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Geflüster aus der WG-Küche

Tess berichtet von der Umstellung vom Vollzeitstudium auf den neuartigen Nichts-Tun-Lifestyle.
Tess berichtet von der Umstellung vom Vollzeitstudium auf den neuartigen Nichts-Tun-Lifestyle.
Erwachsen, aber irgendwie auch nicht – das ist das Thema unserer Jugendreporterin Tess Kadiri. Zwischen Uni-Gebüffel und dem Umzug in die neue Stadt muss irgendwie der Mietvertrag unterschrieben und ein Nebenjob gesucht werden. Diese gewöhnungsbedürftige Zeit zwischen Unabhängigkeit und Abhängigkeit sorgt für so manch witzige Anekdote, die Tess in ihrer Kolumne „Geflüster aus der WG-Küche“ mit uns teilt.
Von Tess Kadiri, funky-Reporterin

Alltagsrassismus to go

Zugfahrten würden nur die wenigsten als angenehme Erfahrung beschreiben. Außer vielleicht die strahlende Frau in der Werbung der Bahn, die sich anscheinend nichts Schöneres vorstellen kann, als zwei Stunden lang in einem schlecht klimatisierten Abteil den Sitzplatz vor sich anzustarren. Mit der Deutschen Bahn kommt dann auch noch eine saftige Portion Unpünktlichkeit zu dem Relaxation-Mix dazu. Einfach herrlich! Ich habe auf meiner Fahrt nach Berlin vor ein paar Tagen dann das wirklich große Los gezogen. Nicht nur ICE-Fahren, sondern auch gratis Alltagsrassismus im Bordrestaurant gab es für mich to go, mit einer Prise Sexismus on top.

Angefangen hat diese magische Reise für mich damit, dass ich es leider nicht geschafft habe, einen Sitzplatz zu reservieren. Um sieben Uhr morgens am Kölner Hauptbahnhof ging es los. Ohne Reservierung und völlig planlos. Im Zug habe ich mich einfach irgendwo hingesetzt, in der Hoffnung, dass der Platz noch nicht reserviert ist. Ohne Reservierung dort zu sitzen, hat sich fast so illegal angefühlt, wie ohne etwas zu kaufen aus dem Supermarkt zu laufen. Deswegen – und auch wegen der Maskenpflicht – habe ich mich nach einer Weile entschieden, das Bordrestaurant zu suchen. Dort darf man 45 Minuten lang sitzen, die Maske absetzen und essen.

So negativ, wie dieser kleine Trip endete, hatte dieser gar nicht begonnen. Ich war trotz des überteuerten vegetarischen Angebots wirklich noch relativ positiv gestimmt. Ich durfte mich zwischen einem kalten Croissant und einer matschigen Käsebretzel entscheiden. Das war das gesamte vegetarische Angebot. Nachdem ich mir ein bisschen vegetarische Vier-Euro-Matsche sichern konnte, habe ich mich dann im Bordrestaurant niedergelassen. Nach vier Stunden endlich diese Maske absetzen zu können, waren mir die vier Euro definitiv wert.

Schon beim Hinsetzen konnte ich die ersten Blicke auf mir spüren. Die zwei Männer neben mir schienen mich besonders im Blick zu haben, warum auch immer. Unter dieser Big-Brother-Beobachtung konnte ich erleichtert die Maske abziehen und meine vegetarische Pampe genießen. Der Genuss wurde von einem der anderen Zugfahrer allerdings etwas getrübt. Die meisten kennen wahrscheinlich diese Videos von YouTube-Verschwörungstheoretiker*innen und den typisch unreflektierten Trump-Supporter*innen. Wenn man diese zwei Typen Mensch mit einem sehr unangenehm hohen Piepen verknüpft, dann kommt man ziemlich exakt auf die Stimme dieser einen Person im Speisewaggon und ist auch inhaltlich auf derselben Welle unterwegs. Von „bösen Massenmedien, die nur Lügenpresse verbreiten“ bis „Ja, aber der Trump hat in mehreren Punkten schon recht“ war alles dabei. Ein erfrischender Mix aus Sinnlosigkeit und rechtem Gedankengut. Dafür aber so wenige Fakten wie möglich. Auf eine Diskussion hatte ich aber wirklich keine Lust, also habe ich ihn ignoriert und auf meinem Handy zwischen den Apps gewechselt, um möglichst beschäftigt zu wirken. Den Typen solltet ihr euch aber trotzdem merken, weil der später noch relevant wird.

Jetzt aber erst mal zurück zu meinem Handy und den bohrenden Blicken der zwei Männer neben mir. Es dauert circa fünf Minuten, bis schließlich ein Kommentar aus der Ecke kam. „Joa, hallo. Schönes Wetter heute, nicht wahr?“ Hach, Small Talk. Lieb’s. Nach ein paar Minuten belangloser Konversation fragt einer der beiden, den ich hier einfach „Rentner 2“ nenne, ganz freundlich: „Und, woher kommen Sie?“ Hmm. Wie antwortet man da als migrantisch geprägter Mensch? Man kann dem Opi natürlich direkt die erwartete und gewünschte Antwort geben: einfach sagen, wo die eigenen Wurzeln liegen, also wo das „Nicht-Deutsche“ an einem herkommt. Oder aber man hat Spaß an der ganzen Sache und ärgert ihn ein bisschen. Ich habe mich für Variante zwei entschieden und antwortete selbstbewusst: „Aus Bonn. Und Sie?“ Verdutzter Blick von Rentner 2. Kurzer Blickaustausch zwischen Rentner 1 und 2. Und dann das absolut epische Comeback mit einem kleinen Grinsen zur Untermalung von dem, was jetzt Wertvolles kommen sollte: „Oh. Liegt das denn in Deutschland?“ Jetzt kann es natürlich sein, dass der Gute nicht weiß, dass Bonn in Deutschland liegt. War ja bloß mal die Hauptstadt. Es kann aber auch sein, dass der Mann seinen „Humor“ ohne Rassismus nicht auf die Kette kriegt. Ein Lachen hat er daher verständlicherweise von mir nicht gekriegt. Habe ihn also bloß ausdruckslos angeguckt und mich wieder meiner Matsche gewidmet. Die wirkte auf einmal sehr interessant. Das Anstrengende an Alltagsrassismus ist nämlich, dass man als migrantisch gelesene Person nie wirklich weiß, wie man mit so etwas umgehen soll. Da gibt es keinen Guide und die meisten Menschen verharmlosen die Erfahrungen, die man macht, mit der Begründung, dass man da was falsch verstanden haben müsse.

An diesen ersten Kommentar hat sich noch eine Reihe an nicht korrekten Kommentaren angereiht, die mir Satz für Satz das Gefühl gegeben haben, dass ich nicht in diesen Raum reingehöre. Das zog sich von einem Kommentar über meinen Körper und meine „so schön südländisch gebräunte“ Hautfarbe bis hin zu einem Vergleich mit der Sängerin Tina Turner, die, wie manche vielleicht wissen, schwarz ist. Ich nicht. Und auch sonst sehen wir uns in keinster Weise ähnlich. Aber irgendwie sehe ich anscheinend aus, als wäre ich ihr aus dem Gesicht geschnitten. Erinnere Rentner 2 einfach an sie. „So toll exotisch.“Am Ende kam dann das absolute Highlight, die unbedingt nötige Frage, die man als in Deutschland geborene und aufgewachsene Frau immer gerne hört: „Sie sprechen aber sehr gut Deutsch.“ Ich habe mich davor schon unwohl gefühlt. Jetzt war das allerdings sein ultimativer Powermove, um mir zu verdeutlichen, dass ich hier seiner Meinung nach eigentlich auch nicht hingehöre.

Etwas genervt habe ich mit einem „Was soll das denn heißen?“ darauf geantwortet. Hier wurde nicht nur der angesprochene Mann hellhörig, sondern auch der Trump-Supporter ein paar Sitze weiter. Mit einem „Was ist denn los? War das jetzt etwa schon Rassimus?“ mischt er sich ins Gespräch ein. Da sitze ich also mit den Überbleibseln meiner vegetarischen Matsche und das ganze Bordrestaurant guckt mich erwartungsvoll an. Was sagt Tina Turner 2.0 jetzt wohl? Das war für mich der perfekte Moment, meine Maske aufzuziehen und mich freundlich zu verabschieden. Ich hätte natürlich auch anfangen können, mit dem Trump-Supporter darüber zu diskutieren, dass seine Aussage „Alte, weiße Männer können heutzutage nichts mehr sagen“ total bescheuert ist. Oder ich hätte versuchen können, dem anderen zu erklären, wieso man den Körper einer 19-jährigen Frau nicht mehrfach kommentieren sollte. Aber ich wollte einfach Bahn fahren. 

Aktuelle Gefühlslage: Nieder mit dem Patriarchat und dem strukturellen Rassismus, Habibis! Seid einfach nett zueinander. Danke.

