Interview

Unterwegs im schwimmendem Klassenzimmer: „Es ist ein besonderer Zusammenhalt entstanden“

Die Schulbank drücken, mitten auf dem Ozean – hört sich komisch an? Für 33 Schüler*innen zwischen 15 und 17 Jahren war das in den vergangenen sechs Monaten Alltag, denn sie überquerten auf der „Pelican of London“, einem Segelschiff, das speziell für die Unterbringung von Jugendlichen konstruiert und ausgerüstet wurde, zwei Mal den Atlantik. Im Rahmen des Projekts „Ocean College“ und unter der Anleitung von erfahrenen Seglern und ausgebildeten Lehrer*innen lernte die bunt zusammen gewürfelte Klasse so einen Schulalltag der anderen Art kennen. Für das „segelnde Klassenzimmer“ ging es von Spanien bis nach Costa Rica und wieder zurück nach Deutschland. Auch die 17-jährige Lara war mit an Bord. Im Interview erzählt sie von ihrem Abenteuer. 

Pascal Moser, funky Jugendreporter

Gleich vorweg: Wie fühlt es sich an, wieder an Land zu sein?
Es ist komisch, wieder an Land zu sein. Es schaukelt nicht mehr. Andererseits kommt man nach Hause und alles ist so wie vorher. Ich hatte bereits wieder meinen ersten „normalen“ Schultag. Man sieht die Leute wieder und es ist wie vorher – nur halt mit Maske. Ich glaube, es dauert noch eine Weile, bis ich mich komplett wieder an zu Hause gewöhnt habe.

Wie war das eigentlich mit Corona – gab es da Schwierigkeiten?
Corona hatten wir an Bord nicht wirklich. In den ersten paar Tagen mussten wir noch die Maske tragen, um sicher zu gehen, kein Corona an Bord zu haben, aber mit der Zeit wurden wir ja zu einem Haushalt und konnten die Masken absestzen. Wir hatten auf dem Schiff quasi unsere kleine Bubble, in der wir sicher waren. Klar, wenn wir an Land gegangen sind, mussten wir darauf achten, die Maske zu tragen und uns die Hände zu desinfizieren. Aber so direkt mit dem Thema konfrontiert wurden wir jetzt nicht. Außer einmal, da konnten wir aufgrund der fünftägigen Quarantäne-Pflicht – wir hätten im Hafen bleiben müssen – nicht nach Kuba einreisen. Unser Aufenthalt war nämlich nur für fünf Tage angesetzt.

Wie kamst du dazu, beim „Ocean College“ mitzumachen? 
Vor ungefähr einem Jahr sind meine Familie und ich über Instagram auf die Seite gestoßen und fanden es richtig cool. Segeln ist ja schon ein tolles Hobby. Wir haben die Bilder angeschaut und ich wollte mich unbedingt bewerben!

Wie sah ein typischer Tag auf der „Pelican of London“ aus?
Wir wurden immer in Gruppen aufgeteilt. Die eine Gruppe hatte Schule und die andere musste Aufgaben an Bord übernehmen. Das hieß bei uns „Watch (engl.: Wache), insgesamt gab es drei Schichten. Wenn wir in der Nacht Watch hatten, hatten wir am Nachmittag Schule, und wenn wir am Abend oder nachts Watch hatten, wurde der Unterricht für vormittags angesetzt. Als Beispiel: Wenn man von Mitternacht bis vier Uhr morgens Watch hatte, konnte man von 16 Uhr bis Mitternacht schlafen. Die Wache hatte verschiedene Aufgaben. Es gab einen „Helmsman“, der am Steuer steht. Vor allem vor dem  Steuern hatte man sehr viel Respekt. Zudem hatten wir zwei „Lookouts“, die Schiffe „reported“ haben, die nicht auf dem Radar zu sehen waren, um im Falle ausweichen zu können. Zwischendurch sieht man auch mal einen Rettungsring, und sowas erscheint ebenfalls nicht auf dem Radar.

Und ihr habt oft etwas über die Orte gelernt, an denen ihr gerade wart? 
Genau, als wir an Kuba vorbeigefahren sind, haben wir etwas über die Kubakrise gelernt. Wir hatten Seekarten mit an Bord. Dadurch konnten wir uns das auch viel besser vorstellen. Es gab auch eine Zeit, da sind uns die ganze Zeit fliegende Fische an Bord geflogen. Die sind dann leider gestorben. Wir haben sie dann seziert und konnten so den Fisch durchnehmen und schauen, wo was ist. Wir haben auch öfter Wasserproben genommen und mit diesen gearbeitet. So haben wir immer sehr praxis- und alltagsnah gelernt.

