Mit der Nazikeule sensibilisieren

Wie reagieren, wenn uns jemand Rassismus vorwirft? Unsere Autorin möchte eine Entschuldigungskultur einführen, um ein Bewusstsein zu schaffen.
Selly möchte eine Entschuldigungskultur für Alltagsrassismus einführen.

Wie reagieren, wenn uns jemand Rassismus vorwirft? Wie wäre es beispielsweise mit einer Entschuldigungskultur, um für den Alltagsrassismus zu sensibilisieren?

Von Selly Häußler, funky-Jugendreporterin

Zuallererst will ich klarstellen: Nur weil ich schwarz bin, heißt das nicht, ich könnte keine rassistischen Dinge sagen. Oder stünde gar moralisch über weißen Menschen, die ich dann zurechtweise.

„You look like jungle“, rief mir jemand an einem schönen Sommertag im Außenbereich eines Berliner Clubs zu. Und meinte es offensichtlich nicht böse. Ihm war nicht bewusst, dass er damit ein rassistisches Bild von Schwarzen reproduziert. Im Nachhinein habe ich mich und auch meinen Begleiter gefragt, warum zur Hölle wir nichts gesagt haben. In vielen Situationen schweige ich, wenn ich diskriminiert werde oder jemand allgemein etwas Rassistisches von sich gibt. Das liegt daran, dass die meisten Menschen es als persönlichen Angriff verstehen, wenn ihre Aussage oder ihr Verhalten als diskriminierend bezeichnet werden. „Nazikeule“ nennt man das. Dabei möchte ich mein Gegenüber nicht niederschlagen, sondern reflektieren und bei der Sensibilisierung unterstützen.

Auf eine solche Auseinandersetzung hatte ich in der Feieridylle einfach keine Lust. Am härtesten trifft Rassismus mich, wenn ich denke, dass ich mich gerade in einem „Safe Space“ befinde. Einem Raum, in dem jeder den anderen toleriert für das, was er ist. In einer eher linken Szene.

Trotzdem müssen wir verstehen, dass wir alle in einem rassistischen System sozialisiert sind.

Selly sieht das Eingestehen einer unbeabsichtigt rassistischen Äußerung nicht als Schwäche an

Wie kann man Rechtsextremismus eindämmen und Rassismus bekämpfen?, fragen sich die Leute. Sie denken darüber nach, wie sie Wutbürger und AfDler erreichen könnten. Dabei liegt die Antwort viel näher: Indem wir bei uns selbst und in solchen Räumen anfangen. Uns sensibilisieren und immer wieder (selbst und gegenseitig) korrigieren.

Rassismus passt bei den meisten Menschen nicht ins Selbstbild. Deshalb gehen sie sofort in die Abwehrhaltung und versuchen das Gesagte zu rechtfertigen, wenn man sie damit konfrontiert. „Nazi“ ist die schlimmste Beleidigung, die es gibt. Zu Recht. Trotzdem müssen wir verstehen, dass wir alle in einem rassistischen System sozialisiert sind. Vielleicht ist das Abgrenzen gegen andere Gruppen sogar angeboren. Wir tragen also alle einen kleinen Rassisten in uns, den wir ständig bekämpfen müssen. Diese Arbeit ist wahrscheinlich niemals ganz abgeschlossen. Aber wir können viel tun.

Zum Beispiel eine Kultur der Entschuldigung etablieren. Etwa so, wie wir sie beim Anrempeln haben: Trittst du jemandem in der Bahn auf den Fuß, entschuldigst du dich selbstverständlich. Auch wenn es nicht absichtlich war. Auch wenn du es nicht einmal bemerkt hast und derjenige dich lautstark darauf hinweist. Obwohl du glaubst, dass das bei deinem Gewicht und seinen Schuhen gar nicht so wehgetan haben kann.

Genau nach diesem Prinzip können wir uns für rassistische Äußerungen entschuldigen. Klar kann man noch sagen, dass es nicht beabsichtigt war. Das ist aber eher irrelevant. Selbst wenn du das Gesagte oder dein Verhalten in diesem Moment nicht als rassistisch ansiehst, nimm es einfach zurück und entschuldige dich. Reflektieren kannst du dann später in einem ruhigen Moment noch einmal. Und wenn du dann wieder zu dem Schluss kommst, dass es nicht rassistisch war, respektiere zumindest die individuelle Wahrnehmung. Verwende das Wort dann nicht mehr für diese Person, auch wenn andere kein Problem damit haben. Das gilt auch für alle anderen Diskriminierungsformen.

Natürlich ist es falsch, jemanden als Nazi zu beschimpfen, nur weil er etwas Rassistisches von sich gibt. Wenn das passiert, habt Nachsicht. POC sind in dieser Hinsicht meist verwundet. Steter Tropfen höhlt den Stein. Auch wenn es „nicht so gemeint“ war, ihr habt wahrscheinlich gerade eine alte Wunde aufgerissen. Der Fuß, auf den ihr getreten seid, war schon gebrochen.
 
Vielleicht ist die „Nazikeule“ unfair und unverhältnismäßig, aber entschuldige dich einfach trotzdem. Das ist dann kein Eingeständnis, ein „Nazi“ zu sein. Im Gegenteil: Du stellst dich damit symbolisch auf die Seite deines Gegenübers und den rassistischen Witz, die Handlung oder das Wort auf die andere. Indem du dann zum Beispiel eine Bezeichnung nie wieder für diese Person verwendest, zeigst du, dass du die Empfindung respektierst, und gibst demjenigen ein Stück Selbstbestimmung zurück.
 
Jemand, der behauptet, besser zu wissen, was rassistisch ist und was nicht, unterstreicht dagegen white supremacy und verteidigt das rassistische Machtgefüge. Das ist in etwa so peinlich, als ob der Typ in der Bahn einen Verband trägt und du laut rufst: „Das kann doch gar nicht so wehgetan haben.“

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.