Interview

Jung und politisch: Carla Büttner von der Linksjugend im Interview

Carla Büttner
Carla Büttner möchte, dass der Kapitalismus zugunsten einer sozialistischen Gesellschaft überwunden wird.

In der Beitragsreihe „Jung und politisch“ möchte die funky-Redaktion herausfinden, warum junge Politikerinnen und Politiker politisch aktiv sind und welche Ziele sie verfolgen. Carla Büttner ist Bundessprecherin bei der Linksjugend [’solid]. Wieso sie glaubt, dass der Sozialismus funktionieren kann, wie sie den Begriff des Antifaschismus auslegt und warum linke Hochschulpolitik für bessere Bedingungen im Studium sorgen könnte, verrät sie im Interview. 

Von Knut Löbe und Lisa Rethmeier, funky-Jugendreporter

Steckbrief

Name: Carla Büttner
Alter: 23
Verband: Linksjugend [’solid]
Aktuell: Teil des Bundessprecher*innen-Rates der Linksjugend [’solid]
Und sonst so? Schreibt gerade ihre Bachelorarbeit in Sozialwissenschaften und Philosophie

Nenne drei Begriffe, die du mit deiner Partei assoziierst: 

1. Sozialismus

2. Antifaschismus

3. Plenum

Beschreibe in einem Satz, was dein Verband für dich bedeutet: 
Die Linksjugend [’solid] ist für mich ein Ort, an dem sich Politisches und Privates treffen. Das ist ein Ort, an dem man bis ins Unendliche diskutieren kann, am Ende aber zusammenkommt und sich auf den Sozialismus einigt. 

Ergänze die Satzlücke: Ich möchte mit meiner politischen Arbeit…
…entschieden gegen veraltete Strukturen vorgehen und mich für eine gerechte Welt und ein gutes Leben für alle stark machen. 

Beende den Satz: Mit meiner politischen Arbeit verfolge ich das Ziel,…
...die Welt ein bisschen besser zu machen.

Wie kam es, dass du in die Politik gegangen bist?
Ich habe 2016 in Leipzig mein Abi gemacht, in dem Zeitraum ist auch Pegida groß geworden. Ich war auf vielen Gegendemos. Mich hat es sehr gestört, dass mit der Zeit immer weniger Leute zu den Gegendemonstrationen gekommen sind. Ich war aber weiterhin jede Woche dabei und das hat mich sehr politisiert. Zu der Zeit habe ich angefangen, Deutschunterricht für Geflüchtete zu geben. Die Schicksale haben mich sehr mitgenommen und auch politisch beeinflusst. Als ich für mein Studium nach Erfurt gezogen bin, wollte ich mich auch dort engagieren. Durch Freund*innen bin ich dann zur Linksjugend gekommen und habe mich an der Uni im Studierendenrat eingebracht.

Warum hast du gerade die Linksjugend für dich als den richtigen Verband ausgewählt? 
Ursprünglich war mir Parteiarbeit fremd, ich war eher in Antifa-Gruppen aktiv. Dann aber dachte ich mir, dass es sinnvoller ist, die Positionen, die in den loseren Gruppen auf der Straße oder bei den Demos besprochen werden, in Parteien zu vertreten und nachhaltig einzubringen. Für mich fungiert die Linksjugend als ein Bindeglied zwischen den Antifa-Gruppen, Straßenbewegungen und der Partei. Im Gegensatz zu anderen Jugendorganisationen sind wir sehr kritisch gegenüber unserer Partei eingestellt und äußern diese Kritik auch laut und öffentlich. Wir sind der Linken nicht untergeordnet, sondern unabhängig!

Gerade als junge Frau wird man oft nicht ernst genommen.

Der Altersdurchschnitt demokratischer Parteien wird immer älter. Welche Herausforderungen bringt ein junges Alter mit sich, wenn man in heutigen Zeiten etwas bewegen möchte? 
Als junger Mensch, gerade als junge Frau, wird man oft nicht ernst genommen. Die Parteien bestehen zum Großteil aus alten weißen Männern. Es passiert immer wieder, dass junge Menschen nicht gewählt werden, obwohl sie sehr qualifiziert sind. Es ist für die Linke besonders wichtig, jungen Nachwuchs zu gewinnen und zu behalten. Aber ich glaube, dass es gerade sehr schwer ist, weil viele sich durch die ganzen Parteiklüngeleien und Strömungskämpfe vor den Kopf gestoßen fühlen. Ich hoffe aber, dass die Partei in den nächsten Jahren mehr zusammenwachsen kann. 