Zwischen Kinderwindeln und Palmen

… oder auch: Warum Urlaub mit der Familie absolut nicht empfehlenswert ist.

Studentin und broke, aber Urlaub machen wäre trotzdem nice – das war mein Gedankengang, als ich mich spontan dazu entschlossen habe meiner Mutter für den gemeinsamen Familienurlaub zuzusagen. Das und weil sie mich die letzten Woche ständig darum gebeten hatte, zurück nach Hause zu kommen und ein paar Tage zu Hause zu verbringen. Mein Plan: eine Woche Urlaub und meine Familie will mich das restliche Jahr genauso wenig wiedersehen wie ich sie. Das Ding ist nämlich, dass der Urlaub bei uns bei der Planung immer total erholsam klingt: erst mal Wanderurlaub in Österreich, ein bisschen Roadtrippen mit dem Auto und dann schließlich in einer riesigen Villa in Kroatien das Leben genießen. Mit der Planung hat sich das dann aber meistens schon mit der Familienidylle. Eine Stunde lang im Auto hält der Traum vom erholsamen Urlaub manchmal sogar noch an. Aber danach: Vollkatastrophe. Die grundsätzliche Stimmung auf Reisen ist immer sehr angespannt. Eine falsche Bewegung oder ein lautes Atmen und der Krieg beginnt.

Die Grundvoraussetzungen für den perfekten Urlaub legt meine Familie also ganz klar schon am Anfang: mit den ersten Streitereien im Auto. Im Urlaubsort angekommen steht dann meistens Cocktails schlürfen und rumzicken auf der Tagesordnung.

Tag vier in Kroatien hat das nicht besser gemacht. Die Stimmung: grundsätzlich immer angespannt. Am Frühstückstisch ist unser bitterer Gegner eine Armee an Wespen und abends befindet sich der Rest der Familie im Kampf um die Fernbedienung. Trotzdem versuchten sich an dem Tag alle zusammenzureißen, weil eine Inselhopping-Tour mit dem Boot geplant war. Die Vorfreude hat dann ausnahmsweise mal die Abneigung gegen die anderen überwogen. Jeder träumt auf dem Weg vor sich hin, bis wir dann auf dem Boot den kühlen Wind und die Aussicht genießen können.

Auf der ersten Insel angekommen wiederholt der Kapitän mehrfach, dass wir in zwei Stunden wieder zurück sein müssen. Meine Mutter wiederholt es dann nochmal vier Mal und guckt dabei vor allem mich an. Wenn eine ihrer drei Töchter zu spät kommt, dann ja wohl ihre älteste, die mittlerweile studiert und allein wohnt. Nicht die 7-Jährige, die noch im Kindergarten ist oder meine andere Schwester, die mit dem geübten genervt-pubertären Blick einer 15-jährigen durch die Gegend blickt.

Bei dem glasklaren Wasser und der süßen Stadt vor mir sind mir die Ermahnungen meiner Mutter aber ziemlich egal und ich mache mich auf den Weg, um die Insel auf eigene Faust zu erkunden. Ganz weit weg vom Rest meiner Familie. Ich weiß schon, was ihr euch jetzt denkt: Das kann doch nur in einem Disaster enden. Und der ein oder andere ist sich bestimmt schon sicher, dass ich das Boot verpassen werde. Aber ich kann sehr stolz verkünden, dass ich die Erste war, die zurück am Boot war. Das lag vor Allem an einer anderen Frau vom Boot, die mich in der Stadt wiedererkannt hat und an die Uhrzeit erinnerte. Hätte die mich nicht zum Boot zurückgelotst, würde ich vermutlich bis heute noch mit dem Typen im Souvenirladen den Preis eines Tellers aushandeln.

Nachdem ich mich dann wieder gemütlich im Boot eingerichtet hatte, merkte ich plötzlich, wie das Boot sich langsam in Bewegung setzt. Der Kapitän ruft auch ziemlich laut „We are leaving!“.  Erst dann fällt mir auf, dass diese Ruhe eigentlich nicht normal ist. Und warum bin ich gerade eigentlich so entspannt? Ich bin doch eigentlich im Familienurlaub. Sehr ungewöhnlich. Das passt doch gerade irgendwie alles nicht, denke ich mir, während ich gedankenverloren in Richtung Küste blicke. Ach wie süß, da winkt mir meine kleine Schwester zu. Daneben meine Mutter. Wirken etwas schlecht gelaunt die zwei. Gut, dass ich an Bord bin. Irgendwann um den Dreh fällt mir schließlich auf, dass ich auf dem Boot bin, während der Rest meiner Familie an der Küste verzweifelt die Aufmerksamkeit des Kapitäns zu gewinnen versucht. Ich weiß, dass das jetzt vielleicht etwas herzlos klingt, aber ich habe mich nach diesem kurzen Blick zurückgelehnt, mir meine Kopfhörer in die Ohren gesteckt und mich auf die nächste Insel gefreut. Meine Familie hat den Anschluss dann mit einem anderen Boot bekommen und nach der Inseltour erwartete mich ein großes „Wo warst du?“, „Hast du uns nicht gesehen?“ und „Wieso hast du nicht auf unsere Nachrichten reagiert?“ am Hafen. Ein bisschen beleidigt, dass ich nicht auf sie gewartet habe, waren sie schon. Das war mir mein einziger richtiger Urlaubstag aber wert. In dem Sinne: Urlaub ja. Gerne. Familie nein. Ab jetzt mache ich wirklich nur Urlaub, wenn geil.

Zumindest erzähle ich mir das, bis meine Mutter mich nächstes Jahr wieder fragt, ob ich mitkommen möchte und ich mit einem Auge auf meinen aktuellen Kontostand und dem anderen auf Hotel- und Flugpreise nur müde nicke.

Aktueller Gefühlszustand: Vollgepumpt mit Vitamin D. Immerhin bin ich braun geworden. Das kann mir keiner nehmen. Nicht mal die 100.000 geiernden Wespen hier.

Politische Debatten und Flaschendrehen

Was ich an der Unizeit sehr schätze, ist, dass die Menschen, mit denen man Zeit verbringt, um einiges politischer gestimmt sind. Zumindest im Vergleich zu den Leuten aus meiner Schulzeit. Ich musste allerdings mit der Zeit feststellen, dass das gleichzeitig Fluch und Segen sein kann.

Ja, man kann sich endlich über etwas anderes, als die Beziehung von Lukas und Marie und das Makeup von Anna unterhalten. Allerdings gibt es manch politische Meinung, die einen sehnsüchtig an Gespräche über den schönsten Lipgloss zurückdenken lässt. Hach, die guten alten Zeiten.

Wenn man gerade noch versucht hat, einen Ball in einen Becher zu befördern und im nächsten Moment mit einem AfD-Sympathisanten über Rassismus, Angela Merkel’s Flüchtlingspolitik und Feminismus diskutieren muss, dann fragt man sich schon kurz, wo man im Leben falsch abgebogen ist.

Nichts sagen bei kleinen sexistischen, homophoben oder rassistischen Sticheleien, bei „Witzchen“ oder Kommentaren fällt mir als meinungsstarke und laute Frau des 21. Jahrhunderts allerdings ziemlich schwer. Wer nichts sagt, der ist Teil des Problems. Ich bin eine überzeugte Verfechterin dieser Theorie. Und genau deswegen sage ich dann auch: Hey, das war grad kacke. Mach das mal nicht so. Danke.

Deswegen will ich aber trotzdem nicht mit einem wildfremden Typen auf einer Party darüber diskutieren, ob die Frauenquote momentan nötig ist oder nicht. Wer A sagt, muss auch B sagen können, würden viele meiner Einstellung vermutlich entgegensetzen. Kann ich natürlich nachvollziehen, wobei ich allerdings anmerken muss, dass es das eine ist, eine ausschweifende Diskussion über gesellschaftliche Problematik führen zu wollen oder auf der anderen Seite einfach keine blöden diskriminierenden Kommentare auf einer Party hören zu wollen.

Ich sage es hier noch einmal für die Allgemeinheit: Ich vermeide auf Partys eigentlich schon ganz gerne Diskussionen mit rechts eingestellten Menschen. Aber maybe that’s just me.

Aktueller Gefühlszustand: Pro Feminismus und gegen rechte Typen auf WG-Partys.

Umzug auf Studenten-Budget

Ikeamöbel? Ja, um die nach Hause zu kriegen, braucht man doch keinen extra Transporter? Das kostet viel zu viel Geld. Geht bestimmt mit Bus und Bahn auch ganz gut. Spoiler zu Beginn: geklappt hat es schon. Es ist also möglich. Ob diese Erfahrung aber zwingend nötig war, weiß ich nicht.

