Interview

Tarik Tesfu über Hasskommentare: „Sie wollen, dass ich Angst bekomme“

Tarik Tesfu kämpft gegen Rassis- mus, Sexismus, Trans-, Inter-, Homofeindlichkeit und Islamfeind- lichkeit. Dafür erhält er extrem aggressive Kommentare.
Tarik Tesfu kämpft gegen Rassismus, Sexismus, Trans-, Inter-, Homofeindlichkeit und Islamfeindlichkeit. Dafür erhält er extrem aggressive Kommentare.
Hasskommentare nicht an sich heranzulassen, ist nicht leicht. Das wird vor allem klar, wenn man die Kommentare unter Tarik Tesfus Video „Hautverdächtig – Tarik über Alltagsrassismus in Deutschland“ von dem öffentlich-rechtlichen Webvideo-Format „Jäger & Sammler“ liest. In seinen Videos thematisiert er Rassismus, Sexismus, Trans-, Inter- und Homofeindlichkeit sowie Islamfeindlichkeit. Mit funky hat Tarik über seinen persönlichen Umgang mit den Kommentaren gesprochen.
Von Selly Häussler, funky-Jugendreporterin

Du willst nicht immer als Opfer von Hate Speech dargestellt werden. Warum?

Ich habe mich nicht aktiv entschieden, Experte zum Thema Hate Speech zu werden, sondern die Thematik ist durch Verfasser von Hasskommentaren an mich herangetragen worden. Ich mache Videos zu den Themen, über die ich gerne sprechen möchte. Und ich habe das Gefühl, dass bei meinen Videos dann nicht mehr der Inhalt im Vordergrund steht, sondern irgendwelche Leute, die meinen, mich fertigmachen zu müssen.

Haben sich die Kommentare für dich angefühlt, als hätte das jemand auf der Straße gesagt?

Es ist ein Unterschied. Natürlich begegnet mir auch auf der Straße Rassismus. Das sind dann aber meistens einzelne Personen. Was im Netz schon anders ist, denn da hat man zuerst einmal den Eindruck, dass vermeintlich Hunderte Leute zu mir sagen: „Du scheiß N…, verpiss dich!“ Ich habe aber mittlerweile gelernt, dass das nicht immer hundert Leute sind. Sondern die haben verschiedene Profile, die treffen sich. Aber ich glaube schon, dass meine Rassismuserfahrungen mir dabei geholfen haben, damit umgehen zu können. Es war irgendwie anders, aber nicht neu.

Hat sich dein Umgang damit verändert? Von den ersten Kommentaren bis heute?

Ja, total! Bei mir hat es angefangen, als ich für „Jäger & Sammler“ Videos gemacht habe. Auf einmal haben mir ganz viele Leute vorgeworfen, dass ich weiße Menschen hasse, weil ich mich gegen Rassismus positioniere. Am Anfang gab es auch Phasen, in denen ich total überfordert war und das auch verletzt hat. Jetzt habe ich die Strategie, dem keine Aufmerksamkeit zu schenken. Ich glaube, die wollen eine Reaktion von mir, die gebe ich denen aber nicht. Ich habe einfach gelernt, dass sie nicht mich hassen, sondern eine inszenierte Person. Das hilft mir dabei, damit umzugehen.

Du hast ja vorher gesagt, das Ziel war, dich zum Schweigen zu bringen. Glaubst du, dass tatsächlich eine Strategie dahintersteht?

Ja. Das glaube ich auf jeden Fall, denn diese Kommentare wollen mir ja Angst machen. Die Leute schreiben nicht nur „Scheiß N…“, sondern reale Drohungen, bis hin zu Morddrohungen. Ich wurde gehackt und meine Adresse wurde veröffentlicht. Es bestand die Möglichkeit, dass irgendwelche Leute vor meiner Haustür stehen. Dieser Hack war zum Beispiel ganz klar der Versuch, mich zum Schweigen zu bringen. Das Ziel ist, dass man aufhört, über die Themen zu sprechen, und Angst bekommt.

Gab es mal eine Zeit, in der die Hasskommentare gehäuft auftraten?

Es gibt einen Typen, der auf YouTube relativ groß ist. Und der hat ein 20-minütiges Video darüber gemacht, wie schlimm ich bin, was für ein Rassist ich bin und wie es sein kann, dass ich von den Rundfunkgebühren, also von uns, finanziert werde. Immer wenn er ein Video gemacht hat, ist bei mir das Hassbarometer nach oben gegangen. Ausgangspunkt war mein erstes „Jäger & Sammler“-Video. Eine Mimimi-Hymne, in der ich mich gegen weiße Rassisten wende. Und er hat daraus gemacht „Tarik hasst alle weißen Menschen“. Dabei hasse ich weiße Rassisten, was wir alle tun sollten.

Was sollten Social-Media-Plattformen deiner Meinung nach gegen Hate Speech tun?

Natürlich müssen Social-Media- Plattformen Haltung zeigen und es muss klar sein, dass Kommentare, die rassistisch sind, dort nicht einfach so stehen bleiben können. Aber Facebook ist nicht die Wohlfahrt, sondern ein kapitalistischer Betrieb. Dem möchte ich nicht überlassen, wie man mit Hass umzugehen hat. Alles, was offline nicht geht, darf online nicht auf einmal okay und Meinungsfreiheit sein. Wir haben gelernt, dass man im Bus jemanden unterstützt, der Rassismus abbekommt. Machen nicht alle, aber es gibt da einen gesellschaftlichen Grundtenor. Dasselbe muss auch gelten, wenn ich mitbekomme, dass jemand im Netz angegriffen wird. Dass man die Betroffenen unterstützt, gerne auch in einer privaten Nachricht.

Was sind deine Tipps für Betroffene?

Mein Tipp ist, dass es nicht die eine Strategie gibt. Alles ist okay: anzeigen, löschen, kommentieren, nichts machen. Ich kann verstehen, dass Leute, deren Kinder bedroht werden, raus sind. Ich will Betroffene ermutigen, zu verstehen, dass es nicht um die eigene Person geht. Es gibt tolle Stellen, an die man sich wenden kann: das No Hate Speech Movement, debate dehate, den LOVE Storm und #ichbinhier. Sucht euch Hilfe, sprecht darüber und hört einfach bitte nicht auf.

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.