Ob im Krankenhaus, in Altenpflegeheimen oder im Sportverein – ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) kann in ganz unterschiedlichen Bereichen absolviert werden. Eine Verpflichtung im Dienste der Gesellschaft ist in Deutschland jedoch seit zehn Jahren Geschichte. Wusstest du, dass es bis 2011 in Deutschland den Wehr- und Zivildienst gab? Junge Männer mussten sechs Monate bei der Bundeswehr verbringen oder konnten alternativ einen (zuletzt ebenfalls sechsmonatigen) Zivildienst in einer sozialen Einrichtung absolvieren. Heute steht eine solche Verpflichtung der Gesellschaft erneut zur Diskussion.
Lisa Rethmeier und Knut Löbe, funky-Jugendreporter*innen
Aus den Reihen der CDU wurden in den letzten Jahren immer wieder Stimmen laut, die eine allgemeine Dienstpflicht fordern, die alle Geschlechter umfassen soll. Das Ziel: den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern und für mehr Verständnis und Empathie sorgen. Statt FSJ sollen junge Menschen nach der Schule verpflichtet werden, um bei der Bundeswehr, in der Pflege, bei der Feuerwehr oder beim Technischen Hilfswerk zu arbeiten.
PRO: Die Gesellschaft rückt näher zusammen
Heute dreht sich alles um die eigenen Bedürfnisse und Wünsche. Es gibt einen regelrechten Zwang zur Selbstverwirklichung. Viele basteln an einem perfekten Lebenslauf, dabei weiß eigentlich nach der Schule kaum jemand schon wirklich, was er mit seinem Leben anfangen will. Unter den unzähligen Möglichkeiten die passende für sich selbst zu finden, gleicht der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Das Gefühl von Freiheit nach dem Schulabschluss hält oft nicht lange an und wird von der Frage überschattet, was man denn jetzt bloß mit seinem Leben anstellen soll. Fragen, mit denen man sich nicht herumschlagen müsste, wenn es nach der Schule ein verpflichtendes soziales Jahr gäbe: ein Jahr lang etwas Gutes tun und dabei sehr viel lernen – über sich selbst, über andere Menschen und vielleicht auch darüber, wo man später in seinem Leben hinwill.
In einem sozialen Jahr hilft man anderen, die Hilfe dringend nötig haben. Dabei begegnet man Menschen, mit denen man im Alltag sonst wohl nie in Kontakt gekommen wäre, und entwickelt dadurch ein viel besseres Verständnis für Menschen in den unterschiedlichsten Lebenslagen. Nebenbei ist es außerdem befriedigend, zu helfen. Zu sehen, was die eigene Unterstützung bewirkt, ist ein tolles Gefühl. Letztlich hilft soziale Arbeit bei der Verständigung der verschiedenen sozialen Gruppen und stärkt somit den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Es tut gut, mal aus seiner eigenen Blase auszubrechen.
In einem sozialen Jahr hilft man anderen, die Hilfe dringend nötig haben.
Darüber hinaus wirkt sich das soziale Jahr positiv auf die eigene Persönlichkeitsentwicklung aus. Man muss sich immer wieder auf unterschiedliche Menschen einlassen, was Toleranz, Offenheit, Kommunikationsstärke und Empathie stärkt. Natürlich wird es auch mal anstrengend und es können Konflikte entstehen, die es zu lösen gilt. Aber an solchen Herausforderungen wächst man und geht stärker daraus hervor. Gerade im späteren Berufsleben ist es wichtig, sich auf viele unterschiedliche Menschen einlassen zu können, da Teamarbeit in fast allen Berufen großgeschrieben wird. Im sozialen Jahr werden Selbstständigkeit und Selbstbewusstsein gestärkt, ebenfalls sehr wichtige Eigenschaften für eine Ausbildung oder ein Studium. Das Jahr kann auch dabei helfen, sich als Person neu zu entdecken und sich in Ruhe mit sich selbst auseinanderzusetzen.
Soziale Berufe sind bei Jugendlichen leider nicht sonderlich beliebt. Sie haben nicht das beste Image, ganz zu schweigen von der Bezahlung. In den Medien hört man andauernd vom Pflegenotstand und gleichzeitig von den teils katastrophalen Arbeitsbedingungen in der Branche. Dieses Bild der sozialen Berufe muss sich unbedingt ändern, denn ohne Altenpfleger*innen, Krankenpfleger*innen, Therapeut*innen oder Erzieher*innen würde in unserer Gesellschaft wenig funktionieren. Irgendwann ist jede*r von uns im Leben auf diese Menschen angewiesen. Ein verpflichtendes soziales Jahr würde dem Personalmangel entgegenwirken und vielen jungen Menschen soziale Berufe näherbringen und sie vielleicht auch davon überzeugen, später in dem Berufsfeld zu bleiben. Das würde auch die Politik dazu anregen, endlich mehr Geld in die sozialen Berufe zu stecken.