Die Herausforderung des Tages war also: Einen Tisch und einen Spiegel vom IKEA in Köln zu mir in die WG nach Bonn transportieren. Der erste Schritt meines Masterplans war, den richtigen Komplizen für meine Mission auszuwählen. Hansi nannte sich die Partnerin, für die ich mich schlussendlich entschied, die zwar um einiges kleiner ist als ich und deren Bizeps ähnlich wie meiner eher traurig bis nicht vorhanden ist, ABER die sicher ihr Bestes geben würde. Davon war ich überzeugt.

Morgens haben wir uns also auf den Weg zu IKEA gemacht. Alles lief gut, bis wir dann schließlich mit zwei großen und schweren Paketen vor dem Möbelhaus standen. Diese zwei Pakete vom Einkaufswagen auf den Boden zu kriegen, war schon schwierig genug. Liegt vielleicht auch daran, dass ich die Arbeit alleine gemacht habe und Hansi höchstens als mentale Unterstützung zugegen war. Ist aber auch ganz schön, einen persönlichen Cheerleader beim Möbel-Tragen zu haben. Kann mich also nicht beschweren. Die zwei Pakete vom Parkplatz vor dem IKEA in Köln in meine WG im vierten Stockwerk in Bonn zu hieven, schien ein absolutes Ding der Unmöglichkeit zu sein. Nach drei Stunden Geschläppe und Gequetsche in Bus oder Bahn kann ich bis heute nicht glauben, dass wir (eigentlich eher ich, aber ich will nicht undankbar klingen, also bleiben wir aus Höflichkeit mal bei einem „wir“) es geschafft haben. Fazit: Lasst es einfach. Mietet euch einen Transporter. Aber immerhin braucht ihr dann in dieser Woche nicht ins Fitnessstudio gehen. Ich finde es absolut fair, diese abenteuerliche Reise als Leistungssport zu bezeichnen. Das ist aber absolut kein Pro-Argument.

Aktueller Gefühlszustand: Muskelkater. Immer noch. Wahrscheinlich geht der auch erstmal nicht mehr weg. Muss ich wohl für den Rest meines Lebens mit klarkommen.

Mitternachtstiramisu

Herd, Ofen und Spülmaschine – für die meisten Menschen typische Behelfsmittel in der Küche. Für mich so etwas wie der Endgegner bei „Super Mario Brother“. Mit der Spülmaschine habe ich mich mittlerweile angefreundet, auch wenn ich noch ein Trauma von der Zeit zu verarbeiten habe, als ich unsere gesamte Küche auf mysteriöse Art in ein Aquariium verwandelt habe. Irgendwas mit „falsche Einstellung“ und „die Spülmaschinen-Tür muss man richtig zu machen“. Aber alles cool, ich bin mittlerweile weiter und unsere neue Spülmaschine funktioniert nur, wenn die Tür geschlossen ist. Wenn ihr mich fragt, sollte sowas sowieso eine Voraussetzung sein – also ganz meine Schuld war das ja wohl auch nicht!

Aber Herd und Ofen – da steht der Facebook-Beziehungsstatus leider immer noch auf „Es ist kompliziert“. Es fängt mit den schier unendlichen Möglichkeiten an. Es kann doch wohl nicht sein, dass ich die Einzige bin, die sehr oft aus Versehen die falsche Herdplatte anmacht, oder? Ja okay, es sind nur vier. Aber trotzdem! Meine Mutter hat nach dem dritten angebrannten Küchentuch mittlerweile eine Kindersicherung eingestellt. Jetzt wohne ich allerdings in Bonn, in einer WG. Das Spiegelei am Morgen ist immer wieder ein aufregendes Abenteuer für meine Mitbewohnerinnen: Macht sie erfolgreich ihr Frühstück ODER brennt die Küche ab? Übel nehmen kann man Ihnen das nach meinem letzten Küchenexperiment aber wirklich nicht. Abends hatte ich plötzlich Lust auf Süßkartoffelpommes. Also habe ich ein paar Süßkartoffeln in Scheiben geschnitten, Öl drauf gestrichen und ab in den Ofen damit. Zwei Stunden später signalisierte der Rauchmelder uns dann, dass die Pommes wohl fertig seien. Gut, vielleicht noch etwas mehr als fertig. Wer die „black burnt sweet potato chips“ gerne zu Hause nachmachen möchte: 1. Tut es nicht! 2. Einfach in den Ofen und dann eine Serie anfangen und vergessen, dass man da was im Ofen hat. Dann erreichen sie die perfekte, absolut krebserregende Stufe an Verbranntheit.

Von Ofen und Herd halte ich mich in letzter Zeit ganz gekonnt fern, wollte aber zum Geburtstag meiner Mutter trotzdem irgendetwas Essbares für sie machen. Tiramisu war da meine Idee, weil man dafür weder Ofen noch Herd braucht. Damit kommen wir allerdings zu einem weiteren (sehr teuflischen!) Küchengerät: dem Mixer.

Davon gibt es wohl ganz viele verschiedene Versionen. Wer soll den bitteschön wissen, dass ein Handrührgerät etwas anderes ist als ein Mixer? Also stand ich da in der Küche und versuchte 20 Minuten lang vergeblich Eiweiß zu schlagen. Wurde nix, also musste ich meine jüngere Schwester anrufen. Meine 13-jährige Schwester hat mich dann etwas müde über die Unterschiede aufgeklärt.

Wieso müde? Das ist der andere Clue bei meiner Idee…ich hatte gegen 11.30 Uhr abends beschlossen das Tiramisu zu machen. Nach 30 Sekunden mixen mit dem richtigen Mixer ist mir dann aber eingefallen, dass ich Mitbewohnerinnen habe. Also bin ich aus der Küche in mein Zimmer umgezogen, um weiterzumixen. Da unsere Wände dünn sind, hatte ich schließlich eine neue Idee.

Um euch nicht viel länger auf die Folter zu spannen: diese intelligenten Gedankenschlüsse führten schließlich dazu, dass ich um Mitternacht an meinem Fenster stand, Mixer und Schlüssel mit Eiweiß rausgehalten habe und so meinen Eisschnee gemacht habe. Das Problem: So ein Mixer ist wirklich erstaunlich laut. Das schien auch der verwirrte Pizzabote vor der Pizzeria um die Ecke zu denken, der verdutzt nach oben geschaut hat, um zu sehen, wie da eine Frau mit Schüssel und Mixer zurückblickt.

Ich glaube, es ist gar nicht mehr nötig, zu erwähnen, dass ich die Mission „Mitternachts-Tiramisu“ an diesem Punkt abgebrochen habe. Seitdem bin ich fast schon glücklich, mit der Maske aus dem Haus zu gehen. Ich werde vermutlich in die Nachbarschaftsgeschichtsbücher als „Mitternachtsmixerin“ eingehen. Diese Story sogar meinen Kindern und Enkelkindern erzählen. Und zu Herden, Öfen und jeglichen Mixern halte ich bis heute einfach sicheren Abstand.

Aktueller Gefühlszustand: Ich habe mich mittlerweile mit Lieferando abgefunden. Echt eine tolle Sache, diese Lieferdienste.

Weiter geht’s mit: „Geflüster aus der WG-Küche“

Corona ist vorbei. Zumindest sieht die volle Wiese im Bonner Hofgarten mit den Gruppen sich umarmender und gemeinsam lachender Menschen danach aus. Wissenschaftlich fundiertes Expertenwissen war das gerade also nicht. Aber gefühlsmäßig ist da auf jeden Fall was dran. Woche für Woche werden die Masken im öffentlichen Straßenverkehr und beim Einkaufen immer normaler und auch Partys kann man mittlerweile anscheinend auch wieder ohne das schlechte Gewissen feiern. Gütersloh hier mal ausgenommen. Aber Ausnahmen bestätigen ja schließlich die Regel, weswegen ganz NRW das Ende in geselliger Runde ordentlich feiert. Währenddessen steigen die Infektionszahlen und Drosten warnt vor der zweiten Welle. Gut, die Infos sind momentan ja jeden Tag irgendwie anders, aber irgendwas wird an den Aussagen von Virologen zu Pandemie-Zeiten wohl trotzdem dran sein.

Anders als im März ist es aktuell aber defintiv schon. Corona ist langweilig geworden. Das merkt man schon, wenn man den Fernseher anschaltet: Während man sich zuvor vor Corona-Berichterstattung kaum retten konnte, scheint sie mittlerweile fast in den Hintergrund geraten zu sein. Stattdessen beschäftigt uns jetzt: #BlackLivesMatter, Polizeigewalt, Stuttgart und ein bisschen „Mimimi“ von Horst Seehofer.

Ähnlich wie die tägliche Berichterstattung hat auch mein Leben sich mittlerweile verändert. Ich bin nicht mehr den ganzen Tag zu Hause, treffe mich wieder mit Freunden und arbeite auch wieder. Was sich aber nicht geändert hat, ist meine Lust daran, diese Kolumne zu schreiben. Deswegen „rebranden“ wir jetzt einfach mal, wie es die anglizistischen Profis der Medienbranche ausdrücken würden. Ganz so drastisch wie Miley Cyrus von der lieben Hannah Montana zu Wrecking Ball-Miley gehen wir die Sache nicht an, aber ein bisschen was Neues muss schon her.

