Interview

„Prima Muslima“ – Ein Interview mit Merve Kayikci

Merve Kayikci zeigt, dass sich der Islam sehr wohl mit einer feministischen Gesinnung vereinbaren lässt.
Merve Kayikci zeigt, dass sich der Islam sehr wohl mit einer feministischen Gesinnung vereinbaren lässt.
Wir befinden uns im „Feministischen März“. Aus diesem Anlass hat die Jugendredaktion sich gedacht: Sprechen wir doch mal mit ein paar starken Frauen, die uns inspirieren und hören uns an, was sie zu sagen haben. Was wir dabei feststellten: Sexismus ist nicht immer einfach nur Sexismus. Rassismus, Islamophobie, Antisemitismus – das alles kann Teil des antifeministischen Gesamtpakets sein. Merve Kayikci hat Jura und Journalismus studiert und ist Autorin des Blogs „Primamuslima“. Wir haben mit der 25-jährigen Stuttgarterin gesprochen, die zeigt, dass sich der Islam sehr wohl mit dem Feminismus vereinbaren lässt.
Von Tessniem Kadiri, funky-Jugendreporterin

Die Ereignisse der letzten Wochen machen deutlich, dass das Klima in Deutschland nicht nur für Frauen kritisch ist, sondern vor allem für Frauen mit Migrationshintergrund und Frauen, die der islamischen Religion angehören. Wie nimmst du das wahr?
Ich bin fest davon überzeugt, dass muslimische Frauen in Deutschland zu der am stärksten diskriminierten Gruppen gehören. Ich finde es krass, dass das aber gemeinhin nicht anerkannt wird. Frauen, denen man die Religion ansieht, werden am stärksten diskriminiert. Es gibt einen unfassbar hohen Anteil an Menschen, die offen sagen, dass sie kein Problem darin sehen, Menschen wegen eines Kopftuches auszugrenzen. Der Weg zu einigen Berufen wird erschwert, manchmal sogar verhindert. Es gibt kaum Verständnis für den Grund, aus dem die Kopftücher getragen werden. Wir werden sowohl von unserer eigenen Glaubensgemeinschaft benachteiligt, als auch von der allgemeinen nichtmuslimischen Gesellschaft, und nicht zuletzt auch vom Staat. Häufig wird vermittelt, man müsse die Schuld bei sich selbst suchen, schließlich könne man das Kopftuch ja auch abnehmen. Wenn ich eine Wohnung suche oder auf Airbnb ein Zimmer mieten möchte, bekomme ich eigentlich nie eine Zusage. Egal in welchem Bereich: Wenn ich auf das Urteil fremder Menschen angewiesen bin, bin ich immer erstmal in einer vergleichsweise schlechteren Position. Dagegen wird nichts unternommen. Anstatt uns durch Gesetze zu schützen, gibt es Gesetze, die die Ausgrenzung verschlimmern und nach außen hin signalisieren, dass diskriminierendes Verhalten legitim ist.

Als was definierst du dich? Als Muslima, Kopftuchträgerin, Deutsche, Europäerin…?
Das kommt ganz auf die Situation an, ich bin ja irgendwie alles. Ich würde in Deutschland nicht sagen, dass ich Deutsche bin, weil ich den Grund dafür nicht sehe. Im Ausland würde ich mich als Deutsche vorstellen. In manchen Kontexten ist man eher eine Europäerin, in anderen vor allem eine Frau. Das macht meiner Meinung nach aber auch einen facettenreichen Menschen aus.

Wo und wie denkst du, entsteht das Bild vom Sexismus im Islam und vor allem das Bild des unterdrückenden muslimischen Mannes?
Das kann ich gar nicht so genau sagen, bin ja selber kein muslimischer Mann. Ich glaube, dass muslimische Männer sich nicht so stark engagieren und einbringen wie muslimische Frauen, was in der Community selbst ein Problem ist. Bei einem mir bekannten muslimischen Mann, den ich sehr schätze, habe ich letztens auf Instagram gesehen, dass er mehrere Bilder von Altaren gepostet hat. Die befinden sich vorne in den Moscheen. Ich habe sie noch nie gesehen, weil ich eine Frau bin. Und das, obwohl ich in meinem Leben schon oft in Moscheen war. Kein einziger Mann, den ich kenne, hinterfragt, wieso Frauen nicht den Hauptgebetsraum betreten können. Ich frage mich manchmal, ob es den Männern überhaupt auffällt, dass Frauen in der Community benachteiligt werden. Denn nur, weil sie nicht selber unmittelbar betrifft, heißt das schließlich nicht, dass es nicht ihr Problem ist. Männer müssen genauso an der Front mitkämpfen.

Kein einziger Mann, den ich kenne, hinterfragt, wieso Frauen nicht den Hauptgebetsraum betreten können. Ich frage mich manchmal, ob es den Männern überhaupt auffällt, dass Frauen in der Community benachteiligt werden.