Ein verpflichtendes soziales Jahr würde dem Personalmangel entgegenwirken und vielen jungen Menschen soziale Berufe näherbringen und sie vielleicht auch davon überzeugen, später in dem Berufsfeld zu bleiben.
Natürlich sind soziale Berufe nicht jedermanns Sache. Aber die Erfahrung, in einem solchen Bereich gearbeitet zu haben, sollte jeder mal machen. Aus einem verpflichtenden sozialen Jahr gehen nur Gewinner hervor: einmal die jungen Menschen, die etwas Gutes tun, dann die Menschen, denen geholfen wird, und schlussendlich die ganze Gesellschaft, die näher zusammenrückt.
CONTRA: Wasser predigen und Wein trinken
Aus den Reihen der Politik hört man, die Jugend solle ein Jahr im Dienste der Gesellschaft verrichten. Was ehrenhaft klingen mag, wird hier eindeutig von der falschen Seite eingefordert. Wer jahrelang soziale Berufe kaputtspart und die Forderungen nach besserer Bezahlung in Krankenhäusern und Pflegeheimen gekonnt ignoriert, muss eine schräge Selbstwahrnehmung haben, um sich in der Position zu sehen, mehr Wertschätzung und Empathie einzufordern. Aus Perspektive der Jugend mag es sogar so wirken, als ob sie für die Versäumnisse der konservativen Regierung in die Bresche springen soll – natürlich unbezahlt. Die Jugend als kostengünstige Arbeitskraft, die dank Aufwandsentschädigung „freiwillig“ verpflichtend auf den Mindestlohn verzichtet? Nicht gerade empathisch. Es stellt sich die Frage: Wer ist aktuell eigentlich wem etwas schuldig?
Wer jahrelang soziale Berufe kaputtspart und die Forderungen nach besserer Bezahlung in Krankenhäusern und Pflegeheimen gekonnt ignoriert, muss eine schräge Selbstwahrnehmung haben, um sich in der Position zu sehen, mehr Wertschätzung und Empathie einzufordern.
Damit wir uns nicht falsch verstehen. Ein Einblick in soziale Berufe kann bei Jugendlichen nur Gutes bewirken. Das Gerede über eine Verpflichtung hat allerdings einen üblen Beigeschmack. Die Jugend soll der Gesellschaft etwas zurückgeben, von der sie sich aktuell im Stich gelassen fühlt. Aus Perspektive der Generation „Fridays for Future“ muss sich die konservative Forderung wie ein schlechter Witz anhören. In großer Sorge um die eigene Zukunft und die der kommenden Generationen darf man sich sicher sein, einen heruntergerockten Planeten, Mietenexplosionen, schlechte Renten und den Klimanotstand hinterlassen zu bekommen, während man sich bei eigenen Forderungen und Wünschen aktuell mit warmen Worten und der Arroganz alter, weißer Männer herumschlagen muss. Als Vorbereitung für die alles andere als rosafarbene Zukunft soll die Jugend ihre Selbstbestimmung für ein ganzes Lebensjahr aufgeben, damit wir als Gesellschaft mit mehr Empathie und Verständnis auf die Apokalypse zusteuern.
Als Vorbereitung für die alles andere als rosafarbene Zukunft soll die Jugend ihre Selbstbestimmung für ein ganzes Lebensjahr aufgeben, damit wir als Gesellschaft mit mehr Empathie und Verständnis auf die Apokalypse zusteuern.
Nehmen wir aber mal alle Weltuntergangsszenarien beiseite und blicken mit etwas weniger Pathos auf die Debatte. Es ist bewundernswert, und für alle sollte es das gute Recht bleiben, ein Jahr im Freiwilligendienst zu absolvieren. Ich bin mir sicher, dass die Erfahrung oftmals ein ganzes Leben lang prägt und tiefgründiger ist als ein ausgeschmückter Lebenslauf und anerkennende Schulterklopfer unserer Leistungsgesellschaft, die uns im Anschluss an das FSJ am liebsten lückenlos in die Hände von Ausbildung oder Studium überreichen möchte.
