Interview

Simone Stein-Lücke über BG3000: „Wir dürfen digitale Bildung nicht den Schulen überlassen“

Frau vorm Laptop in die Arbeit vertieft.
Für mehr Medienkompetenz: Seit 2014 setzt BG3000 erfolgreich neue Bildungskonzepte um.
Hagen Brandt, funky-Jugendreporter

Deutschland hinkt schon seit Längerem in Themen der Digitalisierung und Digitalbildung hinterher. Ein politisches Umdenken ist nicht in Sicht. Zwar gibt es Lösungsansätze, deren Umsetzungen dauern aber meist zu lange, um mit dem Tempo des digitalen Zeitalters schritthalten zu können – was sich auch auf den Arbeitsmarkt und den Bedarf an qualifizierten, medienkompetenten Fachkräften niederschlägt. Diese Bildungslücke zu schließen hat sich Simone Stein-Lücke, Gründerin und Geschäftsführerin von BG3000 zur Aufgabe gemacht. Im Interview stellt sie ihre Firma vor und zeigt auf, wie digitale Bildung gelingen kann.

Ein Porträt von Simone Stein-Lücke, Gründerin und Geschäftsführerin von BG3000.

© Aleksander Marko Perković

Stellen Sie Ihre Bildungsinitiative doch mal kurz vor. Was machen Sie konkret?
BG3000 ist keine Initiative mehr, sondern inzwischen eine ausgewachsene Firma mit 17 festen Mitarbeiter:innen sowie 135 Trainer:innen – alles versierte Medienprofis. Wir sind Marktführer im Kontext der digitalen Bildung an Schulen. Bisher haben wir über 35.000 Schüler:innen plus die Eltern, Lehrer:innen und Schulleitungen erfolgreich trainiert. Hinzu kommen dann noch die Auszubildenden und ihre Ausbilder:innen , die wir seit zwei Jahren im Format „Kein Azubi ohne Digi“ weiterbilden – gemeinsam mit den Industrie- und Handelskammern und der Staatskanzlei NRW. Mit unseren Bildungscamps, den sogenannten „Smart Camps“, gehen wir an die Schulen und vermitteln in Workshops sowie Trainings Kindern und Jugendlichen digitales Knowhow, fördern Kreativität und selbstbestimmtes Lernen. Zudem werben wir für ein bildungspolitisches Umdenken. Wir sind der Überzeugung, dass Digitalbildung nicht den Schulen überlassen werden darf. Betrachten wir doch nur einmal die Halbwertszeiten von technologischen Innovationen, dann ist es utopisch anzunehmen, dass eine Optimierung der Lehrer:innenausbildung ausreicht, um verpasste digitale Chancen aufzuholen. Bildung, insbesondere Digitalbildung muss gemeinsam gedacht werden, zusammen mit der Wirtschaft und anderen Bildungsträgern wie BG3000, die die Expertise mitbringen. Außerdem müssen wir uns bewusst machen, dass digitale Bildung zu einer wesentlichen Kulturtechnik geworden ist, ebenso wie es Lesen, Schreiben und Rechnen bereits sind.

„BG3000“ existiert bereits seit 2014 – wie kam es zur Gründung und was steckt hinter dem Namenskürzel?
Hinter „BG3000“ steckt Bad Godesberg – einer der vier Stadtbezirke Bonns. In meiner damaligen Funktion und ehrenamtliche Bezirksbürgermeisterin stand ich auch im Kontakt mit den Schulen. Schon damals war sichtbar, wie unterschiedlich Qualität und Herangehensweise an digitale Bildungsangebote waren. An einigen Schulen fehlten sie komplett. Gleichgesinnte und ich kamen zu dem Schluss, dass es in diesem Slow-Motion-Tempo nicht weitergehen könne und planten daher ein Sommerprojekt, das als Sportcamp 4.0 konzipiert wurde. Wir wollten nämlich nicht mit dem erhobenen Zeigefinger an die Kinder herantreten, sondern lieber ihre Begeisterung für den Sport mit der für digitale Bildung verknüpfen. Wir konnten für den sportlichen Teil zwei Olympia-Sieger gewinnen – die Leichtathleten Heike Henkel und Christian Schenk. Für den digitalen Teil haben wir mit Influencern gearbeitet. Die Veranstaltung kam so gut an, dass Unternehmen und Schulen an uns herantraten und uns baten, dasselbe für ganze Klassenverbände und Jahrgänge anzubieten. Mit der finanziellen Unterstützung der Unternehmen konnten wir so das Projekt weiterentwickeln und ausbauen, sodass letztlich die „Smart Camps“ entstanden und BG3000. Mittlerweile finden jedes Jahr bundesweit unzählige „Smart Camps“ statt, an denen insgesamt mehr als 35.000 Schüler:innen plus Lehrpersonal und Eltern teilgenommen und die eine Wiederbuchungsrate von 96 Prozent haben.

