Meinung

Ohne Mathe geht´s auch!

Schüler steht vor Tafel, auf der Formeln stehen
Im Matheunterricht verzweifeln? Eine Situation, die fast jeder kennt.

Den Matheunterricht abschaffen – diese Forderung hört man mittlerweile nicht mehr nur von Schüler*innen. Warum das Fach vom Stundenplan gekürzt werden sollte.

Gustav König, funky-Jugendreporter

Eine Kurvendiskussion durchführen, ein Integral berechnen, mit der Kettenregel ableiten oder Tangentengleichungen bestimmen: All das sind Aufgabentypen, an die sich wohl jeder von uns aus der Schule erinnert. Doch was ist wirklich aus dem Matheunterricht hängengeblieben? Wenige Jahre nach dem Abi bekommen es die meisten vielleicht gerade so noch hin, den Satz des Pythagoras oder die binomischen Formeln herunterzubeten. Doch komplexe mathematische Probleme lösen? Fehlanzeige. Und das ist auch nicht weiter verwunderlich, schließlich werden entsprechende Kenntnisse in den wenigsten Berufen heutzutage noch benötigt, vom Alltag ganz zu schweigen.

Zugegeben: Wer BWL, Maschinenbau, Informatik, Elektrotechnik oder Psychologie studiert, muss sich auch noch im Studium mit Mathe herumschlagen. Wer gedacht hätte, in den Geistes- oder Sozialwissenschaften der Welt der Zahlen und Gleichungen zu entkommen, wird spätestens in der ersten Statistik-Vorlesung merken, dass auch hier gerechnet werden muss. Doch nach der Uni hat dann wirklich kaum noch jemand mit der hohen Mathematik zu tun, es sei denn, man wird Mathematiker*in. Oder, naja … Mathe-Lehrer*in.

Wenn wir also so wenig von dem, was wir im Mathe-Abi beherrschen müssen, später einmal brauchen, warum zittern wir uns dann zwölf beziehungsweise dreizehn Jahre lang von Test zu Test? In anderen Fächern lässt sich die Sinnhaftigkeit des unterrichteten Stoffs für das Leben nach der Schule meist viel direkter erkennen: Der Schulsport bietet die Grundlage für ein grundsätzliches Schulen der Koordination und Ausdauer, der Geschichtsunterricht sorgt dafür, dass wir (welt-)politisches Geschehen besser nachvollziehen können. Aber was nützt uns der Matheunterricht?

Natürlich müssen alle Schüler*innen über ein Grundwissen der Mathematik verfügen. Jede*r sollte die Grundlagen des Kopfrechnens, der Prozentrechnung oder der Geometrie beherrschen – eben all das, was man bis zur zehnten Klasse lernt. Aber danach? Ist die „Polynomdivision“ oder die „Mitternachtsformel“ wirklich wichtig, um in der Carsharing-App das richtige Auto zu finden? Brauchen wir Ableitungsfunktionen noch, wenn im Supermarkt um die Ecke einkaufen gehen? Wohl kaum. Vom permanenten Druck, als Mathe-Schüler*in bestehen zu müssen, will ich gar nicht anfangen …

„Mathematik sollte abgeschafft werden“

Interessanterweise kommt die Kritik an Mathe als Unterrichtsfach inzwischen nicht mehr nur von frustrierten Schüler*innen, sondern auch aus den Lehrer-Reihen. Bestes Beispiel: Mathematikprofessor Prof. Dr. Edmund Weitz. Im detektor.fm Podcast „Spektrum der Wissenschaft“ bemängelt er: „Wir machen Mathe in der Schule (…), weil man darin so super prüfen kann.“ Er wünscht sich, dass der Mathematikunterricht in der Oberstufe freiwillig gewählt werden kann, ähnlich wie Musik- oder Kunstunterricht. Der Unterricht solle zudem „nach gusto“ geführt werden, das heißt, Schüler*innen und Lehrer*innen entscheiden gemeinsam, was im Unterricht behandelt wird.

Eine Veränderung des Unterrichts kann laut Weitz nur zu Verbesserungen führen: „Es ist ja jetzt auch schon so, dass keiner was gelernt hat.“ Zudem wünscht sich der Mathematikprofessor, dass sein Fachgebiet als Geisteswissenschaft verstanden wird. „In der Mathematik reden Sie ausschließlich über Dinge, die es nur in Ihrem Kopf gibt. (…) Man kann beweisen, dass man bestimmte Fragen nicht beantworten kann.“ Sollte der Unterricht auch mehr nach dieser Ansicht gestaltet werden, so würde er bei den Schüler*innen auch auf mehr Interesse stoßen, da ist sich der Mathematiker sicher.

Zahlen ja, aber nicht auf dem Zeugnis

Ein Ansatz, den Matheunterricht „beliebter“ zu machen, wäre auch das Abschaffen von Noten. Rechnen lernen, ja, gerne auch wenn es bedeutet, Ziffern in Gleichungen durch Buchstaben zu ersetzen. Aber bitte ohne Bewertung und ohne Zensuren, die den Stress und Leistungsdruck nur unnötig erhöhen.

Es ist ein Ansatz, der einfach klingt, aber realitätsferner kaum sein könnte: Dass sich Abiturient*innen auch ohne den Druck der Benotung , freiwillig mit einer „Bernoulli-Kette“ beschäftigen, ist schwerer vorstellbar als die Zahl „Zentillon“, die höchste, bekannte Zahl, die 10 zur 600sten Potenz erhoben bedeutet.

Doch das muss nicht so sein. Würde man den Mathe-Unterricht entsprechend der Vorschläge von Weitz reformieren, könnte man ihn interessanter und zugänglicher gestalten. Das Fach sollte auf das Wesentliche reduziert werden und es sollte viel mehr darum gehen, die Komplexität der Mathematik zu verstehen: Was bedeutet Unendlichkeit, warum lassen sich bestimmte Fragen nicht beantworten? Neben der Vermittlung von Grundkenntnissen hat Mathematik auch das Ziel, die Fähigkeit des logischen Denkens zu schulen. Man lernt abstrakte Dinge nachzuvollziehen und Probleme auf kreative Art und Weise zu lösen.

Bis sich jedoch in den Lehrplänen etwas ändern wird, werden noch viele Tage vergehen – hoffentlich keine Zentillon. Bis dahin kann ich euch nur ermutigen: Peer Steinbrück brauchte für die Klassen 8 bis 10 volle fünf Jahre, unter anderem wegen Mathe. Sein späterer Beruf: Bundesfinanzminister.


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