Interview

#wirschreibenzuhause: Sebastian Fitzek schreibt zusammen mit Fans ein Buch

Aus den Ideen vieler entsteht ein einzigartiges Buch.
Aus den Ideen vieler entsteht ein einzigartiges Buch.
Coronabedingt verbringen wir alle momentan sehr viel Zeit zu Hause. Viele verwenden sie auch dafür, um die eigene kreative Energie auszuschöpfen und neue Talente zu entdecken. Thrillerautor Sebastian Fitzek nutzt müßige Stunden, um unter dem Motto #wirschreibenzuhause zusammen mit seinen Followern ein Buch zu schreiben. Dafür trifft er sich mit seiner Community so oft wie möglich online, um sich zu besprechen, und gibt Tipps und Tricks, die für den eigenen Schreibprozess genutzt werden können.
Von Tess Kadiri, funky-Reporterin

Wie bist du auf die Idee für dein Schreibprojekt gekommen?
Eine der meistgestellten Fragen auf Lesungen von Leserinnern und Lesern ist: „Ich möchte mal selbst ein Buch schreiben. Wie fange ich das eigentlich an?“ Ich wusste also, dass ein großes Interesse bei vielen Lesern besteht, auch selbst mal was zu Papier zu bringen. Und jetzt haben viele wegen der Zwangspause die Zeit dazu. Vielleicht wäre es also genau das Richtige, um mal den Kopf frei zu kriegen. Es gibt schließlich in der Psychotherapie die anerkannte Form der Schreibtherapie. Demnach soll man sich, wenn man zu sehr grübelt, einfach mal hinsetzen und beim Schreiben seinen Gedanken freien Lauf lassen. Dieser Gedanke, dass man die gewonnene Zeit so für etwas Produktives nutzt, anstatt sich ständig mit der Flut der schlechten Nachrichten zu beschäftigen, hat mich dann auf die Idee gebracht. Wir können die Zeit sinnvoll nutzen, indem wir lernen, wie so eine Geschichte entsteht, und weil am Ende der Quarantäne dann ein Produkt entstanden ist, welches zugunsten des Buchhandels verkauft wird, um so die Folgen der Krise zumindest für diesen einen Bereich etwas abzumildern.

Was waren zu Beginn deine persönlichen Erwartungen an das Projekt?
Ich habe von Anfang an klargemacht, dass so etwas noch nie gemacht wurde und ich deswegen natürlich keine Ahnung habe, ob es funktioniert. Ich habe schon erwartet, dass es auf großes Interesse stoßen würde, hatte aber die Sorge, dass das Projekt in einem großen Chaos enden könnte. Also habe ich versucht, eine grundlegende Struktur mit meinen Lesern zu schaffen, wobei ich von der Fantasie vieler sehr positiv überrascht wurde. Allein bei der Ausgangssituation, auf die wir uns geeinigt haben, haben namhafte Autoren mir geschrieben, dass sie auf diese Idee selbst gerne gekommen wären.

Alleine ein Buch zu schreiben, stelle ich mir schon nicht allzu leicht vor. Aber so viele verschiedene Meinungen zu kombinieren – wie schaffst du es, alle verschiedenen Ideen und Meinungen unter einen Hut zu bringen?
Indem zunächst einmal klar wird, dass es mit einer Idee nicht getan ist, sondern eine Idee immer die nächste Frage hervorbringt. Rein technisch ist es so, dass gefragt wird: „Wie soll die Geschichte beginnen?“ und dann durch das votingbasierte Feedback entschieden wird, welche Ausgangssituation gewählt wird. So finden solche Entscheidungen statt. Jeder schreibt also seine eigene Geschichte, muss sich dabei aber an die vorher gemeinsam beschlossenen Parameter halten. Diese festgelegten Kriterien müssen so konkret sein, dass sie wirklich hilfreich sind, wenn man mal nicht weiterweiß. Andererseits dürfen sie kein zu enges Korsett sein, um nicht die Fantasie einzuschränken. Wir haben uns daher auf fünf Parameter geeinigt und ich bin mir sicher, dass trotzdem unglaublich viele unterschiedliche Geschichten entstehen werden, von denen die beliebtesten Texte Einzug in die Anthologie halten werden.

