Opa, erzähl mal – von einer lebensrettenden Notlüge

Grafik eines roten Sessels im Scheinwerferlicht auf blauem Grund
Spot auf unsere Familienangehörigen, die in dieser Rubrik von früher erzählen.
Unsere Großeltern haben so viel erlebt, können so viel erzählen – lassen wir sie zu Wort kommen! Rolf Henning hat sich bei uns gemeldet, um zu erzählen, wie ihm eine Notlüge in den letzten Tages des Zweiten Weltkrieges das Leben rettete.

Da ich dem Jahrgang 1930 angehöre, habe ich die Schrecken, Leiden und die Luftangriffe des verheerenden Zweiten Weltkrieges vom 1. September 1939 bis zum 8. Mai 1945 live erlebt und zum Glück auch überlebt.

Mein Vater fiel bereits mit 42 Jahren 1944 an der Ostfront in Russland. Es gab nur Standard-Todesanzeigen mit dem Text: „Gefallen auf dem Felde der Ehre – für Führer, Volk und Vaterland“. Durch dieses Schicksal geprägt, wurde ich zum HJ-Dienst-Verweigerer. Ich wurde zu einer Sonderdienst-Gruppe, der Gimpel-Armee, abkommandiert. Der Vorgesetzte war ein ausgemusterter Polizeimeister namens Gimpel.

Am 1. April 1945 erhielten wir vom damaligen Bannführer vom Bann 220 den schriftlichen Befehl, uns zu einem bestimmten Zeitpunkt mit feldmarschmäßig gepacktem Tornister, Verpflegung für drei Tage und mit Feldspaten auf dem Markt in Arnstadt zu melden.

In einer Marschkolonne ging es in die Holzhäuser Flur am Fuße der Wachsenburg, eine der Drei Gleichen bei Arnstadt. An den Waffen wurden wir bereits als 13-jährige Schüler ausgebildet. Mit dem Feldspaten mussten wir Panzerdeckungslöcher, 1,50 Meter tief und körpergerecht, ausheben. Obwohl bereits der Kanonendonner der nahenden Front aus westlicher Richtung zu hören war, wurden wir laut Befehl zu diesen Schanzarbeiten angetrieben. Wir, damals 14-Jährige, sollten den Endsieg des Dritten Reiches noch retten.

Eine echte Notlüge, denn die Bedrohung rückte immer näher

Die heranrückenden amerikanischen Panzersoldaten hatten zwei Methoden zur Bekämpfung des Feindes entwickelt. Mit dem schweren Panzer fuhren sie auf das Panzerdeckungsloch und warfen eine Eierhandgranate oder eine geballte Sprengladung durch eine Bodenluke. Hatten sie keine Sprengkörper mehr an Bord, so drehte sich der schwere Panzer um die eigene Achse und der Kämpfer im Erdloch erstickte. Auf diese tragische Weise kamen zwei meiner Schulkameraden mit 14 Jahren ums Leben.

Ein anderer Schulkamerad und ich kannten die brutalen Kampfmethoden der Amerikaner und machten uns im Schutze der Nacht auf den Weg nach Hause. Da die gesamte Wehrmacht und die SS-Verbände auf dem Rückzug waren, mussten wir beide einige Postenketten passieren. Nur eine Notlüge – wir hätten einen mündlichen Befehl, wir sollten uns beim deutschen Stadt-Kommandanten im Arnstädter Rathaus melden – rettete uns das Leben in den letzten Tagen des Krieges.

Bis zum Einrücken der Amis versteckten wir uns zu Hause. Genau zwei Stunden vor dem Einrücken der ersten Amerikaner am 10. April 1945 gegen 14 Uhr wurden auf dem Marktplatz in Arnstadt noch zehn deutsche Soldaten wegen Fahnenflucht von der SS erschossen.

Ein solches bestialisches Völkermorden darf es weltweit nie mehr geben!!!

Erlebt und aufgeschrieben vom 89-jährigen Zeitzeugen Rolf Henning aus Arnstadt, Thüringen.

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.