Und den Schulen entstehen keine Kosten durch die „Smart Camps“?
Nein. Es ist besonders wichtig, dass die Förderung aus der Wirtschaft heraus, mit der Wirtschaft und für die Wirtschaft erfolgt. Damit können sich die Inhalte frei nach den Wünschen und dem Bedarf der Kinder und Jugendlichen richten und müssen nicht irgendwelchen offiziellen Vorgaben folgen. Die „Smart Camps“ besuchen die Schulen mit allem, was benötigt wird. Mit dem Transporter bringen unsere Trainer:innen nicht nur die benötigte Technik und entsprechenden Endgeräte, sondern auch das W-LAN mit. Zudembetreiben wir die „Smart Camps“ vollkommen werbefrei und unsere Partner:innen aus der Wirtschaft sowie der öffentlichen Verwaltung stellen die finanziellen Mittel, um diese Projekte und Trainings zu ermöglichen. Im Gegenzug erhalten diese etwa durch Pressekonferenzen und namentliche Schirmherren aus der Politik öffentliche Aufmerksamkeit. Das hat zwei positive Nebeneffekte: Zum einen stärkt es das Image der Schulen, da diese sich um Qualität und Fortschritt bemühen. Und zum anderen können wir auf diese Weise auch die Politik schulen. Die Politiker:innen sind nämlich nicht nur mit ihren Namen dabei, sondern besuchen auch die Smart Camps und lernen so eine Form der gelungenen digitalen Bildung kennen.

Kinder im Klassenraum, die mit einem Handy ein Selfie von sich aufnehmen.
In den „Smart Camps“ lernen Schüler:innen drei Tage lang den Umgang mit der digitalen Welt in verschiedenen Workshops.
© Stephan Wallocha

Was zeichnet die Digitalbildung von BG3000 aus? Was sind Ziele und Kernthemen?
Wir wollen mündige Bürger:innen, die souverän im Internet navigieren und es auch mitgestalten können. Derzeit sind die sogenannten „Digital Natives“ aber zumeist einfache Nutzer:innen, die zu unreflektiert und unkritisch Inhalte konsumieren, ohne die Gefahren von Suchtpotenzialen oder Manipulationen zu kennen. Aus diesem Grund betreiben wir Internetaufklärung. Wir möchten damit wichtige Kompetenzen vermitteln, vorhandene Bildungslücken schließen und Erfahrungswerte generieren. Kernthemen unserer Angebote sind, über die Sicherheit und Risiken im Netz aufzuklären und das Internet als Wirtschaftsraum vorzustellen. Darüber hinaus klären wir über Datensicherheit, Fake News, Hate Speech, Sexting, Internetsucht als auch Cybermobbing auf und schulen den adäquaten Umgang damit. Zudem informieren wir darüber, warum Angebote im Internet scheinbar umsonst sind und wie genau die Geschäftsmodelle und Algorithmen von Plattformen wie YouTube, Instagram und Co funktionieren. Wir geben Einblicke in die beruflichen Perspektiven, die das Internet heutzutage bietet. So vermitteln wir den Kindern das Wissen und die Fertigkeiten, wie beispielsweise gutes Storytelling funktioniert, damit sie selbst kreativ werden können und für eine mögliche Karriere im Digitalen oder im Journalismus und Producing fit sind. Wichtig ist auch, Interessen und Talente der Kinder nicht aus dem Blick zu verlieren und bestenfalls dort anzusetzen. So werden innerhalb unserer Bildungscamps Filme gedreht und vertont, Schnittprogramme erprobt, fotografiert und gebloggt. Außerdem erhalten alle Teilnehmenden ein Zertifikat, aus dem genau hervorgeht, welche Trainings die Person gemacht hat. Diese Zertifikate sind hoch anerkannt und können später für die Bewerbungsunterlagen genutzt werden.

Was ist wichtiger: Qualität oder Quantität von Bildung?
Beides ist wichtig. Auf der einen Seite muss Bildung qualitativ hochwertig und zeitgemäß sein. Die Informationen müssen gut aufbereitet und von geschulten Expert:innen gelehrt werden. Toll ist es natürlich, wenn wir junge, erfolgreiche Menschen mitbringen, die ungefähr im Alter unserer Zielgruppe sind. Auf der anderen Seite müssen Bildungsangebote jedoch auch flächendeckend und in allen Bundesländern vorhanden sein. Hierfür braucht es die Wirtschaft. Nur durch sie war es BG3000 überhaupt möglich, so viele Menschen zu erreichen. Das große Problem ist aber, dass die digitale Bildung nicht im System verankert ist, weder in Schulen und Berufsschulen noch in den Ausbildungsstätten – hier klafft eine riesige Bildungslücke durch ganz Deutschland. Sensibilisieren wir nicht für Vor- und Nachteile des Internets, betreiben wir keinerlei Aufklärung, dann ist das Internet wie eine ungeladene Waffe für Arbeitgeber:innen. Darum haben wir uns für 2023 vorgenommen, die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft zu intensivieren und auszubauen, um weitere Partner:innen für unsere Sache zu gewinnen und gemeinsam mit ihnen den Ausbau der Bildungsangebote voranzutreiben. Damit wir genau diese jungen und motivierten Menschen bekommen, die wir angesichts des Fachkräftemangels dringend brauchen.

funky-instagram-banner

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.