Meinung

Netflix-Doku „Seaspiracy“: (K)eine Zukunft für die Weltmeere?

Müll an Stränden sammeln, Recycling, Plastikverbot – diese Maßnahmen sind uns bekannt, um das Ökosystem Meer und seine Bewohner vor noch mehr Verschmutzung zu bewahren. Doch wie wenig diese Aktionen im Großen und Ganzen bewirken und was tatsächlich die größten Gefahren sind, welche die Zukunft des Ozeans bedrohen, zeigt der Ende März erschienene Netflix-Dokumentarfilm „Seaspiracy“. 

Clara Verstl, funky Jugendreporterin

Plastik-Strohhalme machen nur rund 0,03 Prozent des Plastikgehalts im Meer aus. Das ist die Information, die die Zuschauer*innen in den ersten fünf Minuten erfahren. Schnell keimen Zweifel auf, inwiefern ein Einweg-Plastikverbot in Deutschland tatsächlich etwas verändern kann. Und auch eine viel drängendere Frage stellt sich: Was ist denn dann die größte Bedrohung für die Meere – und welche Maßnahmen sind notwendig, um ihre Zukunft zu sichern?

Seaspiracy: Eine schockierende Realität, die berührt

Für ihre Dokumentation begaben sich die beiden Filmemacher*innen Ali und Lucy Tabrizi auf eine Reise in die Länder und Regionen, welche Standorte für eine der größten wirtschaftlichen Einnahmequellen sind, die aber gleichzeitig das Ökosystem Meer stark gefährdet: die Fischereiindustrie. Ali und Lucy schleusten sich in streng überwachte Orte ein, um schockierende Bilder aufzunehmen, hautnah mit Zeugen zu sprechen oder CEOs von vermeintlich nachhaltigen Fischvertriebs-Firmen im Interview ins Stottern zu bringen. 

Als Zuschauer*in erschreckt man vor der düsteren Realität, die sich hinter diesem Industriezweig verbirgt, und sieht sich plötzlich mit allerhand erschütternden Informationen konfrontiert. Man erfährt von Tausenden Delfinen, die von den Fischern getötet werden, um die Fangquote zu erhöhen. Und damit des Grauens nicht genug – viele weitere Faktoren spielen in die Zerstörung der Meere hinein, angefangen bei verbotenen Fangmethoden und Überfischung, über ungewollten Beifang, unmenschliche Arbeitsbedingungen bis hin zu fehlenden staatlichen Kontrollen. 

Drastische Zahlen, drastische Maßnahmen 

Vor dem Fernseher nehmen mit den ungeschönten Tatsachen auch die Traurigkeit und Enttäuschung zu. Aber auch etwas anderes stellt sich ein: Misstrauen. Welchem Anbieter kann heutzutage in Bezug auf nachhaltigen Fisch überhaupt noch getraut werden, wenn die führenden Siegel wie MSC oder Dolphin-Save keine Fragen bezüglich ihrer Methoden beantworten wollen? Ganz plötzlich findet man sich man sich als machtloses Individuum in einer großen, unberechenbaren Welt wieder und denkt: Was kann ich tun, um wirkliche Auswirkungen zu erzielen? 

Ali und Lucy beantworten diese Frage, indem sie nicht dazu raten, „nachhaltig“ gefangenen Fisch zu konsumieren, denn um das zu garantieren gebe es bisher zu wenig Kontrollen. Stattdessen schlagen sie radikal vor, in Gänze auf die Proteinquelle aus dem Ozean zu verzichten. Das Meer sei ein Ökosystem, was sich relativ schnell selbst wieder erhole, doch dazu brauche es auch die Ruhe, die wir Menschen ihm geben müssen. Dass bis 2048 keine Fische mehr im Ozean vorhanden sein sollen, wie es Ali im Film sagt, soll jedoch laut des WWF sehr unwahrscheinlich sein – was allerdings nichts an der Aussagekraft des Films ändert. 

Trotzdem heißt das laut WWF nicht, dass wir mit dem Schutz und den drastischen Maßnahmen warten sollten. Das Idealbild der Fischerei – ein unschuldiges Boot – ist eines der Dinge, bei der Aufklärung dringend notwendig ist. In der Realität ziehen monströse Trawler mit riesigen Kränen enorme Schleppnetze hinter sich her und hinterlassen den Meeresgrund auf lange Sicht ohne jegliches Leben. Diese Fischereimethoden stoßen jährlich ebenso viel Kohlenstoffdioxid aus wie der Flugverkehr. Und um noch einmal auf das ganze Plastik zurückzukommen, das die Meere verschmutzt: 70 Prozent des Mikroplastiks im Ozean stammen von Fischerausrüstungen. 

„Seaspiracy“ liefert innerhalb von 90 Minuten nicht nur unheimlich viele interessante und zugleich erschreckende Fakten, Zahlen und Informationen, sondern gewährt einen realistischen Einblick in die vielen Facetten der Fischereiindustrie. Der Aufruf dazu, keinen Fisch zu essen, sei laut Ali zwar radikal, aber notwendig. Dass damit jedoch auch Millionen Arbeitsplätze verbunden sind, wird nicht thematisiert, leider wird auch keine wirklich nachhaltige Fischerei-Methode aufgezeigt. Folglich rätselt man als Zuschauer*in im Nachgang: Gibt es die überhaupt?

Die Filmemacher zeigen eine große Problembreite: Sie gehen dem einen nach, stoßen auf das nächste und fliegen an einen anderen Ort, ohne wirklich die erste Komplikation zu „lösen“. Das verdeutlicht zum einen, dass es eventuell gar keine Lösung für die entdeckten Fälle gibt, unterstreicht aber hauptsächlich, was für immense Probleme die Fischereiindustrie verursacht und in was für einem Teufelskreis sich diese Geldquelle befindet. Und obwohl Ali und Lucy (leider) am Ende der Dokumentation nicht als Helden den Ozean wieder regenerieren und alles Böse zum Guten wenden, gehen die beiden doch den ersten mutigen Schritt um durch ihre Dokumentation die Welt auf die Notwendigkeit eines kompromisslosen Wandels aufmerksam machen. 

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.