Meinung

#LeaveNoOneBehind: Flüchtlingslager auf Lesbos

Im Flüchtlingslager auf Lesbos sind Abstandsregeln nicht einhaltbar.
Im Flüchtlingslager auf Lesbos sind Abstandsregeln nicht einhaltbar.
Ich bin sauer und traurig, und in dieser Ausnahmesituation, verursacht durch Corona, ziemlich privilegiert. Wir sollen uns alle die Hände waschen und zuhause bleiben. Das ist ziemlich einfach, wenn fließendes Wasser da ist und man ein Dach über dem Kopf hat.
Von Omeima Garci, funky-Jugendreporterin

Dieses Privileg haben Obdachlose und Schutzsuchende, die auf Lesbos festsitzen, nicht. In einem so überfüllten Camp kann man Menschenansammlungen nicht vermeiden, sie gehören zum Alltag. Moria ist ein Lager auf der griechischen Insel Lesbos, auf der momentan rund 20.000 Menschen leben – was weit über die eigentliche Kapazität von knapp 3.000 Menschen hinausgeht. Nun scheinen diese Menschen in der ganzen Corona-Krise vergessen worden zu sein, neben der vordergründigen Infektionsangst und den Hamsterkäufen quasi unsichtbar.

Europa, warum hörst du nicht hin? Du bist verpflichtet, dich an deine eigenen Gesetze zu halten. Warum tust du das nicht mehr? Das Asylrecht und die Menschenrechte in einer Zeit faktisch auszusetzen, in der genau diese mehr als nötig sind, halte ich für eine menschenrechtliche und politische Katastrophe. Zahlreiche Menschen warten darauf, einen Antrag auf Asyl stellen zu können. Dass das aktuell nicht möglich ist, verstößt gegen das Grundrecht auf Asyl. Ich stelle mir in letzter Zeit so viele Fragen, nun stelle ich sie dir. Sind es etwa Menschen zweiter Klasse, die deiner Gesetze nicht würdig sind? Wann wird gehandelt, wenn nicht jetzt? Vor den Grenzen der EU wird auf Schutzsuchende geschossen, man versucht diesen Menschen Angst zu machen. Doch es sind dieselben Menschen, die den Tod auf einem wackligen Boot in Kauf nahmen um dem Leben in ihren Herkunftsländern zu entkommen. Die Situation in den überfüllten Lagern ist katastrophal, es fehlt an medizinischer Hilfe und an hygienischer Grundversorgung.

Corona macht vieles unsichtbar. Journalistinnen und Journalisten können nicht über die Zustände auf der Insel Lesbos berichten, da die Grenzen geschlossen wurden. Nichtsdestotrotz sind die Zustände nicht erst seit Corona schlimm.

Die Corona Krise hat mich vor allem eines gelehrt: Wenn Kräfte mobilisiert werden müssen, werden Sie mobilisiert. Millionen von Menschen haben ihr alltägliches Leben umstellen müssen. Gelder werden in die Forschung investiert, Massenveranstaltungen abgesagt und die Welt steht für einen kurzen Moment still. Warum ist es also scheinbar nicht möglich, auch für Lesbos Kräfte zu mobilisieren und die Schutzsuchenden in menschenwürdige Umgebungen zu bringen?

Online wurde mit dem Hashtag #LeaveNoOneBehind eine Kampagne gestartet, die darauf aufmerksam macht, dass es auf Lesbos Menschen gibt, die verzweifelt um ihr Leben kämpfen. Unterstützt wird die Initiative von Menschen des öffentlichen Lebens, vor allem von Henning May, dem Sänger der Band AnnenMayKantereit. Er forderte Solidarität mit Moria und sendete mit über 30 anderen Menschen eine Nachricht an die Oberbürgermeisterin Kölns, in der sie darum bitten, Köln zu einem sicheren Hafen für Geflüchtete zu machen.

In diesen Tagen, wo durch ein Virus vieles nicht mehr so ist, wie es mal war, sollten wir auf unsere Menschlichkeit vertrauen können. Und diese steht auch Geflüchteten in Moria zu. Denn das ist eigentlich mein Verständnis von Europa: Solidarität, die über Grenzen hinausgeht. Momentan erlebe ich eine nicht so schöne Seite Europas. Eine Seite, die lieber ihre Grenzen schützt als Menschen. Gerade wegen des Coronavirus’, welches in Moria nicht nur das Leben vieler Schutzsuchender kosten könnte, sondern auch das Gesundheitssystem der Insel zum Zusammenbruch bringen kann, ist es notwendig, hygienische Bedingungen zu schaffen, unter denen sich das Virus nicht noch weiter verbreiten kann.

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.