Toxische Männlichkeit: Was ist das?

In den letzten Jahren war davon immer wieder von sogenannter „toxischer Männlichkeit“ die Rede. Doch was steckt dahinter? funky klärt auf.
Von Helena Jacobs, Klasse 8c, Schiller-Schule in Bochum

Vor einigen Monaten, als das Coronavirus in Bochum noch nicht ganz so verbreitet war wie jetzt, war ich samt meiner Familie auf einem Spielplatz und beobachtete folgendes Geschehen: Einer der Jungen dort warf einem Mädchen seines Alters eine Hand voll Sand ins Gesicht. Das Mädchen fing an zu weinen und rannte weinend zu ihren Eltern. Diese sprachen die Eltern des Jungen an und verlangten eine Entschuldigung, doch die wiesen sie ab und meinten: „Das sind eben Jungs, die sind halt von Natur aus grob,“ lachten und nahmen die Lage alles andere als ernst.

Nun schlug derselbe Junge einem zweiten Jungen in den Bauch. Der zweite Junge fing ebenfalls an zu weinen, doch keiner der Erwachsenen tat irgendetwas dagegen. Sie standen daneben, und sagten zu ihrem verletzten Sohn, er müsse nicht wie ein kleines Mädchen anfangen zu heulen, denn „so sind eben diese Jungen.“ Diese Situation beschreibt das Phänomen der toxischen Männlichkeit sehr gut.

Toxische Verhaltensweisen werden uns bereits seit Kindesalter antrainiert

Unter dem Begriff „toxische Männlichkeit“ versteht man im Grunde bestimmte „toxische“ Verhaltensweisen und Selbstbilder, die Männern von klein auf anerzogen werden. Dieses Männerbild ist rein traditionell, stereotyp und patriarchal. Die Bezeichnung heißt nicht, dass alle Männer generell „toxisch“ sind, sondern nur diese bestimmten Verhaltensweisen.

Darunter fällt zum Beispiel die Unterdrückung jeglicher Emotionen außer Wut und Aggression. Dies wird vermittelt mit Sätzen wie „Heul nicht, du bist doch kein kleines Mädchen!“ und die Abwehr typisch femininer Eigenschaften als Schwäche. Andere Aspekte sind außerdem das Versuchen, jegliche Probleme mit Gewalt zu lösen, weil „starke Männer das halt so machen.“ Dieses Verhalten wird begleitet von einem stetigen Verlangen nach Dominanz, Aggression, Konkurrenz, Übergriffigkeit und dem Selbstanspruch, immer alles allein zu schaffen und die Kontrolle haben zu müssen.

Klingt wundervoll, nicht wahr? Starke Männer eben! Natürlich nicht. Toxische Maskulinität hat eine große negative Einwirkung auf die Gesellschaft, aus der sie entstanden ist. So verstärkt sie Diskriminierung gegen Minderheiten, als auch Frauen-, Homo- und Transfeindlichkeit. Im Alltag wird diese Diskriminierung oft als Witz dargestellt: „Diese Weiber sind einfach zu dumm, dunklen Humor zu verstehen.“ Dabei macht Hass auf Minderheiten in keiner Weise männlicher.

Auch für die betroffenen Männer stellen die Anforderungen der Gesellschaft erhebliche Belastungen dar. Soeben erwähnte alltäglich benutzte Sprüche wie „Jungen weinen nicht“ oder „wahre Männer kämpfen für das, was sie wollen“ können im Nachhinein zu ernsthaften Problemen führen. Emotionen können sich aufstauen und den Mann überwältigen. Auch kann der Kampfaspekt zu Gewalt oder Suizid führen. Die Suizidrate, so haben Studien gezeigt, war im Jahre 2018 bei Männern ungefähr doppelt so hoch wie bei Frauen.

Männer haben Angst, Privilegien zu verlieren, weil sie eventuell nicht als „richtiger Mann“ angesehen werden und können anerzogene Verhaltensweisen – wie Frauen übrigens auch – nicht ohne weiteres ablegen. Das führt zum Beispiel zu selbstschädigendem Verhalten wie das Vermeiden von Arztbesuchen oder dem Verschweigen von Depressionen.

Starke Jungs heulen genauso wie starke Mädchen

Und was können Männer oder Jungen tun, um sich ihre toxische Männlichkeit abzutrainieren? Es stehen viele Methoden zur Verfügung, zu lernen wie man seine Gefühle handhabt. Dazu gehört beispielsweise ein Tagebuch zu führen, worin man seine Emotionen ausdrücken kann. Doch Tagebuch zu führen ist natürlich nicht die einzige Möglichkeit. Auch anderen Menschen kann man sich öffnen. Empathie in Bezug auf andere Geschlechter kann man sich leicht durch feministische Literatur anlesen oder indem man anderen zuhört.

Aber auch der Rest der Gesellschaft hat die Aufgabe, das Phänomen zu bekämpfen. Wörter wie „Weichei“ und die Vorstellung vom „großen, starken Mann“ haben aus den Köpfen von Müttern, Schwestern und Freundinnen zu verschwinden. Denn: Starke Jungs heulen genauso wie starke Mädchen.

Von Reinickendorf bis Bochum, von Fulda bis Ottensen – überall schreiben Schülerinnen und Schüler Artikel über das, was um sie herum passiert. Jeder und jede aus ihrer eigenen Sichtweise, mit eigener Meinung und eigenem Schwerpunkt. Bei all den Unterschieden eint sie, dass sie mit ihrer Klasse an MEDIACAMPUS teilnehmen, dem medienpädagogischen Projekt der Funke Mediengruppe. Das erlernte Wissen wenden sie dann praktisch an, indem sie erste journalistische Texte schreiben. Auf funky können sie die Früchte ihrer Arbeit präsentieren.