten ist aktuell wesentlich leichter, wenn man viel zuhause ist. Das hat den Grund, dass man viel Ruhe hat und sich Zeit für das Reflektieren des eigenen Charakters nehmen kann. Ich beschäftige mich viel mit mir selbst oder lese morgens Überlieferungen aus dem Koran. Während des Ramadan geht es ja auch darum, sich intensiver mit der Religion zu beschäftigen. Als Nachteil sehe ich allerdings, dass man aktuell keine Ankerpunkte in der Interaktion mit anderen Menschen hat. Ich weiß bei vielen Verhaltensweisen nicht, ob ich sie tatsächlich geändert habe, da ich es nicht wirklich in der Praxis überprüfen kann.

Wie sieht das denn jetzt aus, wenn ihr das Fasten gemeinsam brecht? Man trifft sich ja normalerweise mit vielen Leuten, um das Zuckerfest zu feiern, aber momentan ist kaum ein Treffen mit Leuten außerhalb der Familie möglich. Macht das die Situation schwieriger für euch?
Definitiv. Das tut schon ein bisschen weh. Normalerweise, wenn man an Bilder aus den islamisch geprägten Ländern wie der Türkei oder Pakistan denkt, da sperren die Menschen die Straßen ab und stellen ganz viele Tische hintereinander auf, sodass eine lange Tafel entsteht. Eine andere Tradition besteht auch darin, die Türen offen zu lassen, und wer dein Haus betritt, ist dein Gast – egal, ob du ihn kennst, oder nicht. Das Gemeinschaftsgefühl und das Treffen alter Bekannter fehlen total!

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.