Die Realität, wie wir sie jetzt erleben, dient meiner Meinung nach nicht zur Vorlage von Unterhaltung.

Sebastian Fitzek über die Corona-Krise

Wie sehen die Fortschritte der Aktion #wirschreibenzuhause zum jetzigen Zeitpunkt aus?
In der Hand habe ich bisher noch gar nichts, denn das letzte Wochenende zu Hause wurde zum erstmaligen Schreiben in den eigenen vier Wänden genutzt. Der Stichtag, an dem die Ergebnisse bei mir eintrudeln, ist der 19. April. Wir alle erwarten, an dem Tag zu erfahren, wie es weitergeht. Sollten die Maßnahmen dann nämlich gelockert werden, dann haben die meisten voraussichtlich keine Lust mehr, zu Hause zu sitzen … mich eingeschlossen. Insofern haben wir erst dann die ersten spürbaren Ergebnisse. Und bis dahin melde ich mich regelmäßig mit Livetalks und Tipps von mir und weiteren Autoren. 

Bei dem Projekt kann jeder mitmachen, Anforderungen wie frühere Schreiberfahrungen gibt es nicht. Denkst du, dass jeder das Zeug dazu hat, an einem Buch mitzuschreiben?
Ich denke, die Frage ist ähnlich zu beantworten wie die, ob jeder in der Lage ist, ein Musikinstrument zu spielen. Ja klar, ein Instrument spielen kann jeder, aber wie gut sich das dann anhört, liegt im Auge oder eher Ohr des Publikums. Genauso verhält es sich auch mit dem Schreiben. Es gibt ein Handwerk, das sich erlernen lässt, sodass am Ende jeder irgendwie eine Geschichte mit Anfang und Schluss zu Papier bringen kann, die irgendwo auch Hand und Fuß hat. Ob das allerdings eine Geschichte ist, die den Menschen gefällt, ist etwas, das kein Lehrer einem beibringen kann. Das ist der Unterschied zwischen Handwerk und Kunst. Etwas zu erschaffen, das künstlerisch so überzeugend ist, dass jemand am Ende Geld dafür ausgeben möchte, hängt letztendlich vom individuellen Talent ab.

Was möchtest du mit der Aktion erreichen?
Ich möchte, dass die Leute, die sich an diesem Projekt beteiligen, etwas für sich mitnehmen. Das können Techniken und Inspirationen sein oder auch einfach spannende Geschichten. Das Ganze ist also eine Autor*Innenförderung. Zudem hoffe ich, dass dieses Buch ein Zeichen für den Buchhandel setzen kann. Sollte die Buchmesse stattfinden, dann hoffe ich, dass wir dort das Buch feiern können, da so während einer Krisensituation etwas Positives für Buchhändler entstanden ist. Auch vor dieser Pandemie standen Buchhandlungen sicher nicht im Verdacht, nicht zu wissen, ob sie mit ihren Einnahmen die Yacht in St. Tropez oder lieber in Las Vegas alles auf Rot setzen möchten. Schon vor Corona war es so, dass vor allem kleinere Buchhändler von der Hand in den Mund gelebt haben und das Geschäft aus Idealismus und absoluter Überzeugung betrieben haben. Im Zuge der pandemiebedingten Einschränkungen kann wirklich keiner mehr vom Idealismus leben, da außer in Sachsen-Anhalt und Berlin alle Buchhandlungen geschlossen wurden. Wenn es so weitergeht, wird der Buchhandel irgendwann am Boden liegen. Obwohl ich weiß, dass ein Buch das nicht komplett retten kann, hoffe ich, dass es ein Zeichen setzen wird, das Menschen darauf aufmerksam machen könnte, dass finanzielle Probleme in dem Bereich bestehen, und die Leute dazu anregt, weiterhin Bücher zu kaufen.