Diese Kolumne soll daher von jetzt an einfach nur davon berichten, wie ich das Erwachsenwerden erlebe und wie der typische Alltag zwischen Vorlesungen und WG-Partys aussieht. „Geflüster aus der WG-Küche“ ist die Kolumne die mich, eure Lieblings-Deutschmarokkanerin, durch verschiedene Stationen im Leben eines heranwachsenden Millenials begleitet. Wer also dabei sein will: Bitte hinsetzen, anschnallen und Maske aufsetzen – denn Corona ist noch nicht ganz aus der Welt, aber das Leben geht weiter.

Ready? Okay, dann let’s go mit „Geflüster aus der WG-Küche“!

Aktueller Gefühlszustand: Ganz leise und vorsichtig tippend in der WG-Küche, um keinen zu wecken. Aber hier ist das WLAN und das Licht einfach am besten!

Tag 99

Gestern war ein Tag, auf den ich wirklich nicht stolz bin. Dabei fing alles so positiv an. Morgens bin ich aufgewacht und direkt einkaufen gegangen, um ordentlich frühstücken zu können. Der Plan war, dass ich den Tag mit der Hilfe meines Freund und Helfers Mister Kaffee zu einem erfolgreichen Arbeitstag mache.

Dann stand ich aber im EDEKA und die Möglichkeiten waren: unendlich. Kennt ihr das, wenn ihr mit konkreten Vorstellungen von Lebensmitteln, die euch und eurer Gesundheit gut tun, einkaufen geht, und dann ist da diese EINE Abteilung? Diese eine Abteilung, die alle Hoffnungen und Träume vom Healthy Fitnessblogger Lifestyle zerstört: die Süßigkeitenabteilung. Und mit meiner Ausbeute dort fing es dann an mit dem „Worlds most unproductive Day“. Zu Hause angekommen war’s das dann auch mit dem geplanten gesunden Frühstück, weil sich aus Milkaschokolade und Kartoffelchips schwer eine nachhaltige Mahlzeit zaubern lässt. Das mag so manchen RTL-Darsteller überraschen, aber mit der berühmten Aussage „An Apple a day keeps the doctor away“ sind nicht die sauren Gummischlangen mit Apfelgeschmack gemeint.

Meine Logik hierbei ist vielleicht auch nicht die beste, aber wenn der Tag so anfängt, dann gibt es für mich einfach kein Zurück mehr. Wenn schon, dann richtig.

Ich würde zwar gerne eine erfolgreiche Businesswoman sein, aber an dem Tag ist es schließlich schon beim Frühstück gescheitert. Warum also nicht einen ganzen Tag richtig schön rumgammeln? Im Bett ging es daher den restlichen Tag weiter, weil Stühle wirklich nicht der gemütlichste Ort sind. Außerdem geht das mit dem Serien bingen und Chips essen im Bett einfach besser. Das Outfit, dass ich noch voller Hoffnung am Morgen angezogen hatte, musste dem Jogginganzug weichen. Fashion Faktor -6, aber das wird mit dem Gemütlichkeitsbonus von +20 alles wieder gut gemacht.

Ich weiß, dass das vermutlich auch nichts ist, womit ich angeben sollte, aber ich war am Ende des Tages schon von etwas Stolz erfüllt. Einfach zwei komplette Serien durchgesuchtet. Das nenne ich mal eine hingebungsvolle Investition in die eigene Zukunft.

Aktueller Gefühlszustand: Stolz. Richtig stolz. So wenig an einem Tag schaffen kann nicht jeder.

Tag 89

Vorgestern habe ich einen Artikel der Grünen-Politikerin Aminata Touré gelesen, der mit „Wildfremde Leute fassen einem in die Haare“ betitelt war.  Leider ist der Artikel nur mit Zeit+-Abonnement abrufbar, wofür mein Studentenkonto aktuell leider nicht ausreichend gedeckt ist. Für Netflix und Spotify reicht es momentan gerade noch so, also musste ich mich mit dem Titel begnügen. Aber als Deutsche mit nordafrikanischen Wurzeln (die man zumindest an meinen Haaren ziemlich gut erkennen kann) hat das trotzdem etwas in mir ausgelöst. Keine glatten Haare in einer mehrheitlich weißen Gesellschaft zu haben ist nämlich ziemlich tricky.

Interessant ist, dass Locken nach Meinung vieler weißer Menschen grundsätzlich schön sind, beziehungsweise nach Meinung derer, die eben selbst keine Locken haben. Das Ding ist nur: Es hängt davon ab, was für Locken du hast. Wer sich die glatten Haare für einen besonderen Anlass mit dem Lockenstab lockt und perfekte Korkenzieherlocken aus dem nicht so widerspenstigen glatten Haar zaubert, der wird für die Lockenpracht bewundert. Wer allerdings jeden Morgen mit den gleichen widerspenstigen und zeitaufwendigen Locken aufwacht, der wird das nicht immer automatisch.

Der erste Punkt ist der Pflegeaufwand von Naturlocken: Für die braucht es nämlich besondere Produkte und eine intensive Pflege. Während die deutsche Mehrheitsgesellschaft in einen DM reinläuft und sich aus 10 Shampoos fast jedes mitnehmen kann, stand ich in meinen Teenagerjahren vor dem Regal und konnte gar nichts mitnehmen. Nichts. Mittlerweile gibt es circa zwei Produktlinien, die an Menschen mit Locken gerichtet sind, aber als ich Teenager war und versucht habe meinen Körper und meine Haare zu verstehen gab es nicht wirklich viele Optionen…außer dem Glätteisen. Oder Onlineshops mit Produkten aus dem Ausland. Während Mädchen mit „westlichem“ Haar also manchmal Wellen haben, die sie mit den richtigen Produkten zu Locken stylen können, konnte ich meine Haare entweder glätten oder in einen Zopf packen. Einfach, weil die Produkte hier noch nicht auf eine globalisierte Gesellschaft ausgerichtet waren und es auch heute noch nicht sind.

Der Standard ist mittlerweile nicht mehr: So sehen Deutsche in Deutschland eigentlich typischerweise aus, also müssen wir solche Produkte anbieten. Sondern so sieht unsere vermischte und von anderen Kulturen stark beeinflusste Gesellschaft realistisch betrachtet aus. Und deswegen müssen wir für eben diese Gesellschaft und diese Menschen Produkte anbieten. Es ist also nicht zu viel erwartet, dass ich als in Deutschland aufgewachsenes Girl mit Locken in eine Filiale einer der größten Drogerieketten des Landes laufen kann und eine Auswahl an mich ansprechender Produkte finden kann.

Als nächstes ist es wichtig, über die Art der Locken zu sprechen. Ich hatte bereits die mit dem Lockenstab gemachten Korkenzieherlocken meiner deutschen Freundinnen erwähnt. Dann gibt es natürlich auch deutsche Mädchen, die Wellen haben – aber Haare wie ich oder andere Mädchen aus dem (nord-)afrikanischen Raum sie haben, habe ich bisher noch an keinem ursprünglich deutschen Mädchen gesehen. Ausnahmen bestätigen hier natürlich wie immer die Regel.

Meine Locken waren in meiner Kindheit also nie schön, wenn überhaupt vielleicht „interessant“. Bis ich endlich passende Produkte gefunden habe und verstanden habe, was ich damit tun muss. Meine natürlichen Haare sind also nicht unbedingt ein akzeptiertes Accessoire. An manchen Tagen sind da nämlich keine perfekten Locken, sondern frizzy Haare oder was auch immer man da für negative Begriffe zur Umschreibung meiner Naturlocken nutzen will. Ich habe nun mal afrikanische Haare und manchmal haben meine Haare daher weniger engelslöckchenartige, sondern afromäßige Züge. Das gefällt den Leuten nicht so, es gibt unglaublich viele negative Umschreibungen für jene Art von Haarstruktur. Und das musste man mir auch ständig ungefragt mitteilen. Ob es ein Mädchen ist, das ich erst vor einigen Wochen durchs Studium kennengelernt habe, die mir nach der Vorlesung sagt, dass meine Haare an dem Tag an Power verloren haben und etwas undefiniert aussehen („Hingen heute irgendwie etwas traurig runter“) oder Freunde aus der Schulzeit, die meine Haare mit denen jeder top gestylten lockigen Frisur im Social Media-Universum vergleichen und mir ungefragt Tipps geben: Jeder, aber auch wirklich jeder Mensch hat eine Meinung zu meinen „exotischen“, „interessanten“, „nicht richtig gekämmten“, „widerspenstigen“, „wie ein Busch aussehenden“ Haaren.

