Interview

Christy O’Donnell: „Musik ist meine Universalmedizin“

Der schottische Newcomer Christy O’Donnell verarbeitet auf seiner neuen EP „Homegrown“ einiges aus seiner Vergangenheit und erzeugt damit eine nachdenkliche und einfühlsame Atmosphäre. Obwohl der 22-Jährige zu Beginn seines musikalischen Schaffens mit Ablehnung zu kämpfen hatte, hat er sich durchgeschlagen und ist heute als Solokünstler erfolgreich.
Von Laura Wilks

Früher stieß er mit seiner Musik auf Unverständnis, als er für das Vortragen eines selbst komponierten Songs von der Schule geworfen wurde und sich dann als Straßensänger durchschlug. Heute schwebt er zwischen den Kunstsphären, singt, schreibt und schauspielert – ein kreatives Allroundtalent. Die Rede ist von dem schottischen Newcomer Christy O’Donnell. Bei seiner Musik setzt er nicht auf Trends, sondern verlässt sich vor allem auf sein eigenes Gefühl. Mit seinen Songs plädiert der Sänger mit sanften Akustikgitarrentönen und ehrlichen Worten für mehr Verbundenheit und Menschlichkeit. Im Interview erzählt er von seiner ersten EP, die Anfang August erschienen ist, und dem Umgang mit gesellschaftlichem Druck.

Vom Schulrausschmiss zum gefeierten Sänger und Schauspieler – wie kam es dazu?
Mit 14 hatte ich das erste Mal ein Instrument in der Hand. In der Schule mussten wir Saxofon lernen. Später habe ich mir dann selbst Gitarrespielen beigebracht und fing an, Songs zu schreiben. Einen dieser Songs habe ich in der Schule präsentiert. Meine Lehrerin nahm mich nicht für voll und dachte, ich lüge. Daraufhin wurde ich der Schule verwiesen. Mit 17 stand ich also ohne Schulabschluss da und musste irgendwie Geld verdienen. Eine Zeit lang war ich sehr niedergeschlagen. Das Einzige, was immer da war, war die Musik. Also begann ich, auf den Straßen Schottlands Musik zu machen. Mit der Zeit wurde mein Publikum größer. Dann sprach mich ein Typ an: „Wenn du und zwei Freunde eine Band gründet und ausseht wie One Direction, mache ich euch berühmt.“ – „Wieso nicht?“, dachte ich. Zwei Freunde zu finden, war leicht. Auf einmal war ich Teil dieser urkomischen Boyband, „Supanova“, die überraschenderweise erfolgreich war. Das lief dann ein paar Jahre so, bis ich merkte, dass es nicht das Richtige ist. Schauspielern fand ich schon immer interessant. Also rief ich einfach eine Schauspielagentur in London an. Die nahmen mich ziemlich schnell unter Vertrag. Aus dem Nichts hatte ich dann meine erste Rolle in einem Film, „Moon Dogs“. Ein paar Jahre später war ich nebenbei wieder als Straßensänger tätig. Und wieder kam ein Mann auf mich zu. So kam ich mit meinem heutigen Agenten AJ in Kontakt. Von da an ging es so richtig los mit der Musikkarriere.

Ich singe auch zur Selbsttherapie

Christy O’Donnell über den medizinischen Effekt von Musik

Liebe und Verlust spielen in deinen Songs eine zentrale Rolle. Verarbeitest du so persönliche Erfahrungen?
Auf der ersten EP verarbeite ich so einiges und versuche, mich selbst besser zu verstehen. Die zweite soll ein wenig fröhlicher werden und steht unter dem Motto Hoffnung. Anhand der Songs kann man einen inneren persönlichen Prozess erkennen.

Deine Songs erzählen Stories, gerade „Remember Me Well“. Entspringen diese deiner Fantasie?
Meine Songs basieren immer auf echten Erfahrungen und Gefühlen. In „Remember Me Well“ verarbeite ich eine Trennung, die sehr schmerzhaft war. Wir lernten uns bei einem Dreh kennen und gingen nicht so auseinander, wie ich es mir im Nachhinein gewünscht hätte. Der Song basiert also auf dem Wunsch: Ich hoffe, du denkst mit einem reinen Herzen an uns zurück und bist glücklich. Auch wenn man nicht mehr zusammen ist, sollte man nie vergessen, wofür man den Partner wertschätzt. Negative Gefühle sollten diese schönen Momente nicht verzerren.

Deine Texte vermitteln den Eindruck, dass du eine selbstkritische und nachdenkliche Person bist. Im Netz wirkst du eher wie ein Sunny Boy. Wer ist der wahre Christy?
Menschen, die mich zum ersten Mal im realen Leben treffen, sind oft überrascht. Wir Künstler projizieren häufig ein Bild in die Außenwelt, das mit unserem eigentlichen Charakter in Konflikt steht. Das hat gute, aber auch schlechte Seiten. Ich bin sehr nachdenklich, wenn ich Situationen verarbeite. Meine Musik ist emotional und spiegelt meine Verletzlichkeit wider. Ich wünsche mir, dass die Menschen erkennen, dass ich mehr bin, als mein erster Eindruck verspricht. Für mich ist Musik eine Art Universalmedizin. Sie ist immer gegenwärtig und hilft auch dabei, schwere Zeiten zu bewältigen – ob man sie hört, schreibt oder produziert. Anstatt im Selbstmitleid zu ertrinken, spiele ich Klavier, weine und verarbeite. So tanke ich Kraft, um durch meinen kreativen Output eine Stütze für andere zu sein.

Dank meiner Musik habe ich nicht das Gefühl, machtlos gegenüber Politik

Christy O’Donnell über gesellschaftlichen Druck und ungerechte Politik

Der Titel deiner EP ist „Homegrown“ – was steckt dahinter?
Inspiration des Songs war eine Begegnung mit einem Mann in London. Der Mann vernachlässigte seine Familie und arbeitet 24/7. Seine Geschichte ließ mich nicht los, ich fragte mich, ob er noch weiß, wer er wirklich ist. Meiner Meinung nach sollte man seine persönlichen Bedürfnisse wegen der Arbeit nicht vernachlässigen. Man sollte nie vergessen, wer man ist, und sich durch gesellschaftliche Zwänge nicht zum Sklaven seiner selbst machen lassen.

Ist gesellschaftlicher Druck eine große Sache für dich?
Ja. In England regiert Boris Johnson. Als ich jünger war, gab es nicht so viel Ungerechtigkeit wie heute – zumindest kam mir das so vor. Es gibt diese große Kluft zwischen Bevölkerung und Politik. Wir müssen handeln. Gerade mit meiner zweiten EP will ich eine Botschaft vermitteln. So habe ich das Gefühl, nicht machtlos zu sein.

Was motiviert dich dazu, Musik zu machen?
Musik hat mir immer Kraft gegeben. Wenn man einen geliebten Menschen verliert, realisiert man erst so richtig, wie wichtig er war. Wenn man an die Vergangenheit denkt, wird einem bewusst, dass die Zeit rennt. Hört man Musik, so erweckt man vergangene Momente zum Leben. Ich schätze, ich gebe meinen inneren Tönen ein Medium – das ist meine Motivation.

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.