Ich denke, es wäre passender, wenn die CDU-Politiker*innen, die die allgemeine Dienstpflicht in den Raum geworfen haben, öffentlich eingestehen würden, dass ihre Regierung es versäumt hat, soziale Berufe gebührend wertzuschätzen. Deshalb setzt man die Jugend ein, um es in Zukunft durch die prägende FSJ-Erfahrung besser zu machen. So wäre man zumindest ehrlich und würde sich ein wenig von der eigenen Doppelmoral befreien können. Über eine Verpflichtung zu mehr Freiwilligkeit nachzudenken, wäre aber auch dann nicht weniger paradox!
Ob im Krankenhaus, in Altenpflegeheimen oder im Sportverein – ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) kann in ganz unterschiedlichen Bereichen absolviert werden. Eine Verpflichtung im Dienste der Gesellschaft ist in Deutschland jedoch seit zehn Jahren Geschichte. Wusstest du, dass es bis 2011 in Deutschland den Wehr- und Zivildienst gab? Junge Männer mussten sechs Monate bei der Bundeswehr verbringen oder konnten alternativ einen (zuletzt ebenfalls sechsmonatigen) Zivildienst in einer sozialen Einrichtung absolvieren. Heute steht eine solche Verpflichtung der Gesellschaft erneut zur Diskussion.
Aus den Reihen der CDU wurden in den letzten Jahren immer wieder Stimmen laut, die eine allgemeine Dienstpflicht fordern, die alle Geschlechter umfassen soll. Das Ziel: den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern und für mehr Verständnis und Empathie sorgen. Statt FSJ sollen junge Menschen nach der Schule verpflichtet werden, um bei der Bundeswehr, in der Pflege, bei der Feuerwehr oder beim Technischen Hilfswerk zu arbeiten.
PRO: Die Gesellschaft rückt näher zusammen
Heute dreht sich alles um die eigenen Bedürfnisse und Wünsche. Es gibt einen regelrechten Zwang zur Selbstverwirklichung. Viele basteln an einem perfekten Lebenslauf, dabei weiß eigentlich nach der Schule kaum jemand schon wirklich, was er mit seinem Leben anfangen will. Unter den unzähligen Möglichkeiten die passende für sich selbst zu finden, gleicht der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Das Gefühl von Freiheit nach dem Schulabschluss hält oft nicht lange an und wird von der Frage überschattet, was man denn jetzt bloß mit seinem Leben anstellen soll. Fragen, mit denen man sich nicht herumschlagen müsste, wenn es nach der Schule ein verpflichtendes soziales Jahr gäbe: ein Jahr lang etwas Gutes tun und dabei sehr viel lernen – über sich selbst, über andere Menschen und vielleicht auch darüber, wo man später in seinem Leben hinwill.
In einem sozialen Jahr hilft man anderen, die Hilfe dringend nötig haben. Dabei begegnet man Menschen, mit denen man im Alltag sonst wohl nie in Kontakt gekommen wäre, und entwickelt dadurch ein viel besseres Verständnis für Menschen in den unterschiedlichsten Lebenslagen. Nebenbei ist es außerdem befriedigend, zu helfen. Zu sehen, was die eigene Unterstützung bewirkt, ist ein tolles Gefühl. Letztlich hilft soziale Arbeit bei der Verständigung der verschiedenen sozialen Gruppen und stärkt somit den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Es tut gut, mal aus seiner eigenen Blase auszubrechen.
Darüber hinaus wirkt sich das soziale Jahr positiv auf die eigene Persönlichkeitsentwicklung aus. Man muss sich immer wieder auf unterschiedliche Menschen einlassen, was Toleranz, Offenheit, Kommunikationsstärke und Empathie stärkt. Natürlich wird es auch mal anstrengend und es können Konflikte entstehen, die es zu lösen gilt. Aber an solchen Herausforderungen wächst man und geht stärker daraus hervor. Gerade im späteren Berufsleben ist es wichtig, sich auf viele unterschiedliche Menschen einlassen zu können, da Teamarbeit in fast allen Berufen großgeschrieben wird. Im sozialen Jahr werden Selbstständigkeit und Selbstbewusstsein gestärkt, ebenfalls sehr wichtige Eigenschaften für eine Ausbildung oder ein Studium. Das Jahr kann auch dabei helfen, sich als Person neu zu entdecken und sich in Ruhe mit sich selbst auseinanderzusetzen.