Aufgrund dieser Exotisierung sind meine Haare für die Leute ein Merkmal, das irgendwie allen gehört. Faszinierend, anders: Man will unbedingt mal anfassen und gucken. Wie Aminata Touré bereits schrieb: Wildfremde Leute fassen einem in die Haare. No shame there, so exotisch wie das für viele anscheinend aussieht, scheint das eine Einladung wie im Streichelzoo zu sein. Eines müssen manche Leute aber verstehen: Ich kann hier natürlich nicht für alle Menschen mit Locken sprechen, aber ich persönlich habe gar kein Problem damit, dass man mir in die Haare fassen möchte. Aber ich ziehe die Grenze da, wo ich in den Augen anderer von einem Menschen zu einem Objekt werde. Wenn meine Freundin fragt, ob sie meine Haare berühren darf, dann finde ich das grundsätzlich schon etwas komisch, aber dagegen habe ich per se nichts. Aber wenn mehrere Mädchen und Erwachsene, die ich so gut wie gar nicht kenne als Gruppe meine Haare betatschen: Sorry, but that‘s just wrong.

Dieser Kolumnenpost richtet sich daher an den mir bis heute unbekannten Mann, der mir im Bus einfach ungefragt in die Haare gepackt hat, die Typen, die in meinen DMs eine seltsame Bezeichnung für meine Haare nach der anderen finden, das Mädchen, das mir während dem Unterricht vor all meinen Mitschülern zugerufen hat, dass ich aussehe wie ein Cheerleader-PomPom und den Typen, der mir mit 15 mit ordentlicher Kraft durch die Haare gefahren ist und sich über das „ungekämmte Nest auf meinem Kopf“ lustig gemacht hat. Und an meinen Cousin, der mir erzählt, dass ich mit Zopf eigentlich ganz gut aussehe. Ohne die komischen Haare. Aber natürlich auch an die, die zuvor vielleicht nicht so genau über ihre Äußerungen zu der Thematik nachgedacht haben und demnächst eventuell etwas reflektierter durch die Welt laufen.

Aktueller Gefühlszustand: Immer noch auf der Suche nach dem passenden Shampoo.

Tag 82

George Floyd. Breonna Taylor. Oury Jalloh. Trayvon Martin. Michael Brown. Alton Sterling. Botham Jean. Atatiana Jefferson. Ahmaud Arbery. Matiullah J. Amad Ahmad. Achidi John. Yaya Jabbi. Laye-Alama Condé. William Tonou- Mbobda. Hussam Fadl. Matiullah J.

Bei einigen dieser Namen kenne ich die unglaublich traurige Geschichte dahinter. Andere hörte ich auf der #BlackLivesMatter-Demo am Samstag in Köln zum ersten Mal. Unglaublich, dass ich nicht schon vorher jeden einzelnen Namen im Schlaf wiedergeben konnte, wenn sie doch alle klare Regelungslücken in unserem Strafverfolgungssystem beweisen. Verständlich sind für mich somit auch die Proteste in Amerika, sowohl friedlich als auch nicht friedlich. Verständlich ist für mich auch, dass hier in Deutschland nun die Stimmen lauter werden, die sagen: „Hey, das gibt es bei uns auch.“ Oury Jalloh ist zum Beispiel einer der Beweise von laienhafter und rassistisch geprägter Polizeiarbeit.

Nicht nachvollziehbar sind für mich hingegen die Diskussionen, die ich trotz alledem mit Freunden und Freundinnen, Bekannten und Familienmitgliedern führen muss. Diskussionen über die Existenzberechtigung der Bewegung oder die für mich nicht verständliche Solidarisierung mit der Polizei auf Basis der eigenen Nicht-Reflexion der Regelungslücken oder auf der Basis blinden Vertrauens in die Polizei als schützende Instanz.

Ein solches Gespräch habe ich vor einigen Tagen nach der Demo mit zwei meiner Freundinnen geführt. Solche Unterhaltungen mit weißen Freunden und Freundinnen und auch Mitstudenten und Mitstudentinnen sind, wie ich gemerkt habe, durch Unverständnis geprägt. Was viele Weiße nicht zu verstehen scheinen, ist, dass das Gespräch, dass man als weiße Person vielleicht einmal die Woche mit dem Person-of-Colour-Freund (POC) führt, diese POC in derselben Woche auf ähnliche Art und Weise mit zehn weiteren Menschen führen muss.So geht es auch mir: Im Endeffekt diskutiere ich immer wieder mit verschiedenen Menschen das gleiche Thema und höre jedes Mal die gleichen „Argumente“. Argumente in Anführungszeichen, denn für mich ist eine Argumentation, die oft auf so viel Unwissen und Spekulation basiert, nicht tragfähig. Mir ist egal, was theoretisch in einem vom Gegenüber kreierten hypothetischen Universum sein könnte, und mir ist egal, was nicht betroffene Personen denken, wenn wir zum Beispiel über das Kopftuchverbot vor Gericht, das N-Wort oder Polizeigewalt in Deutschland reden.

Mir erscheint es vollkommen logisch, dass man als weißer Mensch nicht nachvollziehen kann, was schwarze Menschen, andere POCs, muslimische Menschen oder andere Minderheiten tagein, tagaus erleben. Daher sollte es zumindest normal sein, sich über die einem zunächst nicht verständliche Thematik aktiv zu informieren. Sonst muss ich jedes Mal die gleiche Diskussion mit den gleichen Pseudoargumenten führen. Wie auch vor ein paar Tagen. Die Erklärung für dieses immer gleiche Gespräch ist jedes Mal die gleiche: Dass man als Weißer schließlich noch nicht alles verstanden hätte und durch diesen Diskurs mit mir „lernen“ möchte. Schon wieder Anführungszeichen, denn daran verwirren mich zwei Dinge:

1. Wenn ich im Unterricht oder in der Vorlesung sitze, dann tue ich das auch, um zu lernen. Aber ich rede da zunächst nicht besonders viel. Ich höre zu und nehme das auf, was mir gesagt wird. Nachdem ich dann etwas Wissen aufgenommen habe, trete ich schließlich in den Diskurs, indem ich diskutiere. In den Gesprächen, die ich geführt habe, gibt es diese ersten Schritte des Zuhörens und Lernens allerdings nicht. Man kann meiner Meinung nach das Lernen und Verstehen aber nicht überspringen. Wer diskutieren will, der muss vorher auch Recherchearbeit auf beiden Seiten des Spektrums geleistet haben. Das gilt vor allem, wenn man emotional keinen Zugang zu der Thematik hat und in einer Gesellschaft groß wird, in der man zu einer rassistischen Denkweise erzogen wird.

2. Inwiefern kann man sich selbst als Person darstellen, die lernen will, wenn man sich mit Argumenten gegen die eine Seite und einer vorgefertigten Meinung in das Gespräch stürzt? Dann vertritt man ganz klar eine Position zu einem Thema, bei der man als weiße Person vielleicht einfach leise sein sollte. Vor allem wenn man weder Wissen hat noch emotional nachempfinden kann, was Minderheiten erlebt haben oder auch fühlen.Genau das habe ich mir als nicht-schwarze POC auch gedacht, als ich bei der Demo war. Ich habe zugehört, mir wichtige Statements aufgeschrieben und über schwarze Geschichte und Unterdrückung gelernt. Wenn ich jetzt aufgestanden wäre und mit einem Mikro in der einen und meiner vorgefertigten Meinung in der anderen Hand gesagt hätte: „Ja, also, so sehr habe ich mich über eure persönlichen Erfahrungen jetzt nicht informiert, aber ich finde, dass es etwas kritisch ist, nur schwarze Leben zu priorisieren, weil ich ja auch mal diskrimiert wurde“ – das wäre ziemlich dumm gewesen. Genauso dumm ist es auch, mit solchen Aussagen auf deinen migrantisch geprägten Freund oder deine Arbeitskollegin mit Kopftuch zuzugehen. Bullshit.

I know my place und ich weiß, dass ich nicht auf der Demo war, um meine Meinung als Nicht-Schwarze zu teilen. Also stand ich da und habe zugehört, um mehr und besser zu verstehen. So interpretiere ich das Lernen über die Erfahrungen anderer POCs. Und genau das erwarte ich auch von meinen weißen Freunden und Freundinnen und meinen nicht-schwarzen POC-Freunden und -Freundinnen genau wie auch von mir selbst, wenn wir uns in Situationen befinden, in denen wir nicht aufgrund von persönlichen Erfahrungen sympathisieren können, sondern uns zunächst Wissen aneignen müssen.

Hier aus gegebenem Anlass ein paar Buchempfehlungen:
„Exit racism“von Tupoka Ogette
„Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“ von Alice Hasters
„Deutschland Schwarz Weiß: der alltägliche Rassismus“von Noah Sow
„Black Feminist Thought“von Patricia Hill Collins
„So You Want to Talk About Race“von Ijeoma Oluo

Aktuelle Gefühlslage: Überwältigt von dem krassem Support auf der einen Seite und traurig über Unverständnis und White Fragility auf der anderen Seite.