Die Linksjugend [’solid] steht der Partei Die Linke sehr nahe und wird von ihnen als Jugendorganisation anerkannt. Welche Forderungen der Linksjugend unterscheiden sich von denen der Linken?
Ich würde auf jeden Fall sagen, dass wir radikaler sind. Wir haben für den Bundesparteitag viele Änderungsanträge für das Parteiprogramm der Linken geschrieben. Viele haben wir auch durchbekommen. Uns war das Programm viel zu sozialdemokratisch, es wurde sehr oft von „Gemeinwohl“ geredet. Der Begriff hat uns sehr geärgert, da es das in einer Klassengesellschaft einfach nicht gibt. Wir wollen den Kapitalismus überwinden. Wir versuchen, die Partei wieder ein bisschen radikaler zu machen und nicht die Sachen, die auf der Straße erkämpft wurden, im Parlament zu verschenken. 

Wir wollen einen demokratischen Sozialismus.

In euren Positionen steht, dass der Kapitalismus zugunsten einer sozialistischen Gesellschaft überwunden werden muss. Warum glaubst du daran, dass die sozialistische Idee funktionieren kann?
Zunächst einmal glaube ich, dass der Kapitalismus nicht funktioniert. Im Kapitalismus werden viele Menschen ausgebeutet, das kann nicht das Ziel sein. Wir wollen ein gutes Leben für alle, und das ist für uns nur mit einem Systemwechsel hin zum Sozialismus möglich. Uns ist klar, dass nicht morgen oder übermorgen der Sozialismus wiederkommt. Man sollte als Linker aber nicht aufhören, utopisch zu denken. Irgendwann ist auch ein Sozialismus realistisch. Wir wollen einen demokratischen Sozialismus, keine DDR 2.0, und wir orientieren uns auch nicht an der Sowjetunion. Produktion, Verteilung und Arbeit soll demokratisch werden.

Der Begriff des „Antifaschismus“ wird unterschiedlich ausgelegt und verstanden. Die sogenannte Antifa existiert beispielsweise nicht als eine einheitliche Organisation und ist eher eine Szene. Was bedeutet der Begriff für dich? 
Sich gegen Faschismus zu stellen! Antifaschismus heißt aber nicht nur, dass man auf Demos geht, sondern beinhaltet auch politische Bildungsarbeit, Solidarität mit Betroffenen, eine klare Position gegen Rassismus, Nationalismus, Antifeminismus, Antisemitismus und auch gegen LGBTQIA-Feindlichkeit zu beziehen und zu verhindern, dass Nazis jemals wieder so viel Macht erlangen können. Dazu gehört eben auch, die Strukturen zu verhindern, die all diese Punkte fördern. Antifaschismus ist nicht nur friedlicher Protest, er nutzt manchmal auch Gewalt, ob man das nun gut findet oder nicht. Der Hitler-Faschismus wurde auch nicht mit Blumen und Lichterketten besiegt. Ich glaube, dass man in heutigen Zeiten aufpassen sollte, dass Antifaschismus nicht kriminalisiert wird. Antifaschistische Gruppierungen tauchen häufiger in Verfassungsschutzberichten auf und ihnen wird die Gemeinnützigkeit aberkannt. Das ist ein großes Problem. 

Antifaschismus und Antikapitalismus sind nicht immer gewaltfrei.

Du hast gerade gesagt, dass Gewalt ein legitimes Mittel ist, um Nazis zu den Kampf anzusagen. Es kommt aber auch in anderen Kontexten zur Ausübung von antifaschistischer Gewalt, wie beispielsweise beim G20-Gipfel in Hamburg 2017. 
Der G20-Gipfel ist nochmal eine ganz spezielle Angelegenheit. Antifaschismus und Antikapitalismus sind nicht immer gewaltfrei. Aber deswegen würde ich mich nicht davon distanzieren. Protest kann viele Formen haben. Der Unterschied zwischen antifaschistischer und faschistischer Gewalt ist allerdings, dass sich faschistische Gewalt gegen Menschen richtet. Besonders im Nachgang von G20 hat man gesehen, dass die Repressionen, die einige Demonstrierende erhalten haben, komplett unverhältnismäßig waren. Die Rolle der Polizei hingegen wurde bei den gewalttätigen Ausschreitungen total außer Acht gelassen.

