Interview

Die stellvertretende Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Jamila Schäfer im Interview

Portrait Foto von Jamila Schäfer
Jamila Schäfer von Bündnis 90 / Die Grünen über Zukunftsperspektiven, Erwartungen an die Jugend und Optimismus.

Jamila Schäfer ist seit dreieinhalb Jahren Bundesvorstandsmitglied bei Bündnis 90/Die Grünen. Ihre politische Karriere begann jedoch schon um einiges früher: Seit 2011 ist sie Mitglied der Grünen Jugend, von 2015 bis 2017 war sie sogar deren Sprecherin. Zu ihren größten politischen Anliegen gehört das Recht auf Asyl und die Absenkung des Wahlalters. Bei der Bundestagswahl im September wird Jamila nun auch für ihren Wahlkreis im Münchener Süden an den Start gehen – und das mit gerade einmal 28 Jahren. Warum sie ihr Weg ausgerechnet zu den Grünen geführt hat, was sie von der jungen Generation erwartet und wie sie selbst in die Zukunft blickt – darüber spricht sie im Interview.

Von Markus Hoppe, funky-Jugendreporter

Was fasziniert dich an Politik, und warum hast du dich für den Eintritt in eine Partei entschieden?
Ich war schon immer ein Mensch, der sich mit den Zusammenhängen in der Welt auseinandersetzen wollte. Dabei interessierte mich auch, was gerade nicht so toll läuft – zum Beispiel, wie schlecht wir mit anderen Lebewesen umgehen oder die Lebenssituation von Menschen in anderen Weltregionen, die unter unserem Handeln im Globalen Norden leiden. Ich habe als Kind nie verstanden, warum die Erwachsenen so bescheuert sind und das nicht ändern. Ich bin froh, dass die Grüne Jugend mir Handlungsspielräume aufgezeigt und einen Ort geboten hat, an dem ich Leute finden konnte, die solche Sachen auch stören. Ich bin dann zur Partei gegangen, weil ich gesehen habe: Am Ende wird im Parlament entschieden. Die Aufmerksamkeit auf Probleme zu lenken, reicht nicht immer aus. Deswegen habe ich mich dafür entschieden, für den Bundestag zu kandidieren. Ich hoffe, dass ich da konkrete Veränderungen für ein sozialeres Miteinander hier und global schaffen kann.

Würdest du der Aussage zustimmen, dass man immer weniger bewirken kann, je höher man in der vertikalen Gewaltenteilung steht? Oder hast du das anders erlebt?
Natürlich werden in einer Demokratie immer Kompromisse gemacht, davon lebt der demokratische Diskurs. Das Gute an einer höheren Position in der Vertikalen ist aber, etwas aktiv einbringen zu können, das einen selbst beschäftigt. Auf einer Demonstration kann ich zum Beispiel für einzelnes Thema einstehen – als Politikerin mit Verantwortung kann ich sie und viele andere Formate selbst organisieren! Und in unserer Partei werden eben auch junge Menschen, die diese Verantwortung übernehmen möchten, ernst genommen. So wie auf jeder Ebene in der Vertikalen kann ich mir vorstellen, dass es auch im Bundestag so einige unangenehme Kompromisse geben wird und ich glaube, dann ist es wichtig, ehrlich und transparent damit umzugehen.

Was hältst du von der Idee, das Wahlalter herabzusetzen? Spricht etwas dagegen, dass auch Sechzehnjährige wählen können?
Das Wahlrecht ist ein grundlegendes, staatsbürgerliches Recht. Der Wahlrechtsentzug gegenüber Jugendlichen ist ein krasser Einschnitt in diese Rechte. Die Frage ist also nicht, ob wir es erlauben sollen, die eigentliche Frage ist: Warum sollte Sechszehnjährigen das Wahlrecht entzogen bleiben? Das Bild der desinteressierten Jugend trifft nicht zu. Viele junge Leute wollen partizipieren und tun es bereits, zum Beispiel in den sozialen Medien und auf der Straße. Vor diesem Hintergrund ist der Entzug des Wahlrechts nicht mehr gerechtfertigt. Es ist zudem meistens die Jugend, die extrem bedacht wählt, weil sie zum ersten Mal vor der Entscheidung steht: Wo mache ich mein Kreuz?

