Interview

Problematische Familienverhältnisse: „Mit neun Jahren begann ich, meinen Eltern Geld zu klauen“

Auch wenn das Kind das Gegenteil signalisiert: Eltern sollten nie aufhören, mit ihrem Kind zu reden.
Auch wenn das Kind das Gegenteil signalisiert: Eltern sollten nie aufhören, mit ihrem Kind zu reden.
Markus ist 21 Jahre alt und studiert, um Lehrer zu werden. Das Verhältnis zu seinen Eltern ist eng. Das war jedoch nicht immer so – seine Kindheit war eine Zeit voller Herausforderungen, die den Familienfrieden auf eine harte Probe stellte. Mittlerweile können Markus und seine Eltern das Geschehene hinter sich lassen. Wie er die Situation aus heutiger Sicht beurteilt, erzählt er im Interview.
Von Dana Jabari, funky-Jugendreporterin

Das Verhältnis zu deinen Eltern war nicht immer leicht, richtig?
Es war früher sehr angespannt, distanziert und verletzend. Mit neun Jahren habe ich angefangen, Geld von meinen Eltern zu klauen, um von meinem Umfeld akzeptiert zu werden. Damals wollte ich mir die unterschiedlichsten Dinge finanzieren, von Pokémon-Karten bis hin zu Zigaretten. Meine Eltern konnten im Grunde ihrem eigenen Kind nicht mehr vertrauen. 

Wie sind deine Eltern damals damit umgegangen?
Während mein Vater sich in seine Arbeit zurückzog, hat meine Mutter Widerstand gegenüber meinem Verhalten gezeigt und mir dadurch das Gefühl gegeben, dass sie mich noch nicht aufgegeben hat. Zu ihr war ich besonders schlimm – ich habe sie ignoriert, beleidigt und war immer seltener zu Hause. Ich habe ihr im Grunde menschlich ins Gesicht gespuckt und sie hat mich trotzdem nicht fallen gelassen.

Wie ging es dir damals?
Als Kind fühlte ich mich missverstanden und im Stich gelassen, besonders von meinen Eltern. Nach dem Umzug in die nächstgrößere Stadt und dem darauffolgenden Wechsel auf die weiterführende Schule habe ich nach Halt gesucht, den ich bei den rauchenden Kindern auf dem Parkplatz fand. Außerdem war ich auch damals schon ein Mensch mit großem Freiheitsbedürfnis, das sich aufgrund des Drucks durch Schule, Eltern und Freundeskreis vervielfachte. Ich wollte einfach nur weglaufen, vor meinen Freunden, vor meiner Familie, vor meinen Problemen.

Was für eine Rolle hat das soziale Umfeld gespielt?
Eine enorm große Rolle. Du hattest Gleichgesinnte um dich, die sich alle profilieren wollten, ganz nach dem Motto: Ich bin hart, männlich und erwachsen. Als ich dann erneut die Schule wechselte, verbrachte ich meine Zeit plötzlich mit Kindern, die so unschuldige Dinge machten wie Fangen spielen. Da ging es mir dann auch besser. Mit der Zeit wurde mir klar, dass Erwachsensein nichts damit zu tun hat, wie hart und unnahbar man ist, sondern wie offen, rücksichtsvoll und verantwortungsvoll man sein kann. Es geht darum, man selbst zu sein. 

Haben deine Eltern dir damals leidgetan, oder tun sie dir immer noch leid?
Nein, aber diese Aussage finde ich prinzipiell schwierig. Meine Eltern würden mir zum Beispiel leidtun, wenn ihre Eltern sterben oder wenn es ihnen körperlich schlecht ginge. Aber die Situation damals muss mehr als Problem betrachtet werden, welches gelöst werden musste. Abgesehen davon war ich allein dafür verantwortlich. Es hätte absolut nichts zur Lösung beigetragen, wenn sie mir einfach nur leidgetan hätten. 

Wie hat sich die Situation mit deinen Eltern letztlich gebessert?
Ich wechselte in einen besseren Freundeskreis, habe dann den Umgang mit Respekt neu erlernt und habe dadurch auch ein neues Selbstbild entwickelt. Letztlich bin ich auch auf ein Internat gewechselt, wo der gewonnene Abstand dazu geführt hat, dass alte Wunden verheilen und wir uns bewusst neu kennenlernen konnten. So ein Prozess braucht seine Zeit. Das Schlimmste wäre aber gewesen, einfach zu warten und nichts zu tun. Das Leben ist kein Märchen, wo plötzlich alles wieder gut wird. Wenn du willst, dass etwas wieder gut wird, dann mach etwas dafür. Sonst passiert auch nichts.

Das Leben ist kein Märchen, wo plötzlich alles wieder gut wird. Wenn du willst, dass etwas wieder gut wird, dann mach etwas dafür.

Markus, 21, über das Angehen familiärer Probleme

Hast du einen Rat an Eltern oder Kinder, die sich momentan in einem schwierigen Verhältnis befinden?
Es ist es wichtig zu begreifen, dass auch Eltern letzten Endes nur Menschen sind. Es sind Menschen mit Gefühlen und eigenen Meinungen, die eben auch Fehler machen können. Man muss daran glauben, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt und dass sich Menschen ändern können. Gleichzeitig sollten Eltern ihren Kindern ein gewisses Grundverständnis entgegenbringen und auf Augenhöhe mit ihnen kommunizieren. Man darf niemals aufhören, mit dem Kind zu reden, auch wenn es sich bis zum Letzten dagegen sträubt. Es ist essenziell, dass man dem Kind zu keinem Zeitpunkt das Gefühl gibt, alleine zu sein. Man wird als Familie im Laufe der Jahre immer wieder Tiefen begegnen, aber gemeinsam meistert man auch die schlimmsten Zeiten. Und den Glauben daran gilt es niemals zu verlieren.

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.