Tag 77

Selbst von mir gedacht hätte ich es nicht, aber ich bin tatsächlich ein kleines self proclaimed Sensibelchen. Eine richtig behütet aufgewachsene, noch nie im Leben zum Arbeiten einen Finger gerührte Vorstadt-Gymnasiastin. Ich habe gelernt: Ich bin anscheinend einfach zu verwöhnt für wirklich harte Arbeit. Wenn man Kellnern denn in die Kategorie „harte Arbeit“ stecken möchte, was ich jetzt einfach mal mache. Mein Gedanke davor war eigentlich, dass das DER Job wäre, den man als Studentin oder Student irgendwann mal gemacht haben muss. Dass das so leicht ist, dass es ja irgendwie jeder können müsste. Aber so leicht ist das Gästebedienen und Tellertragen dann doch nicht …

Angefangen hat alles damit, dass ich mich vor ein paar Tagen nichts ahnend in einem der vollsten und größten Eiscafés Bonns beworben habe. Der Laden sah cool aus, und wer mag schließlich kein Eis? Ein Traumjob, dachte ich mir, und zwischendurch kann ich bestimmt eine Kugel Eis snacken.So saß ich dann im Café und habe auf mein Gespräch mit dem Chef gewartet. Etwas verspätet kam der ziemlich gestresst hinein und wir haben gleich ein Probearbeiten für den nächsten Tag verabredet. Dafür, dass ich im Endeffekt nur vorbeikomme, um kostenlos und ohne – durch einen unterschriebenen Arbeitsvertrag – gesicherte Rechte zu arbeiten, habe ich mich echt ziemlich gefreut. Gastro-Arbeit ist allerdings auch nicht unbedingt bekannt für rechtlich nachvollziehbare Vorgänge. Ich bin zwar erst im zweiten Semester meines Jurastudiums, aber das kann ich definitiv bestätigen.

Mein anfänglicher Optimismus hat dann auch nicht lange angehalten. Die Luft war schon so ziemlich raus, als ich zwei Minuten zu spät und vom Rennen verschwitzt ankam und Ärger wegen der Verspätung bekam. Als ich danach die Arbeitsbluse schnell anprobieren musste, war die eine Größe zu eng und die andere zu weit. Tough choice also, aber aus Angst, dass am Ende ein Knopf abspringt und einen Kunden statt eines Schokostreusels eine etwas andere Überraschung erwartet, habe ich schließlich die Variante „Kartoffelsack in Bordeauxrot“ gewählt.

Ich will wirklich nicht eitel klingen, aber das Café liegt im Stadtzentrum und während der ersten zwei Stunden haben mich schon mehrere Leute aus der Uni wiedererkannt. Wenn diese Menschen, die mich seit Wochen coronabedingt nicht täglich gesehen haben, ein verschwitztes, rotes Zelt mit noch röterem Gesicht wiedertreffen, dann ist das irgendwie keine optimale Situation. Ein Kündigungsgrund war das aber natürlich noch nicht, so schlimm bin ich auch wieder nicht, keine Sorge. Stattdessen habe ich mir die Maske so tief ins Gesicht gezogen, wie es nur geht.

So ging es dann weiter. Hin- und herlaufen, nichts fallen lassen, Tische wischen und alle 50 Eissorten verstehen – das ist echt nicht easy. Von allen Seiten erklären einem die Kollegen die Tischnummern anders, Kunden beschweren sich bei dem einen über die Fehler der anderen und der Chef hat wegen des stressigen Arbeitsalltags chronisch schlechte Laune. Also den kann man eh nicht zufriedenstellen. Deswegen erklärt dieser mir auch immer wieder, dass ich an Inkompetenz anscheinend schwer überboten werden kann. Warum ich es überhaupt noch versucht habe und nach einer Stunde nicht schon aufgegeben habe, weiß ich immer noch nicht genau.

Der Tipp des Chefs nach dem ersten Arbeitstag war für mich: Übung macht den Meister. Am Abend gab er mir dann die Karte mit und meinte, dass drei Stunden auswendig lernen täglich reichen müssten. Da saß ich also, während mir der Typ nach dem anstrengendsten Tag, den ich verwöhntes Vorstadtkind seit Langem erlebt habe, erzählt, dass ich mich in meiner Freizeit am besten noch hinsetzen und die Karte auswendig lernen sollte. Etwas müde habe ich da natürlich immer einfach nur brav genickt und zwischendurch immer wieder auf das Banansplit-Eis und den Erdbeerbecher auf der Karte vor mir geguckt, um sicherzugehen, dass der Typ auch wirklich über Eis spricht und nicht über die große Liebe seines Lebens. Wie lange ich nach dem ersten Tag ausgehalten habe? Sage und schreibe einen weiteren Tag. Am dritten Tag bin ich mit Kopfschmerzen und Halsschmerzen aufgewacht. Ob Corona, Stress oder Überarbeitung: Keiner weiß es so genau. Ich habe bei mir selbst einen klaren Fall von „Ich habe den falschen Job und sollte kündigen“ diagnostiziert. Das habe ich am nächsten Tag dann auch gemacht. Immerhin habe ich jetzt eine Story für meine Kids über die harte Arbeit, die zum Leben dazugehört und durch die jeder mal durchmuss. Das mit den zwei Tagen brauchen sie ja nicht wissen.

Aktueller Gefühlszustand: Fleißig auf der Suche nach einem Job, für den ich nichts können muss, aber gut bezahlt werde … Vorschläge und Angebote nehme ich gerne via E-Mail an.

Tag 66

Eid Mubarak an alle muslimischen Leser*Innen! Der Fastenmonat Ramadan hat gestern geendet. Abgerundet wird der Monat des Verzichts mit einem großen Fest, das im arabischen Kulturkreis „Eid-ul-Fitr“ genannt wird. Damit gehen mir auch so langsam meine Ausreden dafür aus, Dinge aufzuschieben, nicht für die Uni zu lernen oder weiter fleißig an dieser Kolumne zu schreiben. Heute daher also ein festliches Update.

Gerade sitze ich im Zug zurück nach Bonn. Mit Maske im Gesicht schreibt es sich definitiv nicht leichter, aber Regeln sind Regeln. Also ziehe ich die Maske nur zwischendurch klammheimlich runter, um kurz nach Luft zu schnappen. Ich fühle mich immer sehr draufgängerisch dabei. Trotz Maske und längerer Zugfahrt bin ich allerdings trotzdem ziemlich glücklich. Das Fest habe ich in meiner Heimatstadt zusammen mit meiner Familie gefeiert und so anders als sonst hat es sich gar nicht angefühlt. Was natürlich weggefallen ist, ist das prägende Festgebet am Morgen in der Moschee, was wir allerdings gemeinsam zu Hause verrichtet haben. Aber das leckere Essen, die lustige Geselligkeit, das heimlich zugesteckte Geld von Verwandten: Das alles hat sich auch in der Quarantäne bewährt. Normalerweise würden wir sicher noch mehr Freunde und Bekannte besuchen und bei uns zu Hause willkommen heißen, aber Qualität geht bekanntlich über Quantität. Beschweren kann ich mich also nicht. Außerdem hat meine Großmutter Couscous gekocht, weswegen ich mich heute vermutlich sowieso für eine Weile über weniger beschweren werde als sonst.

Der wohl tollste Nebeneffekt vom Ausziehen und alleine Wohnen ist die Tatsache, dass man von jedem eingepacktes Essen mitkriegt. Momentan ist also nicht nur mein Magen mit süßen Kleinigkeiten und Couscous gefüllt, sondern auch meine Taschen. Also ja, die Maske, die ich gerade tragen muss, ist ziemlich ätzend und auf das überspitzte Lachen der Frauen ein paar Sitze vor mir würde ich gerade auch ganz gerne verzichten, aber der Gedanke an die Portion Couscous in meiner Tasche stimmt mich wieder sehr positiv. Durch das Bahnfenster kann ich sehen, dass die Sonne gerade untergeht. Ein toller und trotz Corona sehr festlicher Tag, an dem ich die marokkanische Küche einmal mehr wertschätzen lernen konnte, neigt sich langsam seinem Ende zu. Dass mich morgen früh wieder eine Vorlesung und der niemals enden wollende Unistoff erwarten, kann an diesem Tag auch nichts kaputtmachen.

Aktuelle Gefühlslage: Das Gefühl, das man früher hatte, wenn man bei Omi wieder viel zu viel zu Abend gegessen hat, frisch gebadet vor dem Fernseher saß und Sandmännchen vor dem Schlafengehen gucken durfte.

Tag 53

TikTok TikTok ist alles, was ich gerade höre. Und nein, ich ziehe mir gerade nicht den berühmten Kesha Hit rein oder bin auf der Lieblingsplattform meiner jüngeren Schwester unterwegs, sondern sitze um 1 Uhr morgens in der WG-Küche und versuche Defintionen für mein Studium auswendig zu lernen. Wenn dich das Ticken der Uhr ablenkt, weißt du, das der Stoff wirklich zäh ist!