Politische Extreme scheinen ein großes Problem zu sein. Wie muss die Politik darauf reagieren?
Ein ganz entscheidender Faktor ist gute Bildung. Hier muss massiv investiert werden. Und wir müssen dafür eintreten, dass Bildung weniger vom Geldbeutel der Eltern abhängt. Zum anderen brauchen wir Investitionen in digitale Bildungsmöglichkeiten. Und drittens muss Politik schon in der Schule greifbarer
gemacht werden – im Politikunterricht, aber auch als Querschnittsthema. Ich bin überzeugt: Wir erhalten dann langfristig eine stabile Demokratie, wenn die Menschen Räume haben, in denen sie sich über Politik unterhalten können. Andererseits brauchen wir viel wachere Augen, was Radikalisierung angeht. Da brauchen wir Beratungsstellen, aber auch geschultes Personal an Schulen. Und: Besseren Zugang zu psychologischer Hilfe und Unterstützung, damit es erst gar nicht zu einer Radikalisierung kommt.

Nun einmal ganz konkret: Was ist die politische Aufgabe der heutigen Jugend?
Aus Jugendlichen werden die Demokratinnen und Demokraten von morgen. Obwohl die Voraussetzungen manchmal nicht optimal sind, wird diese Rolle heute schon ausgefüllt. Wie 2018 und 2019, als die „Fridays for Future“-Bewegung Klimaschutz auf die politische Agenda gesetzt hat. Das hat sicher vielen jungen Leuten Selbstbewusstsein gegeben, wenn sie sehen: Ich kann etwas ändern, wenn ich mich mit anderen zusammentue. Und sie tragen dazu bei, dass politische Debatten viel sachlicher und ordentlicher diskutiert werden.

Eine Frage etwas außerhalb des Kontextes: Wie stehst du zu politischem Optimismus? Ein guter Antrieb oder realitätsfern und fehl am Platz?
Ich glaube, in der Politik ist ein aufgeklärter Optimismus richtig. Denn: Politischen Problemen kann man sich nicht ohne Optimismus stellen. Wenn man sich für eine Gesellschaft einsetzen will, in der jeder Mensch ohne Angst verschieden sein kann, dann braucht man den Glauben daran, dass das grundsätzlich möglich ist. Wir brauchen Optimismus, damit wir das Beste, was in uns steckt, zum Vorschein bringen können.

Und blickst du nun optimistisch in die Zukunft oder eher ängstlich?
Ich bin immer Optimistin. Sonst könnte ich diesen Job nicht machen. Manchmal ist es schwer, den Glauben daran aufrecht zu erhalten, progressive Politik nachhaltig gestalten zu können. Doch eigentlich zeigt genau das, wie notwendig Menschen sind, die optimistisch bleiben. Ich versuche da ein Vorbild zu sein. Gleichzeitig habe auch ich Vorbilder, an die ich mich halte, wenn ich drohe den Glauben an die Menschheit zu verlieren. Ich habe Menschen, mit denen ich darüber reden kann, wie zum Beispiel Freundinnen und Freunde, die auch politisch aktiv sind. Die, obwohl sie wissen, dass sie die Welt nicht von heute auf morgen retten können, es trotzdem jeden Tag versuchen.

Was muss die Politik von heute für die Politik von morgen tun? Wo gilt es anzupacken?
Wir müssen verstehen, dass wir ohne eine klimaneutrale Industrie nicht in die Zukunft gehen können. Es ist wichtig, jetzt schon vorausschauend zu agieren und entscheidende Maßnahmen zu treffen, zum Beispiel bei Investitionen in den Klimaschutz, in eine soziale Infrastruktur, in ein starkes Europa. Wir brauchen zukunftsfähige und nachhaltige Arbeitsplätze, um Menschen eine Perspektive zu bieten. Und das schaffen wir nur gemeinsam als Gesellschaft. Die Klimakrise führt in jedem Fall zu Veränderung. Statt diese auszusitzen und zu hoffen, dass es mich nicht mehr trifft, sollten wir sie gemeinsam gestalten und uns darum kümmern.

Welchen Rat würdest du der Jugend von morgen geben, welchen Wunsch würdest du äußern?
Nehmt euch selbst ernst. Und statt euch gegenseitig fertigzumachen: Helft euch dabei, eure Interessen politisch zu vertreten. Nutzt die Räuberleiter an Stelle der Ellenbogen.

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.