Soziale Berufe sind bei Jugendlichen leider nicht sonderlich beliebt. Sie haben nicht das beste Image, ganz zu schweigen von der Bezahlung. In den Medien hört man andauernd vom Pflegenotstand und gleichzeitig von den teils katastrophalen Arbeitsbedingungen in der Branche. Dieses Bild der sozialen Berufe muss sich unbedingt ändern, denn ohne Altenpfleger*innen, Krankenpfleger*innen, Therapeut*innen oder Erzieher*innen würde in unserer Gesellschaft wenig funktionieren. Irgendwann ist jede*r von uns im Leben auf diese Menschen angewiesen. Ein verpflichtendes soziales Jahr würde dem Personalmangel entgegenwirken und vielen jungen Menschen soziale Berufe näherbringen und sie vielleicht auch davon überzeugen, später in dem Berufsfeld zu bleiben. Das würde auch die Politik dazu anregen, endlich mehr Geld in die sozialen Berufe zu stecken.
Natürlich sind soziale Berufe nicht jedermanns Sache. Aber die Erfahrung, in einem solchen Bereich gearbeitet zu haben, sollte jeder mal machen. Aus einem verpflichtenden sozialen Jahr gehen nur Gewinner hervor: einmal die jungen Menschen, die etwas Gutes tun, dann die Menschen, denen geholfen wird, und schlussendlich die ganze Gesellschaft, die näher zusammenrückt.
CONTRA: Wasser predigen und Wein trinken
Aus den Reihen der Politik hört man, die Jugend solle ein Jahr im Dienste der Gesellschaft verrichten. Was ehrenhaft klingen mag, wird hier eindeutig von der falschen Seite eingefordert. Wer jahrelang soziale Berufe kaputtspart und die Forderungen nach besserer Bezahlung in Krankenhäusern und Pflegeheimen gekonnt ignoriert, muss eine schräge Selbstwahrnehmung haben, um sich in der Position zu sehen, mehr Wertschätzung und Empathie einzufordern. Aus Perspektive der Jugend mag es sogar so wirken, als ob sie für die Versäumnisse der konservativen Regierung in die Bresche springen soll – natürlich unbezahlt. Die Jugend als kostengünstige Arbeitskraft, die dank Aufwandsentschädigung „freiwillig“ verpflichtend auf den Mindestlohn verzichtet? Nicht gerade empathisch. Es stellt sich die Frage: Wer ist aktuell eigentlich wem etwas schuldig?
Damit wir uns nicht falsch verstehen. Ein Einblick in soziale Berufe kann bei Jugendlichen nur Gutes bewirken. Das Gerede über eine Verpflichtung hat allerdings einen üblen Beigeschmack. Die Jugend soll der Gesellschaft etwas zurückgeben, von der sie sich aktuell im Stich gelassen fühlt. Aus Perspektive der Generation „Fridays for Future“ muss sich die konservative Forderung wie ein schlechter Witz anhören. In großer Sorge um die eigene Zukunft und die der kommenden Generationen darf man sich sicher sein, einen heruntergerockten Planeten, Mietenexplosionen, schlechte Renten und den Klimanotstand hinterlassen zu bekommen, während man sich bei eigenen Forderungen und Wünschen aktuell mit warmen Worten und der Arroganz alter, weißer Männer herumschlagen muss. Als Vorbereitung für die alles andere als rosafarbene Zukunft soll die Jugend ihre Selbstbestimmung für ein ganzes Lebensjahr aufgeben, damit wir als Gesellschaft mit mehr Empathie und Verständnis auf die Apokalypse zusteuern.
Nehmen wir aber mal alle Weltuntergangsszenarien beiseite und blicken mit etwas weniger Pathos auf die Debatte. Es ist bewundernswert, und für alle sollte es das gute Recht bleiben, ein Jahr im Freiwilligendienst zu absolvieren. Ich bin mir sicher, dass die Erfahrung oftmals ein ganzes Leben lang prägt und tiefgründiger ist als ein ausgeschmückter Lebenslauf und anerkennende Schulterklopfer unserer Leistungsgesellschaft, die uns im Anschluss an das FSJ am liebsten lückenlos in die Hände von Ausbildung oder Studium überreichen möchte.
Ich denke, es wäre passender, wenn die CDU-Politiker*innen, die die allgemeine Dienstpflicht in den Raum geworfen haben, öffentlich eingestehen würden, dass ihre Regierung es versäumt hat, soziale Berufe gebührend wertzuschätzen. Deshalb setzt man die Jugend ein, um es in Zukunft durch die prägende FSJ-Erfahrung besser zu machen. So wäre man zumindest ehrlich und würde sich ein wenig von der eigenen Doppelmoral befreien können. Über eine Verpflichtung zu mehr Freiwilligkeit nachzudenken, wäre aber auch dann nicht weniger paradox!