Aber fangen wir von vorne an, einige Stunden vorher. Ein typischer Tag beginnt bei mir momentan gegen 11 oder 12 Uhr. Dann wache ich langsam auf, putze mir die Zähne und gehe in die Küche, um zu frühstücken. Dann fällt mir, während ich gerade in der Pfanne ein Rührei anbrate, ein, dass ich ja faste. Also Herd aus und weg mit dem Rührei. Zurück ins Bett. Manchmal versuche ich mich an einem von den neuerdings überall kursierenden 10 Minuten Workouts. Nach der zweiten Übung gucke ich dann meistens nur noch zu, aber ich finde, das ist auch schon mehr als genug. Es ist schließlich der Gedanke, der zählt. Bis vier oder fünf Uhr passiert nicht viel mehr außer von Youtube auf Snapchat und von Snapchat auf Instagram wechseln. Wenn eines an meinem Körper summerready ist, dann meine Finger, so viel ist klar.

Danach versuche ich meistens ein bisschen was für die Uni zu machen, wobei ich immer mal wieder für eine Stunde zurück in den Mikrokosmus meines Handys gezogen werde. Aus dem Lesen einer Whatsappnachricht werden schnell zwei Stunden auf Youtube. Dort gefallen mir während des Ramadans vor allem Kochvideos und Mok-Bangs. Für manche klingt das vielleicht nach freiwilligen Qualen, aber es hilft erstaunlich gut gegen den Hunger. Und dann, irgendwann gegen 9 Uhr, ist es so weit und ich kann mein Fasten brechen. Danach heißt es: Kaffee aufbrühen und ran an den Unistoff, um so viel wie möglich zu erledigen. Um 4 Uhr morgens ist die Essensphase vorbei und ich gehe dann gegen 5 Uhr auch schlafen.

So sitze ich hier also und versuche mir juristische Begriffe einzuprägen während die Uhr tickt. Der aktuelle eintönige Corona-Alltag ist wirklich nicht sehr interessant, abwechslungsreich erst recht nicht. Ich bin langsam aber sicher bereit für ein Ende von dieser Ausnahmesituation!

Aktuelle Gefühlslage: Zu 10000000 Prozent gelangweilt!

Tag 49

Ich kann mich noch an die Tage erinnern, an denen die Kontaktsperre einen zwar betrübt hat, aber der Supermarkteinkauf einem den ganzen Tag versüßt hat. Ein bisschen schäme ich mich zwar das zuzugeben, aber ich habe mich definitiv fertiggemacht um die Gurken aus dem Edeka zu holen. Sogar zwei Parfümspritzer waren da manchmal drin. Mittlerweile ist aber selbst diese kleine Freude verblasst, da ein Geschäft voller von Masken verdeckter Gesichter ehrlich gesagt eher gruselig als trostspendend ist.

Einkaufen gehe ich aber dennoch immer noch sehr gerne, denn die Fastenzeit macht das Essen am Abend zu einem Highlight, auf das man den ganzen Tag hinfiebert. Es heißt eigentlich, dass man nie hungrig einkaufen gehen sollte. Das meinte zumindest der Fitness-Bodybuilder Typ, der mir in einer Youtube Werbeanzeige erklärt hat, wie ich für schlappe 60 Euro monatlich den perfekten Summerbody kriege. Diese Regel ist aber im Ramadan offiziell ausgesetzt. Mein Edeka um die Ecke ist also nicht mehr nur ein Edeka, sondern ein Paradies voller unzähliger Möglichkeiten. Tacos? Reis mit Hähnchen? Oder Pasta? Man könnte alles essen und als Fastender ist man davon überzeugt, dass man das alles am Besten auch am gleichen Abend isst. Am Ende reicht es zwar höchstens für eine Suppe und etwas Salat, aber die Vorfreude den ganzen Tag über ist mindestens genauso schön. Das versuche ich mir zumindest mit Blick auf das in nur einer Woche für Essen ausgegebene Geld immer wieder einzureden.

Aktuelle Gefühlslage: Ready for Iftar!

Tag 47

So, da bin ich wieder. Im Pyjama, auf meinem Bett, den Laptop auf meinem Schoß. Müsste ich ein Bild aussuchen, um meine Quarantäne-Zeit zu beschreiben, dann würde ich exakt dieses wählen. Oder vielleicht ein Foto von mir um 0:00 Uhr, wie ich den Kühlschrank auf der Suche nach einem guten Mitternachtssnack durchforste. In den zahlreichen Memes über die Essenslust, die aus der Langeweile entwächst, erkenne auch ich mich in fast jedem einzelnen wieder. Allerdings hat vor ungefähr einer Woche der Monat Ramadan angefangen. Ich bin muslimisch und nehme daher daran teil. Tagsüber bei Langeweile einfach kurz ein Erdnussbutterbrot schmieren ist also gerade nicht mehr drin.

Mitternachtssnacks allerdings zum Glück schon. Ganz kurz für diejenigen, die sich mit dem Ramadan nicht so gut auskennen: Fastenmonat heißt bei uns nicht wie bei den Christen, dass wir auf bestimmte Dinge verzichten, sondern dass wir von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang weder essen noch trinken. Von circa 21 Uhr am Abend bis ungefähr 4 Uhr am nächsten Morgen kann ich also so viel essen, wie ich will, und alles nachholen, was ich tagsüber nur mit sehnsuchtsvollem Blick bewundern darf. Ein simples Prinzip und dieses Jahr für mich auch erstaunlich leicht.

Allerdings ist es erschreckend zu merken, wie oft wir nichts zu tun haben und deswegen ans Essen denken. Ohne diesen stündlichen Ausflug zum Kühlschrank bleibt gefühlt ziemlich viel Zeit übrig, weswegen ich mich momentan sehr effektiv fühle. Vermutlich würde man eher das Gegenteil erwarten und von einer 24/7 Hangry-Tess ausgehen. Da der Monat sich aber vor allem um die Stärkung des Charakters, des Willens und die Barmherzigkeit anderen Menschen gegenüber dreht, passiert eher das Gegenteil und ich versuche, an meinem Verständnis und meiner Geduld zu arbeiten. Obwohl ich gestehen muss, dass mich Kleinigkeiten wie laut tropfende Wasserhähne und Staubflecken an weißen Wänden mittlerweile doch ungewohnt stark reizen. Gut, dass ich täglich einen Haufen neuen Unistoff bekomme, der mich von all den anderen Alltagsproblemen und meinem knurrenden Mage ablenken kann.

Aktuelle Gefühlslage: Etwas überfordert mit dem Corona-Semesterbeginn.

Tag 35

Nach längerer Zeit melde ich mich endlich wieder zurück! Seit meinem letzten „Merhaba aus der Quarantäne“ hat sich auch so einiges verändert. Mittlerweile hat das Semester angefangen und ich bin in meine Studienstadt Bonn zurückgefahren. Das Semester läuft zwar online, aber einfach für das Feeling sitze ich doch lieber in der WG. Bei mir im Kinderzimmer, eingekesselt von meinen pinken Wänden, kommt das Studi-Feeling einfach nicht richtig auf.

Der Grund für die längere Pause war eine sehr stressige Hausarbeitsphase. Es war meine erste Hausarbeit, und Corona hat das Ganze nicht unbedingt erleichtert. Wie man ein gut gefülltes Quellenverzeichnis ohne geöffnete Bibliotheken erstellen soll ist zwar eine berechtigte Frage, eine richtige Antwort erhält man auf der Fakultäts-Website aber nicht. Versucht habe ich es trotzdem.

Mittlerweile konnte ich aber endlich auf „Senden“ drücken und die fertige Hausarbeit abschicken. Die Abgabe hat sich ein bisschen so angefühlt, als würde ich einem Fremden mein etwas verkorkstes, aber meiner Meinung nach trotzdem absolut liebenswertes Kind überreichen.

Seitdem bin ich um einiges optimistischer und konnte den Hausarbeitsstress zusammen mit der Abgabe endlich hinter mir lassen. Zeit zum Aufatmen und um sich mit einer Chipstüte und Netflix im Bett zu verstecken war leider trotzdem nicht. Stattdessen bewegt sich mein Leben gerade zwischen Telefonkonferenzen und Zoom … und okay, etwas Netflix ist schon noch drin, ganz so enthaltsam bin ich dann doch nicht. Und im Bett bin ich ehrlich gesagt auch ziemlich oft. Mit Chips. Naja, es sind die Gesunden aus dem DM und ich bin vor der Vorlesung ins Bad gegangen und habe meine Zähne geputzt. Mit geputzten Zähnen sitze ich also im Bett und lese im Chat, wie sich ein paar Mitstudenten anfeinden oder zwei Kommilitonen ein Date für die Zeit nach der Pandemie ausmachen. Und der Professor, mittendrin, versucht seinen Bildschirm zu teilen, was dank der Hilfe von zwei wissenschaftlichen Mitarbeitern dann auch irgendwann klappt.