Fühlst du dich während der Quarantäne inspirierter und kreativer?
Ganz im Gegenteil. Ich bewundere alle, die gerade wie die Verrückten schreiben. Ich bin zwar auch in den letzten Zügen meines aktuellen Buchprojekts, aber ich muss mich manchmal zum Schreiben zwingen. Meine durchschnittliche Handyzeit liegt momentan bei acht Stunden, was natürlich auf den Umstand zurückzuführen ist, dass ich durch die Ausgangssperre mein Büro am Ohr kleben habe und auch für die Aktion mehr auf Social Media sein muss. Aber es liegt auch daran, dass ich zu nervös zum Schreiben bin, weil ich zum Schreiben eine gewisse Ruhe brauche. Die Ruhe kommt dadurch, dass ich mich jetzt auf dieses Social-Media-Projekt fokussieren kann, zwar langsam zurück, aber meine Kreativität ist normalerweise schon etwas mehr vorhanden. 

Als Autor von Thriller-Romanen finden Szenarien, wie wir sie momentan über die Nachrichten miterleben, sonst nur in deiner Fantasie statt. Wie ist es, eine Storyline, wie du sie normalerweise nur in einem Roman niederschreiben würdest, in der Realität mitzuerleben?
Schrecklich, weil ich immer versuche zu vermeiden, dass ich das reale Leid ausbeute. Ich finde es hochproblematisch, da ich mir gewünscht hätte, dass so eine virale Erkrankung, wie ich sie in „Noah“ beschrieben habe, Fiktion bleibt. Das Buch ist 2013 erschienen und jetzt würde ich einen solchen Thriller selbstverständlich nicht herausbringen. Aber zu dem Zeitpunkt hätte ich mir gar nicht vorstellen können, dass so etwas tatsächlich eintritt. Die Realität, wie wir sie jetzt erleben, dient meiner Meinung nach nicht zur Vorlage von Unterhaltung. In nächster Zeit werde ich nichts schreiben, das mit Viren oder Outbreakszenarien zu tun hat, das kann ich mit Sicherheit sagen.

Viele nutzen die Zeit im Homeoffice, um zum ersten Mal ein Buch zu schreiben. Kann man nach der Quarantäne auch ein neues Buch von dir als alleinigem Autor erwarten?
Natürlich, auch wenn ich wegen dieser fehlenden Ruhe eine kurze Tiefphase hatte, gebe ich momentan meinem Thriller „Der Heimweg“ den letzten Schliff, der am 21. Oktober erscheinen soll. Im Mittelpunkt steht die Hotline heimwegtelefon.net, die vor allem von Frauen genutzt wird, wenn sie auf dem Heimweg Angst haben oder sich verfolgt fühlen, die Polizei aber nicht rufen wollen, weil sie sich nicht sicher sind, wie real die Bedrohung ist. In meinem Buch geht es um einen angsteinflößenden Anruf, der an einem Samstag stattfindet.


Meine Mutter sagt immer, dass ich spreche bevor ich nachdenke. Wahrscheinlich schreibe ich deswegen auch so gerne. Manchmal hat man so viele Gedanken im Kopf, dass die richtigen Worte länger brauchen, als der Mund sie ausspricht. Genau diese richtigen Worte versuche ich seit einiger Zeit bei funky zu Papier zu bringen. Zeitungen waren zwar nie mein Ding, aber als ich über die Jugendredaktion gestolpert bin, habe ich eine Zeitung gefunden, die ich auch gerne lese. Deswegen schreibe ich für funky: Damit ich morgens etwas anderes zum Lesen habe, als die Rückseite der Cornflakesschachtel.