Merve über die Haltung muslimischer Männer

Mit dem Kopftuch verbinden die meisten nicht unbedingt das Bild einer meinungsstarken und aufgeklärten Frau, aber genau das bist du schließlich, mitsamt deinem Kopftuch. Warum denkst du, dass das Kopftuch mit negativen Konnotationen und eher antifeministischen Bildern in Verbindung gesetzt wird?
Möglicherweise, weil den Leuten die positiven Geschichten fehlen. Früher haben Frauen verschiedenster Religionen aus Keuschheit ein Kopftuch getragen und hatten insgesamt weniger zu sagen. Umso mehr ein Grund für die Frauen mit Kopftuch, dieses Bild zu ändern. Per se ist es nicht so, dass der Islam patriarchalisch ist. Deswegen denke ich mir als Frau erst Recht, dass ich etwas an der aktuellen Situation ändern muss. Religion sollte nicht Männersache sein. Es ist nicht feministisch aufzugeben und den Männern das Feld zu überlassen, weil man das Gefühl hat, dass man in dem Bereich nicht gleichberechtigt behandelt wird. Man würde ja auch nie sagen, dass Politik Männersache ist und sich verziehen, nur weil der Status quo nicht perfekt ist.

Du als freie Journalistin bist in der Medienbranche und kannst also als Insiderin sprechen. Wie siehst du als Medienmacherin die Rolle der Medien im Kampf gegen den Sexismus?
Die Medien unternehmen viel zu wenig. Das sieht man schon daran, dass es kaum ein Medium in Deutschland gibt, das gendergerechte Sprache eingeführt hat. Medien arbeiten von Natur aus mit Klischees und es wird gar nicht erst der Versuch unternommen, sich der Wahrheit so anzunähern und von den Klischees wegzukommen. Das wird immer damit entschuldigt, dass man Geschichten erzählen muss, die die Leute interessieren. Oft ist es aber so, dass schon nach typischen Klischees gesucht wird und eher die Geschichten erzählt werden, die man schon im Kopf hat. Das spiegelt nicht die Realität wider. Ein Beispiel: Wenn eine Story mit einer muslimischen Frau gemacht wird, dann wissen die Redakteure schon, welches Klischee erfüllt werden soll. Sie nennen das aber „Vorstellungen“ und überprüfen gar nicht erst, ob das auch tatsächlich in der Realität die Mehrheit wiederspiegelt. Ich glaube, das liegt daran, dass zu wenige Frauen und auch Muslime in den Medienhäusern vertreten sind. Ohne sagen zu wollen, dass andere Journalisten schlechter wären, gibt es zu wenige Journalisten, die ein anderes Weltbild haben und einen marginalisierten Hintergrund mitbringen. Ich persönlich finde es gesellschaftlich wichtig, dass andere Perspektiven eingebracht werden. Aber ich sehe in den Redaktionen leider nicht den Wunsch, den momentanen Zustand zu ändern.

In einem deiner Artikel wird die aktuell geringe Repräsentation von Frauen in der bayrischen Politik aufgegriffen, ebenso wie die Meinung mehrerer Frauen zu dem Thema. Dabei werden Begriffe wie die Frauenquote und Paritätische Vorstände in den Raum geworfen. Was hältst du persönlich davon?
Die Frauenquote ist nicht die beste Lösung. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass wir eine Frauenquote brauchen. Es kommt nicht darauf an, wie man an eine Position kommt, sondern was man daraus macht. Ich sehe die Frauenquote als eine Art Raketenantrieb, mit dem wir schneller an einem Punkt sind, an dem wir keine Frauenquote mehr brauchen. Ich würde nicht per se sagen, dass in bestimmten Bereichen eine bestimmte Anzahl von Frauen vertreten sein muss. Bisher ist es nun mal so, dass Frauen definitiv benachteiligt sind und oft zu wenig Frauen wichtige Positionen bekleiden. Das sieht man am Beispiel Politik oder an den Chefetagen von Redaktionen. Bis sich ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis aus natürlichen Umstanden ergibt und nicht aufgrund von systematischer Benachteiligung, ist die Frauenquote ein Mittel, dass Frauen die Möglichkeit gibt an bestimmten Positionen zu kommen, damit sich Strukturen ändern können.

Hast du als freie Journalistin Sexismus erfahren?
Die Leute, die in den Redaktionen entscheiden, wer was schreiben darf oder wer einen Film drehen darf sind meistens Männer. Ich habe oft gemerkt, dass Frauen nicht so ernst genommen werden wie ein Mann. Auch bei anderen Kolleginnen habe ich beobachtet, dass sie manchmal oben herab behandelt wurden, obwohl sie in der gleichen Position waren wie ihre männlichen Kollegen. Ich habe bei einem Dokudreh, wo zwei Redakteure vertraglich gleichberechtigt waren, erlebt, dass der Producer sich mit dem Mann verbündet hat, während die weibliche Redakteurin wie eine Assistentin oder Praktikantin behandelt wurde. Das sieht man auch von außen. Ich war nicht in diesen Filmdreh involviert, aber habe es als unangenehm empfunden. Oft beobachte ich auch, dass Frauen sich bei männlichen Redakteuren, die Entscheidungsmacht haben, anbiedern. Ich verurteile das nicht, da ich glaube, dass sie manchmal keine andere Wahl haben. Natürlich ist es nicht unmöglich, es anders zu machen. Sicher boxen sich viele Frauen auch einfach durch. Aber es gibt trotzdem zu wenig Frauen, die das am Ende auch schaffen und den Respekt von älteren, männlichen Kollegen erlangen.

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.