Trotz einiger anfänglicher Schwierigkeiten muss ich zugeben, dass das Online-Semester gar nicht mehr so aussichtslos wirkt wie vor einigen Wochen. Gar nicht so schlimm wie erwartet im Pyjama den Laptop aufzuklappen und sich ein bisschen vom Professor berieseln zu lassen. Vielleicht wird das ja doch noch was mit dieser „digitalen Lehre“.

Aktueller Gefühlszustand: Erleichterung pur plus ein paar Quarantänekilos mehr auf den Hüften.

Tag 23

Heute kann ich tatsächlich mit etwas guter Laune überzeugen. Ja, sogar für ein Lächeln könnte es reichen! Mittlerweile habe ich es geschafft, meine Sicht auf die aktuelle Lage ein wenig zu ändern. Eine Sache, die ich verstanden habe, ist zum Beispiel, dass wir gar keiner absoluten „Ausgangssperre“ unterliegen. Genau genommen ist rausgehen nicht verboten – solange man den nötigen Sicherheitsabstand zu fremden Mitmenschen einhält. In meiner Gegend gibt es sowieso nicht allzu viele Individuen der Spezies „Mensch“. Dafür aber umso mehr Felder, Landstraßen und Pferde. Genau, Pferde: Vier davon habe ich auf meiner Fahrradtour mit meiner kleinen Schwester schon gezählt. Naja, niedlicher als Autos sind die Vierbeiner auf jeden Fall, also ich beschwere mich da mal nicht. Nach einem kurzen anerkennenden Nicken zum Reiter schweift mein Blick weiter nach rechts auf ein Erdbeerfeld. Die frische Luft habe ich echt vermisst. Hätte ich gar nicht erwartet! Sonst nahm ich Sauerstoff eigentlich ganz selbstverständlich auf dem Weg von der Bahn zu meiner nächsten Station im Prä-Corona-Alltags mit. Wirklich durchatmen kommt da manchmal zu kurz.

Es ist gerade 14 Uhr. Die Sonne scheint. Und ich cruise zwischen Feldern und Pferden durch die Gegend. Es könnte schlimmer sein.

Aktueller Gefühlszustand: Dankbar für die unterschätzten, aber wichtigen Dinge… wie zum Beispiel Sauerstoff. An der Stelle mal kurz: Danke Bäume, ihr macht da echt einen nicen Job!

Tag 16

Ich habe gelesen, dass Ordnung und Struktur das beste Mittel gegen Ungewissheit und Panik in Ausnahmesituationen sind. Wahrscheinlich erwartet die Uni deshalb auch, dass man trotz geschlossener Bibliotheken Hausarbeiten zu Ende schreibt. Die dreischrittige Anleitung auf der Internetseite der Fakultät sollte den Umgang mit den Online-Literaturforen schließlich zur Genüge erklären. Und was ist mit denen, die das nicht verstehen oder bei denen es aus unerfindlichen Gründen nicht klappt? Darauf hat das FAQ zur aktuellen Situation leider keine Antwort. Naja, Deadlines gehören somit wieder ganz regulär zu meinem Alltag. Ein Glück, was hätte ich ohne die bloß getan? Vermutlich geben auch deswegen die Schulen meiner Schwester so viele Hausaufgaben auf, als wäre es das ultimative Ziel, das Abitur coronabedingt ein paar Jahre früher zu schreiben. Wir erinnern uns: Ganz normal soll das hier weitergehen.

„Normal“. Das eigentlich unkomplizierte Wort hat in den letzten Wochen gesellschaftlich irgendwie eine etwas neue Bedeutung bekommen. Alles immer Auslegungssache, deswegen mache ich es mir ganz leicht und googele es. Der Duden definiert den Begriff als „der Norm entsprechend“ und „vorschriftsmäßig“. Daran hat auch Corona nichts verändert, also sollte man sich wohl „der Norm entsprechend“ verhalten. Demnach sollte ich jetzt vermutlich frühstücken, richtig? Ist schließlich mittlerweile 1 Uhr, langsam wird es Zeit. Heute bin ich schon um 12 Uhr wach geworden. Habe mir dafür extra einen Wecker gestellt, weil ich früh aufwachen wollte, um etwas für die Uni zu schaffen.

Auf dem Weg in Richtung Küche komme ich an unserem Flurspiegel vorbei und betrachte darin meine Standarduniform der letzten Woche: Zwei äußerst süße Kuschelsocken mit Entenaufdruck und ein ultraschicker Benjamin Blümchen-Pyjama. So ganz passt der Pyjama mir nicht mehr, weil ich leider vergessen habe, genug Anziehsachen mitzunehmen, als ich nach Hause zurückgekommen bin. Was soll’s, was mir mit 14 gepasst hat, das passt auch jetzt noch irgendwie. Bauchfrei ist außerdem voll in. Trotzdem frage ich mich: Kann man so ein Outfit noch „vorschriftsmäßig“ nennen? Schwere Sache, aber genau genommen werden durch die aktuellen Pandemiemaßnahmen der Regierung nur Ansammlungen von mehr als zwei Personen bestraft – das Treffen von Benjamin Blümchen und den Enten auf meinem Look des Tages halten sich also noch voll im Rahmen.  Zufrieden laufe  ich weiter, um mein Frühstück vorzubereiten.

Aktueller Gefühlszustand: Wenn ich zu einer weiteren Corona-Instagram-Challenge herausgefordert werde, könnte es sein, dass mein Geduldsfaden endgültig reißt.

Tag 14

Abwarten und Chai trinken – unter diesem Motto sitze ich momentan zu Hause und starre die Wände an. Oder die Netflix-Startseite. Abwechslung muss schließlich auch mal sein. Es ist Quarantäne-Tag … Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht mehr, beim wievielten Tag wir mittlerweile sind. Ich war nie so gut mit Zahlen. Eigentlich wäre es eine tolle Idee, wenn es einen Online-Quarantäne- Tracker gäbe. Dann wüsste man wenigstens, wie viel Zeit man im Bett liegend verbracht hat.

Ausschlafen war bei mir in den letzten Monaten eigentlich nie drin. Erst ankommen in der neuen Unistadt, dann Prüfungsstress und schließlich Hausarbeitsphase. Mein Alltag war vor Corona von neuen Erfahrungen und schlaflosen Nächten geprägt. Jetzt sitze ich zu Hause, scrolle durch meine Snapchatmemories und trauere sogar den langen Lernnächten mit meinen Freunden nach. Bis 23 Uhr Bücher wälzen hört sich plötzlich überraschend verlockend an.

Ganz schön seltsam: In den letzten Wochen konnte ich die neu gewonnene Freiheit als Ersti genießen und war mit einer eigenen Wohnung auf dem besten Weg in Richtung „Erwachsenwerden“. Jetzt sitze ich wieder an meinem Schreibtisch in meinem Zimmer im Haus meiner Eltern. Im Raum nebenan streiten meine Schwestern sich um einen Buntstift. Durch das Fenster sehe ich meinen Vater den Rasen unseres Gartens mähen. Und meine Mutter diskutiert so laut am Telefon, als wollte sie die Distanz zu ihrem Gesprächspartner mit der schieren Lautstärke ihrer Stimme überqueren. Wer hätte gedacht, dass eine weltweite Pandemie die erwachsene Tess zurück in ihr Teenager-Ich  katapultieren würde? Momentan fühle ich mich ein bisschen wie in einer Art Traumwandlerzustand, in dem ich zwar noch so wie vorher existiere, aber die Sachen, die davor wichtig waren, es plötzlich nicht mehr sind. Deadlines? Was für Deadlines? Werde ich in ein paar Wochen in den regulären Unialltag zurückkehren können? Wird sich das jetzt noch mehrere Monate ziehen? Keiner hat da wirklich eine Antwort drauf. Fakt ist: Andere in Gefahr bringen möchte ich nicht, aber meine Unifreunde wiedersehen und ganz normal weiterstudieren, das würde ich möglichst bald schon sehr gerne wieder.

Aktueller Gefühlszustand: eine ordentliche Portion Ungewissheit gepaart mit Problemen, die Sache als neue Realität annehmen zu können.

Meine Mutter sagt immer, dass ich spreche bevor ich nachdenke. Wahrscheinlich schreibe ich deswegen auch so gerne. Manchmal hat man so viele Gedanken im Kopf, dass die richtigen Worte länger brauchen, als der Mund sie ausspricht. Genau diese richtigen Worte versuche ich seit einiger Zeit bei funky zu Papier zu bringen. Zeitungen waren zwar nie mein Ding, aber als ich über die Jugendredaktion gestolpert bin, habe ich eine Zeitung gefunden, die ich auch gerne lese. Deswegen schreibe ich für funky: Damit ich morgens etwas anderes zum Lesen habe, als die Rückseite der Cornflakesschachtel.