Die meisten Menschen begreifen Gewalt allerdings nicht als demokratisches oder legitimes Mittel. Wie verhält es sich in dieser Debatte zwischen deiner Jugendorganisation und der Partei Die Linke?
Auch ich würde nicht sagen, dass Gewalt ein demokratisches Mittel ist. Allerdings kann sie trotzdem legitim sein. Die Partei Die Linke lehnt Gewalt als politisches Mittel ab und sieht sich als pazifistisch und antimilitaristisch. Das ist auch sehr sinnvoll. Gewalt ist jedoch ein sehr umfassender Begriff und meiner Meinung nach kann man sich trotzdem mit antifaschistischen Protesten solidarisieren, bei denen es zu Gewalt kam. Da gehen die Meinungen aber auseinander.

Momentan ist Sahra Wagenknecht wohl die umstrittenste Politikerin der Linken. Gegen die ehemalige Fraktionschefin läuft ein Parteiausschlussverfahren, nachdem sie in ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ beispielsweise von „Lifestyle-Linken“ geschrieben hat. Wie blickst du auf die Debatte? Droht der Linken eine Parteispaltung in zwei Lager?
Ich glaube nicht, dass Die Linke sich auf Grund von Sahra Wagenknecht spaltet. Sie und ihre Anhängerschaft sind in der Partei nur eine laute Minderheit. Ich glaube, das wird in den nächsten Jahren im Sand verlaufen. Sie schadet der Partei mehr, als dass sie ihr hilft. 

Wir stellen viele Dinge zu kompliziert dar.

Einer ihrer Vorwürfe ist unteranderem, dass die Linie der Partei nicht mehr alle Menschen erreicht, weil beispielsweise die von euch verwendete gendergerechte Sprache einen zu elitären Kontext darstellt. Kannst du ihre Vorwürfe nachvollziehen?
Ja, ich stimme zu, dass die Partei Probleme hat, nicht mehr alle zu erreichen. Ich glaube aber nicht, dass es an so etwas wie gendergerechter Sprache liegt. Es liegt daran, dass wir viele Dinge zu kompliziert darstellen. Wir haben ziemlich stabile Forderungen für Arbeiter*innen. Aber das können wir momentan nicht vermitteln, weil wir zu komplizierte Begriffe verwenden. Sahra Wagenknecht hat die falschen Probleme analysiert. Sie lebt in ihrer Blase und bekommt nicht mehr mit, was in ihrer Partei und der Gesellschaft diskutiert wird. Ihre Positionen sind gesellschaftsfern. 

Wir alle haben während Corona gesehen, dass Studierende nicht ernst genommen werden.

Du setzt dich für eine linke Hochschulpolitik ein. Was kann man sich darunter genau vorstellen?
Linke Hochschulpolitik geht mit linker Bildungspolitik einher. Das bedeutet, dass wir eine Bildung für alle möglich machen. Jede und jeder soll lernen und studieren können, was er/sie möchte, unabhängig von Herkunft, Noten, Abschluss Elternhaus und Geld. Ein konkretes Beispiel wäre die Forderung nach dem BAföG für alle. Linke Hochschulpolitik ist außerdem ein Demokratisierungsprozess an den Hochschulen und bedeutet mehr Mit- und Selbstbestimmungsrecht für die Studierenden. Ich glaube, wir alle haben während Corona gesehen, dass Studierende nicht ernst genommen werden und nicht in Diskussionen einbezogen werden. Die Pandemie hat nochmal aufgezeigt, was in der Hochschulpolitik alles falsch läuft. 

Die Naturkatastrophe im Westen Deutschlands hat schwerwiegende Folgen.  Extremwetterereignisse werden durch den Klimawandel zunehmen. Mit Blick in die Zukunft: Wie stellst du dir eine linke Klimapolitik vor? 
Unsere Lösung ist auch hier der Sozialismus – unsere Lösung für alles. Wir wollen eine sozialökologische Transformation hin zu einer demokratischen bedürfnisorientierten Wirtschaft. Konkrete Forderungen sind der Kohleausstieg bis 2025 und die Klimaneutralität bis 2035. Bei den Klimaprotesten stehen wir immer an der Seite von „Fridays for Future“ und „Scientist for Future“ und „Ende Gelände“. Wir glauben, dass es nur solidarisch funktionieren kann! 

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. funky macht sich Äußerungen seier Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Wir haben genug davon, dass die Geschichten immer nur von den Alten erzählt werden. Deswegen haben wir den Stift selbst in die Hand genommen, sind durch die Lande gezogen, haben Geschichten und Menschen gesucht, gefunden und alles aufgeschrieben, was uns untergekommen ist. Wir haben unsere Smartphones und Kameras gezückt und Fotos und Videos gemacht. Auf funky zeigen wir euch die Ergebnisse unserer Recherchen.