Hattet ihr ein Klassenzimmer? 
Nein, wir hatten einen „Messroom“. Das war so etwas wie unser Aufenthaltsraum. Dort gab es dann auch Essen und es standen uns Beamer und Computer für den Unterricht zur Verfügung. Manchmal, wenn unsere Lehrer seekrank wurden, ist auch mal eine Stunde ausgefallen. Dadurch, dass wir am Anfang alle seekrank waren, ist ein besonderer Zusammenhalt entstanden, und der ist eigentlich auch nur noch stärker geworden. Wir haben uns gegenseitig geholfen. 

Was hast du persönlich während dieser Zeit gelernt?
Ich bin viel selbstständiger geworden. Wenn man in der Nacht zum Beispiel für die Watch geweckt wurde, dann war das anders als zu Hause. Zu Hause wäre ich oft liegen geblieben, aber auf dem Schiff ist man aufgestanden, weil man aufstehen musste. Man wird verantwortungsbewusster. Man muss oft einfach das tun, was einem gesagt wird, und darf keinen Unsinn machen. Wir sind an Bord alle total teamfähig geworden und haben zusammengehalten – egal, was gekommen ist.

Sechs Monate auf Schiff, mit 30 anderen Jugendlichen – wie seid ihr miteinander ausgekommen?
Manchmal war es ziemlich hart. Klar, wenn man auf so einem engen Raum zusammengepfercht ist, entstehen auch mal Reibereien. Man kann der Person nicht aus dem Weg gehen, sondern konfrontiert sie. So ließ sich aber alles relativ schnell klären. 

Ihr seid ja quer über den Atlantik und wieder zurück gesegelt. Hat sich dein Gefühl für Distanz und Zeit verändert?
Als wir die ersten zwei Tage auf dem Wasser waren, fühlte es sich schon sehr lang an. Aber als dann die erste Atlantik-Überquerung kam, waren wir ungefähr drei bis vier Wochen durchgehend auf dem Wasser. Deswegen fühlen sich jetzt ein bis zwei Wochen überhaupt nicht mehr lang an. Für ein paar Wochen siehst du nur blau, es ändert sich nichts. Die Wellen sind da und das war‘s.

Kommt manchmal Langeweile auf?
Wir haben abends oft Gemeinschaftsspiele gespielt und generell viel Zeit miteinander verbracht. Man entdeckt auch neue Hobbies und lernt die kleinen Dinge mehr zu schätzen. Ich habe angefangen, viel mehr zu lesen und mache das nach wie vor. In der Mitte vom Atlantik hatten wir einen Atlantikball. Das war quasi ein Abend, wo niemand auf Watch war, nur die Lehrer. Wir hatten also einen Abend, wo wir richtig laut Musik hören konnten und einfach Spaß und eine gute Zeit hatten.

Wie war das mit Handys und Internet an Bord?
Handys hatten wir gar nicht. Wir haben sie immer im Hafen bekommen, oder wenn wir an Land waren. Wir hatten sowieso weder Netz noch Empfang, und eigentlich kann man die Zeit ohne Handy eh viel besser genießen. So lernt man die Zeit mehr zu schätzen. Vor dem Ocean College war es so, dass ich hier und da eine Nachricht bekommen und das dann immer als Priorität angesehen habe, zu antworten. Mittlerweile ist es mir relativ egal geworden, denn ich will einfach Zeit mit meinen Freunden verbringen und nicht andauernd auf mein Handy schauen. 

Was waren deine persönlichen Highlights? 
Definitiv als ich das erste Mal klettern war. Und vor allem das Klettern auf hoher See, weil wir dann neben uns überall Delfine gesehen haben. Das war einfach ein unfassbar schöner Moment. Das war kurz nach Spanien.

Hat dich etwas völlig überrascht? 
Das man es zu schätzen lernt, wieder mit der Familie zusammen zu sein. Auf der Reise hatte ich zwar Heimweh, aber man erlebt so viel, dass man gar keine Zeit hat, allzu viel darüber nachzudenken. Und zu Hause kommt man dann an und es ist einfach so schön, alle wieder zu sehen. Eigentlich möchte ich nicht nochmal weg. Man ist einfach happy, wieder zu Hause zu sein. 

Hast du dich, beziehungsweise hat sich dein Leben durch die Reise verändert? 
Ja! Ich habe die Umwelt mehr schätzen gelernt und möchte auf jeden Fall nochmal segeln.

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.